In the 16th-century texts—through chapter XLVIII—most textual notes are shown as close as possible to the lines they explain, while general notes are shown at the beginning or end of each selection. Footnote anchors have been retained for completeness.

CONTENTS OF PART SECOND
PAGE
Preface
Part First
XL.

Martin Luther

201
XLI.

Ulrich von Hütten

206
XLII.

Thomas Murner

209
XLIII.

The Reformation Drama

211
XLIV.

Hans Sachs

221
XLV.

Folk-Songs of the Sixteenth Century

230
XLVI.

The Chapbooks

233
XLVII.

Johann Fischart

239
XLVIII.

Jakob Ayrer

242
XLIX.

Georg Rodolf Weckherlin

246
L.

Martin Opitz

248
LI.

Paul Fleming

253
LII.

Friedrich von Logau

255
LIII.

Andreas Gryphius

259
LIV.

Simon Dach

266
LV.

Paul Gerhardt

271
LVI.

Friedrich Spe

273
LVII.

Hofmann von Hofmannswaldau

277
LVIII.

Daniel Casper von Lohenstein

280
LIX.

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen

283
LX.

Benjamin Neukirch

286
LXI.

Johann Christian Günther

289
LXII.

Barthold Heinrich Brockes

294
LXIII.

Johann Christoph Gottsched

297
ix LXIV.

Johann Jakob Bodmer

301
LXV.

Albrecht Haller

305
LXVI.

Ewald von Kleist

310
LXVII.

Friedrich von Hagedorn

314
LXVIII.

Christian Fürchtegott Gellert

319
LXIX.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

323
LXX.

Friedrich Gottlieb Klopstock

326
LXXI.

Christoph Martin Wieland

334
LXXII.

Gotthold Ephraim Lessing

342
LXXIII.

Johann Gottfried Herder

352
LXXIV.

Johann Wolfgang Goethe

360
LXXV.

Minor Dramatists of the Storm and Stress Era

371
LXXVI.

The Göttingen Poetic Alliance

381
LXXVII.

Gottfried August Bürger

386
LXXVIII.

Friedrich Schiller

392
199

PART II

FROM THE REFORMATION TO THE
CLASSICS OF
THE EIGHTEENTH CENTURY
ACCORDING TO THE BEST CRITICAL EDITIONS
201

XL. MARTIN LUTHER

1483-1546. Some of the cardinal dates in a career that changed the course of history for the whole Germanic world are as follows: In 1517 Luther posted up the ninety-five theses at Wittenberg; 1520, burned the papal bull and issued the Address to the German Nobility; 1522, attended the Diet at Worms and refused to recant; in seclusion at the Wartburg translated the New Testament, which was published that same year; 1525, married Katharina Bora, a nun, having previously renounced monasticism; 1534, published the complete German Bible. Aside from the polemics, tractates, epistles, commentaries, and sermons, whereby he provoked, defended, and organized the Protestant revolt, Luther wrote a few short poems, mostly hymns for worship, also fables and aphorisms. But his great work was his translation of the Bible.

Of the selections below, No. 1 follows the Weimar edition of Luther, VI, 406; No. 3, the reprint in Müller’s German Classics, I, 488; Nos. 4 and 5, Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 15.

1
From the Address to the Nobility.

Die Romanisten haben drey mauren, mit grosser behendickeit,1 umb sich zogen, damit sie sich bissher beschutzt, das sie niemant hat mugenn2 reformierenn, dadurch die gantz Christenheit grewlich gefallen ist. Zum ersten, wen man hat auff sie drungen mit weltlicher gewalt, haben sie gesetzt und gesagt,3 weltlich gewalt habe nit recht ubir sie, sondern widderumb,4 geystlich sey ubir die weltliche. Zum andern, hat man sie mit der heyligen schrifft wolt straffen,5 setzen sie da kegen,6 Es gepur7 die schrifft niemant ausstzulegenn, den dem Bapst. Zum dritten, drewet8 man yhn9 mit einem Concilio, szo ertichten sie, es muge niemant ein Concilium beruffen, den der Bapst. Alsso haben sie die drey rutten10 uns heymlich gestolen, das sie mugen ungestrafft sein, und sich in sicher befestung disser dreyer maur gesetzt, alle buberey und bossheit zutreyben, die wir dan itzt sehen, 202 und ob sie schon ein Concilium musten machen, haben sie doch dasselb zuvor mat11 gemacht, damit, das sie die fursten zuvor mit eyden vorpflichten,12 sie bleyben zulassen, wie sie sein, dartzu dem Bapst vollen gewalt geben ubir alle Ordnung des Concilii, alsso das gleich gilt, es sein vil Concilia odder kein Concilia, on das13 sie uns nur mit larven und spiegelfechten14 betriegen, szo gar greulich furchten sie der haut fur einem rechten freyen Concilio, und haben damit kunig und fursten schochter15 gemacht, das sie glewben, es were widder got, szo man yhn nit gehorchte in allen solchen schalckhafftigen, listigen spugnissen.16

1. Behendickeit, ‘skill,’ ‘cunning.’

2. Mugenn = mögen in the sense of modern können.

3. Gesetzt und gesagt, ‘proclaimed the doctrine.’

4. Widderumb = dagegen, im Gegenteil.

5. Straffen, ‘refute.’

6. Da kegen = dagegen.

7. Gepur = gebühre.

8. Drewet = drohet.

9. Yhn = ihnen.

10. The three ‘rods’ with which Luther proposed to chastise the papists were the temporal power, scripture, and the Councils.

11. Mat, ‘impotent.’

12. Vorpflichten = verpflichteten.

13. On das = ohne dass, ‘aside from the fact that.’

14. Larven und spiegelfechten, ‘masks and tricks.’

15. Schochter = schüchtern.

16. Spugnissen, ‘humbug.’

2
From the Bible of 1534: Psalm xlvi and Matthew v, 1-12.

Gott ist vnser zuuersicht vnd stercke, eine hülffe jnn den grossen nöten, die vns troffen haben.

Darum fürchten wir vns nicht, wenn gleich die welt vntergienge, Vnd die berge mitten jnns meer süncken.

Wenn gleich das meer wütet vnd wallet, Vnd von seinem vngestüm die berge ein fielen. Sela.

Dennoch sol die stad Gottes fein lüstig bleiben, mit jren brünlin, Da die heiligen wonungen des Höhesten sind.

Got ist bey jr drinnen, darumb wird sie wol bleiben, Gott hilfft jr frue. Die Heiden müssen verzagen, vnd die Königreiche fallen, Das erdreich mus vergehen, wenn er sich hören lesst.

Der Herr Zebaoth ist mit vns, Der Gott Jacob ist vnser schutz. Sela.

Kompt her, vnd schawet die werck des Herrn, Der auff erden solch zestören anrichtet.

Der den Kriegen steuret jnn aller welt, Der bogen zubricht, spies zuschlegt vnd wagen mit fewr verbrend.

Seid stille, vnd erkennet, das ich Gott bin, Ich wil ehre einlegen vnter den Heiden, ich wil ehre einlegen auff erden.

Der Herr Zebaoth ist mit vns, Der Got Jacob ist vnser schutz.

203 Da er aber das volck sahe, gieng er auff einen berg, vnd satzte sich, vnd seine Jünger tratten zu jm. Und er that seinen mund auff, leret sie vnd sprach: Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himelreich ist jre. Selig sind, die da leide tragen, denn sie sollen getröst werden. Selig sind die senfftmütigen, denn sie werden das erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert vnd dürstet nach der gerechtigkeit, denn sie sollen sat werden. Selig sind die barmhertzigen, denn sie werden barmhertzigkeit erlangen. Selig sind die reines Hertzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig sind die friedfertigen, denn sie werden Gottes kinder heissen. Selig sind, die vmb gerechtigkeit willen verfolget werden, denn das Himelreich ist jre. Selig seid jr, wenn euch die menschen vmb meinen willen schmehen vnd verfolgen vnd reden allerley vbels widder euch, so sie daran liegen. Seid frölich vnd getrost, Es wird euch im himel wol belohnet werden, Denn also haben sie verfolget die Propheten, die vor euch gewesen sind.

3
From the Epistle on Translating (1530).17

17. In his New Testament, Luther had rendered Romans iii, 28—in the Vulgate arbitramur hominem iustificari ex fide absque operibus legis—as follows: Wir halten, das der mensch gerecht werde on des gesetzes werke, allein durch den glauben. As there is nothing in the Latin or Greek corresponding to allein, the Papists charged him with falsifying scripture.

Ich hab mich des gefliessen18 im dolmetschen, das ich rein vnd klar deudsch geben möchte. Vnd ist vns wol offt begegenet, das wir 14 tage, drey, vier wochen haben ein einiges19 Wort gesucht vnd gefragt,20 habens dennoch zuweilen nicht funden. In Hiob erbeiten21 wir also, M. Philips,22 Aurogallus23 vnd ich, das wir in vier tagen zuweilen kaum drey zeilen kundten fertigen. Lieber, nu es verdeudscht vnd bereit ist, kans ein jeder lesen vnd meistern.24 Leuft einer jtzt mit den augen durch drey oder vier Bletter, vnd stösst nicht einmal an, wird aber nicht gewar, welche Wacken vnd Klötze25 da gelegen sind, da er jtzt vber hin gehet wie vber ein gehoffelt26 Bret, da wir haben must schwitzen27 vnd vns engsten, ehe denn wir 204 solche Wacken und Klötze aus dem wege reumeten, auff das man kündte so fein daher gehen. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist. Aber den Wald vnd die Stöcke ausrotten, vnd den Acker zurichten, da wil niemand an. Es ist bey der Welt kein danck zu uerdienen. Kann doch Gott selbs mit der Sonnen, ja mit Himel vnd Erden, noch mit seines eigen Sons tod, keinen danck verdienen, Sie sey vnd bleibe Welt ins Teufels namen, weil sie ja nicht anders wil.

18. Gefliessen = befleissigt.

19. Einiges = einziges.

20. Gesucht vnd gefragt, ‘sought for and queried over.’

21. Erbeiten = arbeiteten.

22. M. Philips = Magister Philippus (Melanchthon).

23. Aurogallus, i.e. Goldhahn, name of a Wittenberg Hebraist.

24. Meistern, ‘criticise.’

25. Wacken vnd Klötze, ‘stones and stumps.’

26. Gehoffelt = gehobelt.

27. Haben must schwitzen = haben schwitzen müssen.

Also hab ich hie Röm. 3 fast28 wol gewusst, das im Lateinischen vnd Griechischen Text das wort sola oder solum nicht stehet, vnd hetten mich solchs die Papisten nicht dürffen29 leren. War ists, Diese vier buchstaben sola stehen nicht drinnen, welche buchstaben die Eselsköpff ansehen, wie die Küe ein new thor. Sehen aber nicht, das30 gleichwol die Meinung des Texts in sich hat, vnd wo mans wil klar vnd gewaltiglich verdeudschen, so gehöret es hinein. Denn ich habe Deudsch, nicht Lateinisch noch Griechisch reden wöllen, da ich Deudsch zu reden im Dolmetschen furgenommen hatte. Das ist aber die art vnser Deudschen sprache, wenn sich ein Rede begibt31 von zweien dingen, der man eins bekennet vnd das ander verneinet, so braucht man des worts allein neben dem wort nicht oder kein, Als32 wenn man sagt, Der Bawr bringt allein33 Korn, vnd kein Gelt; Item,34 ich hab warlich jtzt nicht gelt, sondern allein Korn, Ich hab allein gessen35 vnd noch nicht getruncken, Hastu allein geschrieben vnd nicht uberlesen36? Vnd dergleichen unzelige Weise37 in teglichem brauch. In diesen reden allen, obs gleich die Lateinische oder Griechische Sprache nicht thut, so thuts doch die Deudsche, vnd ist jr art, das sie das wort allein hinzusetzt, auf das das wort nicht oder kein deste völliger38 vnd deutlicher sey. Denn man mus nicht die buchstaben in der Lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deudsch reden, Sondern man mus die Mutter im hause, die Kinder auff der gassen, den gemeinen Man auff dem marckt 205 drumb fragen, vnd denselbigen auff das Maul sehen, wie sie reden, vnd darnach dolmetschen. So verstehen sie es denn vnd mercken, das man Deudsch mit jnen redet.

28. Fast = sehr.

29. Dürffen, in the old sense of ‘need.’

30. Das = das’s, i.e. dass es; the es, referring to sola, being the object of hat, which means ‘contains,’ or ‘implies.’

31. Sich begibt = es gibt; ‘when there is talk.’

32. Als = wie, zum Beispiel.

33. Allein = modern bloss; so in the other examples.

34. Item, ‘like-wise,’ ‘again.’

35. Gessen = gegessen.

36. Uberlesen = durchgelesen.

37. Unzelige Weise = unzähliger Weise, ‘countlessly,’ ‘ad infinitum.’

38. Deste völliger = desto kräftiger.

4
Ein feste Burg.39

39. This famous hymn, based on Psalm xlvi and often called the battle-hymn of the Reformation, dates from 1529.

40. Waffen (das) = modern Waffe (die).

41. Frey, probably factitive rather than adverbial; ‘he helps us free,’ i.e. ‘sets us free.’

42. Ernst, probably in the old sense of Kampf; ‘he means fight.’

Ein feste burg ist unser Gott,

Ein gute wehr und waffen,40

Er hilfft uns frey41 aus aller not,

Die uns itzt hat betroffen.

5

Der alt böse feind

Mit ernst42 ers itzt meint,

Gros macht und viel list

Sein grausam rüstung ist,

Auff erd ist nicht seins gleichen.

10

Mit unser macht ist nichts gethan,

Wir sind gar bald verloren,

Es streit für uns der rechte man,

Den Gott hat selbs erkoren.

Fragstu wer der ist?

15

Er heisst Jhesus Christ,

43. Zebaoth, ‘of hosts’; a Hebrew plural.

Der Herr Zebaoth,43

Und ist kein ander Gott,

Das felt mus er behalten.

44. Saur, ‘fierce,’ ‘menacing.’

45. Nicht = nichts.

46. Gericht = gerichtet, ‘judged.’ Satan’s impotence is caused (‘made’) by the fact that he is under doom. See Revelation xx, 3.

Und wenn die welt vol Teuffel wer

20

Und wolt uns gar verschlingen,

So fürchten wir uns nicht so sehr,

Es sol uns doch gelingen.

Der Fürst dieser welt,

Wie saur44 er sich stelt,

25

Thut er uns doch nicht45;

Das macht, er ist gericht,46

Ein wörtlin kan jn fellen.

Das wort sie söllen lassen stan

Und kein danck dazu haben;

47. Plan, ‘field’ of battle.

30

Er ist bey uns wol auff dem plan47

Mit seinem Geist und gaben.

Nemen sie den leib,

Gut, ehr, kind und weib,

Las faren dahin;

48. Habens, i.e. haben es, the es being a genitive = ‘of it,’ ‘from it.’

35

Sie habens48 kein gewin,

Das Reich mus uns doch bleiben.

5
Frau Musica.49

49. The poem dates from 1538. In lines 1-14, and again in lines 25-40, Frau Musica speaks in her own person; but in lines 15-24 Luther speaks of her, proving the goodness of her art by scriptural instances.

50. Für = vor; translate by ‘of’ or ‘among.’

51. Niemand is dative; ‘no joy can be more exquisite for any one.’

Für50 allen freuden auf erden

Kan niemand51 keine feiner werden,

206

Denn die ich geh mit meim singen

Und mit manchem süssen klingen.

5

Hie kan nicht sein ein böser mut,

Wo da singen gesellen gut,

Hie bleibt kein zorn, zank, hass noch neid,

Weichen muss alles herzeleid,

52. Anleit = anliegt; ‘whatever lies hard upon us.’

53. Des wol frei, ‘quite at ease about this.’

Geiz, sorg und was sonst hart anleit,52

10

Fert hin mit aller traurigkeit.

Auch ist ein jeder des wol frei,53

Das solche freud kein sünde sei,

Sondern auch Gott viel bass gefelt,

Denn alle freud der ganzen welt.

15

Dem teufel sie sein werk zerstört

Und verhindert viel böser mörd.

54. That; see I Sam. xvi, 23.

Das zeugt David des königs that,54

Der dem Saul oft geweret hat

Mit gutem süssem harfenspiel,

20

Das er nicht in grossen mord fiel.

Zum göttlichen wort und warheit

Macht sie das herz still und bereit;

55. Bekant = erkannt; see II Kings iii, 15.

Solchs hat Eliseus bekant,55

Da er den geist durchs harfen fand.

25

Die beste zeit im jar ist mein,

Da singen alle vögelein;

Himel und erden ist der vol,

Viel gut gesang da lautet wol.

Voran die liebe nachtigal

30

Macht alles frölich überal

Mit irem lieblichen gesang;

Des muss sie haben immer dank.

Vielmehr der liebe Herre Gott,

Der sie also geschaffen hat,

35

Zu sein die rechte sengerin,

Der Musicen ein meisterin;

Dem singt und springt sie tag und nacht,

Seines lobs sie nichts müde macht.

Den ehrt und lobt auch mein gesang

40

Und sagt im ein ewigen dank.

XLI. ULRICH VON HUTTEN

1488-1523. An eminent humanist and poet laureate of knightly stock, Hutten had attacked the papacy in various Latin writings before resorting to the vernacular in support of Luther, of whose cause he became, in 1520, an ardent champion. The defeat of his friend Sickingen compelled him to flee to Switzerland, where he died on the island of Ufnau, in the Lake of Zürich.

The selections follow Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 172, pages 249 ff., and pages 269 ff.

207
1
From the Poem ‘Complaint and Admonition.’1

1. The title of the poem, which comprises 1578 lines and was written in 1520, runs: Clag und Vormanung [i.e. Ermahnung] gegen dem übermässigen, unchristlichen gewalt des Bapsts zu Rom und der ungeistlichen geistlichen.

2. Künig; Karl V (1500-1558).

3. Adlers fan, the imperial eagle.

Hilf, werder Künig,2 es ist not!

Lass fliegen auss des adlers fan!3

So wöllen wir es heben an.

Der weingart gottes ist nit rein,

5

Vil ungewächss ist kommen drein.

4. Wicken, ‘weeds.’

5. do zů = dazu, daran. In early prints, an uo, which later became ue, then u, often appears as ů.

Der weytz des herren wicken4 tregt;

Wer do zů5 nit sein arbeit legt

Und hilfft das unkraut tilgen auss,

Der würt mit gott nit halten hauss.

10

Wir reuten auss unfruchtbarkeit

Und thůnd, als gott hatt selbs geseit,

Zu dem, der solichs rauben pflegt,

6. Propheten mund; see Jer. xii, 10 ff.

Do ers propheten mund6 bewegt.

Du hast beraubt all nation,

15

Drumb dir auch werden widerston

All völcker, überfallen dich,

Berauben wider gwaltiglich.

Fürwar, das würt ein gůtte that!

Ich gib all frommen Teutschen rat,

7. Stadt = status, Zustand.

8. Halt beuor = nehme aus, ‘except.’

9. Hor = Haar.

20

Seit sich nit bessert disser stadt.7

Doch halt die frommen ich beuor,8

Der greiff man keinem an ein hor.9

Und die seind gůtter gschrifft gelert,

Ich bitt, das keiner werd versert.

25

Und wer ein geistlich leben fürt,

In disser sach bleib unberürt.—

10. All ding, ‘in all things’; gen. with übermacht.

All ding10 der Bapst hatt übermacht!

Wer das dann hat zům bestengdacht,

Den hatt er mit dem bann erschreckt.

30

Ich hoff, es seyen schon erweckt

Vil teutscher hertzen, werden sich

11. Als = wie.

12. Ye = je, ‘always.’

Der sachen nemen an, als11 ich.

Ich hab ye12 gůt vormanung gthan,

Ich hoff, sye lassen mich nit stan!

35

Den stolzen Adel ich beruff,

Ir frommen Stett, euch werffet uff!

Wir wöllents halten in gemein;

Lasst doch nit streiten mich allein!

Erbarmt euch übers vatterlandt,

40

Ir werden Teutschen, regt die handt;

208

Yetzt ist die zeit, zůheben an

Umb freyheit kryegen, gott wils han!

13. Här zů = herzu.

14. Vorter = fürder.

Här zů!13 wer mannes hertzen hatt!

Gebt vorter14 nit den lügen statt,

45

Domit sye han vorkert die welt!

Vor hatt es an vormanung gfelt,

Und einem, der euch sagt den grund,

15. Ley = Laie, ‘layman.’

16. Weissen = weisen, ‘point the way,’ ‘instruct,’ ‘warn.’

17. Kunst, ‘knowledge.’

Kein ley15 euch damals weissen16 kund,

Und waren nůr die pfaffen glert.

50

Yetzt hatt uns gott auch kunst17 beschert,

Das wir die bücher auch verstan.

Wollauff, ist zeyt, wir müssen dran!

2
Ich habs gewagt.18

18. The song was printed separately in 1521 as Ain new lied herr Vlrichs von Hutten. The phrase ich habs gewagt, translating the Latin jacta est alea, became a sort of motto with Hutten after he had taken, in the fall of 1520, the momentous step of defending Luther and advocating a German war of liberation.

19. Mit sinnen, ‘deliberately.’

20. Noch = dennoch.

21. Spüren trew, ‘perceive stedfastness,’ ‘see that I am faithful’ to the decision taken.

22. Main = meine; ‘I intend the weal not of one only (myself), but of the whole fatherland.’

Ich habs gewagt mit sinnen19

Und trag des noch kain rew,

Mag ich nit dran gewinnen,

Noch20 můss man spüren trew21;

5

Dar mit ich main22

Nit aim allain,

Wen man es wolt erkennen,

Dem land zů gůt,

Wie wol man tůt

23. Pfaffenfeind, as a term of reproach among the humanists, had a suggestion of flying at ignoble game.

24. Liegen = lügen.

25. Mir . . . vil, ‘many would have liked me better.’

[26. See end of selection.]

27. Fleich = fliehe.

10

Ain pfaffenfeint23 mich nennen.

Da lass ich ieden liegen24

Und reden, was er wil;

Het warheit ich geschwigen,

Mir wären hulder vil.25

15

Nun hab ichs gsagt,

Bin drumb verjagt,26

Das klag ich allen frummen,

Wie wol noch ich

Nit weiter fleich,27

20

Villeicht werd wider kummen.

Umb gnad wil ich nit bitten,

Die weil ich bin on schult;

28. Recht gelitten, ‘submitted to trial.’

29. So = aber.

Ich het das recht gelitten,28

So29 hindert ungedult,

25

Dass man mich nit

Nach altem sit

Zů ghör hat kummen lassen;

Villeicht wils got,

Und zwingt sie not,

30

Zu handlen diser massen.

30. Diser gleichen = dergleichen.

Nun ist oft diser gleichen30

Geschehen auch hie vor,

Dass ainer von den reichen

209

Ain gůtes spil verlor,

35

Oft grosser flam

Von fünklin kam;

Wer waiss, ob ichs werd rechen!

Stat schon im lauf,

31. Setz ich drauf, ‘take my risk on it.’

So setz ich drauf31:

40

Můss gan oder brechen.

Dar neben mich zů trösten

Mit gůtem gwissen hab,

Dass kainer von den bösten

32. Er = Ehre.

33. Uff ainig mass = irgendwie.

Mir er32 mag brechen ab,

45

Noch sagen, dass

Uff ainig mass33

Ich anders sei gegangen,

Dan eren nach,

Hab dise sach

50

In gůtem angefangen.

34. Ir selbs = sich selbst.

35. Raten = Rat schaffen, ‘find means.’

36. Ergatten = erholen.

Wil nun ir selbs34 nit raten35

Dis frumme nation,

Irs schadens sich ergatten,36

Als ich vermanet han,

55

So ist mir laid!

Hie mit ich schaid,

Wil mengen bass die karten.

Bin unverzagt,

Ich habs gewagt

60

Und wil des ends erwarten.

Ob dan mir nach tůt denken

37. Curtisanen = Höflinge.

Der curtisanen37 list,

Ain herz last sich nit krenken,

Das rechter mainung ist!

65

Ich waiss noch vil,

Wöln auch ins spil,

38. Soltens = sollten sie.

Und soltens38 drüber sterben:

Auf, landsknecht gůt

Und reuters můt,

70

Last Hutten nit verderben!

26. Verjagt; Hutten’s revolutionary writings led to a papal order that he be brought to Rome in chains. Banished on that account by his former friend, the Archbishop of Mainz, he took refuge in the castle of Franz von Sickingen at Ebernburg.

XLII. THOMAS MURNER

1475-ca. 1536. An Alsatian friar of the Franciscan order, Murner traveled much and won great prestige as a scholar. His earliest German writings, the Guild of Fools and the Exorcism of Fools, are metrical satires in the vein of Sebastian Brant. Though himself a sharp critic of clerical abuses, he could not brook the thought of a rupture with the Roman church. In the Great Lutheran Fool he assailed Luther scurrilously. His verse is mostly prosaic and often coarse, but there is a certain elegiac warmth in his song of thirty-five stanzas on the Downfall of the Christian Faith, which was published in the early days of the Lutheran revolt. A part of it is given below, the text according to Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 171, page 62.

Ain new Lied von dem undergang des Christlichen glaubens.

1. The Bruder Veits Ton, verse-form and tune, was a popular favorite. See Erk und Böhme’s Liederhort, II, 59.

Nun hört, ich wil euch singen,

In brůder Veiten ton,1

Von ungehörten Dingen,

2. Iez = jetzt.

3. Fürgon = vorgehen.

Die laider iez2 fürgon3:

210 5

Wie dass mit falschen listen

Die christenhait zergat;

Wan das die fürsten wisten,

4. Täten . . . tat = würden zur Tat schreiten, ‘would do something.’

5. Sein = sind.

6. Verjagen = beseitigt, ‘done away with.’

7. Me = mehr.

8. Aufdrait = aufträgt, ‘wears.’

9. Erstift, ‘established’; see Mat. xvi, 18.

Sie täten zů der tat.4

Der hirt, der ist geschlagen,

10

Die schäflin sein5 zerstreut,

Der bapst, der ist verjagen,6

Kein kron er me7 aufdrait,8

Und ist mit kainen worten

Von Christo ie erstift9;

15

An hundert tausent orten

Ist gossen auss das gift.

Der kaiser ist kain advocat,

Gar hin ist sein gewalt,

Den er ja zu der kirchen hat,

20

Der schirm zu boden falt;

Sein gebot sein ganz verachtet,

We armer christenhait,

10. Undertäni, an abstract from Untertan, in the collective sense of Untertanenschaft.

11. Brachtet, from brachten = schreien, toben. The sense is: ‘Where subjects revolt and rulers are powerless.’

12. Gemain = sämtlich.

13. Gmain = Gemeinde.

Wa undertäni10 brachtet,11

Und herschaft niderleit!

25

Die patriarchen alle

Und cardinäl gemain,12

Die bischof sein im falle,

Der pfarrer bleibt allain;

Ja den die gmain13 erwelet

30

Nach irem unverstand

Und für ain hirten zelet;

Ach, we der grossen schand!

Die minsten sein iez all gelert,

14. Der, in the sing., as if der minste had preceded.

Der14 vor nie beten kunt,

35

Kain ler auf erden ie gehört,

Dorft nie aufton sein mund:

Die widerfechten alle

15. Zierd, the church.

16. Gent steur = geben Steuer, ‘help on,’ ‘aid.’

17. Nim = nimmer (nie mehr).

Die zierd15 der christenhait,

Gent steur16 zů niderfalle

40

Ir lob und herlichait.

Die mess, die sol nim17 gelten

Im leben noch im dot,

Die sacrament sie schelten,

Die seien uns nit not;

18. Fünf, namely, confirmation, penance, extreme unction, order, and matrimony.

19. Andern, namely, baptism and the eucharist.

45

Fünf18 hon sie gar vernichtet,

Die andern19 lon sie ston

Der massen zů gerichtet,

Dass sie auch bald zergon.

Wir sein all pfaffen worden,

50

Baid, weiber und die man,

Wie wol wir hant kain orden,

Kain weihe gnomen an.

Die stiel ston auf den benken,

Der wagen vor dem ross,

55

Der glaub wil gar versenken,

Der grund ist bodenlos.

Die pfaffen sein zerschlagen,

Die münch sein auch zertrent,

Mit luter stimmen klagen,

20. Geschent = geschändet, ‘treated disgracefully.’

21. Für erlogen = vorgelogen.

60

Man hab sie lang geschent:20

211

Uns alles für erlogen,21

Was sie hont ie gesait,

Auss ihren fingern gsogen,

Verfiert die christenhait.

65

Wer iez zů mal kan liegen,

Veracht all oberkait,

22. Biegen, with kan above; ‘whoso can bend the gospel to murder,’ etc.

23. Hanthabt, ‘invests’ (puts into his hands).

Das evangeli biegen22

Auf mort und herzenlaid:

Dem lauft man zů mit schalle,

70

Hanthabt23 in mit gewalt,

Biss unser glaub verfalle

Und gar in eschen falt.

Der apfel ist geworfen

Der zwitracht, das ist war,

75

In steten und in dorfen;

Und geben nit ain har,

24. Meit, ‘mite.’

Ja nit ain meit24 auf erden

Umb alle oberkait;

Mit listen und gefärden

80

Erdenkt man herzenlaid.

25. Frone = heilig.

Das evangeli frone,25

Das was ein frölich mär,

Von got eroffnet schone

Zů frid von himel her:

85

Das hont sie iez vergiftet

In mort und bitterkait;

Es was zů freud erstiftet,

Iez bringt es herzenlaid.

Ich kan michs nit beklagen

90

Ja über gotes wort,

Allain dass sies vertragen

26. Rinklen, ‘twist,’ ‘pervert,’—like the preceding vertragen.

Und rinklen26 auf ain mort

Das wort des ewigen leben

Zů aufrůr und dem dot,

95

Von Christo uns gegeben,

Das er auss lieb erbot.

XLIII. THE REFORMATION DRAMA

The spirit of Luther—opposition to the papacy and reliance on scripture—soon found expression in the acted drama. To illustrate this phase of the new literary movement three plays have been drawn on: first, a Swiss play, performed on the streets of Bern in 1522; second, a Low German play, performed at Riga in 1527; third, a midland play, performed at Kahla in 1535. The text of No. 1 follows Bächtold’s Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, II, 103; for No. 2 see Braune’s Neudrucke, No. 30; for No. 3, Tittmann’s Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert, pages 21 ff.

1
From the ‘Contrast between the Pope and Christ,’ by Niklaus Manuel.1

1. Niklaus Manuel (ca. 1484-1530), locally famous both as a painter and a writer, was a leader of the early Swiss Reformers. The play consisted of a procession representing the Pope, riding in pontifical splendor and attended by pompous retainers; while Christ rode an ass, wearing a crown of thorns and followed by a throng of the lame and the blind. The speakers are two Swiss peasants.

212

Cläiwe Pflůg

Vetter Rüede, was lebens ist nun vorhand?

2. Sig = sei.

3. Neiwas nüws = etwas Neues.

4. Treit an = anträgt.

Mich dunkt, es sig2 aber neiwas nüws3 im land.

Wer ist der gůt fromm biderman,

Der da ein grawen rock treit an4

5

Und uf dem schlechten esel sitzt

Und treit ein kron, von dörnen gespitzt?

5. Trut = traut(er).

6. Sich = sehe.

Er ist on zwifel ein trut5 biderman,

Das sich6 ich im wol an sim angsicht an;

Es ist kein hoffart in im nit,

7. Des . . . git = gibt Zeugnis davon.

8. Nachgand = nachgehen.

9. Feldsiechen = aussätzigen.

10. Verschmach = verschmähe.

10

Sin hofgesind im des zügnuss git7:

Die im nachgand,8 hinkend und kriechen,

Die armen blinden und feldsiechen.9

Schouw, was armer lüten gand im nach!

Ich mein, dass er niemand verschmach.10

15

Die armen stinkenden ellenden lüt,

Sie hend doch kein gelt und gend im gar nüt.

Das ist doch ein ellende unlustige schar

Und gand ouch so gar gottsjämerlich dahar:

Der lam, der ander blind, der dritt wassersüchtig!

20

Und sitzt aber der gůt man so herzlich züchtig,

So ganz schämig und einfeltig uf dem tier.

11. Etter = vetter (Rüedi being familiar for Rudolf).

Lieber min etter11 Rüedi, wie gfalt er dir?

Lieber etter, weistu, wer er ist,

Ach, so sag mir’s ouch durch Jesum Christ!

Rüede Vogelnest

12. Bekennen = kenne.

13. Vast wol = sehr gut.

25

Etter Cläiwe, ich bekennen12 in vast wol,13

Darumb ich’s dir ouch billichen sagen sol!

Er ist unser höchster schatz und hort,

Er ist des ewigen vaters wort,

Das in dem anfang was bi gott,

213

14. Wott = wollte.

30

Do er alle ding beschaffen wott,14

Himmel und erden, tag und nacht.

On in ist ganz nüt gemacht,

Noch das firmament, noch der erdenklotz:

Er ist der sun des lebendigen gotts.

35

Es ist der süess, milt und recht demüetig,

Tröstlich, frölich, barmherzig und güetig,

Heilmacher der welt, herr Jesus Christ,

Der am crütz für uns gestorben ist

In sinem dri und drissigsten alter,

40

Unser schöpfer, erlöser und behalter,

Ein künig aller künig, herr aller herren,

Den ouch die kreft der himel eren.

Cläiwe Pflůg

15. Verden plůost willen; an untranslatable oath.

Verden plůst willen,15 ist das der?

Wenn er halb als hoffertig wer,

16. Kilchherr = Kirchherr.

45

Als unser kilchherr16 und sin caplan,

So sähe er der bettler keinen an.

17. Glatzet, ‘bald.’

Was gemeint der alt glatzet17 fischer darmit,

Dass er so dapfer neben im dahar tritt,

Und ouch die anderen biderben lüt?

50

Weist du ouch, was doch das selb bedüt?

Rüede Vogelnest

Der alt fischer das ist sant Peter.

18. Trumeter = Trompeter.

Der herr Jesus hat kein trumeter,18

Blind und lam sind sin trabanten.

Und die in ein sun gottes erkanten,

55

Das warend schlecht einvaltig lüt;

Die pfaffen schatztend in gar nüt

Und widerstrebtend im alle zit,

19. Git = Geiz.

20. Wis und berden = Weise und Gebärden, ‘character and conduct.’

So straft er sie umb iren git19

Und ander süntlich wis und berden.20

214 60

Er kond nie eins mit inen werden.

Darumb sie in allwegen verstiessend

Und zůletst am krütz ermörden liessend.

(Hie zwischen kam der bapst geritten in grossem triumph in harnisch mit grossem kriegszüg21 zů ross und fůss mit grossen panern und fenlinen von allerlei nationen lüt. —Sin eidgenossen gwardi22 all in siner farb, trumeten, pasunen,23 trummen, pfifen, kartonen,24 schlangen,25 hůren und bůben und was zum krieg gehört, richlich, hochprachtlich, als ob er der türkisch keiser wär. Do sprach aber)

21. Kriegszüg = Kriegsheer.

22. Gwardi = Garde, Leibwache.

23. Pasunen = Posaunen.

24. Kartonen = Cartaunen, ‘heavy guns.’

25. Schlangen, ‘(long) cannon.’

Cläiwe Pflůg

Vetter Rüede, und wer ist aber der gross keiser,

26. Reiser = Reisiger, Krieger.

Der mit im bringt so vil kriegischer pfaffen und reiser26

65

Mit so grossen mechtigen hochen rossen,

27. Bossen = Burschen, Buben.

So mencherlei wilder seltsamer bossen,27

So vil multier mit gold, samet beziert,

28. Spicherschlüssel, ‘granary keys’; the keys of St. Peter.

Und zwen spicherschlüssel28 im paner fiert?

Das nimpt mich frömbd und mechtig wunder.

70

Wärind nit so vil pfaffen darunder,

So meinte ich doch, es wärind Türken und heiden.

Mit denen seltsamen kappen und wilden kleiden.. . .

Rüede Vogelnest

Das weiss ich ouch und kan dir’s sagen.

Man můss in uf den achslen tragen

75

Und wil darfür gehalten werden,

Dass er sig ein gott uf der erden;

Darumb treit er der kronen dri,

Dass er über all herren si

Und sig ein statthalter Jesu Christ,

80

Der uf dem esel geritten ist.

Cläiwe Pflůg

Das möcht wol ein hoffertig statthalter sin!

Das lit heiter am tag und ist ougenschin.

215

Das sind doch warlich zwo unglich personen:

Des ewigen gotts sun treit ein dörne kronen

85

Und ist der armůt geliebt und hold;

So ist sins statthalters kronen gold

Und benüegt sich dennocht nit daran,

Er wil dri ob einandern han.

So ist Christus fridsam, demüetig und milt,

90

So ist der bapst kriegsch, rumorisch und wild

Und ritet dahar so kriegsch und fri,

Grad als ob er voller tüflen si.

2
From the ‘Prodigal Son’ by Burkard Waldis.29

29. Waldis was a Hessian, born about 1495, wno went to Riga in his youth, and there worked and suffered in the cause of the new Lutheranism. The Prodigal Son preaches the Lutheran doctrine of justification by faith. The selection is from the beginning of Act II, where the Prodigal, having lived some time with thieves and harlots, decides to return to his father.

Vorlorn Szohn

Ick seh vp erden hir keyn trost,

Dar mit ick werden mocht erlöst.

30. Edder = oder.

Wor ick my kere edder30 wende,

Dar ys kummer an allen endenn.

5

Vele dagelöner myn vader hefft,

31. Lefft = lebt.

32. All tho male = allzumal, ‘constantly.’

Der keyn ynn solcken kummer lefft31:

Sze hebbent all tho male32 guedt

Vnd hebben brodes ouerfloedt.

33. Auers = aber.

34. Erweruenn = erwerben, gewinnen.

35. Moeth = muss.

Auers33 ick mach hir keyn trost erweruenn,34

10

Ick moeth35 von grotem hunger steruenn.

Ick will my schicken ynn de sakenn

Vnd will my all thohand vpmakenn,

36. Moyge = Mühe.

Inn düsser moyge36 nicht lengher staenn.

Will hen tho mynen vader gaenn

15

Vnd spreken, vader, ick sy de mann,

37. Öuel = übel.

De dar hefft alsso öuel37 gedaenn,

216

Gesundiget ynn hemmel vnd vor dy,

38. Laeth = lass.

39. Entslaen = entschlagen; with reflexive object ‘to leave out of account.’

Dat laeth38 du nicht entgelden my.

Dat ick geheten was dyn Szohn,

20

Des will ick my nu gantz entslaen39;

Ick bin des namens yo nicht werdt,

Dat ick dyn szohn geheyten werde;

40. Gemeyn: here = ‘household.’

41. Blyue = bleibe.

Sunder nym my ynn dyne gemeyn,40

Make my als dyner dachlöner eynn.

25

Darumm blyue41 ick nicht lenger hir.

Vader

Dat ys myn Szohn, den ick dar seh.

42. Doet = tot.

Ick meynde, he hadde doet42 gewessenn:

Nu seh ick woll, he ys genessenn

Vnd leuet noch tho düsser stundt;

43. Idt = es.

44. Elende groet = Elend gross.

30

Idt43 bewegt sick myns herten grundt.

My yamert syn elende groet,44

Ick seh, he ys ynn groter noeth;

Ick kanss my werlich nicht entslaenn,

45. Ohm = ihm.

Ick moeth ohm45 vorwar entegen gaenn.

(Hir gengk de vader entegen demm vorlornn Szohn.)

46. Wes = sei.

35

Myn leue szoen, wes46 my willkomenn!

Ick hebbe dyne grote noedt vornommenn.

47. Vorbarmenn = erbarmen.

Vorwar, ick moet my dyner vorbarmenn.47

Kumm her, myn szohn, yn myne armenn,

Lech dynen mundt ann myne wanghenn,

40

Du schalst van my alle gnade erlangenn,

48. Vth = aus.

Vortruwe my dat vth48 hertzen grunde.

(Vorlorn Szohn veel nedder vor den Vader sprekende):

Ick seh wol, ick hebbe gnade fundenn.

Ach vader myn, vnd ick bin dey,

49. = nie.

50. Tydt = Zeit.

51. Nha = nach.

De dy hefft willen volgen nü,49

217 45

All tydt50 dyn geboden wedderstreuet

Vnd nü nha51 dynen willen geleuet.

Ick hebbe gesundiget ynn ouermoedt,

Inn hemmel vnd vor dy, vader guedt.

52. Euen = eben; with kumpt = ‘befits.’

53. Genümbt = genannt.

54. Tho voren = zuvor.

55. Gesecht = gesagt.

56. Ehr wenn = früher als, bevor.

57. Toch hen wech = zog hin weg = hinwegzog.

De nahm my nicht mehr euen52 kumpt,

50

Dat ick mach werden dyn szohn genümbt.53

Du haddest ydt my tho voren54 gesecht,55

Ehr wenn56 ick van dy toch hen wech,57

Vnd hefft my gewarndt vor mynen schaden,

Ick wolde my ouers nicht laten raden.

55

Solcken kummer hefft keyn mynsch gesehn,

De my alleyne ys geschehn.

Darumm, dat ick nicht, wo ick denn scholde,

Dyns guden rades volgen wolde,

58. Straff, ‘discipline.’

59. Müg = Mühe.

Inn dyner straff58 nicht wolde leuenn,

60

Darumm hefft my leydt vnd müg59 vmmgeuen.

Vor myne sunde vnd myssethat

60. Quaedt = böse, schlecht.

Is ouer my gegan alle quaedt.60

Myn sunde bekenne ick all vor dy,

Bidde dy, vader, wes gnedich my;

61. Rowet = reuet.

65

Ick hebbe gesundiget, ydt rowet61 my szehr.

3
From Rebhun’s ‘Susanna,’ Act III, Sc. 4: Having been menaced with death by the wanton judges, Susanna tells her father, mother, and sister of the infamous plot.62

62. Paul Rebhun, who died in 1546, was a Lutheran schoolmaster and pastor. In his Susanna he essayed a more regular and varied versification than that of the ordinary Knittelvers. The apocryphal story of Susanna was in high favor with the Protestant playwrights on account of its vindication of a chaste wife.

Helchias

Frid mit dir!

Elisabet

O, liebste tochter mein!

218

Rebecca

O Susann, du traute schwester mein!

Elisabet

Hilf uns, lieber Got, in ewigkeit!

63. Ewig = immer.

Wie kumts ewig,63 das in sölches leid

5

Du, mein liebste tochter, kummen sollt,

64. Meid; the housemaid who had brought the news to Susanna’s mother.

Welches ich lang der meid64 nicht glauben wollt?

Solstu nu zur zeit deinr höchsten ern

Für ein sölche erst gehalten werden,

Die du hast von jugnt dein lebn gefürt

10

Keusch, wie einer frummen fraun gebürt?

Ach, das dir sol gschehen sölche gwalt!

65. Sehen an, ‘look on,’ ‘bring to light.’

Got wöll sehen an65 dein unschuld bald.

Susanna

Sei dann, das mir Got, mein herr, helf draus,

Ist es auch mit meinem leben aus;

15

Dann sie mir den tot gedrohet han,

Weil ich nicht nach irem willn hab tan.

Helchias

Liebe tochter, hör itz auf vom klagn;

Dann wir wollen Got dein not fürtragen,

Der on zweifel dir wirt helfen aus,

20

Machen sie gleich was sie wöln daraus.

Wollst uns selber recht erzeln die sach,

Wie du kumst zu diesem ungemach.

Susanna

Da die sonn heut warm zu scheinn anfieng,

66. In = in den.

Nach gewonheit ich in66 garten gieng,

25

Wolt beim brunn mich badn ein kleine weil,

Drumb ich sant die meid von mir in eil,

219

Liess den garten fest beschliessen zu,

67. Guter ru, ‘security’; ‘I thought I should be safe there.’

Meint, ich wer nu da mit guter ru.67

Da erhubn sich plötzlich zu mir her

30

Dise richter, des erschrak ich ser.

Bald sie mir ir unart muten an,

Lagn mir auch mit bitten heftig an,

Teten mir dazu verheissung vil,

Das ich mich ergeb zu irem will;

35

Da sie aber nichts mit güt von mir

68. Namens . . . für, ‘they resorted to crime.’

Kunten habn, da namens frevel für68

Und bedroten mich mit irer gwalt,

Sagten, was für gfar mir folgen solt,

69. Er = Ehre.

Wie sie mir mein er69 und auch das lebn

40

Nemen woltn, so ich nicht ergebn

Würde mich zu irem willn so bald;

Da ich aber in nicht ghorchen wolt,

Wurden sie von stund vol zorn und grim,

70. Gsind = Gesinde, ‘servants.’

Ruften meinem gsind70 mit lauter stimm,

45

Sagten, wie ich die und dise wer,

Also kum ich leider in die gfer.

71. Samri and Gorgias are Hausknechte of Susanna’s husband.

Samri71

Hab ich nicht die sach erraten fein,

Das die richter selber böswicht sein?

Gorgias

72. Potz, a euphemism for Gott in oaths: dass Gott sie (verdamme).

Das sie potz72! wer het sich des vertraut,

50

Das sölchs stecken sol in alter haut?

Helchias

Helf dir Got, du liebe tochter mein,

Welchem wol ist kund die unschuld dein.

220

Susanna

73. Her; her husband, Joachim, is away on business.

Wenn doch nur mein her73 vorhanden wer,

Oder wüste disen jamer schwer!

Elisabet

74. Schier = bald.

55

Schweig, villeicht wirt er nu kumen schier.74

Rebecca

Liebe schwester, Got wöll helfen dir.

Chorus tertius

David, der prophetisch man,

Zeigt an,

Durch Gottes geist geleret:

60

Wer sich fest auf Got erbaut

Und traut,

Der wirt nicht umbgekeret;

Wie Sion steht er unbewegt,

Wird nicht geregt

65

Von starken winden

Des fleischs, des teufels und der welt,

75. Gegn . . . stellt = stellt sich ihnen entgegen.

Gegn in sich stellt,75

Sich nicht mit sünden

Von in lässt überwinden.

70

Sein haus, auf eim felsen hart

Verwart,

Ist gwaltig unterfasset;

Wasser, wind kans nicht bewegn,

Noch regn,

75

On schad sichs alls abstosset.

Got fürchten ist sein burg und schloss;

Kein teufels gschoss

Kan das zersprengen;

221

Gots wort sein waffen ist und schwert,

76. Wert = sich verteidigt.

80

Damit er wert,76

Lässt sich nicht drengen,

Zu sünd und abfal brengen.

Aber wer den hern veracht,

Nicht tracht

85

Auf seine wort und wege,

Den tut wie ein ror im teich

Gar leicht

Ein kleiner wind bewegen.

Sein haus gebaut ist auf den sand,

90

Hat kein bestand,

Kan sich nicht halten;

Wenn in ein kleine sünd anficht

77. Besticht = verführt.

78. Wird er zerspalten = kommt er in Zwiespalt mit sich selbst (Tittmann).

Und nur besticht,77

Wird er zerspalten78

95

Und lässt die bosheit walten.

XLIV. HANS SACHS

1494-1576. Sachs is the most winsome and versatile German poet of the 16th century. He lived at Nürnberg, practising the trade of the shoemaker and the art of the mastersinger, and writing an immense number of poetic productions. His total of verses has been estimated at half a million. For the reader of to-day he is most enjoyable in his Schwänke, or humorous tales, and his Fastnachtspiele, or shrovetide plays. The text of the first selection follows Keller’s reprint in the Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Vol. 106, page 109; that of the second, Goetze’s reprint in Braune’s Neudrucke, No. 40.

1
Sanct Peter mit der Gais.

Weil noch auf Erden ging Christus

Unnd auch mit im wandert Petrus,

Eins tags auss eym dorff mit im gieng,

Bey einer wegscheid Petrus anfieng:

5

O herre Got und maister mein,

Mich wundert sehr der güte dein,

Weil du doch Gott allmechtig bist,

Lest es doch gehn zu aller frist

In aller weit, gleich wie es geht,

222 10

Wie Habacuck sagt, der prophet:

Frevel und gewalt geht für recht;

Der gotloss uberforthailt schlecht

Mit schalckeit den ghrechten und frummen,

1. Recht, ‘lawsuit.’

Auch könn kein recht1 zu end mehr kummen.

15

Die lehr gehn durcheinander sehr,

Eben gleich wie die fisch im meer,

2. Verschlind = verschlingt.

Da immer eyner den ändern verschlind,2

Der böss den guten uberwind.

Des steht es ubel an allen enden,

20

Inn obern und in niedern stenden

3. Des, for dem (allen).

4. Samb = als ob.

5. Glat = gar.

6. Als . . . undterstan = alles Übel unterdrücken.

7. Int = in die.

Des3 siehst du zu und schweygest still,

Samb4 kümmer dich die sach nit viel

Und geh dich eben glat5 nichts an.

Könst doch als ubel undterstan,6

25

Nembst recht int7 hand die herrschafft dein.

O solt ich ein jar herrgott sein

Und solt den gwalt haben, wie du,

Ich wolt anderst schawen darzu,

Fürn viel ein besser regiment

8. Erdterich = Erdreich.

30

Auff erdterich8 durch alle stend.

Ich wolt stewern mit meiner hand

Wucher, betrug, krieg, raub und brand.

Ich wolt anrichten ein rühigs leben.

Der Herr sprach: Petre, sag mir eben!

9. Baser, bass = besser.

35

Mainst, du woltst ye baser9 regieren,

All ding auff erd bass ordinieren,

Die frummen schützen, die bösen plagen?

Sanct Peter thet hinwider sagen:

Ja, es müst in der welt bass9 stehn,

40

Nit also durch einander gehn.

Ich wolt viel besser ordnung halten.

Der Herr sprach: Nun, so must verwalten,

Petre, die hohe herrschafft mein.

Heut den tag solt du herrgott sein.

45

Schaff und gepeut als, was du wilt!

Sey hart, streng, gütig oder milt!

Gieb auss den fluch oder den segen!

Gieb schön wetter, wind oder regen!

Du magst straffen, oder belonen,

50

Plagen, schützen oder verschonen.

Inn summa, mein ganz regiment

Sey heut den tag in deiner hend!

Darmit reichet der Herr sein stab

Petro, den inn sein hende gab.

55

Petrus war dess gar wolgemut,

223

10. Daucht sich (with gen.), ‘was proud of,’ ‘elated over.’

Daucht sich10 der herrligkeyt sehr gut.

Inn dem kam her ein armes weib,

Gantz dürr, mager und blaich von leib,

Parfuss inn eym zerrissen klaid.

60

Die trieb ir gaiss hin auff die waid.

Da sie mit auf die wegschaid kam,

Sprach sie: Geh hin in Gottes nam!

Got bhüt und bschütz dich immerdar,

Das dir kein ubel widerfar

65

Von wolffen oder ungewitter,

Wann ich kan warlich ye nicht mit dir!

11. Arbeyten = erarbeiten, ‘earn.’

12. Heint = heute nacht.

Ich muss gehn arbeyten11 das taglon.

Heint12 ich sunst nichts zu essen hon

Dahaym mit meinen kleynen kinden.

70

Nun geh hin, wo du weyd thust finden!

Gott der bhüt dich mit seiner hend!

Mit dem die fraw widerumb wend

Ins dorff; so ging die gaiss ir strass.

13. Sagen was = sagend was, ‘was saying’, ‘said.’

Der Herr zu Petro sagen was13:

75

Petre, hast das gebett der armen

Gehört? du must dich ir erbarmen.

Weil du den tag bist herrgott du,

So stehet dir auch billig zu,

Das du die gaiss nembst in dein hut,

80

Wie sie von hertzen bitten thut,

Und behüt sie den ganzen tag,

14. Hag = Busch, Gehölz.

Das sie sich nit verirr im hag,14

Nit fall noch müg gestolen wern,

Noch sie zerreissen wolff noch bern,

85

Das auff den abend widerumb

Die gaiss unbeschedigt haym kumb

Der armen frawen in ir hauss!

Geh hin und richt die sach wol auss!

Petrus namb nach des herren wort

90

Die gaiss in sein hut an dem ort

Und trieb sie an die waid hindan.

Sich fing sanct Peters unrhu an.

Die gaiss war mutig, jung und frech,

15. Nech = Nähe.

Und bliebe gar nit in der nech,15

95

Loff auff der wayde hin und wider,

Stieg ein berg auff, den andern nieder

16. Schloff, ‘strayed’ (from schliefen = schlüpfen).

17. Echtzen = ächzen.

18. Nachdrollen = nachtrollen.

Und schloff16 hin und her durch die stauden.

Petrus mit echtzen,17 blassn und schnauden

Must immer nachdrollen18 der gaiss,

224 100

Und sehin die sunn gar uberhaiss.

Der schwaiss über sein leib abran.

Mit unruh verzert der alte man

Den tag biss auff den abend spat,

19. Hellig = müde.

Machtloss, hellig,19 gantz müd und mat

105

Die gaiss widerumb haym hin bracht.

Der Herr sach Petrum an und lacht.

Sprach: Petre, wilt mein regiment

Noch lenger bhalten in deiner hend?

Petrus sprach: Lieber herre, nein,

110

Nemb wider hin den stabe dein

Und dein gwalt! ich beger mit nichten

Fort hin dein ampt mehr ausszurichten.

20. Döcht = taugt.

Ich merck, das mein weissheit kaum döcht,20

Das ich ein gaiss regieren möcht

115

Mit grosser angst, müh und arbeyt.

O Herr, vergieb mir mein thorheit!

Ich will fort der regierung dein,

Weil ich leb, nit mehr reden ein.

Der Herr sprach: Petre, das selb thu!

120

So lebst du fort mit stiller rhu.

Und vertraw mir in meine hend

Das allmechtige regiment!

2
Das heiss Eysen: Ein Fassnachtspil21 mit 3 Person.

21. Fassnacht. The usual modern form is Fastnacht, as if from Faste, and meaning ‘eve of the Lenten fast.’ So the Grimm Dictionary explains it. But in early texts we find vasnacht, fasnacht, fasenacht, fassnacht, which Kluge in his Etymological Dictionary derives from faseln in the sense of Unsinn treiben.

Die Fraw tritt einn vnd spricht:

Mein Man hab ich gehabt vier jar,

Der mir von erst viel lieber war.

Dieselb mein Lieb ist gar erloschen

22. Aussdroschen, ‘gone bankrupt, ’failed’.

23. West geren = wüsste gern.

Vnd hat im hertzen mir aussdroschen.22

5

West geren,23 wes die schulde wer.

Dort geht mein alte Gfatter her,

Die ist sehr alt vnd weiss gar viel.

Dieselbigen ich fragen wil,

Was meiner vngunst vrsach sey,

10

Das ich werd der anfechtung frey.

Die alt Gefatterin spricht:

Was redst so heimlich wider dich?

Die Fraw spricht:

Mein liebe Gfattr, es kümmert mich:

Mich dunckt, mein Mann halt nit sein Eh,

Sonder mit andern Frawn vmbgeh.

15

Des bit ich von euch einen rath.

225

Die alt Gefatter spricht:

Gfatter, das ist ein schwere that.

Die Fraw spricht:

Da rath zu, wie ich das erfar!

Die Gefatter spricht:

Ich weiss nicht, mir felt ein fürwar,

Wie man vor jaren gwonheit het,

24. Ein Mensch . . . thet, ‘accused a person of anything.’

20

Wenn man ein Mensch was zeyhen thet,24

Wenn es sein vnschuld wolt beweysen,

So mustes tragn ein glüend Eyssen

Auff bloser Hand auss einem kreiss;

Dem vnschulding war es nicht heyss

25

Vnd jn auff blosser Hand nit prent,

Darbey sein vnschuld würd erkent.

Darumb hab fleiss vnd richt auch an,

Das diss heiss Eyssen trag dein Man!

Schaw, dass du jn könst vberreden!

Die Fraw spricht:

30

Das wil ich wol thun zwischn vns beden.

Kan wain vnd seufftzen durch mein list,

25. Es ist mir um das Herz, ‘I am concerned,’ ‘it is my wish.’

Wenns mir schon vmb das hertz25 nicht ist,

Das er muss als thun, was ich wil.

Die Gefatter spricht:

So komb dem nach vnd schweig sonst still,

26. Lappen; a foolish or ‘soft’ person.

35

Darmit du fahest deinen Lappen26

Vnd jm anstreiffst die Narrenkappen!

Ytzund geht gleich herein dein Man.

Ich wil hin gehn; fah mit jm an!

(Die alt Gefatter geht ab. Die Fraw sitzt, hat den kopff in der hend.)

Der Mann kompt vnd spricht:

Alte, wie sitzt du so betrübt?

Die Fraw spricht:

40

Mein Mann, wiss, das mich darzu übt

Ein anfechtung, welche ich hab,

Der mir kan niemandt helffen ab,

Mein hertzen lieber Man, wenn du!

Der Mann spricht:

Wenns an mir leyt, sag ich dir zu

45

Helffen, es sey wormit es wöll.

Die Fraw spricht:

So ich die warheit sagen söll,

So dunckt mich, lieber Mann, an dir,

226

Du helst dich nicht gar wol an mir,

Sonder bulest mit andern Frawen.

Der Mann spricht:

50

Thustu ein solches mir zu trawen?

Hastu dergleich gmerckt oder gsehen?

Die Fraw spricht:

Nein, auff mein warheit mag ich jehen.

Du abr bist mir vnfreuntlich gar,

Nicht lieblich, wie im ersten jar.

55

Derhalb mein lieb auch nimmet ab,

Das ich dich schier nicht mehr lieb hab.

Diss als ist deines Bulens schuld.

Der Mann spricht:

Mein liebes Weib, du hab gedult!

Die lieb im hertzen ligt verporgen!

60

Mhü vnd arbeit vnd teglichs sorgen

Thut vil schertz vnd schimpffens vertreiben.

Meinst drumb, ich bul mit andern weiben?

Des denck nur nit! ich bin zu frumb.

Die Fraw spricht:

Ich halt dich vor ein Bulr kurtzumb:

27. Sey denn sach, ‘unless,’ ‘except.’

28. Zicht = Beschuldigung.

65

Sey denn sach,27 das du dich purgierst,

Der zicht28 von mir nicht ledig wirst.

Der Mann reckt 2 finger auff, spricht:

Ich wil ein herten Eyd dir schwern,

Das ich mein Eh nit thet versehrn

Mit andren schönen Frawen jung.

Die Fraw spricht:

70

Mein lieber Man, das ist nicht gnung.

Eyd schwern ist leichtr, denn Ruben grabn.

Der Mann spricht:

Mein liebes Weib, was wilt denn habn?

Die Fraw spricht:

So trag du mir das heisse Eyssen!

Darmit thu dein vnschuld beweissen!

Der Mann spricht:

75

Ja, Fraw, das wil ich geren thon.

Geh! heiss die Gfattern vmbher gon,

Das sie das Eyssen leg ins Fewr!

Ich wil wagen die abenthewr

Vnd mich purgiren, weil ich leb,

80

Das mir die Gfatter zeugnus geb.

227

(Die Fraw geht auss. Er spricht:)

29. Mucken = Grillen.

30. Zepfft . . . stucken, ‘bothers me with this business.’

Mein Frau die treibt gar seltzam mucken29

Vnd zepfft mich an mit diesen stucken,30

Das ich sol tragen das heiss Eyssen,

Mein Vnschuld hie mit zu beweissen,

85

Das ich nie brechen hab mein Eh.

Es thut mir heimlich auff sie weh.

Ich hab sie nie bekümmert mit,

Ob sie jr Eh halt oder nit.

Nun ich wil jr ein schalkheit thon,

90

In Ermel stecken diesen Spon.

Wenn ich das Eyssn sol tragn dermassn,

So wil ich den Span heimlich lassen

31. Hoschen = huschen.

Herfür hoschen31 auff meine Hendt,

Das ich vom Eyssen bleib vnprent.

95

Mein frömbkeit ich beweissen thu.

Da kommen sie gleich alle zwu.

Die Alt tregt das heiss Eyssen in einer Zangen vnd spricht:

Glück zu, Gfatter! das Eyssn ist heiss.

Macht nur da einen weyten Kreiss!

Da legt jms Eyssen in de mit!

100

Tragt jrs herauss vnd prent euch nit,

So ist ewer vnschuld bewert,

Wie denn mein Gfattern hat begert.

Der Mann spricht:

Nimb hin! da mach ich einen kreiss.

Legt mir das glüend Eyssen heiss

105

Daher in kreiss auff diesen Stul!

Vnd ist es sach, vnd das ich Bul,

Das mir das heyss Eyssen als denn

Mein rechte Hand zu kolen prenn.

(Der Man nimbt das Eysen auff die Hand, tregets auss dem Kreiss vnd spricht:)

32. Vergwiest = vergewissert.

Mein weib, nun bist vergwiest32 fort hin,

110

Das ich der zieht vnschuldig bin,

Das ich mein Eh hab brochen nie,

Weil ich das glüend Eyssen hie

Getragen hab gantz vngebrent.

Das Weib spricht:

Ey, las mich vor schawen dein Hendt!

Der Mann spricht:

115

Se hin! Da schaw mein rechte hand,

Das sie ist glat vnd vnverprant!

228

Die Fraw schawt die hand, spricht:

Nun, du hast recht; das merck ich eben.

33. Die Kuh wiedergeben seems to be a peasant phrase for acknowledging that one has been in the wrong.

Man muss dir dein Kü wider geben.33

Der Mann spricht:

Du must mir vnschuldigen Man

120

Vor meinr gfattern ein widrspruch than.

Die Fraw spricht:

Nun, du bist fromb, vnd schweig nur stil!

Nichts mehr ich dir zusachen wil.

Der Mann spricht:

Weil du nun gnug hast an der prob,

Wil ich nun auch probieren, ob

125

Du dein Eh biss her habst nit prochen

34. Weilt = weil du.

Von anfang, weilt34 mir warst versprochen.

Mein Gfattern, thut darzu ewr stewr!

Legt das Eyssn wider in das Fewr,

Das es erfewr vnd glüend wer!

130

Darnach so bringt mirs wider her,

Auff das es auch mein Fraw trag mir,

Darmit jr frömbkeit ich probier!

Die Gefatter spricht:

Ey, was wolt jr ewr Frawen zeyhen?

Thut sie des heissen Eyssens freyen!

Der Mann spricht:

135

Ach, liebe Gfattr, was ziech sie mich?

Die Fraw spricht:

Mein hertz lieber Mann, wiss, das ich

Das hab auss lauter einfalt than!

Der Mann spricht:

Gfatter, legt bald das Eyssen an!

Darfür hilfft weder fleh noch bit.

(Die Gefatterin geht hin mit dem Eyssen.)

Die Fraw spricht:

140

Mein lieber Mann, weistu dann nit,

Ich hab dich lieb im hertzen grundt.

Der Mann spricht:

Dein that laut anders, denn dein mundt,

Da ich das heiss Eyssen must tragen.

Die Fraw spricht:

Ach, mein Mann, thu nicht weyter fragen,

145

Sonder mir glauben vnd vertrawen

229

Als einer auss den frömbsten Frawen!

Lass mich das heiss Eyssen nicht tragen!

Der Mann spricht:

Was darffst dich lang weren vnd klagen?

Bist vnschuldig, so ists schon fried,

150

So prent dich das heiss Eyssen nit

Vnd hast probiert dein Weiblich Ehr.

Derhalb schweig nur vnd bitt nicht mehr!

Die Gfatter bringt das glüent eysen, legts auff den stul im kreiss, spricht:

Gfattern, da liegt das glüend Eyssen,

Ewer vnschuld mit zu beweisen.

Der Mann spricht:

155

Nun geh zum Eyssen! greiff es an! . . .35

35. At this point nearly a hundred lines are omitted. The wife confesses several transgressions and pleads to be let off, but the husband insists that she handle the iron. When at last she does so it burns her badly. The husband chides her in strong language, whereupon Gefatter intervenes as a peacemaker.

Die Gefatter spricht:

Mein Gfatter, lasts best bey euch liegen!

Wölt meiner Gfattern vergeben das!

Wer ist der, der sich nie vergass?

Kompt! wir wöllen dran giessn ein Wein!

Der Mann spricht:

160

Nun, es sol jr verziehen sein!

36. Häfn = Töpfe.

Mein Fraw bricht Häfn,36 so brich ich Krüg,

Vnd wo ich anderst redt, ich lüg.

Doch, Gfatter, wenn jr bürg wolt werden,

Dieweil mein Weib lebet auff Erden,

165

Das sie solches gar nimmer thu.

Die Gefatter spricht:

Ey ja, glück zu, Gfatter! glück zu!

37. Glait = Geleit.

Ich wil euch gleich das glait37 heimgeben.

Vnd wöllen heint in freuden leben

38. Auff ein newes = aufs neue.

Vnd auff ein newes38 Hochzeit halten

170

Vnd gar vrlaub geben der alten.

Das kein vnrat weyter drauss wachs

Durch das heiss Eyssen, wünscht Hans Sachs.

230

XLV. FOLKSONGS OF THE SIXTEENTH CENTURY

While the 16th century brought forth no great German lyrist, it is exceptionally rich in good songs, mostly anonymous, that express the joys and sorrows of the general lot. Not all of them were the work of unlettered poets, but all were made to be sung; for lyric poetry as a branch of ‘mere literature’ had not yet come into being. The selections are from Tittmann’s Liederbuch aus dem 16. Jahrhundert, Leipzig, 1881, which gives full information as to the source of the various texts. The titles have been supplied by the editor.

1
Lob der Geliebten.

Mein einigs herz, mein höchste zier,

Wie we ist mir allzeit nach dir,

Wie leuchten deine äuglein klar,

Wie schön ist dein goldgelbes har,

Dein mündlein rot, dein wänglein weiss!

Für allen bleibt dir doch der preis.

In deinem dienst, sag1 sicherlich,

Bleib ich allzeit und ewiglich.

1. Sag, i.e. sage ich.

2
Begegnung im Walde.

Ich gieng einmal spazieren

Durch einen grünen walt,

Da hört ich lieblich singen

Ein freulein wol gestalt.

Sie sang so gar ein schönen gsang,

Dass2 in dem grünen wald erklang.

Ich tet mich zu ir nahen,

Schön tet sie mich empfahen.

Sie hat ein schönen grünen rock

Und war so gar ein hübsche dock;

Sie tet mir wol gefallen

Und liebet3 mir ob allen.

Solt ich ein andre werben,

Vil lieber wolt ich sterben!

2. Dass = dass es.

3. Liebet = gefiel.

3
Liebesbitte.

4. Liebes, a neuter noun = der Geliebten.

Ich kam für liebes4 fensterlein

An einem abend spate;

Ich sprach zur allerliebsten mein:

5. Drate = früh.

Ich fürcht, ich kum zu drate.5

Erzeig mir doch die treue dein,

6. Bin gwarten = erwarte (gwarten for gewartend).

Die ich von dir bin gwarten6;

Sieh, liebe, lass mich ein!

Bei meiner treu ich dir versprich,

7. Verkeren = verführen.

Ich wil dich nit verkeren,7

Mein treu ich doch an dir nit brich,

Tust du mich nun geweren.

Kum, glück, und schlag mit haufen drein,

8. Geweren, ‘gratify.’

Dass sie mich tu geweren,8

Sieh, liebe, lass mich ein!

231
4
Herzog Ulrichs Jagdlied.9

9. Duke Ulrich of Würtemberg (1487-1550) was a passionate lover of the chase. To please the emperor he married an unamiable Bavarian princess, though he was in love with Elizabeth of Brandenburg.

Ich schell mein horn ins jamertal,

Mein freud ist mir verschwunden,

10. Abelan = ablassen, ‘cease.’

Ich hab gejagt, muss abelan,10

Das wild lauft vor den hunden.

5

Ein edel tier in diesem feld

Het ich mir auserkoren,

11. Schieht ab, ‘shies away.’

12. Spir = spüre.

Das schieht11 ab mir, als ich wol spir,12

Mein jagen ist verloren.

Far hin, gewild, in waldes lust!

10

Ich wil dich nimmer schrecken

13. Brust; probably to be taken as object of jagen, rather than as a loose appositive to dich.

Mit jagen dein schneeweisse brust13;

Ein ander muss dich wecken

Mit jägers gschrei und hundes biss,

Dass du nicht magst entrinnen.

15

Halt dich in hut, mein tierle gut!

Mit leid scheid ich von hinnen.

Kein hochgewild ich fahen kann,

Das muss ich oft entgelten,

Noch halt ich stät auf jägers ban,

20

Wiewol mir glück komt selten.

14. Gbirn = gebühren.

15. Beniegen = begnügen.

Mag mir nit gbirn14 ein hochgwild schon,

So lass ich mich beniegen15

An hasenfleisch, nit mer ich heisch,

Das mag mich nit betriegen.

5
Verlorene Liebesmühe.

Ein meidlein zu dem brunnen gieng,

Und das was seuberlichen;

Begegnet im ein stolzer knab,

Der grüsst sie herziglichen.

5

Sie setzt das krüglein neben sich

Und fraget, wer er were.

Er kusts an iren roten mund:

16. Unmere = gleichgültig.

Ir seit mir nit unmere,16

Tret here!

10

Das meidlein tregt pantoffel an,

Darin tuts einher schnappen.

Wer ir nicht recht zusprechen kan,

17. Kappen = Narrenkappen

Dem schneidt sie bald ein kappen17;

Kein tuch daran nit wirt gespart,

18. Zwagen = waschen in the sense of ‘reject,’ ‘refuse.’

15

Kan einen höflich zwagen,18

Spricht, sie woll nit mer unser sein,

Sie hab ein andren knaben,

Lat traben!

6
Hüt du dich.

Ich weiss ein meidlein hübsch und fein,

Hüt du dich!

Sie kan gar falsch und freundlich sein,

232

Hüt du dich, vertrau ir nicht!

5

Sie narret dich.

Sie hat zwei euglein, die sind braun,

Hüt du dich!

Sie sech19 dich nicht an durch ein zaun,

Hüt du dich, vertrau ir nicht!

10

Sie narret dich.

Sie gibt dir ein krenzlein wol gemacht,

Hüt du dich!

Für einen narren wirstu geacht,

Hüt du dich, vertrau ir nicht!

15

Sie narret dich.

19. Sech = sähe.

7
Insbruck, ich muss dich lassen.

Insbruck, ich muss dich lassen,

Ich far dahin mein strassen,

In fremde land dohin;

Mein freud ist mir genomen,

5

Die ich nit weiss bekommen,20

Wo ich im ellend21 bin.

Gross leid muss ich jetzt tragen,

Das ich allein tu klagen

Dem liebsten bulen mein.

10

Ach lieb, nun lass mich armen

Im herzen dein erbarmen,

Dass ich muss von dannen sein.

Mine trost ob allen weiben,

Dein tu ich ewig bleiben,

15

Stet, treu, der eren frum.22

Nun muss dich Got bewaren,

In aller tugent sparen,

Biss dass ich wider kum.

20. Bekommen, ‘get back,’ ‘recover.’

21. Im ellend = in der Fremde.

22. Der eren frum = der Ehre treu.

8
Sorgenfrei.

Zwischen berg und tiefe tal

Do lit ein frie strasse,

Wer seinen bulen nit haben mag,

Der sol in faren lassen.

Far hin, far hin, du hast die wal,

Ich kan mich din wol massen23;

Im jar sind noch viel langer tag,

Glück ist in allen gassen.

23. Sich massen, with genitive = entbehren.

9
Der Muskateller.24

24. Muskateller, ‘muscatel’; a rich, sweetish wine from the muscat grape.

25. Bulen; object of han, the following den being demonstrative.

Den liebsten bulen,25 den ich han,

Der leit beim wirt im keller;

Er hat ein hölzens röcklein an,

Er heisst der muscateller.

26. Nechten, ‘last night’.

Er hat mich nechten26 trunken gmacht

Und frölich heut den ganzen tag,

Got geb im heint ein gute nacht!

Von disem bulen, den ich mein,

Wil ich dir bald eins bringen;

Es ist der allerbeste wein,

Macht mich lustig zu singen,

Frischt mir das blut, gibt freien mut,

233

Alls durch sein kraft und eigenschaft;

Nu grüss dich Got, mein rebensaft!

10
Der Schwartenhals.27

Ich gieng für einer frau wirtin haus,

Man fragt mich, wer ich wäre;

Ich bin ein armer schwartenhals,

Ich ess und trinke geren.

5

Man fürt mich in die Stuben ein,

Da bot man mir zu trinken;

Mein äuglein liess ich umbher gan,

Den becher liess ich sinken.

Man satzt mich oben an den tisch,

10

Als ob ich ein kaufman were,

Und da es an ein zalen gieng,

Mein seckel der war lere.

Und da man nu solt schlafen gan,

Man wies mich wol in die scheure;

15

Da stund ich armer schwartenhals,

Mein lachen ward mir teure.

Und da ich in die scheure kam,

Da fieng ich an zu nisten;

Da stachen mich die hagedorn,

20

Darzu die rauhen distel.

Da ich des morgens frü aufstund,

Der reif lag auf dem dache;

Da must ich armer schwartenhals

Meins unglücks selber lachen.

25

Ich nam mein schwert wol in die hand,

Ich gürts wol an die seiten;

Da ich kein geld im seckel het,

Zu fussen must ich reiten.

Ich macht mich auf, ich gieng darvon,

30

Ich macht mich wol auf die strassen;

Da begegnet mir ein kaufman gut,

Sein tasch must er mir lassen.

27. Schwartenhals = armer Teufel, ‘vagabond.’

XLVI. THE CHAPBOOKS

The so-called Volksbücher of the 16th century were published in cheap and careless form, and designed to meet the popular demand for entertaining and edifying literature—a demand which increased rapidly with the cheapening of paper and the invention of printing. They vary greatly in content and have no common character except a certain artlessness, which is sometimes pleasing but often runs into extreme vulgarity. Special favor was enjoyed by certain collections of anecdotes, specimens of which are given in the first three numbers. The text of Nos. 1, 4, and 5 follows Braune’s Neudrucke (Nos. 55-6. 34-5, 7-8); that of Nos. 2 and 3 the Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart (Vols. 85 and 229).

234
1
From ‘Eulenspiegel,’ the 14th story: Eulenspiegel1 gathers a crowd to see him fly.

Die xiiii history sagt wie Ulenspiegel vss gab, das er zu Megdburg von der lauben2 fliegen wolt, vnd die zuseher mit schimpffred ab wise.

Bald nach diser zeit als vlenspiegel ein sigrist wz gesein,3 Da kame er geen Megdburg, vnd treib vil anschleg, vnd sein nom ward da von erst bekant, das man von Vlenspiegel wusst zesagen, da ward er angefochten von den besten der burger von der stat dz er solt etwz abenthür treiben, da sagt er, er wolt es thůn, vnd wolt vff dz rathuss, vnd von der lauben fliegen, da ward ein geschrei in der stat, dz sich iung und alt samlete vff dem marckt, vnd wolten es sehen. Also stunde Vlenspiegel vff der lauben von dem rathuss, vnd bewegt sich mit den armen, vnd gebar eben als ob er fliegen wolt. Die lüt stůnden theten augen vnd müler vff, vnd meinten er wolt fliegen. Da lacht vlenspiegel vnd sprach, Ich meinte es wer kein thor oder nar mer in der welt dan ich. So sih ich wol, dz hie schier die gantz stat vol thoren ist, und wann ir mir alle sagtẽ dz ir fliegen woltẽ ich glaubt es nit, vnd ir glouben mir als einem toren. Wie solt ich fligen kunde, ich bin doch weder ganss noch fogel, so hon ich kein fettich, vnd on fettich oder federn kan nieman fliegen. Nun sehẽ ir offenbar, dz es erlogen ist, vnd lieff da von der lauben, vnd liess dz volck eins teils fluchende, das ander teil lachende vnd sprachen, Das ist ein schalckssnarr noch, dann so hat er war gesagt.

1. Till Eulenspiegel, the hero of the tales, is a waggish vagabond who goes about the country,—originally Brunswick, it would seem,—working at this and that and playing pranks on people. The earliest extant edition of the Eulenspiegel stories—that here followed—was printed at Strassburg in 1515.

2. Lauben, ‘loggia,’ ‘balcony’ (of the town hall).

3. Wz gesein = war gewesen. The preceding story tells how he had taken the rôle of sacristan at an Easter play.

2
From Pauli’s ‘Jest and Earnest,’4 the 47th story: The clever fool.

Es kan auch etwan ein nar ein Vrteil finden, das ein weisser nit finden kan. Es kam vff ein mal ein armer man ein betler in eins wirtzhauss, da was ein groser braten an dem spiss. Der arm man het ein stück brotz das hůb er zwischen den braten vnd das feur, 235 das der geschmack5 von dem braten in das brot gieng, da ass er dan das brot, das thet der arm man biss das er kein brot me het, da wolt er hinweg gon. Der würt hiesch im die ürten.6 Der arm man sprach, ir haben mir doch nichtz zů essen noch zů trincken geben, was sol ich bezalen. Der wirt sprach du hast dich gesettigt von dem meinen, von dem geschmack des bratens, das soltu mir bezalen. Sie kamen mit einander an das gerüht, da ward die sach vff geschlagen, biss vff ein andern gerichtztag, da was der gerichtz herren einer der het ein narren da heim, vnd ob dem tisch da ward man der sach zůred. Da sprach der nar, er sol den wirt bezalen mit dem klang des geltz, wie der arm man ersettiget ist worden von dem geschmack des bratens. Da nun der gerichtztag kam da bleib es bei dem vrteil, das vrteil fand der nar.

4. The first edition was published at Strassburg in 1522.

5. Geschmack = Geruch.

6. Ürten = Zeche (cost of food and drink).

3
From Wickram’s ‘Coaching Booklet’7: An accommodating parson.

Ein armer ungelerter pfaff stalt nach8 einer gůten reichen pfarr; dann er hort, wie sy so vil inkommens bette, derhalb sy im so wol gefiel; es war im nit umb das schäfflinweiden zů thůn, sunder er verhofft, vil gelts darauff zu überkommen. Und alss er nun vil und offt darumb gebetten unnd geloffen hette, warde er von den bauren auff ein sontag bescheiden, so wolten sy mit im handlen und auff die pfarr annemmen.

Do nun derselbig sontag kame, erschein der pfaff vor dem schultheyss und gantzen gericht in beysein des amptmans, und alss nun alle ding was bestelt,9 was er solt zů lon haben, alss behausung, den kleinen zehenden10 und ettlich viertel früchten, als rocken, weissen, gersten, habern, wein unnd gelt, dess der pfaff seer wol zůfriden was, abgeredt und beschlossen war, name in der schultheiss auff ein ort11 und sagt im in einer geheimne: Lieber herr pfarrer, nachdem ir bissher im bapstumb euch hand gehalten, solt ir wüssen, das es in disem dorff ein andere gestalt hatt; dann wir sindt hie gůt eigenwillisch. Darumb müsst ir uns das sacrament in zweierley 236 gestalt reichen, nemlich im brot und wein. Der gůt pfarrer forcht, wo er sich des widert, die bauren geben im wider urlaub; derhalben war er gůtwillig unnd sprach zů dem schultheiss: Das will ich gern thůn. Damit ir solt sehen, das ichs treuwlich und gůt mit euch meine, so will ichs euch in dreyerley gestalt geben, als nemblich im brot und wein und dem käss darzů. Das gefiel dem schultheissen fast wol und sagt, er wolt es an seine buren hinder sich bringen, ob sy sich damit wolten lassen beniegen.

7. Rollwagenbüchlein, a collection of tales to while away the tedium of travel; first published in 1555.

8. Stalt nach, ‘wanted to secure.’

9. Bestelt, ‘ordered,’ ‘arranged.’

10. Zehenden, ‘tithes’ (the dative in apposition to lon).

11. Auff ein ort, ‘aside.’

4
From ‘Grobianus’12: How to behave at table.

12. The German Grobianus (1551), by Casper Scheit, is a translation of a Latin satire by Dedekind (1549) which tells how to attain perfection in bad manners—how to become a perfect boor. ‘Grobian’ is the polar opposite of ‘gentleman.’

Will jemandt mit zu taffel sitzen,

13. Spitzen; sich spitzen (with zu) means to ‘set one’s heart on,’ here perhaps ‘go for.’

14. Zelt = gezählt.

Zum besten ort solt du dich spitzen,13

Dass du allzeit sitzst oben an,

Vnd zelt14 werdst für ein weisen man.

5

Acht niemands adels oder stands,

Wesens, reichthumb, kunst, oder lands.

Sitz nider, biss ein gůt gesell,

Ein jeder sitz dann wo er wöll.

Vnd ob er schon ein Prior wer,

10

Sprich hie sind noch vil sessel ler.

Sagt jemands, gsell sitz vnden an,

So sprich, was hast du mangels dran?

15. Nidrer, ‘further down.’

Gedenck so man dich nidrer15 mächt,

Was schand es deinen ehren brächt.

15

Sprich, lieber gsell hie ist mein sitz,

16. Schnitz, the worthless part of fruit or vegetable, that which is ‘cut off’ and thrown away

Vnd gäb nit vmb den Papst ein schnitz16:

Warumb solt ich eim andern weichen,

So er doch eben ist meins gleichen?

Wir sind von einem vatter gleich,

20

Ob wir schon arm sind oder reich,

Vnd sind gemacht auss staub vnd erdt,

237

Ist ein gůt gsell des andern werdt.

Drumb lasst vns bey einander bleiben,

Ich will auch ewer kein vertreiben.

25

Doch ob du auch zu spat werst komen,

Vnd einer het dein sitz eingnomen,

So steh nicht lang vorm disch zu gaffen,

Du hast bessers darbey zu schaffen:

Gedenck dass sitzen besser thů

30

Dann stehn, so gschicht dir liebs darzů.

Sprich, auff lantzman, setz dich hiehar,

Geh auss meim ort, dann ich ghör dar.

Ist er dir nicht an krefften gleich,

So seis jm gůt dass er bald weich:

17. Mausen: the Grimm Dictionary explains it as denoting here ein verstärktes dasitzen, warten, nicht vom flecke gehen.

18. Kartausen = Kragen.

35

Will er da sitzen lang zu mausen,17

So greiff jm bald nach der kartausen,18

Vnd wirff jn vbern nechsten banck,

Das ist ein guter taffel schwanck.

Dann Cato hat geleret wol,

40

Dass man dem grössern weichen sol.

Vnd setz dich dann an seine stat,

Sorg nit wo er zu fressen hat.

Vnd rhüm die that mit grossen freiden.

Vnd zeuch dein messer auss der scheiden,

45

Das stumpff, schärtig, vnd rostig sey,

Dass steht vor erbarn leuten frey:

Hengt dann noch gestrig brot daran,

So heb ein lüstigs wetzen an.

Dein groben paurenschůch zeuch ab,

50

Den selben für ein wetzstein hab,

Ker jn fein vmb, vnd spey darauff,

Vnd wetz das schinder messer drauff,

So wirt es dann gar hell erglitzen,

Vnd blenden all die bey dir sitzen.

55

Will andern das gefallen nit,

So sprich, hörah, das ist mein sitt.

238
5
From the original Faustbook of 1587: Faust’s compact with the Devil.

Abendts oder vmb Vesperzeit, zwischen drey vnd vier Vhren, erschien der fliegende Geist dem Fausto wider, der erbotte sich jhm in allem Vnterthänig vnd gehorsam zu seyn, dieweil jm von seinem Obersten Gewalt gegeben war, vnnd sagt zu D. Fausto: Die Antwort bring ich dir, vnnd Antwort mustu mir geben. Doch wil ich zu vor hören, was dein Beger sey, dieweil du mir aufferleget hast, auff diese Zeit zu erscheinen. Dem gab D. Faustus Antwort, jedoch zweiffelhafftig vnd seiner Seelen schädlich, denn sein Datum19 stunde anders nit, dann dass er kein Mensch möchte seyn, sondern ein Leibhafftiger Teuffel, oder ein Glied darvon, vnd begert vom Geist wie folgt:

Erstlich, dass er auch ein Geschickligkeit, Form vnnd Gestalt eines Geistes möchte an sich haben vnd bekommen.

Zum andern, dass der Geist alles das thun solte, was er begert, vnd von jhm haben wolt.

Zum dritten, dass er jm gefliessen,20 vnterthänig vnd gehorsam seyn wolte, als ein Diener.

Zum vierdten, dass er sich allezeit, so offt er jn forderte vnd beruffte, in seinem Hauss solte finden lassen.

Zum fünfften, dass er in seinem Hause wölle vnsichtbar regiern, vnd sich sonsten von niemandt, als von jm sehen lassen, es were denn sein Will vnd Geheiss.

Vnd letzlich, dass er jhm, so offt er jhn forderte, vnnd in der Gestalt, wie er jhm aufferlegen wurde, erscheinen solt.

Auff diese sechs Puncten antwort der Geist dem Fausto, dass er jhm in allem wolt willfahren vnd gehorsamen, so ferrn dass er jm dagegen auch etlich fürgehaltene Artickel wölle leisten, vnd wo er solches thue, sol es weiter kein noht haben, vnd seind diss darunter dess Geistes etliche Artickel gewesen:

Erstlich, dass er, Faustus, verspreche vnd schwere, dass er sein, dess Geistes, eygen seyn wolte.

Zum andern, dass er solches zu mehrer Bekräfftigung, mit seinem eygen Blut wölle bezeugen, und sich darmit also gegen jm verschreiben.

239 Zum dritten, dass er allen Christgläubigen Menschen wölle feind seyn.

Zum vierdten, dass er den Christlichen Glauben wölle verläugnen.

Zum fünfften, dass er sich nicht wölle verführen lassen, so jhne etliche wöllen bekehren.

Hingegen wölle der Geist jhme, Fausto, etliche Jahr zum Ziel setzen, wann solche verloffen, soll er von jhme geholt werden, Vnd so er solche Puncten halten würde, soll er alles das haben, was sein Hertz belüste vnd begerte, vnnd soll er alsbaldt spüren, dass er eines Geistes gestallt vnnd weise haben würde. D. Faustus war in seinem Stoltz vnnd Hochmut so verwegen, ob er sich gleich ein weil besunne, dass er doch seiner Seelen Seligkeit nicht bedencken wolte, sondern dem bösen Geist solches darschluge, vnnd alle Artickel zuhalten verhiesse. Er meynet der Teuffel wer nit so schwartz, als man jhn mahlet, noch die Hell so heiss, wie mann davon sagte.

19. Sein Datum stunde (stand), ‘his purpose was.’

20. Gefliessen, ‘assiduous.’

XLVII. JOHANN FISCHART

1550-1590. Fischart was an Alsatian humorist of satiric bent, great learning, and little originality. His prose—especially in Gargantua, his most important work, which is an amplified and Germanized version of the first book of Rabelais—is hard to read on account of its recondite allusions, far-fetched puns, and generally eccentric diction. As a poet he is at his best in the Lucky Boat of Zürich, a narrative poem which describes, with much patriotic warmth, the notable feat of a Swiss boat-crew in rowing from Zürich to Strassburg in a single day (June 21, 1576) to attend a Schützenfest. The selection follows Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 18, page 141.

From the ‘Lucky Boat of Zürich,’ lines 259-366.

1. Rein; the preceding lines have described the start early in the morning, and the pull on the Limmat and the Aar to the Rhine.

Da frewten sich die Reysgeferten,

260

Als sie den Rein1 da rauschen hörten,

Vnd wünschten auff ein newes Glück,

Das Glücklich sie der Rein fortschick,

Vnd grüssten jhn da mit Trommeten:

“Nun han wir deiner hilff von nöten,

265

O Rein, mit deynem hellen fluss

2. Fürdernuss = Fördernis, Fortkommen.

Dien du vns nun zur fürdernuss2;

Las vns geniesen deyner Gunst,

240

Dieweil du doch entspringst bey vns

3. Luchtmannen; the Vorderrhein rises on the heights of Lukmanier Pass, a few miles east of the summit of St. Gotthard.

Am Vogelberg bey den Luchtmannen,3

4. Rheintzierland; a flattering pun on Rhätierland.

270

Im Rheintzierland,4 von alten anen,

Vnd wir dein Thal, dadurch du rinnst,

Mit bawfeld zirn, dem schönsten dienst.

5. Schalt = bringe vorwärts, befördere.

Schalt5 diss Wagschiflein nach begeren,

Wir wöllen dir es doch verehren.

6. Leyt = geleite.

7. Darfür = worüber.

275

Leyt6 es gen Strassburg, deine zird,

Darfür7 du gern lauffst mit begird,

Weyl es dein strom ziert vnd ergetzt,

Gleich wie ein Gstein im Ring versetzt.”

Der Rein mocht dis kaum hören auss,

280

Da wund er vmb das schiff sich kraus,

Macht vmb die Růder ein weit Rad,

Vnd schlůg mit freuden anss gestad,

Vnd liess ein rauschen Stimm da hören,

Drauss man mocht dise wort erklären:

285

“Frisch dran, jr liebe Eydgenossen,”

Sprach er, “frisch dran, seit vnuerdrossen;

Also folgt eweren Vorfaren,

8. Vor hundert jaren; the feat of rowing from Zürich to Strassburg in a single day had been performed by a band of Zürich oarsmen in 1456.

Die diss thaten vor hundert jaren.8

Also můss man hie Rhům erjagen,

290

Wann man den Alten will nachschlagen.

Von ewerer Vorfaren wegen

Seit jr mir wilkumm hier zugegen.

Jr sůcht die alt Gerechtigkeit,

9. Bereit = bereitet, in the sense of erworben.

Die ewer Alten han bereit9;

295

Dieselbig will ich euch gern gonnen,

Wie es die Alten han gewonnen.

Ich weiss, ich werd noch offtmals sehen

Solchs von ewern nachkommen gschehen.

So erhält man nachbarschafft,

300

Dann je der Schweitzer eygenschafft

Ist Nachbaurliche freuntlichkeit

Vnd inn der Not standhafftigkeit.

Ich hab vil ehrlich leut vnd Schützen,

Die auf mich inn Schiff thäten sitzen,

305

Geleit gen Strassburg auff das schiessen,

Dafür mit freuden ich thu flisen;

Aber keyne hab ich geleit

241

10. Noch heut des tags = bis heute.

Noch heut des tags10 mit solcher freud.

Fahr fort, fahr fort, lasst euch nichts schrecken,

310

Vnd thůt die lenden daran strecken.

Die Arbeit trägt darvon den Sig,

Vnd macht, das man hoch daher flig

Mit Fama, die Růmgöttin herlich,

Dan was gschicht schwärlich, das würd ehrlich.

315

Mit solchen leuten solt man schiffen

Durch die Mörwirbeln vnd Mördifen,

Mit solchen forcht man kein Meerwunder

11. Tunder = donnre.

Und kein wetter, wie sehr es tunder11;

Mit solchen dörfft man sich vermessen,

320

Das einen fremde fisch nicht fressen,

Dann dise alles vberstreitten

Durch jr vnuerdrossen arbeyten.

Mit disen Knaben solte einer

12. Schiffartgmeyner = Schiffahrtgenosse.

13. Wjder = Widder (the Golden Fleece).

Werden des Jasons Schiffartgmeyner12

325

Inn die Jnsul zum Gulden Wjder13,

Da wüsst er, das er käm herwider.

Weren dise am Meer gesessen,

So lang wer vnersůcht nicht gwesen

America, die newe Welt,

14. Gestellt = getrachtet.

330

Dan jr Lobgir het dahin gstellt.14

Lasst euch nicht hindern an dem thun,

Das auff die haut euch sticht die Sunn,

Sie will euch manen nur dadurch,

Das jr schneid dapfer durch die furch,

15. Seh = sähe.

335

Dann sie seh15 gern, das jr die gschicht

Vollbrächten bey jrm Schein vnd liecht,

Damit sie auch Rhům davon drag,

Gleich wie ich mich des Rümen mag.

16. Blatern, ‘blisters.’

Die Blatern16, die sie euch nun brennt,

340

Vnd die jr schaffet inn der hend,

Werden euch dienen noch zu Rhům,

Wie zwischen Tornen eyne plům.

Jr dörft euch nicht nach wind vmbsehen,

Jr seht, der windt will euch nachwähen;

345

Gleych wie euch nun diss wetter libt,

Also binn ich auch vnbetrübt.

Jr sehet je mein wasser klar

Gleich wie ein Spiegel offenbar.

So lang man würd den Rein abfaren,

242 350

Würd keyner ewer lob nicht sparen,

Sonder wünschen, das sein Schiff lieff

Wie von Zürch das Glückhaffte Schiff.

Wolan, frisch dran, jr habt mein gleyt

Vmb ewer standhafft frewdigkeyt.

355

Die strass auff Strassburg sei euch offen,

Jr werd erlangen, was jr hoffen;

Was jr euch heut frü namen vor,

17. Wor = wahr.

Das würd den abent euch noch wor,17

Heut werd jr die Statt Strassburg sehen,

360

So war ich selbs herzů werd nähen.

Heut werd jr als wolkommen gäst

18. Resch = rasch, or perhaps frisch.

Zů Strassburg noch ankommen resch.18

Nun, liebs Wagschiflin, lauff behend,

Heut würst ein Glückschiff noch genent,

365

Vnd durch dich werd ich auch geprisen,

Weil ich solch trew dir hab bewisen.”

XLVIII. JAKOB AYRER

A prolific Nürnberg dramatist (died in 1605), wno might be styled a lesser Hans Sachs. He wrote some sixty-nine plays which show, more especially in the prominence of the clown, the influence of the English actors who began to visit Germany toward the end of the 16th century. Among his shrovetide plays are several of a new species, called by him Singtspiele, in which the parts, instead of being spoken, were sung to a preëxisting tune. A selection from one of these musical comedies is given below, the text according to the Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Vol. 80. The meter is an eight-line stanza called the Roland’s Ton.

The ‘English clown’ as stupid servingman.

Rolandt

geht mit Willanda, seinem Weib, in Baurs-Kleidern und singt:

Ach soll ich dir nit sagen

Von Janen, vnserm Sohn?

Der thut sich so hart klagen

Vnd will kurtzumb davon.

5

Er will nicht bey uns bleiben,

Sonder verdingen sich;

Will lernen lesen und schreiben:

Liebs Weib, wie düncket dich?

Willanda singt:

Er ist nun bey sein Jaren.

10

Wenn er nicht bleiben will,

1. Lecker, ‘scamp’, ‘rascal’.

So lass den lecker1 faren!

Er nützt dir sonst nit vil;

Dann er arbeit nit geren,

243

2. Leyrt, ‘loafs around.’

3. Feurent = feiernd, ‘doing no work.’

Leyrt2 geren feurent3 vmb.

15

Sein kan ich wol emperen,

Biss er wider herkumb.

Jann Posset

geht ein, tregt sein Bündel an eim Spiesslein und spricht:

Hört, Vatter! ich will wandern,

Mag nicht mehr eur Knecht sein.

Darumb dingt euch ein andern!

20

Ich will in die Statt nein,

Mir schaffen einen Herren,

Der mir gibt einen lohn

Vnd mich thut etwas lehren.

Eur beeder ich gnug han.

Rollandt singt:

25

Du bist ein fauler Bengel,

Drumb bleib bei mir herauss!

Ich meint, du habst kein mengel

In deines Vatters hauss.

Kanst du aber nicht bleiben,

30

Solst du wissen von mir:

4. Dir . . . reiben, ‘tan your jacket.’

Ich will dir den Buckl reiben,4

Du solsts empfinden schir.

Jann singt:

Fürwar, alhie so bleib ich nicht,

Ir seit ein grober Baur,

35

Ir habt ein strenges Angesicht

5. Schellig, ‘crazy’, ‘savage.’

Und secht schellig5 vnd saur.

So ist die Mutter vngschaffen,

6. Zerlampet, probably a mistake for zerlumpet.

Zeiht gar zerlampet6 her,

Runtzlet gleich wie die Affen

40

Vnd brummt als wie ein Beer.

Willanda singt:

Ach du leichtfertiger Hudler,

Wolst mich so machen auss?

Du bist ein fauler sudler,

Pack dich balt auss meim hauss!

45

Mit dir mag ich nicht palgen;

7. Wend = wenn du.

Wend7 je nicht bleiben wilt,

So droll dich nauss an Galgen!

Deinthalb es mir gleich gilt.

(Jann will fortgehen, sein Vater ist zornig.)

Roland singt:

8. Vor = erst.

Wart, Lecker, thu vor8 hören!

50

Ich will dirs drencken ein

Vnd dich vor lernen ehren

Vatter und Mutter dein.

Das nimm zu einer zehrung mit!

Pack dich zum Teuffel heut!

55

Dann wenn du schon hie bleibest nit,

Hab ich dennoch gnug freundt.

(Er schlegt jn ab vnd gehn alle ab.)

Kummt Herr Emerich vnd sagt:

Ich bin fürwar ein alter Mann

Vnd gar vbel zu fuss.

Ein Knecht den will ich nemen an,

60

Der auff mich warten muss

Im hauss vnd auff der Gassen,

Dieweil die Haussfrau mein

Mich nicht allein will lassen

Also gehn auss vnd ein.

244

(Jann Posset geht ein.)

Herr Emerich singt:

65

Schau! dort kummt hergangen

Ein Knecht; den nimm ich an,

Will jn gehn balt empfangen.

(Er geht zu ihm vnd sagt:)

Was seit ir für ein Mann?

Ein Knecht den solt ich dingen,

70

Der thet warten auff mich.

9. Lassen zwingen, ‘accept the conditions.’

Will du dich lassen zwingen,9

Darff ich annemen dich.

Jann singt:

So wist! ich kumm geloffen rein

Von einem Dorf drey Meil,

75

Von Rolanden, dem Vater mein,

Bey dem ich ward ein weil,

Von dem ich nichts kund lehren,

Vnd kumm her in die Stadt.

Halt jr mich nun in ehren,

10. Finden . . . stat, ‘find our account,’ ‘get along.’

80

So finden wir beid stat.10

Auch will ich gern sein euer Knecht,

Wenn jr mich dingen wolt,

Wils euch auch als verrichten recht;

Iedoch jr mir auch solt

85

Als, was ich hab zu schaffen,

Schreiben auff einen Brieff;

Vnd dörfft mich auch drumb straffen,

Wenn ichs nich als wol triff.

Herr Emerich sagt:

Was soll ich dir lang schreiben?

90

Thu halt, was ich dich heiss!

So kanst du bey mir bleiben,

Wenn thu es thust mit fleiss.

Du must halt auff mich warten

Vnd all Handreichung than,

95

Mich führn in mein Garten

Vnd was ich dir zeig an.

Jann singt:

Weil ich vor nicht bin gwest alhie

Vnd gedient in der Stadt,

Den gebrauch auch erfahren nie,

100

Was es für Arbeit hat,

So last euch nicht schwer fallen für,

Zu machen mir ein Brieff,

Das ichs als hab geschribn bey mir

Vnd mich nicht vbergrieff.

105

Ich bin gar ein vergessner Mann;

Wenn man mir sagt zu vil,

Ich es fürwar nicht mercken kan.

Iedoch ich als thon will,

Was man mir wird auffschreiben.

110

Mein Herr, versuchts mit mir!

Herr Emerich singt:

Nun so thu bey mir bleiben!

Ich will dirs schreiben für.

So geh halt in die Stuben nein

Vnd foder ein Schreibzeug!

115

Denselben trag zu mir herein!

So beschreib ich dirs gleich,

Wastu hast zu schaffen bey mir.

Kummst du demselben nach,

So bin ich zu friden mit dir

120

Ietzund vnd mein lebtag.

245

Jann

neigt sich vnd geht ab. Kummt bald wieder, bringt ein Feurzeug und singt:

Alhie bring ich den Feurzeug euch,

Wie jr den habt begert.

Herr Emerich singt:

Ey nein, ich mein ein Schreibzeug,

Du hast nicht recht gehört.

125

Ein Schreibzeug bring mit Dinten,

Dass ich kan schreiben dir!

Gehe nein (du wirst ihn finden)

Vnd bring denselben mir!

Jann

geht wider ab, zeicht den Hut ab, kummt balt wider, bringt ein Krug vnd singt:

Ach, mein Herr, da habt jr den Krug,

130

Die weil jr trincken wölt,

Da trincket euch halt eben gnug,

So vil, als euch gefelt!

Emerich singt:

Wie bist du so vnbesunnen?

Du hast nicht gsuchet recht,

135

Sonst hest gnug Dinten gfunnen.

(Jann will gehen.)

Emerich singt:

Ey, hör noch eins, mein Knecht!

Wenn du die Dinten bringenthust,

So bring sie mir herein!

Dabey du mir auch bringen must,

140

Ein Federn tragen rein.

So will ich dir auffschreiben,

Wie ich mit dir hab gredt.

Jann sagt:

Ich will nicht lang aussbleiben,

Balt kommen an der stet.

(Er geht ab.)

Emerich, der alt, singt:

145

Dass ist ein rechter Knecht für mich

Vnd für die Frauen mein.

Für gar frumm ich jn zwar ansich,

Dort kummt er gleich herein.

Er thut die Dinten tragen,

150

Drumb hort mir alle zu,

Was der gut gsell wird sagen,

Wenn ich jtzt schreiben thu.

Jann

geht ein, tregt ein Schreibzeug in der Hand vnd in der andern ein lange Hannenfedern vnd singt:

Secht da, Herr, diesen Schreibzeug,

Den schicket euch die Frau.

155

Auch schicket sie die Federn euch.

Emerich singt:

11. Dilldap, ‘simpleton.’

Du grober Dilldap,11 schau!

Was soll doch diese Federn mir?

Man kan nit schreiben mit.

Der Federn bass geziemet dir.

(Er steckt Jannen die Federn auff.)

Jann sagt:

160

Ach, mein Herr, zürnet nit!

246

Herr Emerich sagt:

So geh balt wider neinwartz du

Vnd bring ein Federn mir!

So richt ich dir dein bstallung zu;

Auch hol mir ein Papir!

165

So kan ich darauff schreiben,

Was du must richten auss.

Jann geht ab vnd singt:

Ich will nicht lang aussbleiben,

Sonder balt kommen rauss.

(Jann geht balt wider ein, bringt ein Schreibfedern vnnd ein Glass mit Bier vnd singt:)

Hort, Herr! jtzt kumm ich wider rein,

170

Bring ein Feder mit mir.

Eur Frau hat mir auch erst gschencket ein

Dieses frisch Glass mit Bier.

Dass solt jr von mir haben,

Wenn es euch schmecken thut,

175

Eur Hertz damit zu laben,

Vnd haben ein guten muth.

Herr Emerich sagt:

Du must ein seltzamer Vogl sein,

Ich schick dich nach Papir,

So bringstu mir zu trincken rein.

180

Geh nein! heiss geben dir

Ein Papir, drauff zu schreiben

Vnd thu der Sachen recht!

Sonst kanst nicht bey mir bleiben,

Du Eilenspigelsknecht!

XLIX. GEORG RODOLF WECKHERLIN

A Swabian precursor (1584-1653) of the Opitzian era. In the service of the Duke of Würtemberg he lived some years in France and England, where he became familiar with the literary forms and fashions of the Renascence. These he imitated in German, writing odes, songs (for the reader), anacreontics, sonnets, epigrams, elegies in alexandrine verse, and occasional poems of elaborate metrical structure. For the most part his substance is very thin, consisting in extravagant and affected praise, with much infusion of Roman mythology, of the high-born personages by whose favor he prospered or hoped to prosper. The text of the selections follows Goedeke’s edition in Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts.

1
Amor betrogen.

Cupido einmal sehr verdrossen,

Dass er hat so vil pfeil umsunst

Auf meine Myrta los geschossen,

Die niemals achtet seiner kunst,

5

Erwählet, ihre zarte Schoss

Zu wunden, zornig ein geschoss.

Also flog er bald in den garten,

Da er dieselb zu sein gedacht,

Und nehmend war1 von fern der zarten,

10

Die ihn in diese Welt gebracht,

“Wolan, sprach er, nu soll dein blut

Recht büssen, Myrta, deinen mut.”

247

Er spannet, unweis, seinen bogen

Und, zilend auf das herz ohn gnad,

15

Schoss er ihn plötzlich los, betrogen,

In seiner mutter brust gerad,

Darauf dan ein elender schmerz

Vergiftet bald der göttin herz.

“Ach weh! was magst du wol gedenken,”

20

Sprach sie, “undankbar böser knab?

Wie kanst so tödlich du bekränken

Die, welche dir das leben gab?

Und sparest gleich wol deine macht

Noch wider die, die dich verlacht.”

25

Die red so sehr das kind erschrecket,

Dass es bald seine wängelein

Mit heissen zähern überdecket

Und schrie: “Ach, liebes mütterlein,

Verzeihet mir, dan ich nam euch

30

Für Myrta, deren ihr gar gleich.”

1. Nehmend war = wahrnehmend

2
Anakreontisch: Frölich zu leben.

Wan ich mit guter geselschaft

Frisch zechend an dem tisch gesessen,

Macht mich der süsse rebensaft

Des leids und unmuts bald vergessen!

5

Ich will stets springen an den danz,

Gekrönet mit dem ebheukranz.

Mein hirn, erhitzet durch ein glas,

Vermeinet mehr reichtum zu haben,

Dan Midas und Crösus besass;

10

Ja grosser fürsten gunst und gaben,

Dienst ämpter, glück und herrlichkeit

Tritt ich zu grund als eitelkeit.

Wolan, bring her ein volle flasch,

Die sorg aus meinem Kopf zu jagen,

15

Und dass ich lung und leber wasch;

Was hilft es, sich selbs vil zu plagen?

Ist es nicht bass, zu bet voll wein,

Dan auf der erden tod zu sein?

3
Sonett. Im dem Jahr 1619.2

Verfolgung, müh und leid ist allein das banier,

Darunder durch die welt sich gottes kinder schlagen;

248

Und der höchst general hat acht, wie man sie führ,

Und wie ein jeder sich begehr für ihn zu wagen.

Oftmal erlaubet er, dass ihr feind triumfier,

Doch lässet er sein volk gänzlich niemal verzagen;

Sondern damit sein feind nicht gar zu vil stolzier,

Verkehret mächtig er sein jauchzen bald in klagen.

Darum ihr, deren will, des teufels willen gleich,

Und deren lust allein ist, gottes volk zu schaden,

Wie euer zorn, grim, wut, sein wort, sein volk, das reich,

Mit schmach, mit qual, mit schand, verbrant, verbaut, beladen:

Also in euerm blut zu steter schand soll euch

Noch zwingen mein marggrav Georg Friderich zu Baden.

2. Georg Friedrich, Margrave of Baden, was a partisan of the Calvinistic Friedrich V, Elector Palatine, who was chosen King of Bohemia in 1619, and is known as the “Winter King.” As the sonnet shows, the defeated Protestants set high hopes on the Margrave of Baden, who commanded an army of 20,000 men; but he was soon defeated by the imperial forces and died in exile (1638).

L. MARTIN OPITZ

A Silesian scholar (1597-1639) who won great renown as a poet and a literary lawgiver. In a pioneer treatise on poetics (1624, in which year his Teutsche Poemata also appeared), he came to the defense of the German language, pleaded for a purer diction, and defined the principal genres current abroad, illustrating them with verses of his own. His theory recognized but two feet, the iamb and the trochee, which he defined in terms of accent. He prescribed a more regular alternation of accented and unaccented syllables and recommended the use of the alexandrine verse. Under his influence German poetry became more regular and artistic, but lost touch with the general life, being more and more regarded as a refined diversion of the scholar class. The text of selections 1-4 follows Braune’s Neudrucke, No. 1 and Nos. 189-192; for No. 5 see Tittmann’s edition in Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts.

1
From the ‘Buch von der deutschen Poeterey.’

Wiewol ich mir von der Deutschen Poeterey, auff ersuchung vornemer Leute, vnd dann zue besserer fortpflantzung1 vnserer sprachen, etwas auff zue setzen vorgenommen, bin ich doch solcher gedancken keines weges, das ich vermeine, man könne iemanden durch gewisse regeln vnd gesetze zu einem Poeten machen.. . .

Die worte vnd Syllaben in gewisse gesetze zue dringen, vnd verse zue schreiben ist das allerwenigste was in einem Poeten zue suchen ist. Er muss εὐφαντασιωτός,2 von sinnreichen einfällen vnd erfindungen 249 sein, muss ein grosses vnverzagtes gemüte haben, muss hohe sachen bey sich erdencken können, soll anders3 seine rede eine art kriegen, vnd von der erden empor steigen. Ferner so schaden auch dem gueten nahmen der Poeten nicht wenig die jenigen, welche mit jhrem vngestümen ersuchen auff alles was sie thun vnd vorhaben verse fodern. Es wird kein buch, keine hochzeit, kein begräbnüss ohn vns gemacht; vnd gleichsam als niemand köndte alleine sterben, gehen vnsere gedichte zuegleich mit jhnen vnter. Mann wil vns auff allen Schüsseln vnd kannen haben, wir stehen an wänden vnd steinen,4 vnd wann einer ein Hauss ich weiss nicht wie an sich gebracht hat, so sollen wir es mit vnsern Versen wieder redlich machen. Dieser begehret ein Lied auff eines andern Weib, jenem hat von des nachbaren Magdt getrewrnet, einen andern hat die vermeinte Bulschafft ein mal freundtlich angelacht, oder, wie dieser Leute gebrauch ist, viel mehr aussgelacht; ja des närrischen ansuchens ist kein ende. Müssen wir also entweder durch abschlagen jhre feindschafft erwarten, oder durch willfahren den würden der Poesie einen mercklichen abbruch thun. Denn ein Poete kan nicht schreiben wenn er will, sondern wenn er kann, vnd jhn die regung des Geistes, welchen Ovidius vnnd andere vom Himmel her zue kommen vermeinen, treibet.. . .

Vnd muss ich nur bey hiesiger gelegenheit ohne schew dieses errinnern, das ich es für eine verlorene arbeit halte, im fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wolte, der, nebenst dem das er ein Poete von natur sein muss, in den griechischen vnd Lateinischen büchern nicht wol durchtrieben ist, vnd von jhnen den rechten grieff erlernet hat; das auch alle die lehren, welche sonsten zue der Poesie erfodert werden, vnd ich jetzund kürzlich berühren wil, bey jhm nichts verfangen können.. . .

Nachmals ist auch ein jeder verss entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen, welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt werden soll. Ein Jambus ist dieser: Erhalt vns Herr bey deinem Wort; der folgende ein Trocheus: Mitten wir im leben sind. Dann in dem ersten verse die 250 erste sylbe niedrig, die andere hoch, die dritte niedrig, die vierde hoch, vnd so fortan; in dem anderen verse die erste sylbe hoch, die andere niedrig, die dritte hoch, u.s.w. aussgesprochen werden. Wiewol nun meines wissens noch niemand, ich auch vor der zeit selber nicht, dieses genawe in acht genommen, scheinet es doch so hoch von nöthen zue sein, als hoch von nöthen ist, das die Lateiner nach den quantitatibus oder grössen der sylben jhre verse richten vnd reguliren.

1. Fortpflantzung = Verbesserung.

2. Εὐφαντασιωτός, ‘very fanciful’; see Quintilian vi. 2, 30.

3. Anders, ‘anywise.’

4. Steinen = Türsteinen.

2
Ode.5

Ich empfinde fast ein grawen,

Das ich, Plato, für vnd für

Bin gesessen vber dir;

Es ist zeit hienauss zue schawen,

5

Vnd sich bey den frischen quellen

In dem grünen zue ergehen,

Wo die schönen Blumen stehen,

Vnd die Fischer netze stellen.

Worzue dienet das studieren,

10

Als zue lauter vngemach?

Vnter dessen laufft die Bach

Vnsers lebens das wir führen,

Ehe wir es innen werden,

Auff jhr letztes ende hin;

15

Dann kompt ohne geist vnd sinn

Dieses alles in die erden.

Hola, Junger, geh’ vnd frage

Wo der beste trunck mag sein;

Nim den Krug, vnd fülle Wein.

20

Alles trawren leidt vnd klage,

Wie wir Menschen täglich haben,

Eh vns Clotho fortgerafft,

Wil ich in den süssen safft

Den die traube giebt vergraben.

25

Kauffe gleichfalls auch Melonen,6

Vnd vergiss des Zuckers nicht;

Schawe nur das nichts gebricht.

Jener mag der heller schonen,

Der bey seinem Gold vnd Schätzen

30

Tolle sich zue krencken pflegt

Vnd nicht satt zue bette legt;

Ich wil weil ich kan mich letzen.

Bitte meine guete Brüder

Auff7 die music vnd ein glass;

35

Nichts schickt, dünckt mich, nicht sich bass

Als guet tranck vad guete Lieder.

Lass ich gleich nicht viel zue erben,

Ey, so hab’ ich edlen Wein;

Wil mit andern lustig sein,

40

Muss ich gleich alleine sterben.

5. From the Poeterey, Ch. 5, where it is offered in elucidation of lyric poetry. It is a free rendering of Ronsard, II, 18.

6. Melonen; the point is: Do not mind the expense. The muskmelon (cucumis melo) came from Italy and Southern France, and (with sugar!) was a luxury.

7. Auff, with bitten, in the sense of ‘invite to.’

3
Chansonnette.

Mit Liebes Brunst behafftet sein,

251

Ist warlich eine schwere Pein;

Es ist kein Schmerz auff dieser Erdt,

Der recht mit jhm verglichen werdt:

5

Drumb will ich mich gantz embsiglich

Von dem Leyden allzeit scheiden,

Vnd die süsse Gifft vermeiden.

Auff dass nun nicht die schnöde Brunst

Mich lasse zu ihr tragen Gunst,

10

Soll Venus mich nicht treffen an

Auff jergendt einer Liebes Bahn;

Der Tugendt Weg ist ein schön Steg,

Darauff eben ich will schweben,

Vnd jhr gantz verpflichtet leben.

15

Recht vnd gar wol auch Pallas blieb

Allzeit befreyet von der Lieb,

Sie gab dem Fewer niemals raum,

Vnd hielte sich in stätem Zaum,

Auff grüner Heyd sie allezeit

20

Mit dem Hetzen sich thet letzen

Vnd frey aller Sorg ergetzen.

Ich will ins künfftig fleissig auch

Nachfolgen dieser Göttin Brauch,

Denn Venus ist die gröste Last,

25

Cupido ist ein schädlich Gast.

Wen er einmal nur bringt zu fall,

Muss verderben, offt auch sterben,

Vnd für Frewden schmertz ererben.

Also belohnt er alle doch,

30

Die sich ergeben seinem Joch;

Vnd diss bedenck ich offt vnd viel,

Es mag lieb haben wer da will,

Ich bleibe meine Zeit allein.

Offt nach schertzen kommen schmertzen,

35

Wohl dem der das thut beherzen.

4
Sonnet an die Bienen.

Ihr Honigvögelein, die jhr von den Violen

Und Rosen abgemeit den wundersüssen Safft,

Die jhr dem grünen Klee entzogen seine Krafft,

Die jhr das schöne Feldt so offt vnd viel bestohlen,

5

Ihr Feldteinwohnerin, was wollet jhr doch holen

Das, so euch noch zur Zeit hat wenig nutz geschafft,

Weil jhr mit Dienstbarkeit dess Menschen seit behafft,

Vnd jhnen mehrentheils das Honig müsset Zollen?

Kompt, kompt zu meinem Lieb, auff jhren Rosenmundt,

10

Der mir mein kranckes Herz gantz inniglich verwundt,

Da sollt jhr Himmelspeiss vnd vberflüssig brechen.

Wann aber jemandt ja sich vnderstehen kundt

Ihr vbel anzuthun, dem sollet jhr zur stundt

Für Honig Galle sein, vnd jhn zu tode stechen.

252
5
The horrors of the Thirty Years’ War: From the ‘Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges.’

Wie manche schöne Stadt,

Die sonst das ganze Land durch Pracht gezieret hat,

Ist jetzund Asch und Staub! Die Mauren sind verheeret,

Die Kirchen hingelegt, die Häuser umgekehret.

5

Wie wann ein starker Fluss, der unversehens kömt,

Die frische Saate stürzt, die Äcker mit sich nimt,

Die Wälder niederreisst, läuft ausser seinen Wegen,

So hat man auch den Plitz und schwefelichte Regen

Durch der Geschütze Schlund mit grimmiger Gewalt,

10

Dass alles Land umher erzittert und erschallt,

Gesehen mit der Luft hin in die Städte fliegen.

Des Rauches Wolken sind den Wolken gleich gestiegen,

Der Feuer-Flocken See hat alles überdeckt

Und auch den wilden Feind im Läger selbst erschreckt.

15

Das harte Pflaster hat geglühet und gehitzet,

Die Thürme selbst gewankt, das Erz darauf geschwitzet;

Viel Menschen, die der Schar der Kugeln sind entrant,

Sind mitten in die Glut gerathen und verbrant,

Sind durch den Dampf erstickt, verfallen durch die Wände

20

Was übrig blieben ist, ist kommen in die Hände

Der argsten Wütherei, so, seit die Welt erbaut

Von Gott gestanden ist, die Sonne hat geschaut.

Der Alten graues Haar, der jungen Leute Weinen,

Das Klagen, Ach und Weh der Grossen und der Kleinen,

25

Das Schreien in gemein von Reich und Arm geführt,

Hat diese Bestien im minsten nicht gerührt.

Hier half kein Adel nicht, hier ward kein Stand geachtet,

Sie musten alle fort, sie wurden hingeschlachtet,

Wie wann ein grimmer Wolf, der in den Schafstall reisst,

30

Ohn allen Unterschied die Lämmer niederbeisst.

Der Mann hat müssen sehn sein Ehebette schwächen,

Der Töchter Ehrenblüt’ in seinen Augen brechen,

Und sie, wann die Begier nicht weiter ist entbrant,

Unmenschlich untergehn durch ihres Schänders Hand.

253

LI. PAUL FLEMING

1609-1640. Fleming was a gifted lyric poet of the Opitzian era. A Saxon by birth, he studied medicine at Leipzig, where he learned to admire Opitz. Five years of his short life were spent in connection with an embassy of the Duke of Holstein to Russia and Persia. His best work is found in the poems, more especially the sonnets, which he wrote during this long absence from the fatherland. The selections follow Tittmann’s edition in Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts.

1
An einen guten Freund.

Lass der Zeit nur ihren Willen

Und vergönn’ ihr ihren Lauf;

Sie wird sich selbst müssen stillen,

Wenn wir nichts nicht geben drauf.

5

Meistes Elend wird verschmerzet,

Wenn mans nicht zu sehr beherzet.

Ist es heute trübes Wetter,

Morgen wird es heiter sein;

Stimmen doch die grossen Götter

10

Stets an Lust nicht überein.

Und wer weiss, wie lang er bleibet,

Der uns itzo so vertreibet.1

Ob die Sonne gehet nieder

Und den Erdkreiss traurig macht,

15

Doch so kömt sie fröhlich wieder

Nach der überstandnen Nacht.

Herrschen itzund Frost und Winde,

Balde wird es sein gelinde.

Unterdessen sei der Deine,

20

Brich nicht ab der ersten Kost2;

Labe dich mit altem Weine

Und versuch den jungen Most.

Lass uns einen Rausch noch kaufen,

Ehe denn wir müssen laufen.

1. Lines 11-12 allude, probably, to the occupation of Leipzig by imperial troops in 1632.

2. Der ersten Kost, ‘your previous fare.’ Abbrechen with dative = Abbruch tun, verkürzen, vermindern.

2
An Basilenen3: Nachdem er von ihr gereiset war.

Ist mein Glücke gleich gesonnen,

Mich zu führen weit von dir,

O du Sonne meiner Wonnen,

So verbleibst du doch in mir.

5

Du in mir und ich in dir

Sind beisammen für und für.

Künftig werd’ ich ganz nicht scheuen,

Kaspis, deine fremde Flut,

Und die öden Wüsteneien,

10

Da man nichts als fürchten thut.

Auch das Wilde macht mir zahm,

Liebste, dein gelobter Nam’.

254

Überstehe diese Stunden,

Schwester, und sei unverwant.

15

Ich verbleibe dir verbunden,

Und du bist mein festes Band.

Meines Herzens Trost bist du,

Und mein Herze selbst darzu.

Ihr, ihr Träume, solt indessen,

20

Unter uns das Beste thun.

Kein Schlaf, der sol ihr vergessen,

Ohne mich sol sie nicht ruhn,

Dass die süsse Nacht ersetzt,

Was der trübe Tag verletzt.

25

Lebe, meines Lebens Leben,

Stirb nicht, meines Todes Tod,

Dass wir uns uns wiedergeben,

Abgethan von aller Noth.

Sei gegrüsst, bald Trost, itzt Qual,

30

Tausend, tausend, tausendmal!

3. While sojourning in Reval, on his way to Asia, Fleming fell in love with Elsabe Niehusen, but later transferred his affections to her sister Anna. Basilene is one of several poetic names for Elsabe.

3
Inter Brachia Salvatoris.4

Des Donners wilder Plitz schlug von sich manchen Stoss,

Das feige Volk stund blass, das scheuche Wild erzittert’

Vom Schmettern dieses Knalls. Die Erde ward erschüttert.

Mein Fuss sank unter sich, der Grund war bodenlos.

Die Gruft, die fiel ihr nach,5 schlung mich in ihren Schoss.

Ich gab mich in die See, in der es grausam wittert’

Der Sturm flog klippenhoch. Mein Schiff, das ward gesplittert,

Ward leck, ward Anker6 quit, ward Mast6 und Segel6 bloss.

Vor, um und hinter mir war nichts als eine Noth;

Von oben Untergang, von unten auf der Tod,

Es war kein Muttermensch, der mit mir hatt’ Erbarmen.

Ich aber war mir gleich, zum Leben frisch und froh,

Zum Sterben auch nicht faul auf7 wenn und wie und wo,

Denn mein Erlöser trug mich allzeit auf den Armen.

4. The sonnet is reminiscent of a shipwreck in the Caspian Sea, November 15, 1636; the title from St. Augustine’s inter brachia salvatoris mei et vivere volo et mori cupio.

5. Fiel ihr nach, ‘gave way’ (ihr reflexive).

6. Anker, Mast, Segel; all genitive.

7. Faul auf, ‘hesitating over.’

4
Über Herrn Martin Opitzen auf Boberfeld sein Ableben.

So zeuch auch du denn hin in dein Elyserfeld,

Du Pindar, du Homer, du Maro unsrer Zeiten,

Und untermenge dich mit diesen grossen Leuten,

Die ganz in deinen Geist sich hatten hier verstellt.

Zeuch jenen Helden zu, du jenen gleicher Held,

255

Der itzt nichts Gleiches hat, du Herzog deutscher Seiten,

O Erbe durch dich selbst der steten Ewigkeiten,

O ewiglicher Schatz und auch Verlust der Welt!

Germanie ist tod, die herrliche, die freie,

Ein Grab verdecket sie und ihre ganze Treue.

Die Mutter, die ist hin, hier liegt nun auch ihr Sohn,

Ihr Recher und sein Arm. Lasst, lasst nur alles bleiben,

Ihr, die ihr übrig seid, und macht euch nur davon,

Die Welt hat wahrlich mehr nichts Würdigs zu beschreiben.

LII. FRIEDRICH VON LOGAU

An eminent writer of reflective, critical, and epigrammatic verse (1604-1655). He was born in Silesia and spent the most of his life at Brieg, where he was sometime ducal councillor. In 1654 he published Salomon von Golaws deutscher Sinngetichte drei Tausend, the name Golaw being a disguise of Logau. They vary in length from a couplet to a hundred lines or more, and disclose in the aggregate a virile and interesting personality. The text follows Eitner’s edition in Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts.

1
Das Beste der Welt.

Weistu, was in dieser Welt

Mir am meisten wolgefällt?

Dass die Zeit sich selbst verzehret,

Und die Welt nicht ewig währet.

2
Die unartige Zeit.

Die Alten konnten fröhlich singen

Von tapfern deutschen Heldensdingen,

Die ihre Väter ausgeübet:

Wo Gott noch uns ja Kinder gibet,

5

Die werden unsser Zeit Beginnen

Beheulen, nicht besingen können.

3
Geduld.

Leichter träget, was er träget,

Wer Geduld zur Bürde leget.

4
Adel.

Hoher Stamm und alte Väter

Machen wohl ein gross Geschrei;

Moses aber ist Verräther,

Dass dein Ursprung Erde sei.

5
Gunst für Recht.

Kein Corpus juris darf13 man nicht,

Wo Gunst und Ungunst Urtel spricht.

1. darf = bedarf.

256
6
Theure Ruh.2

Deutschland gab fünf Millionen,

Schweden reichlich zu belohnen,

Dass sie uns zu Bettlern machten,

Weil sie hoch dies Mühen achten.

5

Nun sie sich zur Ruh gegeben

Und von Unsrem dennoch leben,

Muss man doch bei vielen Malen

Höher noch die Ruh bezahlen.

2. The Treaty of Westfalia gave the Swedes a war indemnity of 5,000,000 talers, but they afterwards demanded and received 200,000 more.

7
Der Glaubensstreit.

Luthrisch, Päbstisch und Calvinisch—diese Glauben alle drei

Sind vorhanden; doch ist Zweifel, wo das Christentum dann sei.

8
Ein unruhig Gemüthe.

Ein Mühlstein und ein Menschenherz wird stets herumgetrieben;

Wo beides nicht zu reiben hat, wird beides selbst zerrieben.

9
Weiberverheiss.

Wer einen Aal beim Schwanz und Weiber fasst bei Worten,

Wie feste der gleich hält, hat nichts an beiden Orten.

10
Zweifüssige Esel.

Dass ein Esel hat gespracht, warum wundert man sich doch?

Geh aufs Dorf, geh auf den Markt: o sie reden heute noch.

11
Die deutsche Sprache.

Deutsche mühen sich jetzt hoch, deutsch zu reden fein und rein;

Wer von Herzen redet deutsch, wird der beste Deutsche sein.

12
Göttliche Rache.

Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein;

Ob aus Langmuth er sich säumet, bringt mit Schärf’ er alles ein.

257
13
Franzosenfolge.

Narrenkappen sam3 den Schellen, wenn ich ein Franzose wär’,

Wollt’ ich tragen; denn die Deutschen gingen stracks wie ich so her.

3. Sam = zusammen mit.

14
Dreierlei Glauben.

Der Papst der will durch Thun, Calvin wil durch Verstehn,

In den Himmel aber wil durch Glauben Luther gehn.

15
Drei Fakultäten.

Juristen, Ärzte, Prediger sind alle drei beflissen,

Die Leute zu purgieren4 wol am Säckel, Leib, Gewissen.

4. Purgieren, ‘purge,’ ‘clean out.’

16
Verwandelung.

Dass aus Menschen werden Wölfe,5 bringt zu glauben nicht Beschwerden;

Siht man nicht, dass aus den Deutschen dieser Zeit Franzosen werden?

5. Wölfe, in allusion to the superstition of the man-wolf (werewolf, lycanthropus).

17
Das Hausleben.

Ist Glücke wo und was, so halt’ ich mir für Glücke,

Wann ich mein eigen bin, dass ich kein dienstbar Ohr

Um weg verkaufte Pflicht6 darf recken hoch empor

Und horchen auf Befehl. Dass mich der Neid berücke,

5

Da bin ich sorgenlos. Die schmale Stürzebrücke,7

Darauf nach Gunst man zeucht, die bringt mir nicht Gefahr;

Ich stehe, wo ich steh’, und bleibe, wo ich war.

Der Ehre scheinlich8 Gift, des Hofes Meisterstücke,

258

Was gehen die mich an? Gut, dass mir das Vergnügen

10

Für grosse Würde gilt; mir ist ja noch so wol,

Als dem der Wanst zerschwillt,9 die weil er Hoffahrt voll.

Wer biegen sich nicht kan, bleibt, wann er fället, liegen.

Nach Purpur tracht’ ich nicht; ich nehme weit dafür,10

Wann Gott ich leben kan, dem Nächsten und auch mir.

6. Um . . . Pflicht, ‘in venal service.’

7. Stürzebrücke = Fallbrücke.

8. Scheinlich, ‘glittering.’

9. Zerschwillt = schwellend zerplatzt.

10. Nehme dafür = ziehe vor.

18
An mein väterlich Gut, so ich drei Jahr nicht gesehen.

Glück zu, du ödes Feld; Glück zu, ihr wüsten Auen!

Die ich, wann ich euch seh’, mit Thränen muss bethauen,

Weil ihr nicht mehr seid ihr; so gar hat euren Stand

Der freche Mord-Gott Mars grundaus herumgewandt.

5

Seid aber doch gegrüsst; seid dennoch fürgesetzet

Dem allen, was die Stadt für schön und köstlich schätzet.

Ihr wart mir lieb, ihr seid, ihr bleibt mir lieb und werth;

Ich bin, ob ihr verkehrt,11 noch dennoch nicht verkehrt.

Ich bin, der ich war vor. Ob ihr seid sehr vernichtet,

10

So bleib’ ich dennoch euch zu voller Gunst verpflichtet,

So lang ich ich kan sein; wann dann mein Sein vergeht,

Kans sein, dass Musa wo an meiner Stelle steht.12

Gehab dich wol, o Stadt! die du in deinen Zinnen

Hast meinen Leib gehabt, nicht aber meine Sinnen.

15

Gehab dich wol! mein Leib ist nun vom Kerker los;

Ich darf nun nicht mehr sein, wo mich zu sein verdross.

Ich habe dich, du mich, du süsse Vatererde!

Mein Feuer glänzt nun mehr auf meinem eignen Herde.

Ich geh’, ich steh’, ich sitz’, ich schlaf’, ich wach’ umbsunst.13

20

Was theuer mir dort war, das hab’ ich hier aus Gunst

Des Herrens der Natur, um “Habe-Dank” zu niessen

Und um gesunden Schweiss; darf nichts hingegen wissen

Von Vortel und Betrug, von Hinterlist und Neid,

Und wo man sonst sich durch schickt etwan in die Zeit.

259 25

Ich ess’ ein selig Brot, mit Schweiss zwar eingeteiget,

Doch das durch Bäckers Kunst und Hefen hoch nicht steiget,

Das zwar Gesichte14 nicht, den Magen aber füllt

Und dient mehr, dass es nährt, als dass es Heller gilt.

Mein Trinken ist nicht falsch15; ich darf mir nicht gedenken,

30

Es sei gebrauen zwier,16 vom Bräuer und vom Schänken.

Mir schmeckt der klare Saft; mir schmeckt das reine Nass,

Das ohne Keller frisch, das gut bleibt ohne Fass,

Drum nicht die Nymphen erst mit Ceres dürfen kämpfen,

Wer Meister drüber sei, das nichts bedarf zum Dämpfen,17

35

Weils keinen Schwefelrauch noch sonsten Einschlag hat,

Das ohne Geld steht feil, das keine frevle That

Hat den jemals gelehrt, der dran ihm liess genügen.

Der Krämer fruchtbar Schwur, und ihr geniesslich18 Lügen

Hat nimmer Ernt’ um mich. Der vielgeplagte Lein,

40

Der muss, der kan mir auch anstatt der Seiden sein.

Bewegung ist mein Arzt. Die kräuterreichen Wälde

Sind Apotheks genug; Geld, Gold wächst auch im Felde,—

Was mangelt alsdenn mehr? Wer Gott zum Freunde hat

Und hat ein eignes Feld, fragt wenig nach der Stadt,

45

Der vortelhaften Stadt, da Nahrung zu gewinnen

Fast jeder muss auf List, auf Tück und Ränke sinnen.

Drum hab’ dich wol, o Stadt! wenn ich dich habe, Feld,

So hab’ ich Haus und Kost, Kleid, Ruh’, Gesundheit, Geld.

11. Verkehrt, ‘changed.’

12. Dass . . . steht; ‘that some other muse than mine will praise you.’

13. Umbsunst, ‘for nothing.’

14. The bread does not look good, but is nourishing.

15. Falsch, ‘diluted.’

16. Zwier = zweimal.

17. In allusion to the process of treating wine with sulphur—nominally to improve its taste and color.

18. Geniesslich, ‘profitable.’

LIII. ANDREAS GRYPHIUS

1616-1664. Gryphius is the most important of the pseudo-classic dramatists, though his plays lacked the schooling of the stage. He was born in Glogau, Silesia, won early distinction as a scholar and poet, resided several years in Holland, France, and Italy, and finally settled down in his birthplace, which honored him with the office of town syndic. He wrote five original tragedies in alexandrine verse (always with a chorus of some kind), and several comedies, partly in verse and partly in prose. The selections follow Tittmann’s edition in Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts.

260
1
From the fourth act of ‘Murdered Majesty, or Carolus Stuardus’; King Charles I, about to face death on the scaffold, confers with his loyal friends, Colonel Thomlinson and Bishop Juxton.

Karl

Fürst, aller Fürsten Fürst, den wir nun sterbend grüssen,

Vor dem wir auf dem Knie das strenge Richtbeil küssen,

Gib, was mein letzter Wunsch noch von dir bitten kan,

Und stecke Karols Geist mit heilgem Eifer an.

5

Entzünde diss Gemüt, das sich ergetzt, zu tragen

Die ehrenvolle Schmach, das sich beherzt, zu wagen

Für unterdrückte Kirch, entzweigesprengte Kron

Und hochverführtes Volk. Ihr, die von eurem Thron

Mein Mordgerüst beschaut, schaut, wie die Macht verschwinde,

10

Auf die ein König pocht; schaut, wie ich überwinde,

Indem mein Scepter bricht. Die Erden stinkt uns an,

Der Himmel ruft uns ein. Wer also scheiden kan,

Verhöhnt den blassen Tod und trotzt dem Zwang der Zeiten

Und muss der Grüfte Recht1 grossmüthig überschreiten,

15

Indem ein Unterthan sein eigen Mordrecht spinnt

Und durch des Prinzen Fall unendlich Leid gewinnt,

Das häufig schon erwacht; wer nach uns hier wird leben,

Wird zwischen heisser Angst und Todesfurchten schweben,

Indem sich Land auf Land und Stadt auf Stadt verhetzt,

20

Und Rathstuhl dem Altar und Tempel widersetzt,

Und dieser den verdruckt, der jenen aus wil heben,2

Und dem, der nach ihm schlägt, den letzten Hieb wil geben;

Biss der, der wider uns den grimmen Schluss aussprach,

Der unser Regiment mit frecher Faust zubrach,

25

Gepresst durch heisse Reu wird diesen Tag verfluchen

Und meine Tropfen Blut auf seiner Seelen suchen;

Biss der, der sich erkühnt, mein sauber Herz zu schmähn,

Von Blut und Thränen nass sich nach uns um wird sehn.

Doch! wir bekränken3 diss und bitten: Herr, verschone,

261 30

Lass nicht der Rache zu, dass sie dem Unrecht lohne,

Das über uns geblitzt! Ihr König schilt sie frei.4

Verstopf auch, Herr, dein Ohr vor ihrem Mordgeschrei.

Was sagt uns Thomlinson?

Thomlinson

Prinz Karl, die Blum der Helden,

Wil ihrer Majestät die treue Pflichtschuld melden

35

Und schickt durch treue Leut’ aus Katten5 diss Papier!

Karl

Mein hochbetrübter Prinz, mein Sohn, wie fern von dir!

Wie fern, wie fern von dir!

Juxton

Der Höchste wird verbinden,

Was dieser Tag zureisst. Mein Fürst wird ewig finden,

Was Zeit und Unfall raubt.

Karl

Recht! Finden und in Gott

40

Und durch Gott wiedersehn, die ein betrübter Bot

Mit keiner Antwortschrift mehr von uns wird erquicken.

Ich muss die Trauerpost an Freund und Kinder schicken,

Dass Karl itzund vergeh. Nein! Kan der untergehn,

Der zu der Krone geht? Der feste6 Karl wird stehn,

45

Wenn nun sein Körper fällt; der Glanz der Eitelkeiten,

Der Erden leere Pracht, die strenge Noth der Zeiten

Und diss, was sterblich heisst, wird auf den Schauplatz7 gehn;

Was unser eigen ist, wird ewig mit uns stehn.

Was hält uns weiter auf? Geh, Thomlinson, und schicke

50

Dem Prinzen seinen Brief so unversehrt zurücke,

Als ihn die Faust empfing. Wir gehn die letzte Bahn!

Unnöthig, dass ein Brief, durch schmerzenvollen Wahn,

Durch jammerreiche Wort und neue Seelenhiebe

Uns aus geschöpfter Ruh erweck’ und mehr betrübe.

262

Juxton

55

Gott, in dem alles ruht, vermehre diese Ruh!

Karl

Er thuts und spricht dem Geist mit starkem Beistand zu.

Juxton

Sein Beistand stärkt in Angst ein unbefleckt Gewissen.

Karl

Das, der unschuldig litt, wusch durch sein Blutvergiessen.

Juxton

Der, was uns drückt, ertrug in letzter Sterbensnoth.

Karl

60

Uns drückt, diss glaubt uns fest, nichts mehr als Straffords Tod.

Thomlinson

Die Richter haben ihm die Halsstraf auferleget.

Karl

Sein Unschuld hat den Blitz auf unser Haupt erreget.

Thomlinson

Der König gab den Mann durch Macht gezwungen hin.

Karl

Lernt nun, was dieser Zwang uns bringe vor Gewinn.

Thomlinson

65

Der König must’ es thun, das tolle Volk zu stillen.

Karl

Recht so, seht wie das Volk dem König itzt zu Willen!

263

Thomlinson

Als Wentworth um den Tod den König selber bat.

Karl

Seht, was der König itzt dadurch erhalten hat!

Thomlinson

Man schloss für aller Heil auf eines Manns Verderben.

Karl

70

Der8 dieses schloss, ist hin, und wer nicht hin, wird sterben.

Thomlinson

Dem Urtheil fielen bei der Staats- und Kirchenrath.

Karl

Verblümt es, wie ihr wollt, es war ein arge That.

Juxton

Der Höchste wird die That der langen Reu verzeihen.

Karl

Er wird von diesem Blut uns durch sein Blut befreien.

75

Auf, Geist! Die Bluttrompet, der harten Drommel Klang,

Der Waffen Mordgeknirsch ruft zu dem letzten Gang.

1. Recht; in the sense of ‘limit of jurisdiction,’ ‘boundary.’

2. Ausheben = aus dem Sattel heben, stürzen.

3. Bekränken = beklagen.

4. Schilt . . . frei, ‘exonerates them.’

5. Katten = Holland.

6. Feste, ‘substantial,’ ‘real.’

7. Schauplatz = Richtplatz.

8. Der; the allusion is to John Pym, under whose leadership of the Commons the Earl of Strafford (Thomas Wentworth) was executed in 1641. Pym himself died in 1643.

2
From the fifth act of ‘Horribilicribrifax’: Terrific encounter of the two braggart captains Daradiridatumtarides and Horribilicribrifax.
264

Horrib. Und wenn du mir biss in den Himmel entwichest und schon auf dem lincken Fuss des grossen Bären sässest, so wolte ich dich doch mit dem rechten Spornleder erwischen und mit zweien Fingern in den Berg Ætna werfen.

Daradir. Gardez-vous, follâtreau!9 Meinest du, dass ich vor dir gewichen? Und wenn du des grossen Carols Bruder, der grosse Roland selbst, und mehr Thaten verrichtet hättest als Scanderbek, ja in die Haut von Tamerlanes gekrochen werest, soltest du mir doch keine Furcht einjagen.

9. Gardez-vous(-en), follâtreau (from folâtre) ‘take care, nincompoop.’

Horrib. Ich? Ich will dir keine Furcht einjagen, sondern dich in zwei und siebentzigmal hundert tausend Stücke zersplittern, dass du in einer See von deinem eigenen Blut ersticken sollest. Io ho vinto l’inferno e tutti i diavoli.10

Daradir. Ich will mehr Stücker von dir hauen, als Sternen itzund an dem Himmel stehen, und wil dich also tractiren, dass das Blut von dir fliessen sol, biss die oberste Spitze des Kirchthurms darinnen versunken.

10. Io ho . . . diavoli, ‘I have vanquished hell and all the devils.’

Horrib. Per non lasciar piu altre passar questa superba arroganza,11 wil ich die ganze Belägerung von Troja mit dir spielen.

Daradir. Und ich die Zerstörung von Constantinopel.

11. Per . . . arroganza, ‘to prevent this arrogant conceit from going further.’

Horrib. Io spiro morte e furore,12 doch lasse ich dir noch so viel Zeit: befihle deine Seele Gott und bete ein Vaterunser!

12. Io . . . furore, ‘I breathe death and fury.’

Daradir. Sprich einen englischen Gruss13 und hiermit stirb.

Horrib. Du wirst zum wenigsten die reputation in deinem Tode haben, dass du von dessen unüberwindlichen Faust gestorben, der den König in Schweden niedergeschossen.

Daradir. Tröste dich mit dem, dass du durch dessen Hand hingerichtet wirst, der dem Tilly und Pappenheim den Rest gegeben.

Horrib. So hab ich mein Schwerd ausgezogen in der Schlacht vor Lützen.

13. Sprich . . . Gruss, ‘pray an Angelus’ (angel’s greeting, Luke i, 28), i.e. ‘attend to your devotions.’

Daradir. Morbleu, me voila en colère! Mort de ma vie! je suis fâché par ma foi.14 So hab ich zur Wehre gegriffen in dem Treffen vor Nördlingen.

Horrib. Eine solche Positur machte ich in der letzten Niederlage vor Leipzig.

265

Daradir. So lief ich in den Wallgraben, als man Glogau hat einbekommen.

14. Morbleu . . . foi, ‘Zounds! Behold me in a rage! Death and destruction! Faith, but I am angry.’

Horrib. Ha! ha! ist er nicht questo capitano,15 mit dem ich Kugeln wechselte bei der Gula?

Daradir. O! Ist er nicht derjenige Signeur, mit dem ich Brüderschaft machte zu Schlichtigheim?

15. Questo capitano, ‘that captain.’

Horrib. Ha! mon signeur, mon frère!16

Daradir. Ha! Fratello mio illustrissimo!17

Horrib. Behüte Gott, welch ein Unglück hätte bald geschehen sollen!

16. Mon . . . frère, ‘my dear sir, my brother.’

17. Fratello . . . illustrissimo, ‘most renowned brother.’

Daradir. Welch ein Blutvergiessen, massacre et strage,18 wenn wir einander nicht erkennet hätten!

18. Massacre et strage, ‘slaughter and carnage.’

Horrib. Magnifici et cortesi heroi19 können leicht unwissend zusammen gerathen.

19. Magnifici . . . heroi, ‘magnificent and gentlemanly heroes.’

Daradir. Les beaux esprits20 lernen einander durch dergleichen rencontre21 erkennen.

[Dionysius22 tritt auf.]

Dionys. Welche Bärenhäuter rasen hier für unsern Thüren? Wisset ihr Holunken nicht, dass man des Herren Statthalters Pallast anders zu respectiren pfleget? Trollet euch von hier, oder ich lege euch beiden einen frischen Prügel um die Ohren!

20. Les beaux esprits, ‘fine spirits.’

21. Rencontre, ‘meeting(s).’

22. Dionysius is the servant of the governor, Cleander, before whose palace the captains have been brawling.

Horrib. Io rimango petrificato dalla meraviglia.23 Sol Capitain Horribilicribrifax diss leiden?

Daradir. Sol Capitain von Donnerkeil sich also despectiren lassen?

23. Io . . . meraviglia, ‘I am petrified with amazement.’

Horrib. Io mi levo il pugnale dal lato,24 der Herr Bruder leide es nicht!

24. Io . . . lato, ‘I take my sword from my side.’

Daradir. Me voila,25 der Herr Bruder greiffe zu der Wehre, ich folge.

25. Me voila, ‘here I am.’

Horrib. Comminciate di gratia.26 Ich lasse dem Herren Bruder die Ehre des ersten Angriffs.

26. Comminciate di gratia, ‘begin, please.’

266 Daradir. Mein Herr Bruder, ich verdiene die Ehre nicht, et gehe voran. C’est trop discourir. Commencez.27

27. C’est . . . commencez, ‘there’s too much talking; begin!’

Horrib. Ei, der Herr Bruder fahre fort, er lasse sich nicht auffhalten. La necessità vuole.28

Dionys. Heran, ihr Ertzberenhäuter, ich will euch die Haut sonder Seiffen und Balsam einschmieren.

28. La . . . vuole, ‘necessity commands.’

Horrib. Ha! Patrone mio, questa supercheria è molta ingiusta.29

Daradir. O monsieur, bey dem Element, er sihet mich vor einen Unrechten an.

29. Patrone . . . ingiusta, ‘my good sir, this violence is very unjust.’

Horrib. Ei, signore mio gratioso,30 ich bin Signor Horribilicribrifax.

Dionys. (Nimmt beiden die Degen und schlägt sie darmit um die Köpfe.) Auffschneider, Lügner, Bärenhäuter, Bengel, Baurenschinder, Erznarren, Cujonen!31

30. Signore . . . gratioso, ‘my gracious sir.’

31. Cujonen, ‘scallywags.’

Daradir. Ei, ei, monsieur, basta questo pour istesso,32 es ist genung, der Kopf blutet mir.

Horrib. Ei, ei, signor, ich wuste nicht, dass der Statthalter hier wohnete.

Dionys. Packet euch, oder ich will euch also zurichten, dass man euch mit Mistwagen sol von dem Platze führen.

32. Basta . . . istesso, ‘enough of that.’

LIV. SIMON DACH

1605-1659. Dach was a Königsberg schoolmaster who won considerable repute as a writer of religious and occasional verse. He is the earliest Prussian poet of any importance. The second selection shows what he thought of Opitz. His Anke van Tharau, though a wedding-song written by request (like many of Dach’s productions), is so fresh and hearty that Herder gave it a place among his folksongs. The text follows Oesterley’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 30.

1
Abendlied.

Der Tag hat auch sein Ende,

Die Nacht ist wieder hier;

Drum heb ich Herz und Hände,

O Vater, auff zu dir

5

Und dancke deiner Treu,

Die mich gantz überschüttet,

Und für der Tiranney

Der Höllen mich behütet.

267

Dein Wort hat auch daneben

10

Mein kranckes Herz geheilt,

Mir reichlich Trost und Leben

In aller Noth ertheilt.

Für solche Liebesthat

Was soll ich dir erzeigen?

15

Was Erd und Himmel hat,

Das ist vorhin dein eigen.

Mein Herz sey dir geschencket,

Das richt, o Gott, dir zu,

Dass, was es nur gedencket,

20

Sey nichts, als einig du.

Entzeuch es dieser Welt,

Dass es aus diesen Tränen

In deiner Freuden Feld

Sich mög ohn Ablass sehnen.

25

Und da ich heut verübet,

Was gegen dein Geboth

Und deinen Geist betrübet,

Das sey vertilgt und todt

Durch Christi theures Blut,

30

Das mildiglich geflossen,

Als er es, mir zu guth,

Aus Liebe hat vergossen.

Und weil ich jetzt sol schlafen,

So lass mich sicher seyn

35

Durch deiner Aufsicht Waffen,

Schleuss deiner Huth mich ein!

Des Teufels Mord und List,

Der bösen Menschen Tücke

Und was sonst schädlich ist,

40

Treib, Herr, von mir zurücke!

Lass mich kein böses Ende

Betreten allermeist,

Denn ich in deine Hände

Befehle meinen Geist.

45

Ich bin zu aller Zeit

Dein Eigenthum und Erbe,

Es sey lieb oder leid,

Ich leb, Herr, oder sterbe.

2
Opitz in Königsberg.1

Ist es unsrer Seiten Werck’

Je einmahl so wol gelungen,

Dass wir dir, o Königsbergk,

Etwas Gutes vorgesungen,

5

So vernimm auch diess dabey,

Wer desselben Stiffter sey.

Dieser Mann, durch welchen dir

Jetzt die Ehre wiederfähret,

Dass der Deutschen Preiss und Zier

10

Sämptlich bey dir eingekehret,

Opitz, den die gantze Welt

Für der Deutschen Wunder hält.

Ach, der Aussbund und Begriff

Aller hohen Kunst und Gaben,

15

Die der Alten Weissheit tieff

Ihrem Ertz hat eingegraben,

Und der lieben Vorfahrt2 Handt

Uns so treulich zugesandt!

Man erschricket, wenn er nun

20

Seiner tieff-erforschten Sachen

Abgrund anhebt auffzuthun,

Und sein Geist beginnt zu wachen;

268

Wer alsdan ihn los sieht gehn,

Der sieht Welschlandt und Athen.

25

Orpheus giebt schon besser Kauff,3

Hört er dieses Mannes Seiten,

Unser Maro horchet auff,

Sagt: Was sol mir das bedeuten?

Wird der Weisen Lieder-Ruhm

30

Nun der Deutschen Eigenthum?

Ja, Herr Opitz, eurer Kunst

Mages Deutschland einig dancken,

Dass der fremden Sprachen Gunst

Mercklich schon beginnt zu wancken,

35

Und man nunmehr ins gemein

Lieber deutsch begehrt zu sein.

Wer hat eurer süssen Handt

Diesen Nachdruck mitgegeben,

Dass das gantze Norden-Landt,

40

Wenn ihr schlagt, sich muss erheben,

Und so mancher edler Geist

Euch zu folgen sich befleist?

Last den stoltzen Thracer-Fluss

Nicht so trotzig sich ergiessen,

45

Und den edlen Mincius

Was bescheidentlicher fliessen:

Eures Bobers kleine Fluth

Nimmt doch allen nun den Muth.

Wol euch, Herr! Was für ein Lohn

50

Hat sich hie mit eingedinget,

Dass von hie ab euer Ton

Bis in jenes Leben dringet,

Dessen Nachklangk aller Zeit

Und Vergängnüss sich befreyt?

55

Hie kunt’ eure Jugend zwar

Schon den Lorbeer-Krantz erjagen,

Aber dort wird euer Haar

Erst der Ehren Krohne tragen,

Die euch David gern gesteht,

60

Weil ihr seinen Fusspfad geht.

Doch wird auch des Pregels Randt,

Weil er ist, von euch nicht schweigen;

Was von uns hie wird bekant,

Was wir singen oder geigen,

65

Unser Nahme, Lust und Ruh’

Stehet euch, Herr Opitz, zu.

1. The full title runs: Gesang bey des edlen und hochberühmten Herren Martin Opitzen u.s.w. hocherfreulichen Gegenwart zu Königsberg in Preussen 1638. 29 Heumonat gesungen.

2. Vorfahrt = Vorfahren.

3. Giebt .. . . Kauff = wird billiger.

3
Anke van Tharau.

Anke van Tharau öss, de my geföllt,

Se öss mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.

Anke van Tharau heft wedder eer Hart

Op my geröchtet ön Löw’ on ön Schmart.

269 5

Anke van Tharau, mihn Rihkdom, mihn Goet,

Du mihne Seele, mihn Fleesch on mihn Bloet.

Quöm’ allet Wedder glihk ön ons tho schlahn,

Wy syn gesönnt by een anger tho stahn.

Kranckheit, Verfälgung, Bedröfnös on Pihn

10

Sal unsrer Löwe Vernöttinge syn.

Recht as een Palmen-Bohm äver söck stöcht,

Je mehr en Hagel on Regen anföcht,

So wardt de Löw’ ön ons mächtig on groht,

Dörch Kryhtz, dörch Lyden, dörch allerley Noht.

15

Wördest du glihk een mahl van my getrennt,

Leewdest dar, wor ön dee Sönne kuhm kennt,

Eck wöll dy fälgen dörch Wöler, durch Mär,

Dörch Yhss, dörch Ihsen, dörch fihndlöcket Hähr.

Anke van Tharau, mihn Licht, mihne Sönn,

20

Mihn Lewen schluht öck ön dihnet henönn.

Wat öck geböde, wart van dy gedahn,

Wat öck verböde, dat lätstu my stahn.

Wat heft de Löwe däch ver een Bestand,

Wor nicht een Hart öss, een Mund, eene Hand,

25

Wor öm söck hartaget, kabbelt on schleyht

On glihk den Hungen on Katten begeyht?

Anke van Tharau, dat war wy nich dohn,

Du böst mihn Dyhfken, mihn Schahpken, mihn Hohn.

Wat öck begehre, begehrest du ohck,

30

Eck laht den Rock dy, du lätst my de Brohk.

Dit öss dat, Anke, du söteste Ruh,

Een Lihf on Seele wart uht öck on du.

270

Dit mahckt dat Lewen tom hämmlischen Rihk,

Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.

4
The same in Herder’s High German translation.

Annchen von Tharau ist, die mir gefällt;

Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.

Annchen von Tharau hat wieder ihr Herz

Auf mich gerichtet in Lieb’ und in Schmerz.

5

Annchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,

Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm’ alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,

Wir sind gesinnt bei einander zu stahn.

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein,

10

Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,

Je mehr ihn Hagel und Regen anficht;

So wird die Lieb’ in uns mächtig und gross

Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Noth.

15

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,

Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;

Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,

Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.

Annchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn’,

20

Mein Leben schliess’ ich um deines herum.

Was ich gebiete, wird von dir gethan,

Was ich verbiete, das lässt du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,

Wo nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand?

271 25

Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,

Und gleich den Hunden und Katzen beträgt?

Annchen von Tharau, das woll’n wir nicht thun;

Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;

30

Ich lasse den Rock dir, du lässt mir den Hut.

Dies ist uns, Annchen, die süsseste Ruh’,

Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,

Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

LV. PAUL GERHARDT

1607-1676. Gerhardt was a Lutheran pastor who is preëminent as a writer of hymns for worship. His psalmody has less of the militant spirit than Luther’s, his voice being the voice of German Protestantism as chastened by the terrible sufferings of the great war. The selections follow Wolff’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 31.

1
Befiehl dem Herrn deine Wege.

Befiehl du deine Wege,

Und was dein Herze kränkt,

Der allertreusten Pflege

Des, der den Himmel lenkt:

5

Der Wolken, Luft und Winden

Giebt Wege, Lauf und Bahn,

Der wird auch Wege finden,

Da dein Fuss gehen kann.

Dem Herren musst du trauen,

10

Wann dirs soll wohlergehn;

Auf sein Werk musst du schauen,

Wann dein Werk soll bestehn.

Mit Sorgen und mit Grämen

Und mit selbsteigner Pein

15

Lässt Gott ihm gar nichts nehmen,

Es muss erbeten sein.

Dein ewge Treu und Gnade,

O Vater, weiss und sieht,

Was gut sei oder schade

20

Dem sterblichen Geblüt:

Und was du denn erlesen,

Das treibst du, starker Held,

Und bringst zum Stand und Wesen,

Was deinem Rat gefällt.

25

Weg hast du allerwegen,

An Mitteln fehlt dirs nicht;

Dein Thun ist lauter Segen,

272

Dein Gang ist lauter Licht,

Dein Werk kann niemand hindern,

30

Dein Arbeit darf nicht ruhn,

Wann du, was deinen Kindern

Erspriesslich ist, willst thun.

Und ob gleich alle Teufel

Hie wollten widerstehn,

35

So wird doch ohne Zweifel

Gott nicht zurücke gehn:

Was er ihm fürgenommen

Und was er haben will,

Das muss doch endlich kommen

40

Zu seinem Zweck und Ziel.

Hoff, o du arme Seele,

Hoff und sei unverzagt!

Gott wird dich aus der Höhle,

Da dich der Kummer plagt,

45

Mit grossen Gnaden rücken:

Erwarte nur der Zeit,

So wirst du schon erblicken

Die Sonn der schönsten Freud.

Auf, auf, gieb deinem Schmerze

50

Und Sorgen gute Nacht!

Lass fahren, was das Herze

Betrübt und traurig macht!

Bist du doch nicht Regente,

Der alles führen soll;

55

Gott sitzt im Regimente

Und führet alles wohl.

Ihn, ihn lass thun und walten,

Er ist ein weiser Fürst

Und wird sich so verhalten,

60

Dass du dich wundern wirst,

Wann er, wie ihm gebühret,

Mit wunderbarem Rat

Das Werk hinausgeführet,

Das dich bekümmert hat.

65

Er wird zwar eine Weile

Mit seinem Trost verziehn

Und thun an seinem Teile,

Als hätt in seinem Sinn

Er deiner sich begeben;

70

Und solltst du für und für

In Angst und Nöten schweben,

So frag er nichts nach dir.

Wirds aber sich befinden,

Dass du ihm treu verbleibst,

75

So wird er dich entbinden,

Da dus am wengsten gläubst:

Er wird dein Herze lösen

Von der so schweren Last,

Die du zu keinem Bösen

80

Bisher getragen hast.

Wohl dir, du Kind der Treue,

Du hast und trägst davon

Mit Ruhm und Dankgeschreie

Den Sieg und Ehrenkron.

85

Gott giebt dir selbst die Palmen

In deine rechte Hand,

Und du singst Freudenpsalmen

Dem, der dein Leid gewandt.

Mach End, o Herr, mach Ende

90

An aller unser Not!

Stärk unser Füss und Hände

Und lass bis in den Tod

Uns allzeit deiner Pflege

Und Treu empfohlen sein,

95

So gehen unsre Wege

Gewiss zum Himmel ein.

273
2
Abendlied.

Nun ruhen alle Wälder,

Vieh, Menschen, Stadt und Felder,

Es schläft die ganze Welt:

Ihr aber, meine Sinnen,

5

Auf, auf, ihr sollt beginnen,

Was eurem Schöpfer wohlgefällt.

Wo bist du, Sonne, blieben?

Die Nacht hat dich vertrieben,

Die Nacht, des Tages Feind;

10

Fahr hin, ein ander Sonne,

Mein Jesus, meine Wonne,

Gar hell in meinem Herzen scheint.

Der Tag ist nun vergangen,

Die güldnen Sternen prangen

15

Am blauen Himmels Saal:

Also werd ich auch stehen,

Wenn mich wird heissen gehen

Mein Gott aus diesem Jammerthal.

Der Leib eilt nun zur Ruhe,

20

Legt ab das Kleid und Schuhe,

Das Bild der Sterblichkeit,

Die ich zieh aus: dagegen

Wird Christus mir anlegen

Den Rock der Ehr und Herrlichkeit.

25

Das Häupt, die Füss und Hände

Sind froh, dass nu zum Ende

Die Arbeit kommen sei:

Herz, freu dich, du sollt werden

Vom Elend dieser Erden

30

Und von der Sünden Arbeit frei.

Nun geht, ihr matten Glieder,

Geht hin und legt euch nieder,

Der Betten ihr begehrt:

Es kommen Stund und Zeiten,

35

Da man euch wird bereiten

Zur Ruh ein Bettlein in der Erd.

Mein Augen stehn verdrossen,

Im Hui sind sie geschlossen;

Wo bleibt denn Leib und Seel?

40

Nimm sie zu deinen Gnaden,

Sei gut für allem Schaden,

Du Aug und Wächter Israel.

Breit aus die Flügel beide,

O Jesu, meine Freude,

45

Und nimm dein Küchlein ein.

Will Satan mich verschlingen,

So lass die Englein singen:

Dies Kind soll unverletzet sein.

Auch euch, ihr meine Lieben,

50

Soll heinte nicht betrüben

Ein Unfall noch Gefahr.

Gott lass euch selig schlafen,

Stell euch die güldne Waffen

Ums Bett und seiner Engel Schar.

LVI. FRIEDRICH SPE

1591-1635. Spe was a Jesuit father who won distinction as a poet and also as an opponent of the witch-burning mania. His collection of lyric poems called Trutz-Nachtigall, or Match-Nightingale, is interesting for its singular blend of 274 erotic imagery with sincere religious feeling. The poems indicate a genuine delight in certain aspects of nature. The selections follow Wolff’s edition, in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 31.

1
Ein Liebgesang der Gespons Jesu.

Die reine Stirn der Morgenröt

War nie so fast gezieret,

Der Frühling, nach dem Winter öd,

War nie so schön muntieret,

5

Die weiche Brust der Schwanen weiss

War nie so wohl gebleichet,

Die gülden Pfeil der Sonnen heiss

Nie so mit Glanz bereichet:

Als Jesu Wangen, Stirn und Mund

10

Mit Gnad seind übergossen.

Lieb hat aus seinen Äuglein rund

Fast tausend Pfeil verschossen:

Hat mir mein Herz verwundet sehr,

O weh der süssen Peine!

15

Für Lieb ich kaum kann rasten mehr,

Ohn Unterlass ich weine.

Wie Perlen klar aus Orient

Mir Zähr von Augen schiessen:

Wie Rosenwässer wohlgebrennt

20

Mir Thränen überfliessen.

O keusche Lieb, Cupido rein,

Allda dein Hitz erkühle,

Da dunk dein heisse Flüttig ein,

Dass dich so stark nit fühle.

25

Zu scharf ist mir dein heisser Brand,

Zu schnell seind deine Flügel;

Drumb nur aus Thränen mit Verstand

Dir flechte Zaum und Zügel.

Komm nit zu streng, mich nit verseng,

30

Nit brenn mich gar zu Kohlen,

Dich weisen lass, halt Ziel und Mass,

Dich brauch der linden Strohlen.

O Arm und Hände Jesu weiss,

Ihr Schwesterlein der Schwanen,

35

Umbfasset mich nit lind noch leis,

Darf euch der Griff ermahnen.

Stark heftet mich an seine Brust

Und satt mich lasset weinen:

Ich ihn erweich, ist mir bewusst,

40

Und wär das Herz von Steinen.

O Jesu mein, du schöner Held,

Lang warten macht verdriessen:

Gross Lieb mir nach dem Leben stellt,

Wann soll ich dein geniessen?

45

O süsse Brust! O Freud und Lust!

Hast endlich mich gezogen:

O miltes Herz! All Pein und Schmerz

Ist nun in Wind geflogen.

275

Allhie nun will ich rasten lind,

50

Auf Jesu Brust gebunden:

Allhie mich mag Cupido blind

Bis gar zu Tod verwunden.

Am Herzen Jesu sterben hin

Ist nur in Lusten leben,

55

Ist nur verlieren mit Gewinn,

Ist tot im Leben schweben.

2
Anders Liebgesang der Gespons Jesu, darin eine Nachtigall mit der Echo oder Wiederschall spielet.

Ach, wann doch Jesu, liebster mein,

Wann wirst dich mein erbarmen?

Wann wieder zu mir kehren ein,

Wann fassen mich in Armen?

5

Was birgest dich,

Was kränkest mich?

Wann werd ich dich umfangen?

Wann reissest ein

All meine Pein?

10

Wann schlichtest mein Verlangen?

O willkomm, süsse Nachtigall,

Kombst gleich zu rechter Stunde!

Erfrisch den Luft mit bestem Schall,

Erschöpf die Kunst von Grunde;

15

Ruf meinem Lieb,

Er nit verschieb,

“O Jesu!” ruf mit Kräften,

Ruf tausend mal,

Ruf ohne Zahl,

20

Wer weiss, es je möcht heften!1

Ach, ruf und ruf, o Schwester zart,

Mein Jesum zu mir lade,

Mir treulich hilf zu dieser Fahrt,

Dann ich in Zähren bade.

25

O Schwester mein,

Sing süss und rein,

Ruf meinem Schatz mit Namen;

Dann kurz, dann lang

Zieh deinen Klang,

30

All Noten greif zusammen!

Wohlan, scheint, mich verstanden hat

Die Meisterin in Wälden;

Ihrs allbereit geht wohl von Statt,

Die Färblein schon sich melden.

35

In starker Zahl,

Nun manches Mal

Den Ton sie schon erhebet,

Weil auch der Schall

Aus grünem Thal

40

Ihr deutlich widerstrebet.2

Da recht, du fromme Nachtigall,

Du jenem Schall nit weiche!

Da recht, du treuer Wiederschall,

Du stets dich ihr vergleiche!

45

Zur schönen Wett

Nun beide trett,

Mein Jesum lasst erklingen,

Obschon im Streit

276

Der schwächsten Seit

50

Am Leben sollt misslingen.

Die Nachtigall den Schall nit kennt

Und hälts für ihr Gespielin,

Verwundert sich, wies mög behend

So gleichen Ton erzielen;

55

Bleibt wenig stumm,

Schlägt wiederumb,

Denkt ihr bald obzusiegen;

Doch Widerpart

Machts gleicher Art,

60

Kein Pünktlein bleibt verschwiegen.

Bald steiget auf die Nachtigall

Je mehr und mehr und mehre;

Gleich folget auch der Wiederschall,

Wanns je noch höher wäre.

65

Drumb zierlich fecht

Und stärker schlegt

Das Fräulein reich von Stimmen,

Steigt auf und auf

Ganz ohn Verschnauf;

70

Doch thuts der Schall erklimmen.

Alsdann gehts über Ziel und Schnur,

Das Herz möcht sich zerspalten,

Sie sucht es in B Moll, B Dur,

Auf allerhand Gestalten,

75

Thut hundertfalt

Den Bäss und Alt,

Tenor und Cant durchstreichen;

Doch Stimm doch Kunst

Ist gar umbsonst,

80

Der Schall thuts auch erreichen.

Da kitzlet sie dann Ehr und Preis

Mit gar zu scharfen Sporen,

Erdenkt noch schön und schöner Weis,

Meint, sei noch nicht verloren.

85

All Mut und Blut

Und Atem gut.

Versammelt sie mit Haufen,

Will noch zum Sieg

In schönem Krieg

90

Mit letzten Kräften laufen.

Ei, da kracht ihr so mütigs Herz,

Gleich Ton und Seel verschwinden,

Da leschet sich die gülden Kerz,

Entzuckt von starken Winden.

95

O mütigs Herz,

O schöne Kerz,

O wohl, bist wohl gestorben!

Die Lorbeerkron

Im letzten Ton

100

Du doch noch hast erworben.

Dann zwar ein Seufzerlein gar zart

Im Tod hast lan erklingen,

Das so subtil dein Widerpart

Mit nichten möcht erschwingen;

105

Drumb ja nit lieg,

Dein ist der Sieg,

Das Kränzlein dir gebühret,

Welchs dir allein

Von Blümlein fein

110

Ich schon hab eingeschnüret.

Ade dann, falbe Nachtigall,

Von falbem Tod entfärbet,

Weil du nun liegst in grünem Thal.

277

Sag, wer dein Stimmlein erbet;

115

Könnts je nit sein,

Es wurde mein?

O Gott, könnt ichs erwerben!

Wollts brauchen stät

So früh, so spät,

120

Bis auch im Sang thät sterben.

Nun doch will ich in diesem Wald

Bei deinem Grab verbleiben,

Hoff, mich mit ihren Pfeilen bald

Begierd und Lieb entleiben.

125

Will rufen stark

Zum Totensarg,

Bis mein Geliebter komme,

Will rufen laut

Meins Herzen Traut,

130

Bis letzt ich gar erstumme.

1. Heften = haften bleiben, ‘stick fast’ (in his ear), and so win him over.

2. 2. Widerstrebet = widerhallt.

LVII. HOFMANN VON HOFMANNSWALDAU

A Silesian scholar (1617-1679) who, after extensive foreign travel, spent his life at Breslau as an exemplary and highly esteemed official of the town. Incidentally he poetized in the inflated and ornate style which has given the so-called second Silesian school its evil reputation. His work is decidedly vacuous as poetry, but has its interest as indicating the literary drift of the age of puffs, powder, and pedantry. The selections follow Bobertag’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 36.

1
Die Welt.

Was ist die Welt, und ihr berühmtes Gläntzen?

Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?

Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Grentzen,

Ein schneller Blitz, bey schwarzgewölckter Nacht;

5

Ein bundtes Feld, da Kummerdisteln grünen;

Ein schön Spital, so voller Kranckheit steckt.

Ein Sclavenhauss, da alle Menschen dienen,

Ein faules Grab, so Alabaster deckt.

Das ist der Grund, darauff wir Menschen bauen,

10

Und was das Fleisch für einen Abgott hält.

Komm, Seele, komm, und lerne weiter schauen,

Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.

Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen,

Halt ihre Lust für eine schwere Last.

15

So wirst du leicht in diesen Port gelangen,

Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast.

278
2
Die Wollust.

Die Wollust bleibet doch der Zucker dieser Zeit,

Was kan uns mehr, denn sie, den Lebenslauf versüssen?

Sie lässet trinckbar Gold in unsre Kehle fliessen,

Und öffnet uns den Schatz beperlter Liebligkeit,

5

In Tuberosen kan sie Schnee und Eiss verkehren,

Und durch das gantze Jahr die Frühlings-Zeit gewehren.

Es schaut uns die Natur als rechte Kinder an,

Sie schenckt uns ungespart den Reichthum ihrer Brüste,

Sie öffnet einen Saal voll zimmetreicher Lüste,

10

Wo aus des Menschen Wunsch Erfüllung quellen kan.

Sie legt als Mutter uns die Wollust in die Armen,

Und lässt durch Lieb und Wein den kalten Geist erwarmen.

Nur das Gesetze wil allzu tyrannisch seyn,

Es zeiget iederzeit ein widriges Gesichte,

15

Es macht des Menschen Lust und Freyheit gantz zunichte,

Und flöst für süssen Most uns Wermuthtropffen ein;

Es untersteht sich uns die Augen zu verbinden,

Und alle Liebligkeit aus unser Hand zu winden.

Die Ros’ entblösset nicht vergebens ihre Pracht,

20

Jessmin will nicht umsonst uns in die Augen lachen,

Sie wollen unser Lust sich dienst- und zinsbar machen,

Der ist sein eigen Feind, der sich zu Plagen tracht;

Wer vor die Schwanenbrust ihm Dornen will erwehlen,

Dem muss es an Verstand und reinen Sinnen fehlen.

25

Was nutzet endlich uns doch Jugend, Krafft und Muth,

Wenn man den Kern der Welt nicht reichlich will genüssen,

Und dessen Zucker-Strom lässt unbeschifft verschüssen?1

Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Gut,

Wer hier zu Seegel geht, dem wehet das Gelücke

30

Und ist verschwenderisch mit seinem Liebesblicke.

279

Wer Epicuren nicht für seinen Lehrer hält,

Der hat den Welt-Geschmack und allen Witz verloren,

Es hat ihr die Natur als Stiefsohn ihn erkoren,

Er mus ein Unmensch seyn und Scheusal dieser Welt;

35

Der meisten Lehrer Wahn erregte Zwang und Schmertzen,

Was Epicur gelehrt, das kitzelt noch die Hertzen.

3
Die Tugend.

Die Tugend pflastert uns die rechte Freudenbahn,

Sie kan den Nesselstrauch zu Lilgenblättern machen,

Sie lehrt uns auf dem Eiss und in dem Feuer lachen,

Sie zeiget, wie man auch in Banden herrschen kan;

5

Sie heisset unsern Geist im Sturme ruhig stehen,

Und wenn die Erde weicht, uns im Gewichte gehen.

Es giebt uns die Natur Gesundheit, Krafft und Mut,

Doch wo die Tugend nicht wil unser Ruder führen,

Da wird man Klippen, Sand und endlich Schiffbruch spüren.

10

Die Tugend bleibet doch der Menschen höchstes Gutt;

Wer ohne Tugend sich zu leben hat vermessen,

Ist einem Schiffer gleich, so den Compass vergessen.

Gesetze müssen ja der Menschen Richtschnur seyn.

Wer diesen Pharus ihm nicht zeitlich will erwehlen,

15

Der wird, wie klug er ist, des Hafens leicht verfehlen,

Und läuffet in den Schlund von vielen Jammer ein;

Wem Lust und Üppigkeit ist Führerin gewesen,

Der hat für Leitstern ihm ein Irrlicht auserlesen.

Diss, was man Wollust heisst, verführt und liebt uns nicht,

20

Die Küsse, so sie giebt, die triffen von Verderben,

Sie läst uns durch den Strang der zärtsten Seide sterben,

Man fühlet, wie Zibeth das matte Herze bricht,

Vergifter Hypocras2 will uns die Lippen rühren,

Und ein ambrirte3 Lust zu Schimpf und Grabe führen.

280 25

Die Tugend drückt uns doch, als Mutter, an die Brust,

Ihr Gold und edler Schmuck hält Farb und auch Gewichte,

Es leitet ihre Hand uns zu dem grossen Lichte,

Wo sich die Ewigkeit vermählet mit der Lust;

Sie reicht uns eine Kost, so nach dem Himmel schmecket,

30

Und giebt uns einen Rock, den nicht die Welt beflecket.

Die Wollust aber ist, als wie ein Unschlichtlicht,

So helle Flammen giebt, doch mit Gestanck vergehet.

Wer bey dem Epicur und seinem Häuften stehet,

Der lernt, wie diese Waar als dünnes Glas zerbricht;

35

Es kan die Drachen-Milch uns nicht Artzney gewehren,

Noch gelbes Schlangengift in Labsal sich verkehren.

1. Verschüssen = verfliessen.

2. Hypocras, a sweet spiced wine.

3. Ambrirte, ‘resinated’ (perfumed with ambra).

LVIII. DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN

The other leading light of the second Silesian school (1635-1683). Like his friend Hofmannswaldau, he was an exemplary Breslau official. He wrote half a dozen impossible tragedies in alexandrine verse and a huge erudite romance Arminius. The selection from Arminius follows an edition of 1731, which contains 2868 pages in four quarto volumes.

From ‘Arminius,’ Book I: The temple of the Ancient Germans and its wonderful inscription.

Es war ein Thal, welches ungefähr eine Meilweges im Umkreise hatte, rings herum mit steilen Felsen umbgeben, welche allein von einem abschüssenden Wasser zertheilet waren. An dieser Gegend hatte die andächtige Vorwelt dem Anfange aller Dinge, nehmlich dem Schöpfer der Welt, zu Ehren auf ieder Seiten eine dreyfache Reihe überaus hoch und gerade empor wachsender Eich-Bäume gepflantzet, und wie dieses gantze Thal, also auch insonderheit den in der Mitte gelegenen Hügel, und die in selbtem von der Natur gemachte Höle, als auch den daraus entspringenden Brunnen für eines der grössesten Heiligthümer Deutschlands verehret, auch den Glauben, dass in selbtem die Andacht der Opfernden durch einen göttlichen Trieb geflügelt, und das Gebet von den Göttern ehe als anderwerts erhöret würde, von mehr als tausend Jahren her auf ihre Nachkommen fortgepflantzet. Denn die alten andächtigen Deutschen waren bekümmerter Gott recht zu verehren, als durch Erbauung 281 köstlicher Tempel die Gebürge ihres Marmels zu berauben und ihre Ertzt-Adern arm zu machen. Diesemnach sie für eine der grösten Thorheiten hielten, Affen, Katzen und Crocodilen, ja Knobloch und Zwibeln mit Weyrauch zu räuchern; welche bey den Egyptiern mehr die aus Iaspis und Porphyr erbaueten, oder aus einem gantzen Felsen gehauene Wundertempel verstellten, als durch derselben Pracht einiges Ansehen ihrer schnöden Hesslichkeit erlangeten.

Nichts minder verlachten sie die zu Rom angebetete Furcht und das Fieber, als welche Kranckheiten wohl unvergöttert, ja abscheulich bleiben, wenn gleich zu Überfirnsung ihrer Bilder und Heiligthümer alle Meere ihr Schnecken-Blut, und gantz Morgenland seine Perlen und Edelgesteine dahin zinset. Da hingegen eine wahre Gottheit1 eben so ein aus schlechtem Rasen erhöhetes Altar, und ein mehr einem finstern Grabe als einem Tempel ähnliches, aber von dem Feuer andächtiger Seelen erleuchtetes Heiligthum; wie die Sonne alle düstere Wohnungen mit ihrem eigenen Glantze erleuchtet und herrlich macht, also dass ohne die Gegenwart des grossen Auges der Welt alle gestirnte Himmels-Kreise düstern, in Abwesenheit einer wesentlichen Gottheit all von Rubin und loderndem Weyrauch schimmernde Tempel irrdisch sind. Denn ob wohl Gott in und ausser aller Dinge ist, seine Macht und Herrschafft sonder einige Beunruhigung sich über all Geschöpfe erstrecket, seine Liebe ohne Ermüdung allen durch ihre Erhaltung die Hände unterlegt; ob er gleich ohne Ausdehnung alles auswendig umbschleust, alles inwendig ohne seine Verkleinerung durchdringet; und er also in, über, unter und neben allen Sachen, iedoch an keinen Ort angebunden, noch nach einigem Maasse der Höhe, Tieffe und Breite zu messen, seine Grösse nirgends ein-, sein Wesen nirgends auszuschlüssen ist: So ist doch unwidersprechlich, dass Gott seiner Offenbarung nach, und wegen der von denen Sterblichen erfoderten Andacht, einen Ort für dem andern, nicht etwan wegen seiner absonderlichen Herrligkeit, sondern aus einer unerforschlicher Zuneigung, ihm belieben lasse, ja mehrmahls selbst erkieset habe. Über dem Eingange nun dieser ebenfals für andern erwehlten Höle waren nachfolgende Reimen in einen lebendigen Steinfels gegraben, iedoch gar schwer zu lesen; weil sie nicht allein mit denen vom Tuisco erfundenen Buchstaben geschrieben, 282 sondern auch vom Regen abgewaschen und vom Mooss verstellet waren:

Ihr Eiteln, weicht von hier! der Anfang aller Dinge,

Der eh als dieser Fels und dieser Brunnquell war,

Hat hier sein Heiligthum, sein Wohnhaus, sein Altar;

Der will, dass man ihm nur zum Opfer Andacht bringe.

5

Die ist das Eigenthum der Menschen. Weyrauch, Blut,

Gold, Weitzen, Oel, und Vieh ist sein selbsteigen Gut.

Die Opfer, die ihr ihm auf tausend Tischen schlachtet,

Die machen ihn nicht feist, und keine Gabe reich.

Ihr selbst genüsset es, wenn ihr den Schöpfer gleich

10

Durch eure Erstlingen hier zu beschencken trachtet.

Euch scheint der Fackeln Licht, ihr rücht des Zimmets Brand;

Ja, was ihr gebt, bleibt euch mit Wucher in der Hand.

Gott heischt diss zwar, doch nicht aus lüsterner Begierde.

Denn was ergeitzt das Meer ihm an der armen Flut

15

Des Thaues? welcher Stern wünscht ihm der Würmer Glut,

Die bey den Nachten scheint, und der Rubinen Zierde?

Ihr weiht Gott nur das Hertz zum Zeichen euer Pflicht;

Euch selbst zu eurem Nutz, ihm zur Vergnügung nicht.

Ja auch die Andacht Selbst weiss Gott nichts zuzufrömen;

20

Denn eignet sie uns zu gleich seine Gnad und Heil,

So hat sein Wohlstand doch nicht an dem unsern Theil,

Wie unsre Freude rinnt aus seinen Wohlthats-Strömen.

Hingegen wie kein Dunst versehrt der Sonnen Licht,

So verunehrt auch ihn kein Aberglaube nicht.

25

Der Lästerer ihr Fluch thut ihm geringern Schaden,

Als wenn ein toller Hund den vollen Mond anbillt.

Es rühmt als Richter ihn, was in der Hölle brüllt;

Wie’s Lob der Seligen preist seine Vater-Gnaden.

Den grossen Gott bewehrt die Kohle, die dort glüht,

30

So wohl als die, die man wie Sterne gläntzen sieht.

283

So ist’s nun Übermaass, unsäglich grosse Gütte,

Dass Gott die Betenden hier würdigt zu erhörn.

Weicht, Eitele! um nicht diss Heil’ ge zu versehrn!

Denn dass Gott in diss Thal nur einen Blick ausschütte,

35

Ist gröss’re Gnad, als wenn das Auge dieser Welt

Den schlechtsten Sonnen-Staub mit seinem Glantz erhält.

1. Gottheit, subject of erleuchtet und herrlich macht understood.

LIX. HANS JAKOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN

The most important writer of prose fiction in the 17th century (ca. 1625-1676). He spent his early years as a roving soldier. After the war he published anonymously a number of tales, which are known collectively as Simplicianische Schriften. The best of them is Der abentheuerliche Simplicissimus, which is largely autobiographic. The book parodies the fashionable romances of adventure and takes hints from the picaresque tales which had begun to come in from Spain. It is particularly interesting for its truthful pictures of German life in the time of the great war. The selection follows Braune’s Neudrucke, Nos. 19-25.

From ‘Simplicissimus,’ Book I, Chapter 4: The hero’s childhood; brutal soldiers plunder his foster-father’s house and outrage the inmates.

Wiewol ich nicht bin gesinnet gewesen, den friedliebenden Leser, mit diesen Reutern, in meines Knäns1 Hauss und Hof zuführen, weil es schlim genug darin hergehen wird: So erfodert jedoch die Folge meiner Histori, dass ich der lieben posterität hinterlasse, was vor Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin und wieder verübet worden, zumalen mit meinem eigenen Exempel zubezeugen, dass alle solche Übel von der Güte dess Allerhöchsten, zu unserm Nutz, offt notwendig haben verhängt werden müssen: Dan lieber Leser, wer hätte mir gesagt, dass ein Gott im Himmel wäre, wan keine Krieger meines Knäns Hauss zernichtet, und mich durch solche Fahung unter die Leute gezwungen hätten, von denen ich gnugsamen Bericht empfangen? Kurtz zuvor konte ich nichts anders wissen noch mir einbilden, als dass mein Knän, Meuder, ich und das übrige Haussgesind, allein auff Erden sey, weil mir sonst kein Mensch, noch einzige andre menschliche Wohnung bekant war, als diejenige, darin ich täglich auss und einging: Aber bald hernach erfuhr ich die 284 Herkunfft der Menschen in diese Welt, und dass sie wieder darauss müsten; ich war nur mit der Gestalt ein Mensch, und mit dem Namen ein Christen-Kind, im übrigen aber nur eine Bestia! Aber der Allerhöchste sahe meine Unschuld mit barmhertzigen Augen an, und wolte mich beydes zu seiner und meiner Erkantnus bringen: Und wiewol er tausenderley Wege hierzu hatte, wolte er sich doch ohn zweiffel nur dessjenigen bedienen, in welchem mein Knän und Meuder, andern zum Exempel, wegen ihrer liederlichen Aufferziehung gestrafft würden.

Das Erste, das diese Reuter thäten, war, dass sie ihre Pferde einställeten, hernach hatte jeglicher seine sonderbare Arbeit zuverrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte, dan obzwar etliche anfingen zumetzgen, zusieden und zubraten, dass es sahe, als solte ein lustig Panquet gehalten werden, so waren hingegen andere, die durchstürmten das Hauss unten und oben, ja das heimliche Gemach war nicht sicher, gleichsam ob wäre das golden Fell von Colchis darin verborgen; Andere machten von Tuch, Kleidungen und allerley Haussrath, grosse Päck zusammen, als ob sie irgends einen Krempelmarkt2 anrichten wolten, was sie aber nicht mitzunehmen gedachten, ward zerschlagen, etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schafe und Schweine genug zustechen gehabt hätten, etliche schütteten die Federn auss den Betten, und fülleten hingegen Speck, andere dürr Fleisch und sonst Geräth hinein, als ob alsdan besser darauff zuschlaffen wäre; Andere schlugen Ofen und Fenster ein, gleichsam als hätten sie einen ewigen Sommer zuverkündigen, Kupffer und Zingeschirr schlugen sie zusammen, und packten die gebogene und verderbte Stücken ein, Bettladen, Tische, Stüle und Bäncke verbranten sie, da doch viel Claffter dürr Holtz im Hof lag, Häfen und Schüsseln muste endlich alles entzwey, entweder weil sie lieber Gebraten assen, oder weil sie bedacht waren, nur eine einzige Mahlzeit allda zuhalten, unsre Magd ward im Stall dermassen tractirt, dass sie nicht mehr darauss gehen konte, welches zwar eine Schande ist zumelden! den Knecht legten sie gebunden auff die Erde, steckten ihm ein Sperrholtz ins Maul, und schütteten ihm einen Melckkübel voll garstig Mistlachen-wasser in Leib, das nanten sie einen Schwedischen Trunck, wodurch sie ihn zwungen, 285 eine Parthey anderwerts zuführen, allda sie Menschen und Viehe hinweg namen, und in unsern Hof brachten, unter welchen mein Knän, meine Meuder, und unsre Ursele auch waren.

Da fing man erst an, die Steine3 von den Pistolen, und hingegen anstat deren der Bauren Daumen auffzuschrauben, und die armen Schelmen so zufoltern, als wan man hätte Hexen brennen wollen, massen4 sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Backofen steckten, und mit Feuer hinter ihm her waren, unangesehen er noch nichts bekant hatte, einem andern machten sie ein Sail um den Kopff, und raitelten5 es mit einem Bengel zusammen, dass ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren herauss sprang. In Summa, es hatte jeder sein eigne invention, die Bauren zupeinigen, und also auch jeder Bauer seine sonderbare Marter: Allein mein Knän war meinem damaligen Bedüncken nach der glückligste, weil er mit lachendem Munde bekante, was andere mit Schmertzen und jämmerlicher Weheklage sagen musten, und solche Ehre wiederfuhr ihm ohn Zweiffel darum, weil er der Haussvater war, dan sie satzten ihn zu einem Feur, banden ihn, dass er weder Hände noch Füsse regen konte, und rieben seine Fusssolen mit angefeuchtem Saltz, welches ihm unsre alte Geiss wieder ablecken, und dadurch also kützeln muste, dass er vor Lachen hätte zerbersten mögen; das kam so artlich, dass ich Gesellschafft halber, oder weil ichs nicht besser verstund, von Hertzen mit lachen muste: In solchem Gelächter bekante er seine Schuldigkeit, und öffnete den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen und Cleinodien viel reicher war, als man hinter den Bauren hätte suchen mögen. Von den gefangenen Weibern, Mägden und Töchtern weiss ich sonderlich nichts zusagen, weil mich die Krieger nicht zusehen liessen, wie sie mit ihnen umgingen: Das weiss ich noch wol, dass man theils hin und wieder in den Winckeln erbärmlich schreyen hörte, schätze wol, es sey meiner Meuder und unserm Ursele nit besser gangen, als den andern. Mitten in diesem Elend wante ich Braten, und halff Nachmittag die Pferde träncken, durch welches Mittel ich zu unsrer Magd in Stall kam, welche wunderwercklich zerstrobelt6 ausssahe, ich kante sie nicht, sie aber sprach zu mir mit kräncklicher Stimme: O Bub lauff weg, sonst werden dich die 286 Reuter mit nemen, guck dass du davon kommst, du siehst wol, wie es so ubel: mehrers konte sie nicht sagen.

1. Knäns = Vaters; Spessart dialect, like Meuder = Mutter below.

2. Krempelmarkt = Trödelmarkt.

3. Steine, i.e. Feuersteine, ‘gun-flints.’ They were held in by a screw.

4. Massen = wie denn.

5. Raitelten, ‘twisted.’

6. Zerstrobelt = zerschlagen.

LX. BENJAMIN NEUKIRCH

A trenchant satirist and the father of German literary criticism (1665-1729). He was by birth a Silesian and in his early years an admirer of Hofmannswaldau and Lohenstein. Later he turned against them and against the whole tribe of insincere occasional rimesters, who were bringing the poetic art into contempt. His lyric poems are of small account, but his satires are vigorous and illuminative. The text follows Fulda’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 39.

Auf unverständige Poeten.

Lass doch, Lysander, ab, mit Reimen dich zu plagen

Und einer Bettelkunst halb rasend nachzujagen,

Die zwar die Phantasei durch süsse Träume rührt,

Dich aber auf den Weg der Hungerwiesen führt

5

Und endlich, wo du dich lässt ihre Grillen treiben,

Mit Meistersängern wird in eine Rolle schreiben.

Die eben ist das Gift, das wie die Missethat

Gleich mit der Muttermilch mir ins Geblüte trat.

Wie glücklich wär’ ich doch, wenn mich zu rechter Stunden

10

Ein kluger Arzt davon durch Kräutersaft entbunden

Und alles, was ich nur von Versen angeblickt,

Durch hebend Antimon hätt’ in die Luft geschickt;

So dürft’ ich nicht wie jetzt in Kummerwinckeln sitzen,

Und bei geborgter Lust von langen Sorgen schwitzen,

15

So hätt’ ich auch vielleicht den Wuchergriff erlernt,

Wie man durch Ränke sich von der Vernunft entfernt,

Den Trieb der Redlichkeit mit Silberzäumen lenket,

Den Geist der Gottesfurcht in klugen Schlaf versenket,

Ein reiches Lasterweib zu seinem Willen beugt,

20

Durch höflichen Betrug auf Ehrenbänke steigt

Und endlich, wenn die Kraft der Jugend uns verlassen,

Bei voller Tafel kann von fremdem Gute prassen.

So hab’ ich manchen Tag und manche Nacht verreimt

Und oft ein grosses Lied von Zwergen hergeträumt,

287 25

Verliebten ihre Lust in Zucker zugemessen,

Betrüger reich gemacht, mich aber gar vergessen;

Und ob mich endlich gleich mit der verjährten Zeit

Ein kurzer Sonnenblick bei Hofe noch erfreut

Und Preussens Salomo,1 den ich mit Recht gepriesen,

30

Mir zu der Ehrenburg den Vorhof angewiesen,

Ward doch durch seinen Tod, der alles umgekehrt,

Mein Glück und auch zugleich mein ganzer Ruhm verzehrt

Nun lacht die Wucherschar bei ihren Judengriffen,

Dass ich der Tugend Lob auf Hoffnung hergepfiffen,

35

Die Zungendrescherei den Musen nachgesetzt,

Und wahre Weisheit mehr als Geld und Gut geschätzt,

Und dass ich, da der Hof zum Laufen mich gezwungen,

Nicht noch zu rechter Zeit in Schulenstaub gesprungen,

Die matte Dürftigkeit in Mäntel eingehüllt,

40

Mit leerer Wissenschaft die Jugend angefüllt,

Die Kinder gegen Lohn den Toten2 vorgetrieben

Und wöchentlich ein Lied für Thaler hingeschrieben.

Hiebei verbleibt es nicht. Die schwärmende Vernunft

Der von der Hungersucht bethörten Dichterzunft,

45

Die sich durch falsche Kunst auf den Parnass geschlichen,

Von der gesetzten Bahn der Alten abgewichen,

Mit frecher Hurtigkeit gefüllte Bogen schmiert

Und alle Messen fast ein totes Werk gebiert,

Wird so verwegen schon, dass sie Gesetze stellet,

50

Der Griechen Zärtlichkeit das Todesurteil fället,

Des Maro klugen Witz in Kinderklassen weist,

Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heisst,

Und alles, was sich nur nach alter Kraft beweget,

Auf lüsterndem3 Papier mit Tinte niederschläget.

55

Da nun das Wespenheer von Tag zu Tage wächst,

Und jeder Knabe schon nach Narrenwasser lechzt,

Was Wunder ist es denn, wenn Ruhm und Ehre stirbet,

Die Kunst zu Grabe geht, die Tugend gar verdirbet? . . .

288

So viel als Reimer sind, so viel und mancherlei

60

Wirkt in der Poesie nun auch die Phantasei.

Ein halb mit Pickelscherz4 vermengtes Operettchen,

Ein stinkender Roman vom rasenden Chrysettchen,

Ein geiles Myrtenlied und ein nach dem Adon

Des üppigen Marin5 erbauter Venusthron,

65

Der der Geliebten Schoss bis auf den Grund entdecket

Und Büsch’ und Brunnen draus und Vogelnester hecket,

Ein lügenvolles Lob, das uns ins Angesicht

Den lastervollen Ruf der Toten widerspricht,

Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen,

70

Und so viel Schnitzer fast als Silben sind zu zählen,

Ein Brief,6 den Adam schon der Eva zugesandt,

Da beide dazumal doch keine Schrift gekannt,

Ein kreissendes Sonett, das mit dem Tode ringet

Und der Gedanken Rad so wie die Reime zwinget,

75

Und ein nach Pöbelart gepriesner Buhlerblick

Ist oft bei dieser Zeit das grösste Meisterstück.

So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,

Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,

Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt

80

Und abgeborgte Kraft den Wörtern angeflickt,

So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;

Allein sobald ich nur der Spure nachgegraben,

Auf der man zur Vernunft beschämt zurücke kreucht

Und endlich nach und nach nur den Parnass erreicht,

85

So ist es aus mit mir, so kommt von seinem Suschen

Ein mit Ebräerwitz gespicktes Philomuschen,7

Klaubt ihm ein Jugendwort in meinen Schriften aus

Und untergräbt damit mein ganzes Ehrenhaus.

Was soll ich Ärmster thun? Soll ich noch einmal rasen

90

Und durch mein Haberrohr zum Federsturme blasen?

Nein, nein, Lysander, nein! Ich will zurücke stehn

289

Und der erlauchten Schar nur aus den Augen gehn,

Sonst wirft der Schwindelgeist der klugen Weisianer8

Mich endlich auf die Bank der reimenden Quintaner

95

Und jagt mich, ob ich gleich halb notenmässig bin,

Ins re, mi, fa, sol, la der Hübneristen9 hin,

Die sich doch ohnedem an Odermusen10 reiben,

Sudetenzungen10 nur zu Mamelucken schreiben

Und alles, was durch Kunst der Pleisse11 nicht geschehn,

100

Für Eigenliebe kaum mit halben Augen sehn.

Zwar weich’ ich darum nicht, als ob ich, wenn es brennte,12

Nicht auch ein Jammerlied im Tanze drechseln könnte,

Und ob der Trippeltakt der leichten Reimerei

In Dedekindens13 Schoss allein zu Hause sei.

105

Mir ist ja wohl bekannt, wie man den Schädel seifen

Und solche Spötter kann mit Lauge wiedertäufen,

Wie mancher ohne Bart in Phöbus’ Auen springt,

Und wie ein kollernd Pferd sich auf den Pindus schwingt;

Allein ich hab’ einmal die Thorheit aufgegeben.

110

Es reime, wer da will; ich will in Friede leben.

1. Friedrich I, who died in 1713.

2. Den Toten, i.e. den alten (Schriftstellern)

3. Lüsterndem, ‘wanton,’ ‘lubricious.’

4. Pickelscherz (Pickelhäringscherz), ‘clownish jokes.’

5. The Italian poet Marino, known for his sensuality and affectation, was in high favor with the later Silesians.

6. Brief, in allusion to the sensual Heldenbriefe of Hofmannswaldau.

7. Philomuschen, ‘poetaster’ (lover of the Muses).

8. Weisianer, partisans of the dull and trivial schoolmaster-poet, Christian Weise.

9. Hübneristen, mechanical rimesters; Hübner was the author of a dictionary of rimes.

10. Odermusen; ‘muses of the Oder’ and ‘tongues of the Sudeti’ are both names for the later Silesian poets.

11. Kunst der Pleisse, Leipzig’s art.

12. Wenn es brennte = wenn es drauf ankäme.

13. Dedekindens; C. C. Dedekind was a facile but vacuous rimester.

LXI. JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER

A gifted lyric poet whose life was short and full of trouble (1695-1723). In an age of poetic artificiality and pretense his verse is generally simple, sincere, and passionate. His work is mainly a record of suffering, the note of joy being relatively infrequent. He is a forerunner of those modern poets of whom one may say with Goethe’s Tasso: Mir gab ein Gott zu sagen, wie ich leide. The text follows Fulda’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 38.

1
Studentenlied.

Brüder, lasst uns lustig sein,

Weil der Frühling währet

Und der Jugend Sonnenschein

Unser Laub verkläret;

5

Grab und Bahre warten nicht;

Wer die Rosen jetzo bricht,

Dem ist der Kranz bescheret.

290

Unsers Lebens schnelle Flucht

Leidet keinen Zügel,

10

Und des Schicksals Eifersucht

Macht ihr stetig Flügel;

Zeit und Jahre fliehn davon,

Und vielleichte schnitzt man schon

An unsers Grabes Riegel.

15

Wo sind diese, sagt es mir,

Die vor wenig Jahren

Eben also, gleich wie wir,

Jung und fröhlich waren?

Ihre Leiber deckt der Sand,

20

Sie sind in ein ander Land

Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,

Mag den Kirchhof fragen;

Ihr Gebein, so längst vermorscht,

25

Wird ihm Antwort sagen.

Kann uns doch der Himmel bald,

Eh die Morgenglocke schallt,

In unsre Gräber tragen.

Unterdessen seid vergnügt,

30

Lasst den Himmel walten,

Trinkt, bis euch das Bier besiegt,

Nach Manier der Alten.

Fort! Mir wässert schon das Maul,

Und, ihr andern, seid nicht faul,

35

Die Mode zu erhalten.

Dieses Gläschen bring’ ich dir,

Dass die Liebste lebe

Und der Nachwelt bald von dir

Einen Abriss gebe!

40

Setzt ihr andern gleichfalls an,

Und wenn dieses ist gethan,

So lebt der edle Rebe.

2
An Leonoren.
Als er sich mit ihr wieder zu versöhnen suchte.

Kluge Schönheit, nimm die Busse

Eines armen Sünders an,

Welcher dir mit einem Kusse

Gestern Abends weh gethan,

5

Und auf deinen Rosenwangen

Einen schönen Raub begangen.

Ich gesteh’ es, mein Verbrechen

Ist der schärfsten Strafe wert,

Und du magst ein Urteil sprechen,

10

Wie dein Wille nur begehrt;

Dennoch würd’ ich zu den Füssen

Deiner Gnade danken müssen.

Aber weil ihr Himmelskinder

Eurem Vater ähnlich seid,

15

Welcher auch die gröbsten Sünder

Seines Eifers oft befreit,

Ach, so werden meine Zähren

Deinen Zorn in Liebe kehren.

Gönne mir nur dieses Glücke,

20

Bald mit dir versöhnt zu sein,

Bis nach manchem kalten Blicke

Deiner Augen Sonnenschein

Mir und meiner Hoffnung lache

Und mich endlich kühner mache.

291
3
Die verworfene Liebe.

Ich habe genug!

Lust, Flammen und Küsse

Sind giftig und süsse

Und machen nicht klug;

5

Komm, selige Freiheit, und dämpfe den Brand,

Der meinem Gemüte die Weisheit entwandt.

Was hab’ ich gethan!

Jetzt seh’ ich die Triebe

Der thörichten Liebe

10

Vernünftiger an;

Ich breche die Fessel, ich löse mein Herz

Und hasse mit Vorsatz den zärtlichen Schmerz.

Was quält mich vor Reu’?

Was stört mir vor Kummer

15

Den nächtlichen Schlummer?

Die Zeit ist vorbei.

O köstliches Kleinod, o teurer Verlust!

O hätt’ ich die Falschheit nur eher gewusst!

Geh, Schönheit, und fleuch!

20

Die artigsten Blicke

Sind schmerzliche Stricke.

Ich merke den Streich,

Es lodern die Briefe, der Ring bricht entzwei

Und zeigt meiner Schönen: Nun leb’ ich recht frei.

25

Nun leb’ ich recht frei

Und schwöre von Herzen,

Dass Küssen und Scherzen

Ein Narrenspiel sei;

Denn wer sich verliebet, der ist wohl nicht klug;

30

Geh, falsche Sirene, ich habe genug!

4
An Leonoren.
Als er sie einer beständigen Liebe versicherte.

Treuer Sinn,

Wirf den falschen Kummer hin.

Lass den Zweifel der Gedanken

Nicht mit meiner Liebe zanken,

5

Da ich längst dein Opfer bin.

Glück und Zeit

Hasset die Beständigkeit;

Doch das Feuer, so ich fühle,

Hat die Ewigkeit zum Ziele

10

Und verblendet selbst den Neid.

Meine Glut

Leidet keinen Wankelmut;

Eher soll die Sonn’ erfrieren,

Als die Falschheit mich verführen,

15

Eher löscht mein eigen Blut.

Grab und Stein

Adeln selbst mein Redlichsein.

Bricht mir gleich der Tod das Herze,

So behält die Liebeskerze

20

In der Asche doch den Schein.

5
An Leonoren.

Gedenk an mich und meine Liebe,

292

Du mit Gewalt entrissnes Kind,

Und glaube, dass die reinen Triebe

Dir jetzt und allzeit dienstbar sind,

5

Und dass ich ewig auf der Erde

Sonst nichts als dich verehren werde.

Gedenk an mich in allem Leiden

Und tröste dich mit meiner Treu!

Die Luft mag jetzt empfindlich schneiden,

10

Die Wetter gehn doch all vorbei,

Und nach dem ungeheuren Knallen

Wird auch ein fruchtbar Regen fallen.

Gedenk an mich in deinem Glücke,

Und wenn es dir nach Wunsche geht,

15

So setze nie den Freund zurücke,

Der bloss um dich in Sorgen steht!

Auch mir kann bei dem besten Leben

Nichts mehr als du Entzückung geben.

Gedenk an mich in deinem Sterben;

20

Der Himmel halte dies noch auf;

Doch sollen wir uns nicht erwerben,

Und zürnt der Sterne böser Lauf,

So soll mir auch das Sterbekissen

Die Hinfahrt durch dein Bild versüssen.

25

Gedenk an mich und meine Thränen,

Die dir so oft das Herz gerührt

Und die dich durch mein kräftig Sehnen

Zum ersten auf die Bahn geführt,

Wo Kuss und Liebe treuer Herzen

30

Des Lebens Ungemach verschmerzen.

Gedenk auch, endlich an die Stunde,

Die mir das Herz vor Wehmut brach,

Als ich, wie du, mit schwachem Munde

Die letzten Abschiedsworte sprach;

35

Gedenk an mich und meine Plagen!

Mehr will und kann ich jetzt nicht sagen.

6
An seine Leonore.

Bist du denn noch Leonore,

Der so manch verliebter Schwur

(Sinne nach, bei welchem Thore!)

Unter Kuss und Schmerz entfuhr,

5

Ach, so nimm die stummen Lieder

293

Eben noch mit dieser Hand,

Die mir ehmals Herz und Glieder

Mit der stärksten Reizung band.

Durch dein sehnliches Entbehren

10

Werd’ ich vor den Jahren grau,

Und der Zufluss meiner Zähren

Mehrt schon lange Reif und Tau;

Meine Schwachheit, mein Verbleichen

Und die Brust, so stündlich lechzt,

15

Wird des Kummers Siegeszeichen,

Der aus unsrer Trennung wächst.

Lust und Mut und Geist zum Dichten,

Feuer, Jugend, Ruhm und Fleiss

Suchen mit Gewalt zu flüchten

20

Und verlieren ihren Preis,

Weil der Zunder deiner Küsse

Meinen Trieb nicht mehr erweckt

Und die Führung harter Schlüsse

Ein betrübtes Ziel gesteckt.

25

Alle Bilder meiner Sinnen

Sind mir Ekel und Verdruss,

Da sie nichts als Gram gewinnen,

Weil ich dich noch suchen muss.

Nichts ergetzt mich mehr auf Erden

30

Als das Weinen in der Nacht,

Wenn es unter viel Beschwerden

Dein Gedächtnis munter macht.

Jedes Blatt von deinen Händen

Ist ein Blatt voll Klag’ und Weh,

35

Und ich kann es niemals wenden,

Dass kein Stich ans Herze geh’;

Die Versichrung leerer Zeilen

Giebt den Leibern wenig Kraft,

Welche Luft und Ort zerteilen.

40

O bedrängte Leidenschaft!

7
Die seufzende Geduld.

Morgen wird es besser werden,

Also seufzt mein schwacher Geist,

Den die Menge der Beschwerden

Über allen Abgrund reisst.

5

Aber ach, wenn bricht der Morgen

Und das Licht der Hoffnung an,

Da ich die so langen Sorgen

Nach und nach vergessen kann?

Sklaven auf den Ruderbänken

10

Wechseln doch mit Müh’ und Ruh’,

Dies mein unaufhörlich Kränken

Lässt mir keinen Schlummer zu.

Niemand klagt mein schweres Leiden,

Dies vergrössert Last und Pein.

15

Himmel, lass mich doch verscheiden,

Oder gieb mir Sonnenschein!

Will ich mich doch gerne fassen,

Wenn mich nur der Trost erquickt,

Dass dein ewiges Verlassen

20

Mich nicht in die Grube schickt.

294

LXII. BARTHOLD HEINRICH BROCKES

A writer of rather mediocre gifts who is of some historical importance as the pioneer in a new poetry of nature (1680-1747). He was the first to blend reverent emotion with very minute observation and description. His thesis—as oft reiterated in his many-volumed Earthly Pleasure in God—is that we ought to love nature because it is the wonderful and perfect work of an infinitely wise and good Creator. The selections follow Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 39.

1
Anmutige Frühlingsvorwürfe.

Ich höre die Vögel, ich sehe die Wälder,

Ich fühle das Spielen der kühlenden Luft,

Ich rieche der Blüte balsamischen Duft,

Ich schmecke die Früchte. Die fruchtbaren Felder,

5

Die glänzenden Wiesen, das funkelnde Nass

Der tauichten Tropfen, das wallende Gras

Voll lieblicher Blumen, das sanfte Gezische

Der mancherlei lieblich beblätterten Büsche,

Das murmelnde Rauschen der rieselnden Flut,

10

Der zitternde Schimmer der silbernen Fläche

Durch grünende Felder sich schlängender Bäche,

Der flammenden Sonne belebende Glut,

Die alles verherrlichet, wärmet und schmücket,

Dies alles ergetzet, erquicket, entzücket

15

Ein Auge, das Gott in Geschöpfen ersieht,

Ein Ohr, das den Schöpfer verstehet und höret,

Ein Herze, das Gott in den Wundern verehret,

Kein viehisch, nur einzig ein menschlich Gemüt.

2
Die Nachtigall und derselben Wettstreit gegen einander.

Im Frühling rührte mir das Innerste der Seelen

Der Büsche Königin, die holde Nachtigall,

Die aus so enger Brust und mit so kleiner Kehlen

Die grössten Wälder füllt durch ihren Wunderschall.

5

Derselben Fertigkeit, die Kunst, der Fleiss, die Stärke,

Verändrung, Stimm’ und Ton sind lauter Wunderwerke

295

Der wirkenden Natur, die solchen starken Klang

In ein paar Federchen, die kaum zu sehen, senket

Und einen das Gehör bezaubernden Gesang

10

In solche dünne Haut und zarten Schnabel schränket.

Ihr Hälschen ist am Ton so unerschöpflich reich,

Dass sie tief, hoch, gelind und stark auf einmal singet.

Die kleine Gurgel lockt und zischt und pfeift zugleich,

Dass sie wie Quellen rauscht, wie tausend Glocken klinget.

15

Sie zwitschert, stimmt und schlägt mit solcher Anmut an,

Mit solchem nach der Kunst gekräuselten Geschwirre,

Dass man darob erstaunt und nicht begreifen kann,

Ob sie nicht seufzend lach’, ob sie nicht lachend girre.

Ihr Stimmchen ziehet sich in einer hohlen Länge

20

Von unten in die Höh’, fällt, steigt aufs neu empor,

Und schwebt nach Mass und Zeit; bald drängt sich eine Menge

Verschiedner Tön’ aus ihr als wie ein Strom hervor.

Sie dreht und dehnt den Ton, zerreisst und fügt ihn wieder,

Singt sanft, singt ungestüm, bald klar, bald grob, bald hell.

25

Kein Pfeil verfliegt so rasch, kein Blitz verstreicht so schnell,

Die Winde können nicht so streng im Stürmen wehen,

Als ihre schmeichelnde verwunderliche Lieder

Mit wirbelndem Geräusch sich ändern, sich verdrehen.

Ein flötend Glucken quillt aus ihrer hohlen Brust,

30

Ein murmelnd Pfeifen labt der stillen Hörer Herzen;

Doch dies verdoppelt noch und mehrt die frohe Lust,

Wenn etwan ihrer zwo zugleich zusammen scherzen.

Die singt, wenn jene ruft; wann diese lockt, singt jene

Mit solch anmutigem bezaubernden Getöne,

35

Dass diese wiederum aus Missgunst, als ergrimmt,

In einen andern Ton die schlanke Zunge stimmt.

Die andre horcht indes und lauscht voll Unvergnügen,

Ja fängt zu ihres Feinds und Gegensängers Hohn,

Um durch noch künstlichern Gesang ihn zu besiegen,

40

Von neuem wieder an in solchem scharfen Ton,

Mit solchem feurigen, empfindlich hellen Klang,

Mit solch gewaltigem oft wiederholtem Schlagen,

Dass so durchdringenden und heftigen Gesang

296

Das menschliche Gehör kaum mächtig zu ertragen.

45

Wer nun so süssen Ton im frohen Frühling hört

Und nicht des Schöpfers Macht voll Brunst und Andacht ehrt,

Der Luft Beschaffenheit, das Wunder unsrer Ohren

Bewundernd nicht bedenkt, ist nur umsonst geboren

Und folglich nicht der Luft, nicht seiner Ohren wert.

3
Frühlingsbetrachtungen.

Mich erquicken,

Mich entzücken

In der holden Frühlingszeit

Alle Dinge, die ich sehe,

5

Da ja, wo ich geh’ und stehe,

Alles voller Lieblichkeit.

Durch der grünen Erde Pracht,

Durch die Blumen, durch die Blüte

Wird durchs Auge mein Gemüte

10

Recht bezaubernd angelacht.

Die gelinden lauen Lüfte

Voller balsamreicher Düfte

Treibt des holden Zephyrs Spiel

Zum Geruch und zum Gefühl.

15

Auf den glatten Wellen wallen

Wie auf glänzenden Krystallen

Im beständig regen Licht

Tausend Strahlen, tausend Blitze,

Und ergetzen das Gesicht,

20

Sonderlich wenn selbe zwischen

Noch nicht dick bewachs’nen Büschen

Und durch junge Weiden glimmen.

Kleine Lichter, welche schwimmen

Auf dem Laub und auf der Flut

25

Bald in weiss-, bald blauer Glut,

Treffen mit gefärbtem Scherz

Durch die Augen unser Herz.

Seht die leichten Vögel fliegen,

Höret, wie sie sich vergnügen,

30

Seht, wie die beblümten Hecken

Ihr geflochtnes Nest verstecken!

Schlüpfet dort nach seinem Neste

Ein verliebt und emsigs Paar,

Hüfpet hier durch Laub und Äste

35

Eine bunt gefärbte Schar.

Seht, wie sie die Köpfchen drehn

Und des Frühlings Pracht besehn,

Hört, wie gurgeln sie so schön!

Höret, wie sie musicieren!

40

Lass dich doch ihr Beispiel rühren,

Liebster Mensch, lass dem zu Ehren,

Der die Welt so schön geschmückt

Und durch sie dich fast entzückt,

Auch ein frohes Danklied hören!

297

LXIII. JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHED

A Leipzig scholar (1700-1766) who, as professor in the university, author of text-books, editor of journals, and reformer of the local stage, won a great though transitory prestige. He was a stedfast champion of clarity, regularity, and good taste, laid great stress on probability and reasonableness, and held that a strict observance of the three unities was essential in tragedy. His advocacy of French forms and taste led to a sharp controversy with the Swiss school of Bodmer, who looked rather to English models. Gottsched’s Cato met with great success on the stage, but now seems cold and mechanical. His critical views can best be studied in the Critische Dichtkunst, from which a selection is given according to the second edition, of 1737.

From the ‘Critical Poetics,’ Part II, Chapter 10.

§ 11. Wie eine gute tragische Fabel gemacht werden müsse, das ist schon im vierten Hauptstücke des ersten Theils einiger maassen gewiesen worden. Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: Und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ungefehr gleich gross sind, und ordnet sie so, dass natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fliesset: Bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so und nicht anders geheissen haben. Zum Exempel kann die oberwähnte Tragödie des Sophokles, oder auch mein Cato dienen. Der Poet wollte dort zeigen, dass Gott auch die Laster, so unwissend begangen werden, nicht ungestraft lasse. Hierzu ersinnt er nun eine allgemeine Fabel, die etwa so lautet:

§ 12. Es war einmal ein Prinz, wird es heissen, der sehr viel gute Eigenschaften an sich hatte, aber dabey verwegen, argwöhnisch und neugierig war. Dieser hatte einmal, vor dem Antritte seiner Regierung, auf freyem Felde einen Mord begangen; ohne zu wissen, dass er seinen eigenen Vater erschlagen hatte. Durch seinen Verstand bringet 298 er sich in einem fremden Lande in solches Ansehen, dass er zum Könige gemacht wird, und die verwittibte Königinn heurathet, ohne zu wissen, dass selbige seine eigene Mutter ist. Aber dieses alles geht ihm nicht für genossen aus. Seine Laster kommen ans Licht, und es treffen ihn alle die Flüche, die er selbst auf den Mörder seines Vorfahren im Regimente ausgestossen hatte. Er wird des Reiches entzetzet, und ins Elend getrieben, nachdem er sich selbst aus Verzweifelung der Augen beraubet hatte. Zu dieser allgemeinen Fabel nun findet Sophokles in den alten thebanischen Geschichten den Oedipus geschickt. Er ist ein solcher Prinz, als die Fabel erfordert: Er hat unwissend einen Vatermord und eine Blutschande begangen. Er ist dadurch auf eine Zeitlang glücklich geworden: Allein die Strafe bleibt nicht aus; sondern er muss endlich alle die Wirkungen seiner unerhörten Laster empfinden.

§ 13. Diese Fabel ist nun geschickt, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, und also die Gemüthsbewegungen der Zuschauer auf eine der Tugend gemässe Weise zu erregen. Man sieht auch, dass der Chor in dieser Tragödie dadurch bewogen wird, recht erbauliche Betrachtungen, über die Unbeständigkeit des Glückes der Grossen dieser Welt, und über die Schandbarkeit seiner Laster anzustellen, und zuletzt in dem Beschlusse die Thebaner so anzureden: Ihr Einwohner von Theben, sehet hier den Oedipus, der durch seine Weisheit Räthsel erklären konnte, und an Tapferkeit alles übertraf; ja der seine Hohheit sonst keinem, als seinem Verstande und Heldenmuthe zu danken hatte: Seht, in was für schreckliche Trübsalen er gerathen ist; und wenn ihr dieses unselige Ende desselben erweget, so lernt doch niemanden für glücklich halten, bis ihr ihn seine letzte Stunde glücklich habt erreichen gesehen.

§ 14. Eine solche Fabel nun zu erdichten, sie recht wahrscheinlich einzurichten, und wohl auszuführen, das ist das allerschwerste in einer Tragödie. Es hat viele Poeten gegeben, die in allem andern Zubehör des Trauerspiels, in den Charactern, in dem Ausdrucke, in den Affecten u.s.w. glücklich gewesen: Aber in der Fabel ist es sehr wenigen gelungen. Das macht, dass dieselbe eine dreyfache Einheit haben muss, wenn ich so reden darf: Die Einheit der Handlung, der Zeit, und des Ortes. Von allen dreyen müssen wir insonderheit handeln.

299 § 15. Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabsicht, nemlich einen moralischen Satz: Also muss sie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwegen alles übrige vorgehet. Die Nebenhandlungen aber, die zur Ausführung der Haupthandlung gehören, können gar wohl andre moralische Wahrheiten in sich schliessen: Wie zum Exempel in Oedipus die Erfüllung der Orakel, daruber Iocasta vorher gespottet hatte, die Lehre giebt: Dass die göttliche Allwissenheit nicht fehlen könne. Alle Stücke sind also tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen bestehen, davon keine die vornehmste ist. Ich habe dergleichen im Jahr 1717 am Reformationsfeste in einer Schulcomödie vorstellen gesehen, wo der Inhalt der Aeneis Virgilii, und die Reformation Lutheri zugleich vorgestellet wurde. In einem Auftritte war ein Trojaner, in dem andern der Ablasskrämer Tetzel zu sehen. Bald handelte Aeneas von der Stiftung des römischen Reichs, bald kam Lutherus und reinigte die Kirche. Bald war Dido, bald die babylonische Hure zu sehen u.s.w. Und diese beyde so verschiedene Handlungen hiengen nicht anders zusammen, als durch eine lustige Person, die zwischen solchen Vorstellungen auftrat, und z.E. den auf der See bestürmten Aeneas mit dem in Gefahr schwebenden Kirchenschifflein verglich. Das ist nun ein sehr handgreiflicher Fehler, wo zwey so verschiedene Dinge zugleich gespielet werden. Allein die andern, so etwas unmerklicher sind, verdienen deswegen keine Entschuldigung.

§ 16. Die Einheit der Zeit ist das andre, so in der Tragödie unentbehrlich ist. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monate dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen: Aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden lebendig vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht, das ist einen Tag, dauren. Denn was hat es für eine Wahrscheinlichkeit, wenn man in dem ersten Auftritte den Helden in der Wiege, weiter hin als einen Knaben, hernach als einen Jüngling, Mann, Greis, und zuletzt gar im Sarge vorstellen wollte: Wie Cervantes solche thörichte Schauspiele an seinen spanischen Poeten im Don Quixote ausgelachet hat. Oder wie ist es wahrscheinlich, dass man es auf der Schaubühne etlichemal Abend werden sieht, und doch selbst, ohne zu essen oder zu trinken, oder zu schlafen, immer auf einer Stelle sitzen bleibt? Die besten 300 Fabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nöthig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drey oder vier Stunden: Und so sind die Fabeln der meisten griechischen Tragödien beschaffen. Kömmt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht, oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe: Und höher muss es ein Poet nicht treiben; wenn er nicht wieder die Wahrscheinlichkeit handeln will.

§ 17. Es müssen aber diese Stunden bey Tage, und nicht bey Nacht seyn, weil diese zum Schlafen bestimmet ist: Es wäre denn dass die Handlung entweder in der Nacht vorgegangen wäre, oder erst nach Mittag anfienge, und sich bis in die späte Nacht verzöge; oder umgekehrt frühmorgens angienge, und bis zu Mittage daurete. Der berühmte Cid des Corneille läuft in diesem Stücke wieder die Regeln, denn er dauret eine ganze Nacht durch, nebst dem vorigen und folgenden Tage, and braucht wenigstens volle vier und zwanzig Stunden: Welches schon viel zu viel ist, und unerträglich seyn würde, wenn das Stück nicht sonst viel andre Schönheiten in sich hätte, die den Zuschauern fast nicht Zeit liessen, daran zu gedenken. Das ist nun eben die Kunst, die Fabel so ins kurze zu bringen, dass keine lange Zeit dazu gehöret; und eben deswegen sind auch bey uns Deutschen die Tragödien vom Wallenstein, von der Banise, ingleichen von der böhmischen Libussa ganz falsch und unrichtig: Weil sie zum Theil etliche Monate, zum Theil aber viele Jahre zu ihrer Dauer erfordern. Meine obrige Schultragödie hub sich von dem Urtheile des Paris über die drey Göttinnen an, und daurete bis auf des Aeneas Ankunft in Italien. Das war nun eine Zeit, davon die zwey Heldengedichte, Ilias und Aeneis, nicht den zwanzigsten Theil einnehmen, und ich zweifle, ob man die Ungereimtheit höher hätte treiben können.

§ 18. Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: Folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. So ist im Oedipus, z.E. der Schauplatz auf dem Vorhofe des königlichen thebanischen Schlosses, darinn Oedipus wohnt. Alles, was in der ganzen Tragödie vorgeht, das geschieht vor diesem Pallaste: Nichts was man wirklich sieht, trägt sich in den Zimmern zu, sondern draussen auf dem Schlossplatze, vor 301 den Augen alles Volks. Heute zu Tage, da unsre Fürsten alles in ihren Zimmern verrichten, fällt es also schwerer, solche Fabeln wahrscheinlich zu machen. Daher nehmen denn die Poeten gemeiniglich alte Historien dazu, oder sie stellen uns auch einen grossen Audienzsaal vor, darinn vielerley Personen auftreten können. Ja sie helfen sich auch zuweilen mit dem Vorhange, den sie fallen lassen und aufziehen, wenn sie zwey Zimmer zu der Fabel nöthig haben. Man kann also leicht denken, wie ungereimt es ist, wenn, nach dem Berichte des Cervantes, die spanischen Trauerspiele den Helden in dem ersten Aufzuge in Europa, in dem andern in Africa, in dem dritten in Asien, und endlich gar in America vorstellen: Oder, wenn meine obgedachte Schulcomödie uns bald in Asien die Stadt Troja, bald die ungestüme See, darauf Aeneas schiffet, bald Carthago, bald Italien vorstellete, und uns also durch alle drey Theile der damals bekannten Welt, führete, ohne dass wir uns von der Stelle rühren dorften. Es ist also in einer regelmässigen Tragödie nicht erlaubt, den Schauplatz zu ändern. Wo man ist, da muss man bleiben; und daher auch nicht in dem ersten Aufzuge im Walde, in dem andern in der Stadt, in dem dritten im Kriege und in dem vierten in einem Garten, oder gar auf der See seyn; Das sind lauter Fehler wieder die Wahrscheinlichkeit: Eine Fabel aber, die nicht wahrscheinlich ist, taugt nichts, weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist.

LXIV. JOHANN JAKOB BODMER

A Swiss scholar (1698-1783) who is important as the first notable champion of English literature, and also as the pioneer editor of medieval poetry. In 1721 he began, with a group of Zürich friends, the publication of Discourse der Mahlern, a literary magazine for which the English Spectator served as a model. A defense of Milton, published in 1740, brought on the controversy with Gottsched. In the course of his long life Bodmer wrote vast quantities of didactic verse, also epics and tragedies, which are now forgotten, his theory of poetry having been better than his practice. His fragmentary and uncritical editions of Wolfram’s Parzival, the Nibelung Lay, and the Minnesingers (1753-59) are the earliest attempts to arouse interest in the forgotten poetry of the despised Middle Ages. The selection is from the Discourse der Mahlern, following Bächtold and Vetter’s reprint in Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Zürich, 1887.

Infinitive forms with attached “zu”—zuunterscheiden, zufixieren, zumachen, zuloben—are standard in this author.

302
From ‘Discourses of the Painters,’ Part I, No. 19; Importance of the Imagination.

Eine Imagination, die sich wol cultiviert hat, ist eines von den Haupt-Stücken, durch welche sich der gute Poet von dem gemeinen Sänger unterscheidet, massen die reiche und abändernde Dichtung, die ihr Leben und Wesen eintzig von der Imagination hat, die Poesie von der Prosa hauptsächlich unterscheidet. Dass Opitz den Rang vor Menantes1 pretendieren kan, geben ihm das Recht diese schönen und abwechselnde Bildnissen, die er gemachet hat, und in welchen er die Natur mit denen Farben und in der Gestalt gemahlet hat, die ihr eigen sind. Ich bediene mich mit Fleisse dieser Metaphora, die ich von den Mahlern entlehne, denn die erste und eintzige Regel, welche ein jedweder Schreiber und Redner, es seye in gebundener oder ungebundener Rede, nachzufolgen hat, und welche ihm mit den Mahlern gemein ist, die ist diese, dass er das Natürliche nachspüre und copiere; alle diese andere Regeln, dass er anmuthig, delicat, hoch schreibe, sind in dieser eingeschlossen und fliessen daraus ab. Wenn er von einer jeden Sache dasjenige saget, was ein curieuser Sinn davon wahrnimmt, wenn er nichts davon verfliegen lässt, das sie dienet von andern Sachen zuunterscheiden, und wenn er mit solchen angemessenen Worten davon redet, welche mir eben dieselben Ideen davon erwecken, so sage ich dass er natürlich schreibe; wenn er denn von einer anmuthigen Sache natürlich schreibet, so kan ich sagen, dass sein Stylus anmuthig ist; schreibet er von einer Delicatesse natürlich, so wird der Stylus delicat, und er wird hoch, wenn er von einer Sache natürlich redet, welche die Menschen bewundern und gross nennen. Weil nun Opitz natürlicher, und welches nichts anders saget, annehmlicher, delicater und höcher ist, als Menantes, so heisst er mir auch ein besserer Poet als Menantes. Dass aber Opitz natürlicher dichtet als der andere, ist dieses die Ursache, weil er die Imagination mehr poliert und bereichert hat als dieser; Opitz hat, nemlich, nicht allein mehr Sachen durch die eigene Erfahrung und die Lesung in seine Imagination zusammengetragen, sondern er hat noch an denjenigen Sachen, die ihm aufgestossen, und die Hunolden vielleicht auch in die Sinnen gefallen, mehrere Seiten und Differenzien wahrgenommen, er hat sie von einer Situation angeschauet, von welcher sie ihm besser 303 in die Imagination gefallen sind, und er hat sich länger darüber aufgehalten, indem er sie mit einer sorgfältigern Curiosität betrachtet und durchgesuchet hat. Also hat er erstlich eine nähere und vollkommnere Kenntniss der Objecten erworben, und hernach hat er eben darum auch gewissere und vollkommnere Beschreibungen machen können, in welchen die wahre Proportion und Eigenschafften der Sachen bemercket, und derselben Seiten ohne Ermangeln abgezehlet worden.

Ihr erkennet aus diesem die Nothwendigkeit, und was es contribuiert natürlich schreiben zu lernen, dass ein Schüler der Natur sich wisse über den aufstossenden Objecten zufixieren, und sie in einer solchen Postur anzuschauen, in welcher ihm kein Theil und keine Seiten derselben kan verborgen bleiben; er muss so nahe zu derselben tretten, und die Augen so wol offen behalten, dass ihm weder die allzuweite Entfernung sie kleiner machet, noch die Nähe mit einem Nebel überziehet. Wenn ich jetz ferner untersuche, warum Opitz die Imagination freyer und ungebundener bewahret, und die Distractionen ausgewichen habe, welche Hunolden die Menge der Objecten und andere Umstände erwecket haben, so finde ich keine andere Ursache, als weil Opitz von diesen belebten Seelen gewesen, welche weit zärtlichern und hitzigern Affecten unterworffen sind, und viel geschwinder Feuer, oder dass ich ohne Metaphora rede, Liebe für ein Objectum fangen, als andere unachtsame und dumme Leute; denn es ist im übrigen gewiss, dass wir uns um eine Sache, für die wir passioniert sind, weit mehr interessieren, und weit mehr Curiositet und Fleiss haben, sie anzuschauen, folglich auch die Imagination damit mehr anfüllen, als wir bey einem Objecte thun, für das wir indifferent sind. Ein Amant wird von der Schönheit seiner Buhlschäfft eine ähnlichere und natürlichere Beschreibung machen, als ein jedweder andrer, dem sie nicht so starck an das Hertze gewachsen ist. Ihr werdet einen Affect allezeit natürlicher ausdrücken, den ihr in dem Hertzen fühlet, als den ihr nur simulieret. Die Leidenschafft wird euch im ersten Fall alle Figuren der Rhetoric auf die Zunge legen, ohne dass ihr sie studieret. Zertheilet und erleset die Harangue einer Frauen, die ihre Magd von Hertzen ausschiltet, ihr werdet es also finden. Wenn auf diese Weise die Imagination von der Passion begleitet wird, alsdann ist sie im Stande sich ohne Distraction über 304 ein Objecte aufzuhalten, und sich die Natur, Gestalt und Grösse desselben bekandt zumachen; und dieses ist die Manier, die sie brauchet, sich auszuschmücken und zu bereichern.

Erst ein solcher Schreiber der, wie unser Opitz, die Imagination mit Bildern der Sachen bereichert und angefüllet hat, kan lebhaft und natürlich dichten. Er kan die Objecte, die er einmal gesehen hat, so offt er will, wieder aus der Imagination holen, sie wird ihn gleichsam auf die Stelle zurück führen, wo er dieselben antreffen kan. Er seye in sein Cabinet eingeschlossen, und werde von keinen andern Gegenständen umgeben, als von einem Hauffen Bücher, so wird sie ihm eine hitzige Schlacht, eine Belägerung, einen Sturm, einen Schiffbruch, etc. in derselben Ordnung wieder vormahlen, in welcher sie ihm vormahls vor dem Gesicht gestanden sind. Dieselbe wird alle die Affecte, die ihn schon besessen haben, in ihm wieder rege machen, und ihn davon erhitzen, nicht anderst als wenn er sie wirklich in der Brust fühlte. Es seye, dass er in dem Schatten einer ausgespannten Eiche sitzet, von allen Neigungen der Liebe, des Mitleidens, der Traurigkeit, des Zorns, frey und unbeweget, so bringet ihm doch die Stärke seiner Imagination alle die Ideen wieder zurück, die er gehabt hat, als er wircklich verliebt, mitleidend, betrübt, erzörnt gewesen, sie setzet ihn in einen eben so hitzigen Stande, als er damahlen gestanden ware, und ruffet ihm dieselbe Expressionen wieder zurück, welcher er sich zur selben Zeit bedienet. Will er eine Dame glauben machen, dass sie schön seye, und dass er sie liebe; will er einen Todten beweinen, der ihn vielleichte nichts angehet; will er einen erdichteten Zorn ausstossen, so weiss er die Stellungen und die Worte derer Leuten, die in der That mit diesen Passionen angefüllet sind, lebendig nachzumachen.


Diese vornehme Poeten, die ich niemals müde werde zuloben, lassen das Hertze reden, man kan sagen, dass Amor ihnen ihre Verse in die Feder geflösset hat, wenn sie von der Liebe, und Mars wenn sie von dem Kriege singen. Sie zwingen uns die Affecte anzunehmen, welche sie wollen, wir lachen, wir werden stoltz, wir förchten uns, wir erschrecken, wir betrüben uns, wir weinen, wenn es ihnen gefällt; aber auch die traurigen Affecte, die sie in uns rege machen, werden von einem gewissen Ergetzen begleitet, das damit vermenget ist.

305 Ich belache diese fantastische Schüler der Reim-Kunst, welche sich eine Chimerische Maitresse bey einem frostigen Hertzen, und einer noch kälteren Imagination machen, welche von Brand und Feuer mit den kältesten Expressionen reden, in der Metaphora sterben, sich hencken, sich zu tode stürtzen, derer passioniertste Complimente, die sie ihrer Liebsten machen, Spiele der Wörtern, und der truckenen Imagination sind, Phebus, Galimathias, etc.

Es bleibet mir übrig, euch mit wenigen Worten zuerklären, was es eigentlich seye, das die Poeten figürlich ihren Enthusiasmum, ihre Inspiration, oder auch ihre Poetische Raserey nennen. Diese Worte bedeuten nichts anders, als die hefftige Passion, mit welcher ein Poet für die Materie seines Gedichtes eingenommen ist, oder die gute Imagination, durch welche er sich selbst ermuntern, und sich eine Sache wieder vorstellen, oder einen Affect annehmen kan, welchen er will. Wenn er also erhitzet ist, so wachsen ihm, so zusagen, die Worte auf der Zungen, er beschreibet nichts als was er siehet, er redet nichts als was er empfindet, er wird von der Passion fortgetrieben, nicht anderst als ein Rasender, der ausser sich selbst ist, und folgen muss, wohin ihn seine Raserey führet.

1. Menantes, pseudonym of Christian Friedrich Hunold (1680-1721).

LXV. ALBRECHT HALLER

A Swiss writer (1708-1777) who in his youth won fame as a poet, afterwards much greater fame as a man of science. In 1732, after he had taken his degree in medicine at Leyden, and had visited England and France, he published a small collection of poems entitled Versuch Schweizerischer Gedichten. They are characterized by moral fervor, trenchant thought, and sententious pregnancy of expression—a new combination up to that time. Haller is at his best in The Alps, which, notwithstanding its abundant description, is not so much a landscape poem as a philosophic eulogy of the simple life. The text below follows Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, III. 20.

From ‘The Alps’: Stanzas 1-14.

Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,

Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;

Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,

Theilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;

5

Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,

306

Speist Tunkins Nest1 aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,

Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,

Räumt Klippen aus der Bahn, schliesst Länder ein zur Jagd;

Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben

10

Ihr werdet arm im Glück, im Reichthum elend bleiben!

Wann Gold und Ehre sich zu Clios Dienst verbinden,

Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn.

Der Dinge Werth ist das, was wir davon empfinden;

Vor seiner theuren Last flieht er zum Tode hin.

15

Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?

Der Zepter eckelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.

Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht quälet,

Die Schaar, die um ihn wacht, hält den Verdruss nicht ab.

Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,

20

Entschläft der minder sanft, der nicht auf Eidern lieget?

Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,

O, dass der Himmel dich so zeitig weggerückt!

Nicht, weil die junge Welt in stätem Frühling blühte,

Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;

25

Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckte

Und Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;

Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden schreckte,

Und ein verirrtes Lamm bei Wolfen sicher schlief;

Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluss nicht zählte,

30

Ihm Nothdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!

Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten!

Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;

Wer misst den äussern Glanz scheinbarer2 Eitelkeiten,

Wann Tugend Müh zur Lust und Armuth glücklich macht?

35

Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen,

Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;

Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,

307

Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal;

Doch eurer Sitten Werth hat alles das verbessert,

40

Der Elemente Neid hat euer Glück vergrössert.

Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,

Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;

Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armuth selbst zum Glücke,

Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.

45

Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,

War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus;

Als aber ihm das Maass von seinem Reichthum fehlte,

Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus.

Du aber hüte dich, was grössers zu begehren;

50

So lang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand währen.

Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,

Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt3;

Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,

Weil sich die Menschen selbst die grössten Plagen sind.

55

Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,

Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;

Der Berge tiefer Schacht giebt dir nur schwirrend4 Eisen,

Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du.

Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,

60

Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.

Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!

Der Reichthum hat kein Gut, das eurer Armuth gleicht;

Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemüthern,

Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;

65

Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,

Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;

Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,

Die, was ihr nöthig, sucht und mehrers hält für Last.

Was Epictet gethan und Seneca geschrieben,

70

Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen lieben.

308

Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,

Der Tugend unterthan und Laster edel macht;

Kein müssiger Verdruss verlängert hier die Stunden,

Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;

75

Hier lässt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,

Des morgens Sonne frisst des heutes Freude nie.

Die Freiheit theilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,

Mit immer gleichem Maass Vergnügen, Ruh und Müh;

Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,

80

Man isst, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke

Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,

Man misst die Strassen nicht zu Rom und zu Athen,

Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,

Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.

85

O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?

Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;

Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,

Sein künstlicher Geschmack beeckelt seinen Stand;

Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,

90

Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.

Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,

Die Thränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;

Das Leben rinnt dahin, in ungestörtem Frieden,

Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.

95

Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,

Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke roth.

Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,

Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.

Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden

100

Dem unverdrossnen Volk nicht ohne Müh entwunden.

Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen,

Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,

So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,

Wo Kunst und Anmuth sich um Lieb und Lob bemüht.

105

Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem Spiele

309

Umwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.

Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,

Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.

Den aber führt die Lust, was edlers zu beginnen,

110

Zu einer muntern Schaar von jungen Schäferinnen.

Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weisse,

Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen Jetzt durchbohrt;

Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleisse

Nach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.

115

Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Händen

In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schallmei,

Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Tacte wenden,

So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.

Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,

120

Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.

Denn hier, wo die Natur allein Gesetze giebet,

Umschliesst kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.

Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,

Verdienst macht alles werth und Liebe macht es gleich.

125

Die Anmuth wird hier auch in Armen schön gefunden,

Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,

Die Ehrsucht theilet nie, was Werth und Huld verbunden,

Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:

Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,

130

Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.

So bald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,

Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,

So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht gebunden,

Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn rührt;

135

Sie hört ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,

So sagt sie, was sie fühlt, und thut, wornach sie strebt;

Dann zarte Regung dient den Schönen nicht zum Hohne,

Die aus der Anmuth fliesst und durch die Tugend lebt.

Verzüge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,

140

Der Hochmuth hat euch nur zu unsser Qual geschaffen!

1. Tunkins Nest, the edible birds’-nests of Tonkin, as a type of imported luxury.

2. Scheinbarer = glänzender.

3. Errinnt = geht auf.

4. Schwirrend = klirrend, ‘clanking,’ or possibly with reference to the ‘whizzing’ of iron missiles.

310

LXVI. EWALD VON KLEIST

A Prussian soldier-poet (1715-1759) who fell at the battle of Kunersdorf. His temperament and the circumstances of his early life disposed him to melancholy; so that he readily came under the spell of Haller, Thomson, and the other poets who extolled nature and the simple life as a refuge from the badness of civilization. His best known production is the fragment called Spring (1749), in which fine passages of personal feeling are interwoven with detailed descriptions that are sometimes a little tedious. The text follows Muncker’s edition in Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 45.

1
Das Landleben.

O Freund,1 wie selig ist der Mann zu preisen,

Dem kein Getümmel, dem kein schwirrend Eisen,

Kein Schiff, das Beute, Mast und Bahn verlieret,

Den Schlaf entführet!

5

Der nicht die Ruhe darf in Berge senken,

Der fern von Purpur, fern von Wechselbänken,

In eignen Schatten, durch den West gekühlet,

Sein Leben fühlet.

Er lacht der Schlösser, von Geschütz bewachet,

10

Verhöhnt den Kummer, der an Höfen lachet,

Verhöhnt des Geizes in verschlossnen Mauren

Törichtes Trauren.

Sobald Aurora, wenn der Himmel grauet,

Dem Meer entsteigend, lieblich abwärts schauet,

15

Flieht er sein Lager, ohn’ verzärtelt Schmücken,

Mit gleichen Blicken.

Er lobt den Schöpfer, hört ihm Lerchen singen,

Die durch die Lüfte sich dem Aug entschwingen,

Hört ihm vom Zephyr, lispelnd auf den Höhen,

20

Ein Loblied wehen.

311

Er schaut auf Rosen Tau wie Demant blitzen;

Schaut über Wolken von der Berge Spitzen,

Wie schön die Ebne, die sich blau verlieret,

Flora gezieret.

25

Bald zeigt sich fliehend auf des Meeres Rücken

Ein Schiff von weitem den nachfliehnden Blicken,

Das sie erst lange gleichsam an sich bindet

Und dann verschwindet.

Bald sieht er abwärts, voller Glanz und Prangen,

30

Noch einen Himmel in den Fluten hangen,

Noch eine Sonne Amphitritens Grenzen

Grundaus durchglänzen.

Er geht in Wälder, wo an Schilf und Sträuchen

Im krummen Ufer Silberbäche schleichen,

35

Wo Blüten duften, wo der Nachtigallen

Lustlieder schallen.

Jetzt propft er Bäume, leitet Wassergräben,

Schaut Bienen schwärmen, führt an Wänden Reben;

Jetzt tränkt er Pflanzen, zieht von Rosenstöcken

40

Schattende Hecken.

Eilt dann zur Hütten, (da kein Laster thronet,

Die Ruh’ und Wollust unsichtbar bewohnet,)

Weil seine Doris, die nur Liebreiz schminket,

Ihm freundlich winket.

45

Kein Knecht der Krankheit mischt für ihn Gerichte;

Unschuld und Freude würzt ihm Milch und Früchte.

Kein bang Gewissen zeigt ihm Schwert und Strafe

Im süssen Schlafe.

Freund, lass uns Golddurst, Stolz und Schlösser hassen,

50

Und Kleinigkeiten Fürsten überlassen!

Mein Lange2 ruft uns, komm zum Sitz der Freuden

In seine Weiden!

312
2
From ‘Spring’: Lines 31-97

Ihr, deren zweifelhaft Leben gleich trüben Tagen des Winters

Ohn’ Licht und Freude verfliesst, die ihr in Höhlen des Elends

Die finstern Stunden verzeufzt, betrachtet die Jugend des Jahres!

Dreht jetzt die Augen umher, lasst tausend farbichte Scenen

35

Die schwarzen Bilder verfärben! Es mag die niedrige Ruhmsucht,

Die schwache Rachgier, der Geiz und seufzender Blutdurst sich härmen;

Ihr seid zur Freude geschaffen, der Schmerz schimpft Tugend und Unschuld.

Saugt Lust und Anmut in euch! Schaut her, sie gleitet im Luftkreis

Und grünt und rieselt im Thal. Und ihr, ihr Bilder des Frühlings,

40

Ihr blühenden Schönen, flieht jetzt den atemraubenden Aushauch

Von güldnen Kerkern der Städte! Kommt, kommt in winkende Felder!

Kommt, überlasset dem Zephyr die kleinen Wellen der Locken,

Seht euch in Seen und Bächen, gleich jungen Blumen des Ufers!

Pflückt Morgentulpen voll Tau, und ziert den wallenden Busen!

45

Hier, wo das hohe Gebirge, bekleidet mit Sträuchen und Tannen,

Zur Hälfte den bläulichen Strom, sich drüber neigend, beschattet,

Will ich ins Grüne mich setzen auf seinen Gipfel und um mich

Thal und Gefilde beschauen. O, welch ein frohes Gewühle

Belebt das streifichte Land! Wie lieblich lächelt die Anmut

50

Aus Wald und Büschen hervor! Ein Zaun von blühenden Dornen

Umschliesst und rötet ringsum die sich verlierende Weite,

Vom niedrigen Himmel gedrückt. Von bunten Mohnblumen laufen,

Mit grünem Weizen versetzt, sich schmälernde Beete ins Ferne,

Durchkreuzt von blühendem Flachs. Feldrosen-Hecken und Schlehstrauch,

55

In Blüten gleichsam gehüllt, umkränzen die Spiegel der Teiche

Und sehn sich drinnen. Zur Seite blitzt aus dem grünlichen Meere

Ein Meer voll güldner Strahlen durch Phöbus’ glänzenden Anblick.

Es schimmert sein gelbes Gestade von Muscheln und farbichten Steinen,

Und Lieb’ und Freude durchtaumelt in kleiner Fische Geschwadern

313 60

Und in den Riesen des Wassers die unabsehliche Fläche.

Auf fernen Wiesen am See stehn majestätische Rosse;

Sie werfen den Nacken empor und fliehn und wiehern vor Wollust,

Dass Hain und Felsen erschallt. Gefleckte Kühe durchwaten,

Geführt vom ernsthaften Stier, des Meierhofs büschichte Sümpfe,

65

Der finstre Linden durchsieht. Ein Gang von Espen und Ulmen

Führt zu ihm, welchen ein Bach durchblinkt, in Binsen sich windend,

Von Reihern und Schwänen bewohnt. Gebirge, die Brüste der Reben,

Stehn fröhlich um ihn herum; sie ragen über den Buchwald,

Des Hügels Krone, davon ein Teil im Sonnenschein lächelt

70

Und glänzt, der andere trau’rt im Flor vom Schatten der Wolken.

Die Lerche steigt in die Luft, sieht unter sich Klippen und Thäler;

Entzückung tönet aus ihr. Der Klang des wirbelnden Liedes

Ergetzt den ackernden Landmann. Er horcht eine Weile; dann lehnt er

Sich auf den gleitenden Pflug, zieht braune Felsen ins Erdreich.

75

Der Sämann schreitet gemessen, giesst gleichsam trockenen Regen

Von Samen hinter ihm her. —O, dass der mühsame Landwirt

Für sich den Segen nur streute! Dass ihn die Weinstöcke tränkten

Und in den Wiesen für ihn nur bunte Wogen sich wältzten!

Allein der frässige Krieg, vom zähnebleckenden Hunger

80

Und wilden Scharen begleitet, verheert oft Arbeit und Hoffnung.

Er stürmet rasend einher, zertritt die nährenden Halmen,

Reisst Stab und Reben zu Boden, entzündet Dörfer und Wälder

Für sich zum flammenden Lustspiel. Wie wenn der Rachen des Ätna

Mit ängstlich-wildem Geschrei, dass Meer und Klippen es hören,

85

Die Gegend um sich herum, vom untern Donner zerrüttet,

Mit Schrecken und Tod überspeit und einer flammenden Sündflut.

Ihr, denen zwanglose Völker das Steuer der Herrschaft vertrauen,

Führt ihr durch Flammen und Blut sie zur Glückseligkeit Hafen?

Was wünscht ihr, Väter der Menschen, noch mehrere Kinder? Ist’s wenig,

90

Viel Millionen beglücken? Erfordert’s wenige Mühe?

O mehrt derjenigen Heil, die eure Fittiche suchen.

314

Deckt sie gleich brütenden Adlern, verwandelt die Schwerter in Sicheln,

Lasst güldne Wogen im Meer, fürs Land, durch Schiffahrt sich türmen,

Erhebt die Weisheit im Kittel und trocknet die Zähren der Tugend!

95

Wohin verführt mich der Schmerz? Weicht, weicht, ihr traurigen Bilder!

Komm, Muse, lass uns die Wohnung und häusliche Wirtschaft des Landmanns

Und Viehsucht und Gärte betrachten!

1. The verses were addressed to Karl Wilhelm Ramier.

2. Lange; Samuel Gotthold Lange, a friend of Kleist’s.

LXVII. FRIEDRICH VON HAGEDORN

A pleasing and popular, but not profound, North German poet of the Gottschedian era (1708-1754). He lived in Hamburg, where he held a comfortable position in a commercial house. His writings consist of songs, odes, fables, epigrams, poetic tales, etc., which reflect an easy-going temperament and commend the carpe diem philosophy of Horace. The text of the selections follows Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 45.

1
An die Dichtkunst.

Gespielin meiner Nebenstunden,

Bei der ein Teil der Zeit verschwunden,

Die mir, nicht andern, zugehört:

O Dichtkunst, die das Leben lindert!

5

Wie manchen Gram hast du vermindert,

Wie manche Fröhlichkeit vermehrt!

Die Kraft der Helden Trefflichkeiten

Mit tapfern Worten auszubreiten,

Verdankt Homer und Maro dir.

10

Die Fähigkeit, von hohen Dingen

Den Ewigkeiten vorzusingen,

Verliehst du ihnen und nicht mir.

Die Lust, vom Wahn mich zu entfernen,

Und deinem Flaccus abzulernen,

15

Wie man durch echten Witz gefällt;

Die Lust, den Alten nachzustreben,

Ist mir im Zorn von dir gegeben,

Wenn nicht mein Wunsch das Ziel erhält.

Zu eitel ist das Lob der Freunde:

20

Uns drohen in der Nachwelt Feinde,

Die finden unsre Grösse klein.

Den itzt an Liedern reichen Zeiten

315

Empfehl’ ich diese Kleinigkeiten:

Sie wollen nicht unsterblich sein.

2
Die verliebte Verzweiflung.

Gewiss, der ist beklagenswerth,

Den seine Göttin nicht erhört,

Dem alle Seufzer nichts erwerben.

Er muss fast immer schlaflos sein

5

Und weinen, girren, winseln, schrein,

Sich martern und dann sterben.

“Grausame Laura,” rief Pedrill,

“Grausame, die mein Unglück, will,

Für dich muss ich noch heut erblassen.”

10

Stracks rennet er in vollem Lauf

Bis an des Hauses Dach hinauf

Und guckt dort in die Gassen.

Bald, als er Essen sah und roch,

Befragt’ er sich: “Wie! leb’ ich noch?”

15

Und zog ein Messer aus der Scheiden.

“O Liebe,” sagt er, “deiner Wut

Weih’ ich den Mordstahl und mein Blut,”—

Und fing an Brot zu schneiden.

Nach glücklich eingenomm’nem Mahl

20

Erwägt er seine Liebesqual

Und will nunmehr durch Gift erbleichen.

Er öffnet eine Flasche Wein

Und lässt, des Giftes voll zu sein,

Sich noch die zweite reichen.

25

Hernach verflucht er sein Geschick

Und holet Schemel, Nagel, Strick,

Und schwört, nun soll die That geschehen.

Doch ach! was kann betrübter sein?

Der Strick ist schwach, der Nagel klein,

30

Der Schemel will nicht stehen.

Er wählt noch eine Todesart

Und denkt: “Wer sich ersticht, der spart

Und darf für Gift und Strick nicht sorgen.”

Drauf gähnt er, seufzet, eilt zur Ruh,

35

Kriecht in sein Bett und deckt sich zu

Und schläft bis an den Morgen.

3
An die Freude.

Freude, Göttin edler Herzen,

Höre mich!

Lass die Lieder, die hier schallen,

Dich vergrössern, dir gefallen;

5

Was hier tönet, tönt durch dich.

Muntre Schwester süsser Liebe!

Himmelskind!

Kraft der Seelen! Halbes Leben!

316

Ach! was kann das Glück uns geben,

10

Wenn man dich nicht auch gewinnt?

Stumme Hüter toter Schätze

Sind nur reich.

Dem, der keinen Schatz bewachet,

Sinnreich scherzt und singt und lachet,

15

Ist kein karger König gleich.

Gieb den Kennern, die dich ehren,

Neuen Mut,

Neuen Scherz den regen Zungen,

Neue Fertigkeit den Jungen,

20

Und den Alten neues Blut.

Du erheiterst, holde Freude!

Die Vernunft.

Flieh auf ewig die Gesichter

Aller finstern Splitterrichter

25

Und die ganze Heuchlerzunft.

4
Das Hühnchen und der Diamant.

Ein verhungert Hühnchen fand

Einen feinen Diamant

Und verscharrt ihn in den Sand.

“Möchte doch, mich zu erfreun,”

Sprach es, “dieser schöne Stein

Nur ein Weizenkörnchen sein!”

Unglückselger Überfluss,

Wo der nötigste Genuss

Unsern Schätzen fehlen muss!

5
Johann, der Seifensieder.

Johann, der muntre Seifensieder,

Erlernte viele schöne Lieder,

Und sang, mit unbesorgtem Sinn,

Vom Morgen bis zum Abend hin.

5

Sein Tagwerk konnt’ ihm Nahrung bringen;

Und wann er ass, so musst’ er singen,

Und wann er sang, so war’s mit Lust;

Aus vollem Hals und freier Brust.

Beim Morgenbrot, beim Abendessen,

10

Blieb Ton und Triller unvergessen;

Der schallte recht, und seine Kraft

Durchdrang die halbe Nachbarschaft.

Man horcht, man fragt: Wer singt schon wieder?

Wer ist’s? Der muntre Seifensieder.

15

Im Lesen war er anfangs schwach;

Er las nichts als den Almanach,

Doch lernt’ er auch nach Jahren beten,

Die Ordnung nicht zu übertreten,

Und schlief, dem Nachbar gleich zu sein,

20

Oft singend, öftrer lesend, ein.

Er schien fast glücklicher zu preisen

317

Als die berufnen sieben Weisen,

Als manches Haupt gelehrter Welt,

Das sich schon für den achten hält.

25

Es wohnte diesem in der Nähe

Ein Sprössling eigennütz’ ger Ehe,

Der, stolz und steif und bürgerlich,

Im Schmausen keinem Fürsten wich:

Ein Garkoch richtender Verwandten,

30

Der Schwäger, Vettern, Nichten, Tanten,

Der stets zu halben Nächten frass,

Und seiner Wechsel oft vergass.

Kaum hatte mit den Morgenstunden

Sein erster Schlaf sich eingefunden,

35

So liess ihm den Genuss der Ruh

Der nahe Sänger nimmer zu.

“Zum Henker! lärmst du dort schon wieder,

Vermaledeiter Seifensieder?

Ach wäre doch, zu meinem Heil,

40

Der Schlaf hier, wie die Austern feil!”

Den Sänger, den er früh vernommen,

Lässt er an einem Morgen kommen

Und spricht: “Mein lustiger Johann!

Wie geht es Euch? Wie fangt Ihrs an?

45

Es rühmt ein jeder Eure Ware:

Sagt, wie viel bringt sie Euch im Jahre?”

“Im Jahre, Herr? Mir fällt nicht bei,

Wie gross im Jahr mein Vorteil sei.

So rechn’ ich nicht; ein Tag bescheret,

50

Was der, so auf ihn kömmt, verzehret,

Dies folgt im Jahr (ich weiss die Zahl)

Dreihundertfünfundsechzigmal.”

“Ganz recht; doch könnt Ihr mir’s nicht sagen,

Was pflegt ein Tag wohl einzutragen?”

55

“Mein Herr, Ihr forschet allzusehr:

Der eine wenig, mancher mehr,

So wie’s dann fällt! Mich zwingt zur Klage

Nichts als die vielen Feiertage;

Und wer sie alle rot gefärbt,

60

Der hatte wohl, wie Ihr, geerbt,

Dem war die Arbeit sehr zuwider;

Das war gewiss kein Seifensieder.”

Dies schien den Reichen zu erfreun.

318

“Hans,” spricht er, “du sollst glücklich sein.

65

Jetzt bist du nur ein schlechter Prahler.

Da hast du bare funfzig Thaler;

Nur unterlasse den Gesang!

Das Geld hat einen bessern Klang.”

Er dankt und schleicht mit scheuchem Blicke,

70

Mit mehr als diebscher Furcht zurücke.

Er herzt den Beutel, den er hält,

Und zählt und wägt und schwenkt das Geld,

Das Geld, den Ursprung seiner Freude,

Und seiner Augen neue Weide.

75

Es wird mit stummer Lust beschaut

Und einem Kasten anvertraut,

Den Band’ und starke Schlösser hüten,

Beim Einbruch Dieben Trotz zu bieten,

Den auch der karge Thor bei Nacht

80

Aus banger Vorsicht selbst bewacht.

Sobald sich nur der Haushund reget,

Sobald der Kater sich beweget,

Durchsucht er alles, bis er glaubt,

Dass ihn kein frecher Dieb beraubt,

85

Bis, oft gestossen, oft geschmissen,

Sich endlich beide packen müssen:

Sein Mops, der keine Kunst vergass

Und wedelnd bei dem Kessel sass;

Sein Hinz, der Liebling junger Katzen,

90

So glatt von Fell, so weich von Tatzen,

Er lernt zuletzt, je mehr er spart,

Wie oft sich Sorg’ und Reichtum paart,

Und manches Zärtlings dunkle Freuden

Ihn ewig von der Freiheit scheiden,

95

Die nur in reine Seelen strahlt,

Und deren Glück kein Gold bezahlt.

Dem Nachbar, den er stets gewecket,

Bis der das Geld ihm zugestecket,

Dem stellt er bald, aus Lust zur Ruh,

100

Den vollen Beutel wieder zu

Und spricht: “Herr, lehrt mich bessre Sachen

Als, statt des Singens, Geld bewachen.

Nehmt immer Euren Beutel hin.

Und lasst mir meinen frohen Sinn.

105

Fahrt fort, mich heimlich zu beneiden;

Ich tausche nicht mit Euren Freuden.

319

Der Himmel hat mich recht geliebt,

Der mir die Stimme wiedergiebt.

Was ich gewesen, werd’ ich wieder:

110

Johann, der muntre Seifensieder.”

LXVIII. CHRISTIAN FÜRCHTEGOTT GELLERT

An eminent fabulist and moralist of Saxon stock (1715-1769). Like Gottsched, he spent the best years of his life in the service of the University of Leipzig. His Fables and Tales (1746-1748) were reprinted in numberless editions, made their publisher rich, and remained for several decades the popular ideal of pleasant and edifying literature. Gellert was also a pioneer (the Swedisch Countess, 1747) in the field of moral family fiction after the manner of Richardson. The Selections follow Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 43.

1
Die Nachtigall und die Lerche.

Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst,

Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst;

Die Blätter in den Gipfeln schwiegen

Und fühlten ein geheim Vergnügen.

5

Der Vögel Chor vergass der Ruh

Und hörte Philomelen zu.

Aurora selbst verzog am Horizonte,

Weil sie die Sängerin nicht g’nug bewundern konnte;

Denn auch die Götter rührt der Schall

10

Der angenehmen Nachtigall,

Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren,

Liess Philomele sich noch zweimal schöner hören.

Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr

Und spricht: “Du singst viel reizender als wir,

15

Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen;

Doch eins gefällt uns nicht an dir,

Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen.”

Doch Philomele lacht und spricht:

“Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht

20

Und wird mir ewig Ehre bringen.

Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen.

Ich folg’ im Singen der Natur;

320

So lange sie gebeut, so lange sing’ ich nur.

Sobald sie nicht gebeut, so hör’ ich auf zu singen;

25

Denn die Natur lässt sich nicht zwingen.”


O Dichter, denkt an Philomelen,

Singt nicht, so lang ihr singen wollt.

Natur und Geist, die euch beseelen,

Sind euch nur wenig Jahre hold.

30

Soll euer Witz die Welt entzücken,

So singt, so lang ihr feurig seid,

Und öffnet euch mit Meisterstücken

Den Eingang in die Ewigkeit.

Singt geistreich der Natur zu Ehren;

35

Und scheint euch die nicht mehr geneigt,

So eilt, um rühmlich aufzuhören,

Eh’ ihr zu spät mit Schande schweigt.

Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen?

Er bindet sich an keine Zeit.

40

So fahrt denn fort, noch alt zu singen,

Und singt euch um die Ewigkeit.

2
Das Land der Hinkenden.

Vor Zeiten gab’s ein kleines Land,

Worin man keinen Menschen fand,

Der nicht gestottert, wenn er red’te,

Nicht, wenn er ging, gehinket hätte;

5

Denn beides hielt man für galant.

Ein fremder sah den Übelstand;

Hier, dacht’ er, wird man dich im Gehn bewundern müssen,

Und ging einher mit steifen Füssen.

Er ging, ein jeder sah ihn an,

10

Und alle lachten, die ihn sahn,

Und jeder blieb vor Lachen stehen

Und schrie: “Lehrt doch den Fremden gehen!”

321

Der Fremde hielt’s für seine Pflicht,

Den Vorwurf von sich abzulehnen.

15

“Ihr,” rief er, “hinkt; ich aber nicht:

Den Gang müsst ihr euch abgewöhnen!”

Der Lärmen wird noch mehr vermehrt,

Da man den Fremden sprechen hört.

Er stammelt nicht; genug zur Schande!

20

Man spottet sein im ganzen Lande.


Gewohnheit macht den Fehler schön,

Den wir von Jugend auf gesehn.

Vergebens wird’s ein Kluger wagen

Und, dass wir töricht sind, uns sagen.

25

Wir selber halten ihn dafür,

Bloss, weil er klüger ist als wir.

3
Das Gespenst.

Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,

Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält.

Er liess, des Geists sich zu erwehren,

Sich heimlich das Verbannen lehren;

5

Doch kraftlos blieb der Zauberspruch.

Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren

Und gab, in einem weissen Tuch,

Ihm alle Nächte den Besuch.

Ein Dichter zog in dieses Haus.

10

Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,

Bat sich des Dichters Zuspruch aus

Und liess sich seine Verse lesen.

Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,

Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel.

15

Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah,

Erschien und hörte zu; es fing ihn an zu schauern.

Er konnt es länger nicht als einen Auftritt dauern,

Denn, eh’ der andre kam, so war er nicht mehr da.

Der Wirt, von Hoffnung eingenommen,

322 20

Liess gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen.

Der Dichter las, der Geist erschien,

Doch ohne lange zu verziehn.

“Gut,” sprach der Wirt bei sich, “dich will ich bald verjagen,

Kannst du die Verse nicht vertragen.”

25

Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein.

Sobald es zwölfe schlug, liess das Gespenst sich blicken;

“Johann!” fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein,

“Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein

Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken.”

30

Der Geist erschrak und winkte mit der Hand,

Der Diener sollte ja nicht gehen;

Und kurz, der weisse Geist verschwand

Und liess sich niemals wieder sehen.


Ein jeder, der dies Wunder liest,

35

Zieh’ sich daraus die gute Lehre,

Dass kein Gedicht so elend ist,

Das nicht zu etwas nützlich wäre.

Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut,

So kann uns dies zum grossen Tröste dienen,

40

Gesetzt, dass sie zu unsrer Zeit

Auch legionenweis erschienen:

So wird, um sich von allen zu befrein,

An Versen doch kein Mangel sein.

4
Der unsterbliche Autor.

Ein Autor schrieb sehr viele Bände

Und ward das Wunder, seiner Zeit;

Der Journalisten gütge Hände

Verehrten ihm die Ewigkeit

5

Er sah, vor seinem sanften Ende,

Fast alle Werke seiner Hände

Das sechste Mal schon aufgelegt

Und sich mit tiefgelehrtem Blicke

323

In einer spanischen Perücke

10

Vor jedes Titelblatt geprägt.

Er blieb vor Widersprechern sicher

Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt;

Und das Verzeichnis seiner Bücher,

Die kleinen Schriften mitgezählt,

15

Nahm an dem Lebenslauf allein

Drei Bogen und drei Seiten ein.

Man las nach dieses Mannes Tode

Die Schriften mit Bedachtsamkeit;

Und seht, das Wunder seiner Zeit

20

Kam in zehn Jahren aus der Mode,

Und seine göttliche Methode

Hiess eine bange Trockenheit.

Der Mann war bloss berühmt gewesen,

Weil Stümper ihn gelobt, eh’ Kenner ihn gelesen.


25

Berühmt zu werden ist nicht schwer,

Man darf nur viel für kleine Geister schreiben;

Doch bei der Nachwelt gross zu bleiben,

Dazu gehört noch etwas mehr

Als, seicht an Geist, in strenger Lehrart schreiben.

LXIX. JOHANN WILHELM LUDWIG GLEIM

A North German poet (1719-1803) who is best known for his Songs of a Prussian Grenadier, commemorating the victories of Frederick the Great in the Seven Years’ War. His earlier work is mostly in the light anacreontic vein, which was somewhat overworked in the decade preceding the war. The fashion was really set by Gleim, though the spirit of it is found in Hagedorn. The selections follow Kürschner’s Nationalliteratur, Vol. 45.

1
An Leukon.

Rosen pflücke, Rosen blühn,

Morgen ist nicht heut!

Keine Stunde lass entfliehn,

Flüchtig ist die Zeit!

Trinke, küsse! Sieh, es ist

Heut Gelegenheit!

Weisst du, wo du morgen bist?

Flüchtig ist die Zeit.

Aufschub einer guten Tat

Hat schon oft gereut!

324

Hurtig leben ist mein Rat,

Flüchtig ist die Zeit!

2
Trinklied.

Brüder, trinkt: es trinkt die Sonne,

Und sie hat schon tausend Ströme

Ohne Bruder ausgetrunken!

Brüder trinkt: es trinkt die Erde;

Seht, sie durstet, seht, wie durstig

Trinkt sie diese Regentropfen!

Seht, dort um den Vater Bacchus

Stehn die Reben frisch am Berge;

Denn es hat das Nass der Wolken

Ihren heissen Durst gelöschet.

Brüder, seht, das Nass der Reben

Wartet in den vollen Gläsern:

Wollt ihr euren Durst nicht löschen?

3
Vorzüge in der Klugheit.

Herr Euler misst der Welten Grösse;

O welch ein Tor ist das!

Ich bin doch klüger, denn ich messe

Die Eimer Wein auf meinem Fass.

5

Wolff zählt die Kräfte seiner Seele;

O welch ein Tor ist das!

Ich bin doch klüger, denn ich zähle

Die Tropfen Wein im Deckelglas.

Herr Meier macht nur immer Schlüsse;

10

Wie töricht ist auch das!

Ich klügerer, ich trink’ und küsse,

Ich küss’ und trink’ ohn’ Unterlass.

Herr Haller sucht Gras, Kraut und Bäume

Auf mancher rauhen Bahn;

15

Ich klügerer, ich suche Reime,

So wie er sonsten auch gethan.

Herr Bodmer führt gelehrte Kriege;

O warum führt er sie?

Denn durch noch tausend seiner Siege

20

Bezwingt er doch die Dummheit nie.

Es mögen ihn die Enkel preisen

Und sagen: So ein Mann

Ist doch jetzund nicht aufzuweisen;

Was gehen mir die Enkel an?

4
Bei Eröffnung des Feldzuges 1756.

Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt

Krieg will, so sei es Krieg!

Berlin sei Sparta! Preussens Held

Gekrönt mit Ruhm und Sieg!

5

Gern will ich seine Taten tun,

Die Leier in der Hand,

325

Wenn meine blut’gen Waffen ruhn

Und hangen an der Wand.

Auch stimm’ich hohen Schlachtgesang

10

Mit seinen Helden an

Bei Pauken- und Trompetenklang,

Im Lärm von Ross und Mann;

Und streit’, ein tapfrer Grenadier,

Von Friedrichs Mut erfüllt.

15

Was acht’ ich es, wenn über mir

Kanonendonner brüllt?

Ein Held fall’ ich; noch sterbend droht

Mein Säbel in der Hand.

Unsterblich macht der Helden Tod,

20

Der Tod fürs Vaterland!

Auch kömmt man aus der Welt davon

Geschwinder wie der Blitz;

Und wer ihn stirbt, bekommt zum Lohn

Im Himmel hohen Sitz!

25

Wenn aber ich als solch ein Held

Dir, Mars, nicht sterben soll,

Nicht glänzen soll im Sternenzelt:

So leb’ ich dem Apoll.

So werd’ aus Friedrichs Grenadier,

30

Dem Schutz, der Ruhm des Staats;

So lern’ er deutscher Sprache Zier

Und werde sein Horaz!

Dann singe Gott und Friederich,

Nichts Kleiners, stolzes Lied!

35

Dem Adler gleich erhebe dich,

Der in die Sonne sieht!

5
Siegeslied nach der Schlacht bei Prag,
den 6. Mai, 1757.

Viktoria! mit uns ist Gott,

Der stolze Feind liegt da!

Er liegt, gerecht ist unser Gott,

Er liegt, Viktoria!

5

Zwar unser Vater ist nicht mehr,

Jedoch er starb ein Held

Und sieht nun unser Siegesheer

Vom hohen Sternenzelt.

Er ging voran, der edle Greis,

10

Voll Gott und Vaterland.

Sein alter Kopf war kaum so weiss

Als tapfer seine Hand.

Mit jugendlicher Heldenkraft

Ergriff er eine Fahn’,

15

Hielt sie empor an ihrem Schaft

Dass wir sie alle sahn;

Und sagte: “Kinder, Berg hinan,

Auf Schanzen und Geschütz!”

Wir folgten alle, Mann vor Mann,

20

Geschwinder wie der Blitz.

326

Ach! aber unser Vater fiel,

Die Fahne sank auf ihn,

Ha! welch glorreiches Lebensziel,

Glückseliger Schwerin!

25

Dein Friederich hat dich beweint,

Indem er uns gebot;

Wir aber stürzten in den Feind,

Zu rächen deinen Tod.

Du, Heinrich, warest ein Soldat,

30

Du fochtest königlich!

Wir sahen alle, Tat vor Tat,

Du junger Löw’, auf dich!

Der Pommer und der Märker stritt

Mit rechtem Christenmut.

35

Rot ward sein Schwert, auf jeden Schritt

Floss dick Pandurenblut.

Aus sieben Schanzen jagten wir

Die Mützen von dem Bär.

Da, Friedrich, ging dein Grenadier

40

Auf Leichen hoch einher;

Dacht’, in dem mörderischen Kampf

Gott, Vaterland und dich,

Sah, tief in schwarzem Rauch und Dampf,

Dich seinen Friederich;

45

Und zitterte, ward feuerrot

Im kriegrischen Gesicht

(Er zitterte vor deinem Tod

Vor seinem aber nicht);

Verachtete die Kugelsaat,

50

Der Stücke Donnerton,

Stritt wütender, tat Heldentat,

Bis deine Feinde flohn.

Nun dankt er Gott für seine Macht,

Und singt: Viktoria!

55

Und alles Blut aus dieser Schlacht

Fliesst nach Theresia.

Und weigert sie auf diesen Tag,

Den Frieden vorzuziehn,

So stürme, Friedrich, erst ihr Prag,

60

Und dann führ uns nach Wien!

LXX. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK

1724-1803. By his profound seriousness and the fervor of his utterance, Klopstock turned German poetry into new channels. Impatient of rime, which he regarded as an ignoble modern jingle, and averse to the shallow Verstandespoesie of the reigning Saxon school, he conceived of poetry as the intense expression of sublimated feeling. His most famous work is the Messiah, a long religious epic in hexameters. In his Odes, composed in the rimeless meters of the Greek and Roman lyrists, he made large use of mythologic names and conceptions which he erroneously supposed to be old German. We hear of ancient bards inhabiting the German forests, singing ‘lawless songs’ of intense 327 emotion, and deriving their inspiration from ethnic tradition and from the elemental feelings of love and friendship. In his so-called Bardiete he used the dramatic form for this same idealization of the ancient Germans. Although now little read, Klopstock exerted a great influence in dignifying the poet’s calling and strengthening the national self-respect and self-reliance of literary Germany.

1
From the ‘Messiah’: First Song, lines 1-137.

Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,

Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,

Und durch die er Adams Geschlecht zu der Liebe der Gottheit,

Leidend, getötet, und verherrlichet, wieder erhöht hat.

5

Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich

Satan gegen den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda

Gegen ihn auf; er tat’s und vollbrachte die grosse Versöhnung.

Aber, o Tat, die allein der Allbarmherzige kennet,

Darf aus dunkler Ferne sich auch dir nahn die Dichtkunst?

10

Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete,

Führe sie mir, als deine Nachahmerin, voller Entzückung,

Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit entgegen.

Rüste mit deinem Feuer sie, du, der die Tiefen der Gottheit

Schaut, und den Menschen aus Staube gemacht zum Tempel sich heiligt!

15

Rein sei das Herz! So darf ich, obwohl mit der bebenden Stimme

Eines Sterblichen, doch den Gottversöhner besingen,

Und die furchtbare Bahn, mit verziehnem Straucheln, durchlaufen.

Menschen, wenn ihr die Hoheit kennt, die ihr damals empfinget,

Da der Schöpfer der Welt Versöhner wurde, so höret

20

Meinen Gesang, und ihr vor allen, ihr wenigen Edlen,

Teure, herzliche Freunde des liebenswürdigen Mittlers,

Ihr mit dem kommenden Weltgerichte vertrauliche Seelen,

Hört mich, und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben.

Nah an der heiligen Stadt, die sich jetzt durch Blindheit entweihte,1

25

Und die Krone der hohen Erwählung unwissend hinwegwarf,

Sonst die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter

328

Pflegerin, jetzt ein Altar des Bluts vergossen von Mördern;

Hier war’s, wo der Messias von einem Volke sich losriss,

Das zwar jetzt ihn verehrte, doch nicht mit jener Empfindung,

30

Die untadelhaft bleibt vor dem schauenden Auge der Gottheit.

Jesus verbarg sich diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen

Vom begleitenden Volk; zwar klang dort ihr lautes Hosanna;

Aber umsonst. Sie kannten ihn nicht, den König sie nennten,

Und den Gesegneten Gottes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel.

35

Gott kam selbst von dem Himmel herab. Die gewaltige Stimme:

Sieh, ich hab’ ihn verklärt, und will ihn von neuem verklären!

War die Verkündigerin der gegenwärtigen Gottheit.

Aber sie waren, Gott zu verstehn, zu niedrige Sünder.

Unterdes nahte sich Jesus dem Vater, der wegen des Volkes,

40

Dem die Stimme geschah, mit Zorn zu dem Himmel hinaufstieg.

Denn noch einmal wollte der Sohn des Bundes Entschliessung,

Seine Menschen zu retten, dem Vater feierlich kund tun.

Gegen die östliche Seite Jerusalems liegt ein Gebirge,

Welches auf seinem Gipfel schon oft den göttlichen Mittler,

45

Wie in das Heilige Gottes, verbarg, wenn er einsame Nächte

Unter des Vaters Anschaun ernst in Gebeten durchwachte.

Jesus ging nach diesem Gebirg. Der fromme Johannes,

Er nur folgt’ ihm dahin bis an die Gräber der Seher,

Wie sein göttlicher Freund, die Nacht in Gebete zu bleiben.

50

Und der Mittler erhub sich von dort zu dem Gipfel des Berges.

Da umgab von dem hohen Moria ihn Schimmer der Opfer,

Die den ewigen Vater noch jetzt in Bilde versöhnten.

Ringsum nahmen ihn Palmen in’s Kühle. Gelindere Lüfte,

Gleich dem Säuseln2 der Gegenwart Gottes, umflossen sein Antlitz

55

Und der Seraph, der Jesus zum Dienst auf der Erde gesandt war,

Gabriel, nennen die Himmlischen ihn, stand feirend am Eingang

Zwoer umdufteter Cedern, und dachte dem Heile der Menschen,

Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als jetzt der Erlöser

Seinem Vater entgegen vor ihm in Stillem vorbeiging.

60

Gabriel wusste, dass nun die Zeit der Erlösung herankam.

Diese Betrachtung entzückt’ ihn, er sprach mit leiserer Stimme:

329

Willst du die Nacht, o Göttlicher, hier in Gebete durchwachen?

Oder verlangt dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?

Soll ich zu deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten?

65

Siehe, schon streckt der Sprössling der Ceder den grünenden Arm aus,

Und die weiche Staude des Balsams. Am Grabe der Seher

Wächst dort unten ruhiges Moos in der kühlenden Erde.

Soll ich davon, o Göttlicher, dir ein Lager bereiten?

Ach, wie bist du, Erlöser, ermüdet! Wie viel erträgst du

70

Hier auf der Erd’, aus inniger Liebe zu Adams Geschlechte!

Gabriel sagt’s. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken,

Steht voll Ernst auf der Höhe des Bergs am näheren Himmel.

Dort war Gott. Dort betet’ er. Unter ihm tönte die Erde,

Und ein wandelndes3 Jauchzen durchdrang die Pforten des Abgrunds,4

75

Als sie von ihm tief unten die mächtige Stimme vernahmen.

Denn sie war es nicht mehr des Fluches Stimme, die Stimme

Angekündet in Sturm, und in donnerndem Wetter gesprochen,

Welche die Erde vernahm. Sie hörte des Segnenden Rede,

Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu verneuen beschlossen.

80

Ringsum lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmerung,

Gleich als blühten sie wieder, nach Edens Bilde geschaffen.

Jesus redete. Er, und der Vater durchschauten den Inhalt

Gränzlos: diess nur vermag des Menschen Stimme zu sagen:

Göttlicher Vater, die Tage des Heils, und des ewigen Bundes

85

Nahen sich mir, die Tage zu grösseren Werken erkoren,

Als die Schöpfung, die du mit deinem Sohne vollbrachtest.

Sie verklären sich mir so schön und herrlich, als damals,

Da wir der Zeiten Reih’ durchschauten, die Tage der Zukunft,

Durch mein göttliches Schaun, bezeichnet, und glänzender sahen.

90

Dir nur ist es bekannt, mit was vor Einmut wir damals,

Du, mein Vater, und ich und der Geist die Erlösung beschlossen.

In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe,

Waren wir bei einander. Voll unsrer göttlichen Liebe,

Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, herunter.

330 95

Edens selige Kinder, ach unsre Geschöpfe, wie elend

Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Sünde!

Vater, ich sah ihr Elend, du meine Tränen. Da sprachst du:

Lasset der Gottheit Bild in dem Menschen von neuem uns schaffen!

Also beschlossen wir unser Geheimnis, das Blut der Versöhnung,

100

Und die Schöpfung der Menschen verneut zu dem ewigen Bilde!

Hier erkor ich mich selbst, die göttliche Tat zu vollenden.

Ewiger Vater, das weisst du, das wissen die Himmel, wie innig

Mich seit diesem Entschluss nach meiner Erniedrung verlangte!

Erde, wie oft warst du, in deiner niedrigen Ferne,

105

Mein erwähltes, geliebteres Augenmerk! Und o Kanan,

Heiliges Land, wie oft hing unverwendet mein Auge

An dem Hügel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah!

Und wie bebt mir mein Herz von süssen, wallenden Freuden,

Dass ich so lange schon Mensch bin, dass schon so viele Gerechte

110

Sich mir sammeln, und nun bald alle Geschlechte der Menschen

Mir sich heiligen werden! Hier lieg’ ich, göttlicher Vater,

Noch nach deinem Bilde geschmückt mit den Zügen der Menschheit,

Betend vor dir: bald aber, ach bald wird dein tötend Gericht mich

Blutig entstellen, und unter den Staub der Toten begraben.

115

Schon, o Richter der Welt, schon hör’ ich fern dich, und einsam

Kommen und unerbittlich in deinen Himmeln dahergehn.

Schon durchdringt mich ein Schauer dem ganzen Geistergeschlechte

Unempfindbar, und wenn du sie auch mit dem Zorne der Gottheit

Tötetest, unempfindbar! Ich seh’ den nächtlichen Garten

120

Schon vor mir liegen, sinke vor dir in niedrigen Staub hin,

Lieg’, und bet’, und winde mich, Vater, in Todesschweisse.

Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will des Allmächtigen Zürnen,

Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen.

Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit,

125

Keiner je, den Unendlichen tötend mit ewigem Tode,

Ganz gedacht, und keiner empfunden. Gott nur vermochte

Gott zu versöhnen. Erhebe dich, Richter der Welt! Hier bin ich!

Töte mich, nimm mein ewiges Opfer zu deiner Versöhnung.

Noch bin ich frei, noch kann ich dich bitten; so tut sich der Himmel

130

Mit Myriaden von Seraphim auf, und führet mich jauchzend,

Vater, zurück in Triumph zu deinem erhabenen Trone!

331

Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,

Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht;

Ich will leiden, den furchtbarsten Tod ich Ewiger leiden.

135

Weiter sagt’ er, und sprach: Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,

Meine Hand in die Wolken, und schwöre bei dir und mir selber,

Der ich Gott bin, wie du: Ich will die Menschen erlösen.

1. Lines 24 ff. Klopstock here follows John xii, making Jesus ‘hide himself’ from the palm-strewing people before entering the city gate.

2. Säuseln; the ‘still small voice’ of I Kings xix, 12.

3. Wandelndes = fortwandelndes, ‘continuing.’

4. Abgrunds; the ‘pit’ of hell, where the imprisoned fathers are waiting to be released.

2
Wingolf5: The eighth song.

Komm, goldne Zeit, die selten zu Sterblichen

Heruntersteiget, lass dich erflehn, und komm

Zu uns, wo dir es schon im Haine

Weht, und herab von dem Quell schon tönet!

Gedankenvoller, tief in Entzückungen

Verloren, schwebt bei dir die Natur. Sie hat’s

Getan! hat Seelen, die sich fühlen,

Fliegen den Geniusflug, gebildet.

Natur, dich hört’ ich im Unermesslichen

Herwandeln, wie, mit Sphärengesangeston,

Argo, von Dichtern nur vernommen,

Strahlend im Meere der Lüfte wandelt.

Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich,

Natur, die Dichter! Dichter des Altertums!

Der späten Nachwelt Dichter! Segnend

Sehn sie ihr heilig Geschlecht hervorgehn.

5. The entire ode, dating from 1747 and consisting of eight ‘songs’ in Alcaic meter, was at first entitled An des Dichters Freunde. Wingolf, as it was finally called, is the Norse Gimle, the abode of the blest after Ragnarok. The seven preceding songs extol the various friends who, united in a new Bardenhain, are to usher in a new Golden Age.

3
An Fanny.6

Wenn einst ich tot bin, wenn mein Gebein zu Staub

Ist eingesunken, wenn du, mein Auge, nun

332

Lang über meines Lebens Schicksal,

Brechend im Tode nun ausgeweint hast,

5

Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist,

Nicht mehr hinaufblickst, wenn mein ersungner Ruhm,

Die Frucht von meiner Jünglingsträne,7

Und von der Liebe zu dir, Messias,

Nun auch verweht ist, oder von wenigen

10

In jene Welt hinüber gerettet ward;

Wenn du alsdann auch, meine Fanny,

Lange schon tot bist, und deines Auges

Stillheitres Lächeln, und sein beseelter Blick

Auch ist verloschen, wenn du, vom Volke nicht

15

Bemerket, deines ganzen Lebens

Edlere Taten nunmehr getan hast,

Des Nachruhms werter als ein unsterblich Lied,

Ach, wenn du dann auch einen beglückteren8

Als mich geliebt hast, lass den Stolz mir,

20

Einen beglückteren, doch nicht edleren!

Dann wird ein Tag sein, den werd’ ich auferstehn!

Dann wird ein Tag sein, den wirst du auferstehn!

Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen,

Die du einander, Natur, bestimmtest.

25

Dann wägt, die Wagschal’ in der gehobnen Hand,

Gott Glück und Tugend gegen einander gleich;

Was in der Dinge Lauf jetzt missklingt,

Tönet in ewigen Harmonien!

Wenn dann du dastehst jugendlich auferweckt,

30

Dann eil’ ich zu dir! säume nicht, bis mich erst

Ein Seraph bei der Rechten fasse,

Und mich, Unsterbliche, zu dir führe.

333

Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt,

Zu dir auch eilen! dann will ich tränenvoll,

35

Voll froher Tränen jenes Lebens

Neben dir stehn, dich mit Namen nennen,

Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit,

Gehörst du ganz uns! Kommt, die das Lied nicht singt,

Kommt unaussprechlich süsse Freuden!

40

So unaussprechlich, als jetzt mein Schmerz ist.

Rinn, unterdes, o Leben! Sie kommt gewiss,

Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft.

Ihr andern, seid der schwermutsvollen

Liebe geweiht, und umwölkt und dunkel!

6. The ode dates from 1748. Fanny Schmidt was a young woman whose indifference to Klopstock’s devotion threw him back on the hope of a union in heaven.

7. Jünglingsträne; tears of high poetic aspiration.

8. Beglückteren, ‘more blest’ with this world’s goods.

4
Hermann und Thusnelda.

Ha, dort kömmt er mit Schweiss, mit Römerblute,9

Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schön war

Hermann niemals! So hat’s ihm

Nie von dem Auge geflammt!

5

Komm, ich bebe vor Lust! reich mir den Adler

Und das triefende Schwert! Komm, atm’, und ruh’ hier

Aus in meiner Umarmung,

Von der zu schrecklichen Schlacht!

Ruh’ hier, dass ich den Schweiss der Stirn abtrockne,

10

Und der Wange das Blut! Wie glüht die Wange!

Hermann! Hermann! So hat dich

Niemals Thusnelda geliebt!

Selbst nicht, da du zuerst im Eichenschatten

Mit dem bräunlichen Arm mich wilder fasstest!

15

Fliehend blieb ich, und sah dir

Schon die Unsterblichkeit an,

334

Die nun dein ist! Erzählt’s in allen Hainen,

Dass Augustus nun bang mit seinen Göttern

Nektar trinket! Dass Hermann,

20

Hermann unsterblicher ist!

“Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stumme

Tote Vater vor uns? O hätt’ Augustus

Seine Heere geführt, er

Läge noch blutiger da.”

25

Lass dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben,

Dass es über dem Kranz in Locken drohe!

Siegmar ist bei den Göttern!

Folg’ du, und wein’ ihm nicht nach!

9. Thusnelda greets her husband on his return from the victory over the Roman legions under Quinctilius Varus in the Teutoburg Wood.

LXXI. CHRISTOPH MARTIN WIELAND

1733-1813. Wieland’s great service is to have set forth the cultural problems and tendencies of the Age of Reason in an attractive literary form. His most important imaginative works are prose tales and narrative poems having a Greek, a medieval, or an Oriental setting, but dealing in reality with living issues of his own day. His Agathon (1766-1794) marks the beginning of the German Bildungsroman. He had much in common with the Gallic genius and was widely read in French translations—the first German to attain that distinction. During the last quarter of the 18th century he was the most popular and influential of German writers.

1
From ‘Musarion,’ lines 1385-1446; The happy estate of the converted Phanias.1
1385

Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.

Mit jedem folgenden find’t jedes sich beglückter,

Indem es sich im andern glücklich macht.

Durch überstandne Not geschickter

Zum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss

1390

Des Glücks, das, sich mit ihm so unverhofft versöhnte,

Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluss;

Glückselig, weil er’s war, nicht weil die Welt es wähnte,

Bringt Phanias in neidenswerter Ruh

335

Ein unbeneidet Leben zu,

1395

In Freuden, die der unverfälschte Stempel

Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.

Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,

Trifft seine Hütte nicht—den Tempel

Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.

1400

Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet,

Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,

Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.

Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren

Pomona sich zum Aufenthalt erkoren;

1405

Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,

Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;

Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,

An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;—

Im Garten eine Sommerlaube,

1410

Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube,

Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht;

Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,

Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,

Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne—

1415

Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch Musarion

Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben

Der Götter Gunst ihm mehr und Bessers geben?

Die Weisheit nur, den ganzen Wert davon

Zu fühlen, immer ihn zu fühlen,

1420

Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen;

Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war

Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,

Kein runzlichter Cleanth,2 der, wenn die Flasche blinkt,

Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt;

1425

Die Liebe war’s—wer lehrt so gut wie sie?

Auch lernt’ er gern, und schnell, und sonder Müh,

Die reizende Philosophie,

Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,

Vergnügt geniesst, und gern den Rest entbehrt;

336 1430

Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite

Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht;

Nicht wissen will, was alles das bedeute,

Was Zeus aus Huld in rätselhafte Nacht

Vor uns verbarg, und auf die guten Leute

1435

Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind,

Nie böse wird, nur lächerlich sie find’t

Und sich dazu—sie drum nicht minder liebet;

Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht;

Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,

1440

Doch ohne Sold und aus Geschmack sie übet;

Und, glücklich oder nicht, die Welt

Für kein Elysium, für keine Hölle hält,

Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter

Von seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht,

1445

So lustig nie als jugendliche Dichter

Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

1. Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces.

2. The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.

2
From ‘Agathon,’ Book 16, Chapter 3: The Philosophy of the sage Archytas.3

Je mehr ich diesen grossen, alles umfassenden Gedanken4 durchzudenken strebe, je völliger fühle ich mich überzeugt, dass sich die ganze Kraft meines Geistes in ihm erschöpft, dass er alle seine wesentlichen Triebe befriedigt, dass ich mit aller möglichen Anstrengung nichts Höheres, Besseres, Vollkommeneres denken kann, und—dass eben dies der stärkste Beweis seiner Wahrheit ist. Von dem Augenblick an, da mir dieser göttlichste aller Gedanken, in der ganzen Klarheit, womit er meine Seele durchstrahlt, so gewiss erscheint, als ich mir selbst meiner vernünftigen Natur bewusst bin, fühle ich, 337 dass ich mehr als ein sterbliches Erdenwesen, unendlich mehr als der blosse Tiermensch bin, der ich äusserlich scheine; fühle, dass ich durch unauflösliche Bande mit allen Wesen zusammenhange, und dass die Tätigkeit meines Geistes, anstatt in die traumähnliche Dauer eines halb tierischen Lebens eingeschränkt zu sein, für eine ewige Reihe immer höherer Auftritte, immer reinerer Enthüllungen, immer kraftvollerer, weiter gränzender Anwendungen eben dieser Vernunft bestimmt ist, die mich schon in diesem Erdenleben zum edelsten aller sichtbaren Wesen macht.

Von diesem Augenblick an fühle ich, dass der Geist allein mein wahres Ich sein kann, dass nur seine Geschäfte, sein Wohlstand, seine Glückseligkeit, die meinigen sind; dass es Unsinn wäre, wenn er einen Körper, der ihm bloss als Organ zur Entwicklung und Anwendung seiner Kraft und zu Vermittlung seiner Gemeinschaft und Verbindung mit den übrigen Wesen zugegeben ist, als einen wirklichen Teil seiner selbst betrachten, und das Tier, das ihm dienen soll, als seinesgleichen behandeln wollte; aber mehr als Unsinn, Verbrechen gegen das heiligste aller Naturgesetze, wenn er ihm die Herrschaft über sich einräumen, oder sich in ein schnödes Bündnis gegen sich selbst mit ihm einlassen, eine Art von Centaur aus sich machen, und die Dienste, die ihm das Tier zu leisten genötigt ist, durch seiner selbst unwürdige Gegendienste erwiedern wollte.

Von diesem Augenblick an, da mein Rang in der Schöpfung, die Würde eines Bürgers der Stadt Gottes, die mich zum Genossen einer höhern Ordnung der Dinge macht, entschieden ist, gehöre ich nicht mir selbst, nicht einer Familie, nicht einer besondern Bürgergesellschaft, nicht einer einzelnen Gattung, noch dem Erdschollen, den ich mein Vaterland nenne, ausschliesslich an: ich gehöre mit allen meinen Kräften dem grossen Ganzen an, worin mir mein Platz, meine Bestimmung, meine Pflicht, von dem einzigen Oberherrn, den ich über mir erkennen darf, angewiesen ist. Aber eben darum, und nur darum, weil in diesem Erdenleben mein Vaterland der mir unmittelbar angewiesene Posten, meine Hausgenossen, Mitbürger, Mitmenschen, diejenigen sind, auf welche sich meine Tätigkeit sich zunächst beziehen soll, erkenne ich mich verbunden, alles mir Mögliche zu ihrem Besten zu tun und zu leiden, sofern keine höhere Pflicht dadurch verletzt wird. Denn von diesem Augenblick 338 an sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit, ohne eigennützige Rücksicht auf mich selbst, die höchsten Gegenstände meiner Liebe; ist das Bestreben, diese reinsten Ausstrahlungen der Gottheit in mir zu sammeln und ausser mir zu verbreiten, mein letzter Zweck, die Regel aller meiner Handlungen, die Norm aller Gesetze, zu deren Befolgung ich mich verbindlich machen darf. Mein Vaterland hat alles von mir zu fordern, was dieser höchsten Pflicht nicht widerspricht: aber sobald sein vermeintes Interesse eine ungerechte Handlung von mir forderte, so hörten für diesen Moment alle seine Ansprüche an mich auf, und wenn Verlust meiner Güter, Verbannung und der Tod selbst auf meiner Weigerung stände, so wäre Armut, Verbannung und Tod der beste Teil, den ich wählen könnte.

Kurz, Agathon, von dem Augenblick an, da jener grosse Gedanke von meinem Innern Besitz genommen hat und die Seele aller meiner Triebe, Entschliessungen und Handlungen geworden ist, verschwindet auf immer jede Vorstellung, jede Begierde, jede Leidenschaft, die mein Ich von dem Ganzen, dem es angehört, trennen, meinen Vorteil isolieren, meine Pflicht meinem Nutzen oder Vergnügen unterordnen will. Nun ist mir keine Tugend zu schwer, kein Opfer, das ich ihr bringe, zu teuer, kein Leiden um ihrentwillen unerträglich. Ich scheine, wie du sagtest, mehr als ein gewöhnlicher Mensch; und doch besteht mein ganzes Geheimnis bloss darin, dass ich diesen Gedanken meines göttlichen Ursprungs, meiner bohen Bestimmung, und meines unmittelbaren Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen Geist, immer in mir gegenwärtig, hell und lebendig zu erhalten gesucht habe, und dass er durch die Länge der Zeit zu einem immerwährenden leisen Gefühl geworden ist. Fühle ich auch (wie es kaum anders möglich ist) zuweilen das Los der Menschheit, den Druck der irdischen Last, die an den Schwingen unseres Geistes hängt, verdüstert sich mein Sinn, ermattet meine Kraft,—so bedarf es nur einiger Augenblicke, worin ich den schlummernden Gedanken der innigen Gegenwart, womit die alles erfüllende Urkraft auch mein innerstes Wesen umfasst und durchdringt, wieder in mir erwecke, und es wird mir, als ob ein Lebensgeist mich anwehe, der die Flamme des meinigen wieder anfacht, wieder Licht durch meinen Geist, Wärme durch mein Herz verbreitet, und mich 339 wieder stark zu allem macht, was mir zu tun oder zu leiden auferlegt ist.

Und ein System von Ideen, dessen Glaube diese Wirkung tut, sollte noch eines andern Beweises seiner Wahrheit bedürfen als seine blosse Darstellung? Ein Glaube, der die Vernunft so völlig befriedigt, der mir sogar durch sie selbst aufgedrungen wird, und dem ich nicht entsagen kann ohne meiner Vernunft zu entsagen; ein Glaube, der mich auf dem geradesten Wege zur grössten sittlichen Güte und zum reinsten Genuss meines Daseins führt, die in diesem Erdenleben möglich sind; ein Glaube, der, sobald er allgemein würde, die Quellen aller sittlichen Übel verstopfen, und den schönen Dichtertraum vom goldnen Alter in seiner höchsten Vollkommenheit realisieren würde;—ein solcher Glaube beweiset sich selbst, Agathon! und wir können alle seine Gegner getrost auffordern, einen vernunftmässigern und der menschlichen Natur zuträglichern aufzustellen. Wirf einen Blick auf das, was die Menschheit ohne ihn ist,—was sie wäre, wenn sich nicht in den Gesetzgebungen, Religionen, Mysterien und Schulen der Weisen immer einige Strahlen und Funken von ihm unter den Völkern erhalten hätten,—und was sie werden könnte, werden müsste, wenn er jemals herrschend würde,—was sie schon allein durch blosse stufenweise Annäherung gegen dieses vielleicht nie erreichbare Ziel werden wird: und alle Zweifel, alle Einwendungen, die der Unglaube der Sinnlichkeit und die Sophisterei der Dialektik gegen ihn aufbringen können, werden dich so wenig in deiner Überzeugung stören, als ein Sonnenstäubchen eine vom Übergewicht eines Centners niedergedrückte Wagschale steigen machen kann.

Ich kenne nur einen einzigen Einwurf gegen ihn, der beim ersten Anblick einige Scheinbarkeit hat; den nämlich, dass er zu erhaben für den grossen Haufen, zu rein und vollkommen für den Zustand sei, zu welchem das Schicksal die Menschen auf dieser Erde verurteilt habe. Aber, wenn es nur zu wahr ist, dass der grösste Teil unsrer Brüder sich in einem Zustande von Rohheit, Unwissenheit, Mangel an Ausbildung, Unterdrückung und Sklaverei befindet, der sie zu einer Art von Tierheit zu verdammen scheint, worin dringende Sorgen für die blosse Erhaltung des animalischen Lebens den Geist niederdrücken und ihn nicht zum Bewusstsein seiner eignen Würde und 340 Rechte kommen lassen: wer darf es wagen, die Schuld dieser Herabwürdigung der Menschheit auf das Schicksal zu legen? Liegt sie nicht offenbar an denen, die aus höchst sträflichen Bewegursachen alle nur ersinnlichen Mittel anwenden, sie so lange als möglich in diesem Zustande von Tierheit zu erhalten? —Doch, diese Betrachtung würde uns jetzt zu weit führen! —Genug, wir, mein lieber Agathon, wir kennen unsre Pflicht: nie werden wir, wenn Macht in unsre Hände gegeben wird, unsre Macht anders als zum möglichsten Besten unsrer Brüder gebrauchen; und wenn wir auch sonst nichts vermögen, so werden wir ihnen, so viel an uns ist, zu jenem ‘Kenne dich selbst’ behilflich zu sein suchen, welches sie unmittelbar zu dem einzigen Mittel führt, wodurch den Übeln der Menschheit gründlich geholfen werden kann. Freilich ist dies nur stufenweise, nur durch allmähliche Verbreitung des Lichtes, worin wir unsre wahre Natur und Bestimmung erkennen, möglich: aber auch bei der langsamsten Zunahme desselben, wofern es nur zunimmt, wird es endlich heller Tag werden; denn so lange die Unmöglichkeit einer stufenweise wachsenden Vervollkommnung aller geistigen Wesen unerweislich bleiben wird, können wir jenen trostlosen Zirkel, worin sich das Menschengeschlecht, nach der Meinung einiger Halbweisen, ewig herumdrehen soll, zuversichtlich für eine Chimäre halten. Bei einer solchen Meinung mag wohl die Trägheit einzelner sinnlicher Menschen ihre Rechnung finden: aber sie ist weder dem Menschen im ganzen zuträglich, noch mit dem Begriffe, den die Vernunft sich von der Natur des Geistes macht, noch mit dem Plane des Weltalls vereinbar, den wir uns, als das Werk der höchsten Weisheit und Güte, schlechterdings in der höchsten Vollkommenheit, die wir mit unsrer Denkkraft erreichen können, vorzustellen schuldig sind; und dies um so mehr, da wir nicht zweifeln dürfen, dass die undurchbrechbaren Schranken unsrer Natur, auch bei der höchsten Anstrengung unsrer Kraft, uns immer unendlich weit unter der wirklichen Vollkommenheit dieses Plans und seiner Ausführung züruckbleiben lassen.

Auch der Einwurf, dass der Glaube einer Verknüpfung unsers Geistes mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen System der Dinge gar zu leicht die Ursache einer der gefährlichsten Krankheiten des menschlichen Gemütes, der religiösen und dämonistischen 341 Schwärmerei, werden könne, ist von keiner Erheblichkeit. Denn es hängt ja bloss von uns selbst ab, dem Hange zum Wunderbaren die Vernunft zur Grenze zu setzen, Spielen der Phantasie und Gefühlen des Augenblicks keinen zu hohen Wert beizulegen, und die Bilder, unter welchen die alten Dichter der Morgenländer ihre Ahnungen vom Unsichtbaren und Zukünftigen sich und andern zu versinnlichen gesucht haben, für nichts mehr als das, was sie sind, für Bilder übersinnlicher und also unbildlicher Dinge anzusehen. Verschiedenes in der Orphischen Theologie, und das Meiste, was in den Mysterien geoffenbaret wird, scheint aus dieser Quelle geflossen zu sein. Diese lieblichen Träume der Phantasie sind dem kindischen Alter der Menschheit angemessen, und die Morgenländer scheinen auch hierin, wie in allem Übrigen, immer Kinder bleiben zu wollen. Aber uns, deren Geisteskräfte unter einem gemässigtern Himmel und unter dem Einfluss der bürgerlichen Freiheit entwickelt, und durch keine Hieroglyphen, heilige Bücher und vorgeschriebene Glaubensformeln gefesselt werden,—uns, denen erlaubt ist, auch die ehrwürdigsten Fabeln des Altertums für—Fabeln zu halten, liegt es ob, unsre Begriffe immer mehr zu reinigen, und überhaupt von allem, was ausserhalb des Kreises unsrer Sinne liegt, nicht mehr wissen zu wollen, als was die Vernunft selbst davon zu glauben lehrt, und als für unser moralisches Bedürfnis zureicht.

Die Schwärmerei, die sich im Schatten einer unbeschäftigten Einsamkeit mit sinnlich-geistigen Phänomenen und Gefühlen nährt, lässt sich freilich an einer so frugalen Beköstigung nicht genügen; sie möchte sich über die Grenzen der Natur wegschwingen, sich durch Überspannung ihres innern Sinnes schon in diesem Leben in einen Zustand versetzen können, der uns vielleicht in einem andern bevorsteht; sie nimmt Träume für Erscheinungen, Schattenbilder für Wesen, Wünsche einer glühenden Phantasie für Genuss; gewöhnt ihr Auge an ein magisches Helldunkel, worin ihm das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird, und berauscht sich in süssen Gefühlen und Ahnungen, die ihr den wahren Zweck des Lebens aus den Augen rücken, die Tätigkeit des Geistes einschläfern, und das unbewachte Herz wehrlos jedem unvermuteten Anfall auf seine Unschuld preisgeben. Gegen diese Krankheit der Seele ist Erfüllung unsrer Pflichten im bürgerlichen und häuslichen Leben das 342 sicherste Verwahrungsmittel; denn innerhalb dieser Schranken ist die Laufbahn eingeschlossen, die uns hienieden angewiesen ist, und es ist blosse Selbsttäuschung, wenn jemand sich berufen glaubt, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze zu sein.

3. Agathon is a Greek of the 4th century B.C. Brought up amid the religious influences of Delphi, he becomes an idealist and a dreamer of fine dreams. He goes to Athens, takes part in politics, is banished and sold into slavery. At Smyrna he is bought by the sophist Hippias, who tries to convert him to a sensualistic philosophy. He falls in love with the beautiful hetæra Danaë, but on learning the story of her other loves, he leaves Smyrna in disgust and goes to Syracuse, where he has divers adventures at the court of the tyrant Dionysius. At last, finding his way to Tarentum, he makes the acquaintance of the sage Archytas, who expounds to him the true philosophy.

4. The ‘great thought’ is that the human mind is connected with the invisible world and with the general system of things.

LXXII. GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

1729-1781. The earliest writings of Lessing, consisting of songs, anacreontic verses, epigrams, fables, and prose comedies, belong to an era that was passing. His more significant imaginative work begins with Miss Sara Sampson (1755), the first German tragedy of middle-class life. His three most famous plays, Minna von Barnhelm (1766), Emilia Galotti (1772), and Nathan the Wise (1779), are well-known classics, and as such are not included in the scheme of this book. In the field of criticism his most important works are the Letters on Literature (1759-1765), which set a new standard of critical plain-speaking; the Laokoon (1766), which undertook to delimit the provinces of poetry and of plastic art; the Hamburg Dramaturgy (1767-1769), which assailed the prestige of the French classical tragedy, and the Anti-Goeze (1778), a notable defense of what is now called the higher criticism. He exerted an immense influence in liberating Germany from the trammels of outworn convention.

1
Grabschrift auf Voltaire.

Hier liegt—wenn man euch glauben wollte,

Ihr frommen Herrn!—der längst hier liegen sollte.

Der liebe Gott verzeih aus Gnade

Ihm seine Henriade

Und seine Trauerspiele

Und seiner Verschen viele;

Denn, was er sonst ans Licht gebracht,

Das hat er ziemlich gut gemacht.

2
Der Tod.

Gestern, Brüder, könnt ihr’s glauben?

Gestern bei dem Saft der Trauben

(Bildet euch mein Schrecken ein!)

Kam der Tod zu mir herein.

5

Drohend schwang er seine Hippe,

Drohend sprach das Furchtgerippe:

Fort, du teurer Bacchusknecht!

Fort, du hast genug gezecht!

Lieber Tod, sprach ich mit Tränen,

10

Solltest du nach mir dich sehnen?

Sieh, da stehet Wein für dich!

Lieber Tod, verschone mich!

Lächelnd greift er nach dem Glase,

Lächelnd macht er’s auf der Base.

343 15

Auf der Pest, Gesundheit leer;

Lächelnd setzt er’s wieder her.

Fröhlich glaub’ ich mich befreiet,

Als er schnell sein Drohn erneuet.

Narre, für dein Gläschen Wein

20

Denkst du, spricht er, los zu sein?

Tod, bat ich, ich möcht’ auf Erden

Gern ein Mediziner werden.

Lass mich! ich verspreche dir

Meine Kranken halb dafür.

25

Gut, wenn das ist, magst du leben,

Ruft er. Nur sei mir ergeben!

Lebe, bis du satt geküsst

Und des Trinkens müde bist.

O, wie schön klingt dies den Ohren!

30

Tod, du hast mich neu geboren.

Dieses Glas voll Rebensaft,

Tod, auf gute Brüderschaft!

Ewig muss ich also leben,

Ewig! denn, beim Gott der Reben!

35

Ewig soll mich Lieb’ und Wein,

Ewig Wein und Lieb’ erfreun!

3
From ‘Miss Sara Sampson’: Act II, Scene 7.

Mellefont. Marwood.1

Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?

Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier erinnere, dass den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert wurden.

Marwood (spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen aus.

Mellefont. So sage ich Ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer sind Sie? Und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, schändliche Buhlerin, die sich jetzt kaum mehr muss erinnern können, einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, was 344 Sie ohne mich vielleicht die ganze Welt hätten geniessen lassen. Sie haben mich gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein Vermögen, meine Ehre, mein Glück—

Marwood. Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten müsste! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage ich? Kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinnst, das weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen Wert und kann volkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennen lernte; genug, dass ich in den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine Hand anzunehmen.

Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.

Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredet, dass du dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für eine andre als für mich zu entsagen?

Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, dass diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin geniessen.

Marwood. Ha! Nun seh’ ich’s, was dich eigentlich so trotzig macht! Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein— Du wirst mich verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Leben 345 soll das Andenken meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!

Mellefont (erschrocken). Marwood—

Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden lassen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich—ich werde wenigstens dabei empfinden, wie süss die Rache sei!

Mellefont. Sie rasen, Marwood—

Marwood. Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den rechten rase. Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht— (Sie geht mit einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los). Drum stirb, Verräter!

Mellefont. (der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreisst). Unsinniges Weibsbild! Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand aufgehoben sein!

Marwood (mit gerungenen Händen). Himmel, was hab’ ich getan? Mellefont—

Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du ihn nicht tun können.

Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! Geben Sie mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.

346
4
The Seventeenth of the ‘Letters on Literature.’ Feb. 16, 1759.

‘Niemand,’ sagen die Verfasser der Bibliothek,2 ‘wird leugnen, dass die deutsche Schaubühne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.’

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es wäre zu wünschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin3 blühte und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln, man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und grösste Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und ‘Oui, monsieur’ verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter4 sagt, mit Kleister und Schere seinen ‘Cato’; er liess den ‘Darius’ und die ‘Austern,’ die ‘Elisie,’ und den ‘Bock im Prozesse,’ den ‘Aurelius’ und den ‘Witzling,’ die ‘Banise’ und den ‘Hypochondristen’ ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporieren; er liess den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die grösste Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht so wohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei oder nicht.

347 Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, dass wir mehr in den Geschmack der Engländer als der Franzosen einschlagen; dass wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; dass das Grosse, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; dass uns die zu grosse Einfalt mehr ermüde als die zu grosse Verwickelung u.s.w. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. —Sagen Sie ja nicht, dass er auch dieses zu nutzen gesucht, wie sein ‘Cato’ es beweise. Denn eben dieses, dass er den Addisonschen ‘Cato’ für das beste englische Trauerspiel hält,5 zeiget deutlich, dass er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher u.s.w. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiss gewiss, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als dass man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andre Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiss. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden, und am leichtesten von so einem, das alles bloss der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit grösserer tragischer Dichter als Corneille, obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigne Wege er auch wählet, und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob 348 er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem ‘Oedipus’ des Sophokles muss in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben als ‘Othello,’ als ‘König Lear,’ als ‘Hamlet’ u.s.w. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte als die ‘Zaire’ des Voltaire? Und die ‘Zaire’ des Voltaire, wie weit ist sie unter dem ‘Mohren von Venedig,’ dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?

Dass aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläufig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen, ‘Doctor Faust’ hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespeare’sches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiss viel Grosses liegt. Sind Sie begierig, ihn zu lesen? Hier ist er! —Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Verschwörungen; es erscheinen sieben derselben; und nun fängt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an:

Faust und Sieben Geister

Faust. Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?

Die Geister Alle. Wir.

Faust. Seid ihr alle sieben gleich schnell?

Die Geister Alle. Nein.

Faust. Und welcher von euch ist der Schnelleste?

Die Geister Alle. Der bin ich!

Faust. Ein Wunder, dass unter sieben Teufeln nur sechs Lügner sind. —Ich muss euch näher kennen lernen.

Der erste Geist. Das wirst du! Einst!

Faust. Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Busse?

Der erste Geist. Ja wohl, den Verstockten. —Aber halte uns nicht auf!

Faust. Wie heissest du? Und wie schnell bist du?

349

Der erste Geist. Du könntest eher eine Probe als eine Antwort haben.

Faust. Nunwohl! Sieh her: was mache ich?

Der erste Geist. Du fährst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts—

Faust. Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle und verbrenne dich nicht! —Du verstummst? Du bleibst? —So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, dass ihr sie euch nehmen liesset. —Zweiter, wie heissest du?

Der zweite Geist. Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.

Faust. Und wie schnell bist du?

Der zweite Geist. Denkest du, dass ich meinen Namen vergebens führe? —Wie die Pfeile der Pest.

Faust. Nun, so geh und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. —Du dritter, wie heissest du?

Der dritte Geist. Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.

Faust. Und du vierter?

Der vierte Geist. Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.

Faust. O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden—

Der fünfte Geist. Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.

Faust. Und wie schnell bist du?

Der fünfte Geist. So schnell als die Gedanken des Menschen.

Faust. Das ist etwas! —Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! —Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafür, dass du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach!— (Zum sechsten Geiste) Sage du, wie schnell bist du?

Der sechste Geist. So schnell als die Rache des Rächers.

Faust. Des Rächers? Welches Rächers?

350

Der sechste Geist. Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte.

Faust. Teufel! du lästerst; denn ich sehe, du zitterst. —Schnell, sagst du, wie die Rache des—bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! —Schnell wäre seine Rache? Schnell? —Und ich lebe noch? Und ich sündige noch?

Der sechste Geist. Dass er dich noch sündigen lässt, ist schon Rache!

Faust. Und dass ein Teufel mich dieses lehren muss! —Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!— (Zum siebenten Geiste) Wie schnell bist du?

Der siebente Geist. Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin—

Faust. So sage: wie schnell?

Der siebente Geist. Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.

Faust. Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! —Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! —Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! —Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.


Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch.

5
From ‘Laokoon,’ Chapter 16.

Doch ich will versuchen, die Sache6 aus ihren ersten Gründen herzuleiten.

Ich schliesse so: Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes 351 Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.

Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, heissen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heissen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.

Doch alle Körper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.

Auf der ändern Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhängen. Insofern nun diese Wesen Körper sind oder als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren coexistierenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muss daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am Begreiflichsten wird.

Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen und muss daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

Hieraus fliesst die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter und der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.

Ich würde in diese trockene Schlusskette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen bestätigt 352 fände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur aus diesen Grundsätzen lässt sich die grosse Manier des Griechen bestimmen und erklären, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stücke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm überwunden werden müssen.

Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Körper, alle einzelne Dinge, malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, dass der Maler da, wo Homer malet, wenig oder nichts für sich zu tun siehet, und dass seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper in schönen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Körper, diese Stellungen, diesen Raum, so wenig malen, als er will.

1. The scene is a low London inn, to which Mellefont, a sentimental profligate, has brought Sara Sampson under promise of marriage. Marwood is Mellefont’s former mistress, by whom he has a daughter, Bella.

2. The Bibliothek der schönen Wissenschaften, a magazine conducted by Nicolai and Mendelssohn.

3. Caroline Neuber was a famous actress, who between 1727 and 1748 coöperated with Gottsched for the improvement of the Leipzig stage.

4. The ‘Swiss critic’ is Bodmer. ‘Darius,’ the ‘Oysters,’ etc., are the titles of plays included in Gottsched’s Deutsche Schaubühne (1740-1745)

5. In his Discours sur la tragédie Voltaire speaks of Addison’s Cato as “la seule bien écrite d’un bout à l’autre chez votre [Lord Bolingbroke’s] nation.”

6. Die Sache is the fundamental difference between plastic art (Malerei) and poetry.

LXXIII. JOHANN GOTTFRIED HERDER

1744-1803. Herder’s was the first strong voice to be raised in protest against the inveterate illusion of his countrymen that excellence in poetry depended on the imitation of good models. He took a deep interest in the poetry of primitive and unlettered men, and deduced from that his criteria of excellence; namely, sincerity, naturalness, strength and fulness of expression. The virtue of the greatest poets, such as Homer, Shakspere and Ossian, lay—so he said—in the fulness and fidelity with which they had felt and expressed the life of their nation and their epoch. Thus he became the founder of historical criticism and the harbinger of the coming romantic movement. It was he, more than any one else, who ushered in the ‘storm and stress’ era, with its watchwords of nature, power, genius, originality, and its general spirit of protest against all conventional restrictions.

1
From ‘Fragments on Recent German Literature’1: Poetry as mother tongue of mankind.

Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht, wie ein Kind, einsilbichte, rauhe und hohe Töne hervor. Eine Nation in ihrem ersten wilden Ursprunge starret, wie ein Kind, alle Gegenstände an; Schrecken, Furcht, und alsdenn Bewunderung sind die Empfindungen, derer 353 beide allein fähig sind, und die Sprache dieser Empfindungen sind Töne,—und Gebärden. Zu den Tönen sind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich sind jene hoch und mächtig an Accenten; Töne und Gebärden sind Zeichen von Leidenschaften und Empfindungen, folglich sind sie heftig und stark: ihre Sprache spricht für Auge und Ohr, für Sinne und Leidenschaften: sie sind grösserer Leidenschaften fähig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit ist: sie verstehen also auch die Sprache des Affects mehr als wir, die wir dies Zeitalter nur aus spätern Berichten und Schlüssen kennen; denn so wenig wir aus unsrer ersten Kindheit Nachricht durch Erinnerung haben, so wenig sind Nachrichten aus dieser Zeit der Sprache möglich, da man noch nicht sprach, sondern tönete; da man noch wenig dachte, aber desto mehr fühlte; und also nichts weniger als schrieb.

So wie sich das Kind oder die Nation änderte, so mit ihr die Sprache. Entsetzen, Furcht und Verwunderung verschwand allmählich, da man die Gegenstände mehr kennen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Natur abgezogen waren, und ihr so viel möglich im Tönen nachahmten. Bei den Gegenständen fürs Auge musste die Gebärdung noch sehr zu Hilfe kommen, um sich verständlich zu machen: und ihr ganzes Wörterbuch war noch sinnlich. Ihre Sprachwerkzeuge wurden biegsamer, und die Accente weniger schreiend. Man sang also, wie viele Völker es noch tun, und wie es die alten Geschichtschreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man pantomimisierte und nahm Körper und Gebärden zu Hilfe: damals war die Sprache in ihren Verbindungen noch sehr ungeordnet und unregelmässig in ihren Formen.

Das Kind erhob sich zum Jünglinge: die Wildheit senkte sich zur politischen Ruhe; die Lebens- und Denkart legte ihr rauschendes Feuer ab: der Gesang der Sprache floss lieblich von der Zunge herunter, wie dem Nestor des Homers, und säuselte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Sprache; man nannte sie aber, wie von selbst zu vermuten ist, mit bekannten sinnlichen Namen; daher müssen die ersten Sprachen bildervoll und reich an Metaphern gewesen sein.

Und dieses jugendliche Sprachalter war bloss das poetische: man 354 sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhöhete nur seine Accente in einem für das Ohr gewählten Rhythmus: die Sprache war sinnlich und reich an kühnen Bildern: sie war noch ein Ausdruck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen ungefesselt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte! —Seht! das ist die poetische Sprache, der poetische Periode. Die beste Blüte der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jetzt sangen die ἀοιδοί und ῥαψῳδοί: da es noch keine Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwürdigen Taten durch Lieder: durch Gesänge lehrten sie, und in den Gesängen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sittensprüche, Gesetze und Mythologie enthalten. Dass dies bei den Griechen so gewesen, beweisen die Büchertitel der ältesten verlorenen Schriftsteller, und dass es bei jedem Volk so gewesen, zeugen die ältesten Nachrichten. . . .

So löset sich auch der Zweifel eines sprachgelehrten Mannes hiemit leicht auf: ‘Ich weiss nicht, ob es wahr ist, was man in vielen Büchern wiederholet hat, dass bei allen Nationen, die sich durch die schönen Wissenschaften hervorgetan haben, die Poesie eher als die Prose zu einer gewissen Höhe gestiegen sei.’ Es ist allerdings wahr, was alle alte Schriftsteller einmütig behaupten, und was in den neuen Büchern wenig angewandt ist, dass die Poesie lange vorher, ehe es Prose gab, zu ihrer grössten Höhe gestiegen sei, dass diese Prose darauf die Dichtkunst verdrungen, und diese nie wieder ihre vorige Höhe erreichen können. Die ersten Schriftsteller jeder Nation sind Dichter: die ersten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der schönen Prose wuchs in Gedichten nichts als die Kunst: sie hatte sich schon über die Erde erhoben und suchte ein Höchstes, bis sie ihre Kräfte erschöpfte und im Äther der Spitzfindigkeit blieb. In der spätern Zeit hat man bloss versifizierte Philosophie oder mittelmässige Poesie.

2
From ‘Critical Forests’2: Power, not sequence of tones, the essence of poetry.

Ich läugne es also, dass Gegenstände, die auf einander oder deren Teile auf einander folgen, deswegen überhaupt Handlungen heissen: 355 und ebenso läugne ich, dass, weil die Dichtkunst Successionen liefre, sie deswegen Handlungen zum Gegenstande habe. Der Begriff des Successiven ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muss ein Successives durch Kraft sein: so wird Handlung. Ich denke mir ein in der Zeitfolge wirkendes Wesen, ich denke mir Veränderungen, die durch die Kraft einer Substanz auf einander folgen: so wird Handlung. Und sind Handlungen der Gegenstand der Dichtkunst, so wette ich, wird dieser Gegenstand nie aus dem trocknen Begriff der Succession bestimmt werden können: Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphäre.

Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und Erinnerung wirkt: sie ist das Wesen der Poesie. —Der Leser sieht, dass wir sind, wo wir waren, dass nämlich die Poesie durch willkürliche Zeichen wirke; dass in diesem Willkürlichen, in dem Sinne der Worte, ganz und gar die Kraft der Poesie liege; nicht aber in der Folge der Töne und Worte, in den Lauten, so fern sie natürliche Laute sind. . . .

Handlung, Leidenschaft, Empfindung!—auch ich liebe sie in Gedichten über alles: auch ich hasse nichts so sehr als tote stillstehende Schilderungssucht, insonderheit, wenn sie Seiten, Blätter, Gedichte einnimmt; aber nicht mit dem tödlichen Hasse, um jedes einzelne ausführliche Gemälde, wenn es auch coexistent geschildert würde, zu verbannen; nicht mit dem tödlichen Hasse, um jeden Körper nur mit Einem Beiworte an der Handlung Teil nehmen zu lassen, und denn auch nicht aus dem nämlichen Grunde, weil die Poesie in successiven Tönen schildert, oder weil Homer dies und jenes macht und nicht macht—um deswillen nicht.

Wenn ich Eins von Homer lerne, so ist’s, dass die Poesie energisch wirke: nie in der Absicht, um bei dem letzten Zuge ein Werk, Bild, Gemälde (obwohl successive) zu liefern, sondern, dass schon während der Energie die ganze Kraft empfunden werden müsse. Ich lerne von Homer, dass die Wirkung der Poesie nie aufs Ohr, durch Töne, nicht aufs Gedächtnis, wie lange ich einen Zug aus der Succession behalte, sondern auf meine Phantasie wirke; von hieraus also, sonst nirgendsher, berechnet werden müsse. So stelle ich sie gegen die Malerei und beklage, dass Hr. L. diesen Mittelpunkt des Wesens 356 der Poesie, ‘Wirkung auf unsre Seele, Energie,’ nicht zum Augenmerke genommen.

3
From ‘Correspondence concerning Ossian and the Songs of Ancient Peoples’3: The poetic superiority of ‘wild’ folk.

Sie wissen aus Reisebeschreibungen, wie stark und fest sich immer die Wilden ausdrücken. Immer die Sache, die sie sagen wollen, sinnlich, klar, lebendig anschauend: den Zweck, zu dem sie reden, unmittelbar und genau fühlend: nicht durch Schattenbegriffe, Halbideen und symbolischen Letternverstand (von dem sie in keinem Worte ihrer Sprache, da sie fast keine Abstracta haben, wissen),—durch alle dies nicht zerstreuet: noch minder durch Künsteleien, sklavische Erwartungen, furchtsamschleichende Politik und verwirrende Prämeditation verdorben—über alle diese Schwächungen des Geistes seligunwissend, erfassen sie den ganzen Gedanken mit dem ganzen Worte, und dies mit jenem. Sie schweigen entweder, oder reden im Moment des Interesse mit einer unvorbedachten Festigkeit, Sicherheit und Schönheit, die alle wohlstudierte Europäer allezeit haben bewundern müssen und—müssen bleiben lassen. Unsre Pedanten, die alles vorher zusammenstoppeln, und auswendig lernen müssen, um alsdenn recht methodisch zu stammeln; unsre Schulmeister, Küster, Halbgelehrte, Apotheker und alle, die den Gelehrten durchs Haus laufen, und nichts erbeuten, als dass sie endlich, wie Shakespear’s Launcelots, Polizeidiener, und Totengräber uneigen, unbestimmt und wie in der letzten Todesverwirrung sprechen—diese gelehrte Leute, was wären die gegen die Wilden? Wer noch bei uns Spuren von dieser Festigkeit finden will, der suche sie ja nicht bei solchen;—unverdorbene Kinder, Frauenzimmer, Leute von gutem Naturverstande, mehr durch Tätigkeit als Spekulation gebildet, die sind, wenn das, was ich anführete, Beredsamkeit ist, alsdenn die einzigen und besten Redner unsrer Zeit.

In der alten Zeit aber waren es Dichter, Skalden, Gelehrte, die eben diese Sicherheit und Festigkeit des Ausdrucks am meisten mit 357 Würde, mit Wohlklang, mit Schönheit zu paaren wussten; und da sie also Seele und Mund in den festen Bund gebracht hatten, sich einander nicht zu verwirren, sondern zu unterstützen, beizuhelfen: so entstanden daher jene für uns halbe Wunderwerke von ἀοιδοῖς, Sängern, Barden, Minstrels, wie die grössten Dichter der ältesten Zeiten waren. Homers Rhapsodien und Ossians Lieder waren gleichsam Impromptus, weil man damals noch von nichts als Impromptus der Rede wusste: dem letztern sind die Minstrels, wiewohl so schwach und entfernt, gefolgt; indessen doch gefolgt, bis endlich die Kunst kam und die Natur auslöschte. In fremden Sprachen quälte man sich von Jugend auf, Quantitäten von Silben kennen zu lernen, die uns nicht mehr Ohr und Natur zu fühlen gibt; nach Regeln zu arbeiten, deren wenigste ein Genie als Naturregeln anerkennt; über Gegenstände zu dichten, über die sich nichts denken, noch weniger sinnen, noch weniger imaginieren lässt; Leidenschaften zu erkünsteln, die wir nicht haben, Seelenkräfte nachzuahmen, die wir nicht besitzen,—und endlich wurde alles Falschheit, Schwäche und Künstelei. Selbst jeder beste Kopf ward verwirret und verlor Festigkeit des Auges und der Hand, Sicherheit des Gedankens und des Ausdrucks, mithin die wahre Lebhaftigheit und Wahrheit und Andringlichkeit—alles ging verloren. Die Dichtkunst, die die stürmendste, sicherste Tochter der menschlichen Seele sein sollte, ward die ungewisseste, lahmste, wankendste; die Gedichte fein oft corrigierte Knaben- und Schulexercitien.

4
From an essay entitled ‘Shakespear’4: Sophocles and Shakspere.

Shakespear fand vor und um sich nichts weniger als Simplicität von Vaterlandssitten, Taten, Neigungen und Geschichtstraditionen, die das griechische Drama bildete, und da also nach dem ersten metaphysischen Weisheitssatze aus nichts nichts wird, so wäre, Philosophen überlassen, nicht bloss kein griechisches, sondern, wenn’s ausserdem Nichts gibt, auch gar kein Drama in der Welt mehr geworden, und hätte werden können. Da aber Genie bekanntermassen mehr ist als Philosophie, und Schöpfer ein ander Ding als 358 Zergliederer: so war’s ein Sterblicher mit Götterkraft begabt, eben aus dem entgegengesetztesten Stoff, und in der verschiedensten Bearbeitung, dieselbe Wirkung hervorzurufen, Furcht und Mitleid, und beide in einem Grade, wie jener erste Stoff und Bearbeitung es kaum hervorzubringen vermocht! Glücklicher Göttersohn über sein Unternehmen! Eben das neue, erste, ganz Verschiedene, zeigt die Urkraft seines Berufs.

Shakespear fand keinen Chor vor sich, aber wohl Staats- und Marionettenspiele—wohl! Er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlechten Leim, das herrliche Geschöpf, das da vor uns steht und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Ständen, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten—der Gram um das Vorige wäre vergebens gewesen;—er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, König und Narren, Narren und König zu dem herrlichen Ganzen! Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung: er nahm Geschichte, wie er sie fand, und setzte mit Schöpfergeist das verschiedenartigste Zeug zu einem Wunderganzen zusammen, was wir, wenn nicht Handlung im griechischen Verstande, so Aktion im Sinne der mittlern, oder in der Sprache der neuern Zeiten Begebenheit (événement), grosses Ereignis, nennen wollen—o Aristoteles, wenn du erschienest, wie würdest du den neuen Sophokles homerisieren! würdest so eine eigne Theorie über ihn dichten, die jetzt seine Landsleute, Home und Hurd, Pope und Johnson, noch nicht gedichtet haben! Würdest dich freuen, von jedem deiner Stücke, Handlung, Charakter, Meinungen, Ausdruck, Bühne, wie aus zwei Punkten des Dreiecks Linien zu ziehen, die sich oben in Einem Punkte des Zwecks, der Vollkommenheit begegnen! Würdest zu Sophokles sagen: male das heilige Blatt dieses Altars! und du, o nordischer Barde, alle Seiten und Wände dieses Tempels in dein unsterbliches Fresco!

Man lasse mich als Ausleger und Rhapsodisten fortfahren, denn ich bin näher Shakespear als dem Griechen. Wenn bei diesem das Eine einer Handlung herrscht, so arbeitet jener auf das Ganze eines Ereignisses, einer Begebenheit. Wenn bei jenem Ein Ton der Charaktere herrschet, so bei diesem alle Charaktere, Stände und Lebensarten, so viel nur fähig und nötig sind, den Hauptklang seines 359 Concerts zu bilden. Wenn in jenem Eine singende feine Sprache, wie in einem höheren Äther tönet, so spricht dieser die Sprache aller Alter, Menschen und Menschenarten, ist Dolmetscher der Natur in all ihren Zungen—und auf so verschiedenen Wegen beide Vertraute Einer Gottheit. Und wenn jener Griechen vorstellt und lehrt und rührt und bildet, so lehrt, rührt und bildet Shakespear nordische Menschen! Mir ist, wenn ich ihn lese, Theater, Acteur, Coulisse verschwunden! Lauter einzelne im Sturm der Zeiten wehende Blätter aus dem Buch der Begebenheiten, der Vorsehung, der Welt! einzelne Gepräge der Völker, Stände, Seelen! die alle die verschiedenartigsten und abgetrenntest handelnden Maschinen—was wir in der Hand des Weltschöpfers sind—unwissende, blinde Werkzeuge zum ganzen Eines theatralischen Bildes, Einer Grösse habenden Begebenheit, die nur der Dichter überschauet. Wer kann sich einen grössern Dichter der nordischen Menschheit, und in dem Zeitalter, denken!

5
From ‘Auch eine Philosophie’: The Middle Ages and the Age of Reason.5

Die dunkeln Seiten dieses Zeitraums [des Mittelalters] stehen in allen Büchern: jeder klassische Schöndenker, der die Polizierung unsres Jahrhunderts fürs non plus ultra der Menschheit hält, hat Gelegenheit ganze Jahrhunderte auf Barbarei, elendes Staatsrecht, Aberglauben und Dummheit, Mangel der Sitten und Abgeschmacktheit—in Schulen, in Landsitzen, in Tempeln, in Klöstern, in Rathäusern, in Handwerkszünften, in Hütten und Häusern zu schmälen und über das Licht unsres Jahrhunderts, das ist, über seinen Leichtsinn und Ausgelassenheit, über seine Wärme in Ideen und Kälte in Handlungen, über seine scheinbare Stärke und Freiheit, und über seine wirkliche Todesschwäche und Ermattung unter Unglauben, Despotismus und Üppigkeit zu lobjauchzen. Davon sind alle Bücher unsrer Voltäre und Hume, Robertsons und Iselins voll, und es wird ein so schön Gemälde, wie sie die Aufklärung und Verbesserung der Welt aus den trüben Zeiten des Deismus und Despotismus der Seelen, d.i. zu Philosophie und Ruhe herleiten—dass dabei jedem Liebhaber seiner Zeit das Herz lacht.. . .

360 Dass es jemanden in der Welt unbegreiflich wäre, wie Licht die Menschen nicht nährt! Ruhe und Üppigkeit und sogenannte Gedankenfreiheit nie allgemeine Glückseligkeit und Bestimmung sein kann! Aber Empfindung, Bewegung, Handlung—wenn auch in der Folge ohne Zweck (was hat auf der Bühne der Menschheit ewigen Zweck?), wenn auch mit Stössen und Revolutionen, wenn auch mit Empfindungen, die hie und da schwärmerisch, gewaltsam, gar abscheulich werden—als Werkzeug in den Händen des Zeitlaufs, welche Macht! welche Wirkung! Herz und nicht Kopf genährt! mit Neigungen und Trieben alles gebunden, nicht mit kränkelnden Gedanken! Andacht und Ritterehre, Liebeskühnheit und Bürgerstärke—Staatsverfassung und Gesetzgebung, Religion. —Ich will nichts weniger als die ewigen Völkerzüge und Verwüstungen, Vasallenkriege und Befehdungen, Mönchsheere, Wallfahrten, Kreuzzüge verteidigen; nur erklären möchte ich sie: wie in allem doch Geist hauchet! Gährung menschlicher Kräfte! Grosse Kur der ganzen Gattung durch gewaltsame Bewegung, und wenn ich so kühn reden darf, das Schicksal zog, (allerdings mit grossem Getöse, und ohne dass die Gewichte da ruhig hangen konnten,) die grosse abgelaufene Uhr auf! Da rasselten also die Räder!

1. First Collection (1767); see Suphan’s edition of Herder’s works, Vol. I, page 152.

2. In his Kritische Wälder (1769) Herder subjected Lessing’s Laokoon to a searching criticism. The passages here given—see Suphan’s edition, Vol. 3, pages 139 ff.—are addressed to the theory advanced in the last of the foregoing selections from Lessing.

3. Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker was published in 1773, as part of a collection of papers (by Herder, Goethe and Möser) entitled Von deutscher Art und Kunst. See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 155.

4. Published in the aforementioned collection Von deutscher Art und Kunst (1773). See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 208.

5. The booklet Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit was published in 1774. See Suphan’s Herder, Vol. 5, page 475.

LXXIV. JOHANN WOLFGANG GOETHE

1749-1832. The long-gathering promise of a German literary renascence was splendidly fulfilled in the genius of Goethe. In all the genres he wrought with high and peculiar distinction; and so intensely and fully did he live the life of his epoch that he has come to be regarded as the representative of the modern spirit. A great critic has called him ‘the clearest, largest, and most helpful thinker of modern times.’ The scope of this book is such that only the youthful Goethe is represented in the selections.

1
Mailied.

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

5

Es dringen Blüten

Aus jedem Zweig

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch,

Und Freud’ und Wonne

10

Aus jeder Brust.

O Erd’, o Sonne!

O Glück, o Lust!

O Lieb’, o Liebe,

So golden schön.

361 15

Wie Morgenwolken

Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

20

Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb’ ich dich!

Wie blickt dein Auge!

Wie liebst du mich!

25

So liebt die Lerche

Gesang und Luft,

Und Morgenblumen

Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe

30

Mit warmem Blut,

Die du mir Jugend

Und Freud’ und Mut

Zu neuen Liedern

Und Tänzen gibst.

35

Sei ewig glücklich,

Wie du mich liebst!

2
Willkommen und Abschied.

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!

Es war getan fast eh gedacht;

Der Abend wiegte schon die Erde,

Und an den Bergen hing die Nacht.

5

Schon stand im Nebelkleid die Eiche,

Ein aufgetürmter Riese, da,

Wo Finsternis aus dem Gesträuche

Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel

10

Sah kläglich aus dem Duft hervor,

Die Winde schwangen leise Flügel,

Umsausten schauerlich mein Ohr.

Die Nacht schuf tausend Ungeheuer;

Doch frisch und fröhlich war mein Mut:

15

In meinen Adern welches Feuer!

In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude

Floss von dem süssen Blick auf mich;

Ganz war mein Herz an deiner Seite,

20

Und jeder Atemzug für dich.

Ein rosenfarbnes Frühlingswetter

Umgab das liebliche Gesicht,

Und Zärtlichkeit für mich—ihr Götter!

Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht!

25

Doch ach, schon mit der Morgensonne

Verengt der Abschied mir das Herz:

In deinen Küssen welche Wonne!

362

In deinem Auge welcher Schmerz!

Ich ging, du standst und sahst zur Erden,

30

Und sahst mir nach mit nassem Blick:

Und doch, welch Glück geliebt zu werden!

Und lieben, Götter, welch ein Glück!

3
Neue Liebe neues Leben.

Herz, mein Herz, was soll das geben?

Was bedränget dich so sehr?

Welch ein fremdes neues Leben!

Ich erkenne dich nicht mehr.

Weg ist alles, was du liebtest,

Weg warum du dich betrübtest,

Weg dein Fleiss und deine Ruh—

Ach, wie kamst du nur dazu!

Fesselt dich die Jugendblüte,

Diese liebliche Gestalt,

Dieser Blick voll Treu’ und Güte

Mit unendlicher Gewalt?

Will ich rasch mich ihr entziehen,

Mich ermannen, ihr entfliehen,

Führet mich im Augenblick,

Ach, mein Weg zu ihr zurück.

Und, an diesem Zauberfädchen,

Das sich nicht zerreissen lässt,

Hält das liebe lose Mädchen

Mich so wider Willen fest;

Muss in ihrem Zauberkreise

Leben nun auf ihre Weise.

Die Verändrung ach wie gross!

Liebe! Liebe! lass mich los!

4
Rastlose Liebe.

Dem Schnee, dem Regen,

Dem Wind entgegen,

Im Dampf der Klüfte,

Durch Nebeldüfte,

Immer zu! Immer zu!

Ohne Rast und Ruh!

Lieber durch Leiden

Möcht’ ich mich schlagen,

Als so viel Freuden

Des Lebens ertragen.

Alle das Neigen

Von Herzen zu Herzen,

Ach, wie so eigen

Schaffet das Schmerzen!

Wie soll ich fliehen?

Wälderwärts ziehen?

Alles vergebens!

Krone des Lebens!

Glück ohne Ruh,

Liebe, bist du!

5
Meeres Stille.

Tiefe Stille herrscht im Wasser,

Ohne Regung ruht das Meer,

Und bekümmert sieht der Schifer

Glatte Fläche rings umher.

Keine Luft von keiner Seite!

Todesstille fürchterlich!

In der ungeheuern Weite

Reget keine Welle sich.

363
6
Glückliche Fahrt.

Die Nebel zerreissen,

Der Himmel ist helle,

Und Äolus löset

Das ängstliche Band.

Es säuseln die Winde,

Es rührt sich der Schiffer.

Geschwinde! Geschwinde!

Es teilt sich die Welle,

Es naht sich die Ferne;

Schon seh’ ich das Land!

7
Wandrers Nachtlieder.

Der du von dem Himmel bist,

Alles Leid und Schmerzen stillest,

Den, der doppelt elend ist,

Doppelt mit Erquickung füllest,

Ach ich bin des Treibens müde!

Was soll all der Schmerz und Lust?

Süsser Friede,

Komm, ach komm in meine Brust!

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch:

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

8
Der König in Thule.

Es war ein König in Thule

Gar treu bis an das Grab,

Dem sterbend seine Buhle

Einen goldnen Becher gab.

5

Es ging ihm nichts darüber,

Er leert’ ihn jeden Schmaus;

Die Augen gingen ihm über,

So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,

10

Zählt’ er seine Städt’ im Reich,

Gönnt’ alles seinem Erben,

Den Becher nicht zugleich.

Er sass beim Königsmahle,

Die Ritter um ihn her,

15

Auf hohem Vätersaale,

Dort auf dem Schloss am Meer.

Dort stand der alte Zecher,

Trank letzte Lebensglut,

Und warf den heilgen Becher

20

Hinunter in die Flut.

Er sah ihn stürzen, trinken,

Und sinken tief ins Meer.

Die Augen täten ihm sinken;

Trank nie einen Tropfen mehr.

9
From ‘Prometheus,’ Act 3: The Titan’s defiance.

Bedecke deinen Himmel, Zeus,

Mit Wolkendunst,

Und übe, dem Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

5

An Eichen dich und Bergeshöhn;

364

Musst mir meine Erde

Doch lassen stehn,

Und meine Hütte, die du nicht gebaut,

Und meinen Herd,

10

Um dessen Glut

Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres

Unter der Sonn’, als euch, Götter!

Ihr nähret kümmerlich

15

Von Opfersteuern

Und Gebetshauch

Eure Majestät,

Und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

20

Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,

Nicht wusste wo aus noch ein,

Kehrt’ ich mein verirrtes Auge

Zur Sonne, als wenn drüber wär’

25

Ein Ohr, zu hören meine Klage,

Ein Herz, wie meins,

Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir

Wider der Titanen Übermut?

30

Wer rettete vom Tode mich,

Von Sclaverei?

Hast du nich alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Und glühtest jung und gut,

35

Betrogen, Rettungsdank

Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

40

Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

45

Meine Herren und deine?

Wähntest du etwa,

Ich sollte das Leben hassen,

In Wüsten fliehen,

Weil nicht alle

50

Blütenträume reiften?

Hier sitz’ ich, forme Menschen,

Nach meinem Bilde

Ein Geschlecht, das mir gleich sei,

Zu leiden, zu weinen,

55

Zu geniessen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!

10
From the ‘Sufferings of Young Werther’: Werther’s communion with the All.

Am 10 Mai.

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süssen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen geniesse. Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin 365 so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, dass meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin nie ein grösserer Maler gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tausend mannichfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; mein Freund! wenn’s dann um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhen wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehne ich mich oft und denke: ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, dass es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! —Mein Freund— Aber ich gehe darüber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen.

Homer as an anodyne for a sick heart.

Am 13. Mai.

Du fragst, ob du mir meine Bücher schicken sollst? —Lieber, ich bitte dich um Gottes willen, lass mir sie vom Halse! Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuert sein, braust doch dieses Herz genug aus sich selbst; ich brauche Wiegengesang, und den habe ich in seiner Fülle gefunden in meinem Homer. Wie oft lull’ ich mein empörtes Blut zur Ruhe, denn so ungleich, so unstät, hast du nichts gesehen als dieses Herz. Lieber! brauch’ ich dir das zu sagen, der du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung und von süsser Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehen zu sehen? Auch halte ich mein Herzchen wie ein krankes Kind; jeder Wille wird ihm gestattet. Sage das nicht weiter, es gibt Leute, die mir es verübeln würden.

366
Werther excited by the reading of Ossian.

Am 12. October.

Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt. Welch eine Welt, in die der Herrliche mich führt! Zu wandern über die Heide, umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Gebirge her im Gebrülle des Waldstroms halb verwehtes Ächzen der Geister aus ihren Höhlen, und die Wehklagen des zu Tode sich jammernden Mädchens, um die vier moosbedeckten grasbewachsenen Steine des Edelgefallnen, ihres Geliebten. Wenn ich ihn dann finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Heide die Fussstapfen seiner Väter sucht, und ach! ihre Grabsteine findet, und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hinblickt, der sich ins rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig werden, da noch der freundliche Strahl den Gefahren der Tapferen leuchtete, und der Mond ihr bekränztes siegrückkehrendes Schiff beschien. Wenn ich den tiefen Kummer auf seiner Stirn lese, den letzten verlassenen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken sehe, wie er immer neue schmerzlich glühende Freuden in der kraftlosen Gegenwart der Schatten seiner Abgeschiedenen einsaugt, und nach der kalten Erde, dem hohen wehenden Grase niedersieht und ausruft: Der Wanderer wird kommen, kommen, der mich kannte in meiner Schönheit, und fragen: Wo ist der Sänger, Fingals trefflicher Sohn? Sein Fusstritt geht über mein Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde. —O Freund! Ich möchte gleich einem edlen Waffenträger das Schwert ziehen, meinen Fürsten von der zückenden Qual des langsam absterbenden Lebens befreien und dem befreiten Halbgott meine Seele nachsenden.

Werther in the depths of despair.

Am 3. November.

Weiss Gott! ich lege mich so oft zu Bette mit dem Wunsche, ja manchmal mit der Hoffnung, nicht wieder zu erwachen; und morgens schlage ich die Augen auf, sehe die Sonne wieder und bin elend. O dass ich launisch sein könnte, könnte die Schuld aufs Wetter, auf einen Dritten, auf eine fehlgeschlagene Unternehmung schieben, so 367 würde die unerträgliche Last des Unwillens doch nur halb auf mir ruhen. Wehe mir! ich fühle zu wahr, dass an mir allein alle Schuld liegt—nicht Schuld! Genug, dass in mir die Quelle alles Elendes verborgen ist, wie ehemals die Quelle aller Seligkeiten. Bin ich nicht noch eben derselbe, der ehemals in aller Fülle der Empfindung herumschwebte, dem auf jedem Tritte ein Paradies folgte, der ein Herz hatte, eine ganze Welt liebevoll zu umfassen? Und dies Herz ist jetzt tot, aus ihm fliessen keine Entzückungen mehr, meine Augen sind trocken, und meine Sinne, die nicht mehr von erquickenden Tränen gelabt werden, ziehen ängstlich meine Stirn zusammen. Ich leide viel, denn ich habe verloren was meines Lebens einzige Wonne war, die heilige Kraft, mit der ich Welten um mich schuf; sie ist dahin! —Wenn ich zu meinem Fenster hinaus an den fernen Hügel sehe, wie die Morgensonne über ihn her den Nebel durchbricht und den stillen Wiesengrund bescheint, und der sanfte Fluss zwischen seinen entblätterten Weiden zu mir herschlängelt,—o! wenn da diese herrliche Natur so starr vor mir steht wie ein lackiertes Bildchen, und alle die Wonne keinen Tropfen Seligkeit aus meinem Herzen herauf in das Gehirn pumpen kann, und der ganze Kerl vor Gottes Angesicht steht wie ein versiegter Brunnen, wie ein verlechter Eimer. Ich habe mich oft auf den Boden geworfen und Gott um Tränen gebeten, wie ein Ackersmann um Regen, wenn der Himmel ehern über ihm ist, und um ihn die Erde verdürstet.

11
From ‘Letters from Switzerland.’1

Frei wären die Schweizer? frei diese wohlhabenden Bürger in den verschlossenen Städten? frei diese armen Teufel an ihren Klippen und Felsen? Was man dem Menschen nicht alles weiss machen kann! Besonders wenn man so ein altes Märchen in Spiritus aufbewahrt. Sie machten sich einmal von einem Tyrannen los und konnten sich in einem Augenblick frei denken; nun erschuf ihnen die liebe Sonne aus dem Aas des Unterdrückers einen Schwarm von 368 kleinen Tyrannen durch eine sonderbare Wiedergeburt. Nun erzählen sie das alte Märchen immer fort, man hört bis zum Überdruss: sie hätten sich einmal frei gemacht und wären frei geblieben. Und nun sitzen sie hinter ihren Mauern, eingefangen von ihren Gewohnheiten und Gesetzen, ihren Fraubasereien und Philistereien, und da draussen auf den Felsen ist’s auch wohl der Mühe wert von Freiheit zu reden, wenn man das halbe Jahr vom Schnee wie ein Murmeltier gefangen gehalten wird.


Pfui! wie sieht so ein Menschenwerk und so ein schlechtes notgedrungenes Menschenwerk, so ein schwarzes Städtchen, so ein Schindel- und Steinhaufen, mitten in der grossen herrlichen Natur aus! Grosse Kiesel- und andere Steine auf den Dächern, dass ja der Sturm ihnen die traurige Decke nicht vom Kopfe wegführe, und den Schmutz, den Mist! und staunende Wahnsinnige! —Wo man den Menschen nur wieder begegnet, möchte man von ihnen gleich davon fliehen.


Dass in den Menschen so viele geistige Anlagen sind, die sie im Leben nicht entwickeln können, die auf eine bessere Zukunft, auf ein harmonisches Dasein deuten, darin sind wir einig, mein Freund, und meine andere Grille kann ich auch nicht aufgeben, ob du mich gleich schon oft für einen Schwärmer erklärt hast. Wir fühlen auch die Ahnung körperlicher Anlagen, auf deren Entwickelung wir in diesem Leben Verzicht tun müssen: so ist es ganz gewiss mit dem Fliegen. So wie mich sonst die Wolken schon reizten, mit ihnen fort in fremde Länder zu ziehen, wenn sie hoch über meinem Haupte wegzogen, so steh’ ich jetzt oft in Gefahr, dass sie mich von einer Felsenspitze mitnehmen, wenn sie an mir vorbeiziehen. Welche Begierde fühl’ ich, mich in den unendlichen Luftraum zu stürzen, über den schauerlichen Abgründen zu schweben und mich auf einen unzugänglichen Felsen niederzulassen. Mit welchem Verlangen hol’ ich tiefer und tiefer Atem, wenn der Adler in dunkler blauer Tiefe, unter mir, über Felsen und Wäldern schwebt, und in Gesellschaft eines Weibchens um den Gipfel, dem er seinen Horst und seine Jungen anvertraut hat, grosse Kreise in sanfter Eintracht zieht. Soll ich denn nur immer die Höhe erkriechen, am höchsten Felsen 369 wie am niedrigsten Boden kleben, und wenn ich mühselig mein Ziel erreicht habe, mich ängstlich anklammern, vor der Rückkehr schaudern und vor dem Falle zittern?

12
From ‘Faust’: ‘Feeling is everything.’

Margarete

Versprich mir, Heinrich!

Faust

Was ich kann!

Margarete

Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,

Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.

Faust

5

Lass das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;

Für meine Lieben liess’ ich Leib und Blut,

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Margarete

Das ist nicht recht, man muss dran glauben!

Faust

Muss man?

Margarete

Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!

10

Du ehrst auch nicht die heilgen Sacramente.

Faust

Ich ehre sie.

370

Margarete

Doch ohne Verlangen.

Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen

Glaubst du an Gott?

Faust

Mein Liebchen, wer darf sagen:

Ich glaub’ an Gott?

15

Magst Priester oder Weise fragen,

Und ihre Antwort scheint nur Spott

Über den Frager zu sein.

Margarete

So glaubst du nicht?

Faust

Mishör’ mich nicht, du holdes Angesicht!

Wer darf ihn nennen?

20

Und wer bekennen:

Ich glaub’ ihn?

Wer empfinden

Und sich unterwinden

Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht?

25

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,

Fasst und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht da droben?

30

Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend

Ewige Sterne nicht herauf?

Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,

Und drängt nicht alles

35

Nach Haupt und Herzen dir,

Und webt in ewigem Geheimnis

Unsichtbar sichtbar neben dir?

371

Erfüll’ davon dein Herz, so gross es ist,

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,

40

Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namen

Dafür! Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsglut.

Margarete

45

Das ist alles recht schön und gut;

Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,

Nur mit ein bischen andern Worten.

Faust

Es sagen’s aller Orten

Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,

50

Jedes in seiner Sprache;

Warum nicht ich in der meinen?

Margarete

Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,

Steht aber doch immer schief darum;

Denn du hast kein Christentum.

1. The Briefe aus der Schweiz, in two parts, were first published in 1808 as an ‘appendix’ to Werther. They were said to be ‘from Werther’s papers.’ In substance and sentiment, if not in form, they reproduce real letters written by Goethe in his youth.

LXXV. MINOR DRAMATISTS OF THE STORM AND STRESS ERA

The name ‘Storm and Stress,’ derived from a play of Klinger (see below), has long been in use to denote the insurgent spirit of the youthful Goethe (beginning with Götz von Berlichingen in 1773), and of certain other writers who followed in his wake. Aside from Schiller, whose early plays are the strongest expression of the revolutionary tendencies, the other more important names are Klinger, Wagner, Lenz, Leisewitz, and Maler Müller. Their favorite form was the prose tragedy of middle-class life. They wrote of crime and remorse; of fratricide, seduction, rape and child-murder; of class conflict, and of fierce passion at war with the social order. While their plays were meant to exemplify a fearless ‘naturalism,’ the language is often unnaturally extravagant and the plots wildly improbable. For the texts see Kürschner’s Nationalliteratur, Vols. 79-81.

372
1
From Klinger’s ‘Storm and Stress,’ Act 1, Scene 1.1

Zimmer im Gasthofe.

Wild, La Feu, Blasius (treten auf in Reisekleidern).

Wild. Heida! nun einmal in Tumult und Lärmen, dass die Sinnen herumfahren wie Dachfahnen beim Sturm! Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlsein entgegengebrüllt, dass mir’s wirklich ein wenig anfängt besser zu werden. Soviel hundert Meilen gereiset, um dich in vergessenden Lärmen zu bringen—tolles Herz! du sollst mir’s danken! Ha! tobe und spanne dich dann aus, labe dich im Wirrwar! —Wie ist’s euch?

Blasius. Geh zum Teufel! Kommt meine Donna nach?

La Feu. Mach dir Illusion, Narr! Sollt’ mir nicht fehlen, sie von meinem Nagel in mich zu schlürfen, wie einen Tropfen Wasser. Es lebe die Illusion! —Ei, ei! Zauber meiner Phantasie, wandle in den Rosengärten von Phyllis’ Hand geführt—

Wild. Stärk’ dich Apoll, närrischer Junge!

La Feu. Es soll mir nicht fehlen, das schwarze verrauchte Haus gegenüber, mitsamt dem alten Turm, in ein Feenschloss zu verwandeln. Zauber, Zauberphantasie!— (lauschend) Welch lieblich geistige Symphonieen treffen mein Ohr? —Beim Amor! ich will mich wie ein alt Weib verlieben, in einem alten baufälligen Haus wohnen, meinen zarten Leib in stinkenden Mistlaken baden, bloss um meine Phantasie zu scheren. Ist keine alte Hexe da, mit der ich scharmieren könnte? Ihre Runzeln sollen mir zu Wellenlinien der Schönheit werden; ihre herausstehende schwarze Zähne zu marmornen Säulen an Dianens Tempel; ihre herabhangende lederne Zitzen Helenens Busen übertreffen. Einen so aufzutrocknen, wie mich! —He, meine phantastische Göttin! —Wild, ich kann dir sagen, ich hab’ mich brav gehalten die Tour her. Hab’ Dinge gesehen, gefühlt, die kein Hund geschmeckt, keine Nase gerochen, kein Aug gesehen, kein Geist erschwungen—

373 Wild. Besonders wenn ich dir die Augen zuband. Ha! Ha!

La Feu. Zum Orcus! du Ungestüm!— Aber sag’ mir nun auch einmal, wo sind wir in der wirklichen Welt jetzt? In London doch?

Wild. Freilich. Merktest du denn nicht, dass wir uns einschifften? Du warst ja seekrank.

La Feu. Weiss von allem nichts, bin an allem unschuldig.— Lebt denn mein Vater noch? Schick doch einmal zu ihm, Wild, und lass ihm sagen, sein Sohn lebe noch. Käme soeben von den Pyrenäischen Gebirgen aus Friesland. Weiter nichts.

Wild. Aus Friesland?

La Feu. In welchem Viertel der Stadt sind wir dann?

Wild. In einem Feenschloss, La Feu! Siehst du nicht den goldnen Himmel? die Amors und Amouretten? die Damen und Zwergchen?

La Feu. Bind’ mir die Augen zu! (Wild bindet ihm zu.) Wild! Esel! Ochse! nicht zu hart! (Wild bindet ihn los.) He! Blasius, lieber, bissiger, kranker Blasius, wo sind wir?

Blasius. Was weiss ich?

Wild. Um euch einmal aus dem Traum zu helfen, so wisst, dass ich euch aus Russland nach Spanien führte, weil ich glaubte, der König fange mit dem Mogol Krieg an. Wie aber die spanische Nation träge ist, so war’s auch hier. Ich packte euch also wieder auf, und nun seid ihr mitten im Krieg in Amerika. Ha! lass mich’s nur recht fühlen, auf amerikanischem Boden zu stehen, wo alles neu, alles bedeutend ist. Ich trat ans Land—O dass ich keine Freude rein fühlen kann!

La Feu. Krieg und Mord! o meine Gebeine! o meine Schutzgeister! —So gib mir doch ein Feenmärchen! o weh mir!

Blasius. Dass dich der Donner erschlüg’, toller Wild! was hast du wieder gemacht? Ist Donna Isabella noch? He! willst du reden? meine Donna!

Wild. Ha! Ha! Ha! du wirst ja einmal ordentlich aufgebracht.

Blasius. Aufgebracht? Einmal aufgebracht? Du sollst mir’s mit deinem Leben bezahlen, Wild! Was? bin ich wenigstens ein freier Mensch. Geht Freundschaft so weit, dass du in deinen Rasereien einen durch die Welt schleppst wie Kuppelhunde? Uns in die Kutsche zu binden, die Pistole vor die Stirn zu halten, immer 374 fort, klitsch! klatsch! In der Kutsche essen, trinken, uns für Rasende auszugeben, In Krieg und Getümmel von meiner Passion weg, das einzige, was mir übrig blieb—

Wild. Du liebst ja nichts, Blasius.

Blasius. Nein, ich liebe nichts. Ich hab’s so weit gebracht, nichts zu lieben, und im Augenblick alles zu lieben, und im Augenblick alles zu vergessen. Ich betrüge alle Weiber, dafür betrügen und betrogen mich alle Weiber. Sie haben mich geschunden und zusammengedrückt, dass Gott erbarm’! Ich hab’ alle Figuren angenommen. Dort war ich Stutzer, dort Wildfang, dort tölpisch, dort empfindsam, dort Engelländer, und meine grösste Conquete machte ich, da ich nichts war. Das war bei Donna Isabella. Um wieder zurückzukommen—deine Pistolen sind geladen—

Wild. Du bist ein Narr, Blasius, und verstehst keinen Spass.

Blasius. Schöner Spass dies! Greif zu! ich bin dein Feind den Augenblick.

Wild. Mit dir mich schiessen? Sieh, Blasius! Ich wünschte jetzt in der Welt nichts als mich herumzuschlagen, um meinem Herzen einen Lieblingsschmaus zu geben. Aber mit dir? Ha! Ha! (Hält ihm die Pistole vor.) Sieh ins Mundloch und sag, ob dir’s nicht grösser vorkommt als ein Tor in London? Sei gescheit, Freund! Ich brauch’ und lieb’ euch noch, und ihr mich vielleicht auch. Der Teufel konnte keine grössre Narren und Unglücksvögel zusammen führen als uns. Deswegen müssen wir zusammen bleiben, und auch des Spasses halben. Unser Unglück kommt aus unserer eignen Stimmung des Herzens, die Welt hat dabei getan, aber weniger als wir.

Blasius. Toller Kerl! Ich bin ja ewig am Bratspiess.

La Feu. Mich haben sie lebendig geschunden und mit Pfeffer eingepökelt. —Die Hunde!

Wild. Wir sind nun mitten im Krieg hier, die einzige Glückseligkeit, die ich kenne, im Krieg zu sein. Geniesst der Scenen, tut was ihr wollt.

La Feu. Ich bin nicht für’n Krieg.

Blasius. Ich bin für nichts.

Wild. Gott mach euch noch matter! —Es ist mir wieder so taub vorm Sinn. So gar dumpf. Ich will mich über eine Trommel 375 spannen lassen, um eine neue Ausdehnung zu kriegen. Mir ist so weh wieder. O könnte ich in dem Raum dieser Pistole existieren, bis mich eine Hand in die Luft knallte! O Unbestimmtheit! wie weit, wie schief führst du die Menschen!

2
From Leisewitz’ ‘Julius of Tarentum,’ Act 3, Scene 3.2

Guido, Julius

Guido. Julius, kannst du die Tränen eines Vaters ertragen? Ich kann’s nicht.

Julius. Ach, Bruder, wie könnt’ ich?

Guido. Meine ganze Seele ist aus ihrer Fassung, ich möchte mir das Gewühl einer Schlacht wünschen, um wieder zu mir selbst zu kommen. —Und das kann eine Träne? Ach, was ist der Mut für ein wunderbares Ding! Fast möchte ich sagen, keine Stärke der Seele, bloss Bekanntschaft mit einem Gegenstande—und wenn das ist, ich bitte dich, was hat der Held, den eine Träne ausser sich bringt, an innerer Würde vor dem Weibe voraus, das vor einer Spinne auffährt?

Julius. Bruder, wie sehr gefällt mir dieser dein Ton!

Guido. Mir nicht, wie kann mir meine Schwäche gefallen! Ich fühle, dass ich nicht Guido bin. Wahrhaftig, ich zittre—o wenn das ist, so werd’ ich bald auf die rechte Spur kommen!—ich hab’ ein Fieber!

Julius. Seltsam—dass sich ein Mensch schämt, dass sein Temperament stärker ist als seine Grundsätze.

Guido. Lass uns nicht weiter davon reden!—meine jetzige Laune könnte darüber verfliegen, und ich will sie nutzen! Man muss gewisse Entschlüsse in diesem Augenblick ausführen, aus Furcht, sie möchten uns in den künftigen gereuen. Du weisst es, Bruder, ich liebe Blancan, und habe meine Ehre zum Pfande gegeben, 376 dass ich sie besitzen wollte. —Aber diese Tränen machen mich wankend.

Julius. Du setzest mich in Erstaunen.

Guido. Ich glaube meiner Ehre genug getan zu haben, wenn sie niemand anders besitzt, wenn sie bleibt, was sie ist—denn wer kann auf den Himmel eifersüchtig sein? Aber du siehst, wenn ich meine Ansprüche aufgebe, so musst du auch die deinigen, mit all den Entwürfen, sie jemals in Freiheit zu setzen, aufgeben. —Lass uns das tun, und wieder Brüder und Söhne sein! —Wie wird sich unser Vater freuen, wenn er uns beide zu gleicher Zeit am Ziel sieht, wenn wir beide aus dem Kampfe mit einander als Sieger zurückkommen, und keiner überwunden. —Und noch heute muss das geschehen, heut’ an seinem Geburtstage.

Julius. Ach, Guido!

Guido. Eine entscheidende Antwort!

Julius. Ich kann nicht.

Guido. Du willst nicht? so kann ich auch nicht. Aber von nun an bin ich unschuldig an diesen väterlichen Tränen, ich schwör’ es, ich bin unschuldig. Auch ich bekäme meinen Anteil davon, sagt’ er. —Siehe, ich wälze ihn hiemit auf dich. Dein ist die ganze Erbschaft von Tränen und Flüchen!

Julius. Du bist ungerecht,—glaubst du denn, dass sich eine Leidenschaft so leicht ablegen lasse, wie eine Grille, und dass man die Liebe an- und ausziehen könne, wie einen Harnisch? —Ob ich will—ob ich will—wer liebt, will lieben und weiter nichts. —Liebe ist die grosse Feder in dieser Maschine; und hast du je eine so widersinnig künstliche Maschine gesehen, die selbst ein Rad treibt, um sich zu zerstören, und doch noch eine Maschine bleibt?

Guido. Ungemein fein, ungemein gründlich—aber unser armer Vater wird sterben!

Julius. Wenn das geschieht, so bist du sein Mörder! —Deine Eifersucht wird ihn töten, und hast du nicht eben gesagt, du könntest deine Ansprüche aufgeben, wenn du wolltest—heisst das nicht gestehen, dass du sie nicht liebst, und doch bleibst du halsstarrig? Dein Aufgeben wär’ nicht Tugend gewesen, aber dein Beharren ist Laster!

Guido. Bravo! Bravo! Das war unerwartet.

377

Julius. Und was meinst du denn?

Guido. Ich will mich erst ausfreuen, dass die Weisheit eben so eine schlanke geschmeidige Nymphe ist, als die Gerechtigkeit, eben so gut ihre Fälle für einen guten Freund hat. Ich könnte meine Ansprüche aufgeben, wenn ich wollte? —Wenn die Ehre will! —Das ist die Feder in meiner Maschine—du kannst nichts tun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts, ohne die Ehre:—wir beide können also für uns selbst nichts, das, denk’ ich, ist doch wohl ein Fall.

Julius. Hat man je etwas so Unbilliges gehört, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen?

Guido. Einiger Toren! —Du rasest! —Ich verachte dich, wie tief stehst du unter mir! Ich halte meine Rührung durch Tränen für Schwachheit,—aber zu diesem Grade meiner Schwachheit ist deine Tugend noch nicht einmal gestiegen.

Julius. Es ist immer dein Fehler gewesen, über Empfindungen zu urteilen, die du nicht kennst.

Guido. Und dabei immer ums dritte Wort von Tugend zu schwatzen! —Ich glaube, wenn du nun am Ziel deiner Wünsche bist und deinen Vater auf der Bahre siehst, so wirst du anstatt nach getaner Arbeit zu rasten, noch die Leichenträger unterrichten, was Tugend sei, oder was sie nicht sei!

Julius. Wie hab’ ich mich geirrt! Bist du nicht schon wieder in deinem gewöhnlichen Tone?

Guido. Siehe, du hoffest auf seinen Tod, kannst du das leugnen? Glaubst du, dass ich es nicht sehe, dass du alsdenn das Mädchen aus dem Kloster entführen willst? —Es ist wahr, alsdann bist du Fürst von Tarent, und ich bin nichts—als ein Mann. —Aber dein zartes Gehirnchen könnte zerreissen, wenn du das alles lebhaft dächtest, was ein Mann kann. —Gott sei Dank, es gibt Schwerter, und ich hab’ einen Arm, der noch allenfalls ein Mädchen aus den weichen Armen eines Zärtlings reissen kann! Ruhig sollst du sie nicht besitzen, ich will einen Bund mit dem Geiste unsers Vaters machen, der an deinem Bette winseln wird.

Julius. Ich mag so wenig als unser Vater von dir im Affekt hören, was du tun willst. (Ab.)

378
3
From Maler Müller’s ‘Golo and Genevieve,’ Act 3, Scene 4.3

Golo (hervor). Wie unruhig die Nacht! Hat mich der schönste Stern hervorgezischt? Oder war sie es selbst, die jetzt ebenso liebeunruhig im Grünen irret wie ein angeschossen Reh, meiner heissen Sehnsucht zu begegnen? Wie entglommen mein Herz! O Mathilde, du sagtest mir nicht alles; ich bin wohl glücklicher als ich es selbst gewusst.

Ach, süsses Glück der Liebe,

Wer dich nicht kost,

Des Lebens Freude kennt er nicht,

Des Lebens besten Schatz.

Still! Was hör’ ich droben am Fenster? Sie selbst, o Himmel! (Zieht sich in die Grotte.)

Genoveva (oben auf dem Altan). Die du alles bedeckst, Nacht, bedecke auch meinen Gram, süsse, liebe, heitere Nacht! Ich bin schon wieder froh. Was trauere ich denn auch? Was hat mein Herz verbrochen? (Singt.)

Viel lieber wollt’ nicht leben

Als mich dem Gram ergeben;

Der Gram das Leben frisst.

Was nur der Waldbruder meinte? Sollte es möglich sein, grosser Gott, möglich? Golo ein Verräter an mir, an Siegfried, der ihn so brüderlich liebt? Und warum sollt’ er’s sein? Worin? (Singt.)

Aufs sichere Nest kein Vogel geht,

Auch Sturm es manchmal rüttelt;

Kein Baum im freien Walde weht,

Den Winters Gewalt nicht schüttelt.

Was auf der Erde lebt und steht;

Wechselt immer Schmerz und Wonne;

379

Der Winter wohl nach Sommer geht,

Nach Regen lacht die Sonne.

Also packt euch, ihr Grillen, wohin ihr wollt; ich mag nicht länger mit euch zu schaffen haben. Wie angenehm der falbe Mondglanz zwischen den Bäumen dort unten! Ich will auch hinunter, mich noch ein Weilchen erlaben, jetzt, da ich allein bin. Das will ich. (Ab.)

Golo. Kommt sie herunter? Sie fliegt herunter meinen Armen zu. O Stunde, Stunde, bist du da? Ich hör’, ich hör’ sie schon; da ist sie, da bin ich, wie über Wolken zu dir auf, himmlisches, seliges Wesen!

Genoveva. Wer hält mich? Wer ist da? Himmel! Bin ich nicht allein?

Golo. Ach, kannst du noch fragen? Ich bin’s, Genoveva, ich, der schon so lange anbetet, nach dir lechzt wie der Hirsch nach frischem Trank, nach dir! Genoveva, Genoveva, du, selig machst du mich jetzt, selig! (Er kniet vor ihr und hält sie.)

Genoveva. Edler Ritter, lasst ab, ich bitt’ Euch; haltet ein, Ihr irrt.

Golo. O Leben! Nimm mir das Leben! Teure, ich liebe Euch, liebe Euch.

Genoveva. Ihr liebt mich, Ritter? Wie? Ihr? Was sagt Ihr?

Golo

Ach hier, wo sich mein Herz verlor,

In süssen Jugendtagen,

Ihr Stauden, hänget noch betrübt

Von meinen schweren Klagen!

O schau’ hinauf ins Sternenchor,

Sie werden’s all dir sagen,

Wie treu und rein der Ritter liebt,

Der dir so ist ergeben.

So rein ihr Schein,

Steht hoffnungsfroh nach dir allein

Mein Streben und mein Leben.

Erlös’ mich, schönstes Herz, eine arme Seele ans Flammen zu dir! Erbarme dich!

380

Genoveva (zitternd). Was wollt Ihr? Golo, Golo, was sprecht Ihr? Gedenkt doch—O nein, nein, es darf ja nicht—Schweigt doch, der Himmel hört uns beide. Schaut um Euch, junger Ritter; in der Welt werdet Ihr noch eine schöne Gemahlin finden, die Euch trösten darf; sprecht nicht so zu mir; ich vermag’s ja nicht.

Golo. O bei den Lichtern, die dort oben brennen, keine unter dem Himmel und auf Erden als du allein! Eh soll sich dies Herz so in Glut verzehren! Du allein, süsses, seliges Wesen, dein Abdruck, rein bis in den Tod.

Genoveva. O lasst mich, lasst mich, lasst mich doch, Ritter! Kann Euch nicht länger anhören. O Himmel!

Golo. Flieh nicht, Genovevchen, reissest mir die Seele mit weg. Ermorde mich, Grausame; gib mir den Tod; sage, du wollest mich nicht trösten; dein Zorn macht mich zur Leiche.

Genoveva. Golo! Ritter, bedenkt doch ums Himmels willen!

Golo. Es ist vorbei, ich kann nicht. (Küsst ihre Hand.)

Genoveva. Halt!

Golo. Engel, süsser Engel!

Genoveva. Falscher, was treibt Ihr? Unsinniger!

Golo. Umsonst! Umsonst! (Umfasst sie und trägt sie der Höhle zu.)

Genoveva. Ungeheuer! Nicht edler Ritter! —Ihr droben, erbarmt euch mein! Hilfe! Hilfe!

(Dragones der Grotte zu.)

Dragones. Was gibt’s hier? Steht! Wer ist’s? —Eure Stimme, Gräfin? Ehrenräuber! Wer du auch bist, halt! Halt!

Golo (lässt Genoveven los, schlägt den Mantel vor.) Hölle! O alles! Da, nimm’s, ungebetener Hund!

Dragones. Weh mir! Bin verwundet! Hilfe! O Hilfe!

Golo. Was soll ich nun? Genoveva! Was fang’ ich nun an? Verflucht! Dort kommen mehr Leute. Ich muss flüchten, bin verraten, verloren. Weh! Weh!

1. Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831) was a fellow-townsman and friend of Goethe. His Sturm und Drang, which was at first named Wirrwarr, came out in 1776. The scene is ‘America.’ The speakers are Wild, a lusty and masterful man of action; Blasius, a blasé worldling; and La Feu, a sentimental dreamer. They propose to try their fortunes in the French-Indian War

2. Published in 1776—the same year with Klinger’s Die Zwillinge, which also deals with fratricide. Julius, the crown prince, is a studious and romantic dreamer; Guido, a young hotspur. Their father has just been imploring them to end their futile quarrel over the girl Blanca, who has been sent to a nunnery. —Julius of Tarentum is by far the most important work of its author, Johann Anton Leisewitz (1752-1806).

3. Friedrich Müller (1749-1825), commonly distinguished as Maler Müller, wrote his Golo und Genoveva between 1775 and 1781. Siegfried, Count Palatine, has gone to aid Charles Martel against the Moors, leaving his virtuous and saintly wife, Genevieve, in the care of his trusted vassal Golo. Inflamed by lust and perverted by evil counsels, Golo proves faithless to his trust. The scene is in Genevieve’s castle-garden, where Golo has hidden in a grotto.

381

LXXVI. THE GÖTTINGEN POETIC ALLIANCE

In the year 1772 a number of Göttingen youths formed a society for the cultivation of a vigorous Deutschtum in what they supposed to be the spirit of the forefathers. Klopstock was their hero, Wieland their aversion. They wrote songs, ballads, odes, idyls, elegies, etc., treating of freedom, virtue, love of country, the brave days of old; of nature and the seasons; of common folk and their employments. Their work accords with the general spirit of the ‘Storm and Stress,’ and here and there presages the romantic movement. Of the selections, Nos. 1, 4, 9 are by Count Friedrich Leopold Stolberg (1750-1819); Nos. 2, 5 by Johann Heinrich Voss (1751-1826); Nos. 3, 6, 10 by Ludwig Hölty (1748-1776); Nos. 7, 8 by Johann Martin Miller (1750-1814). See Kürschner’s Nationalliteratur, Vols. 49-50.

1
Die Freiheit.

Freiheit! Der Höfling kennt den Gedanken nicht,

Sklave! Die Kette rasselt ihm Silberton!

Gebeugt das Knie, gebeugt die Seele,

Reicht er dem Joche den feigen Nacken.

5

Mir ein erhabner, schauergebärender

Wonne-Gedanke! Fre heit, ich fühle dich!

Das ganze Herz, von dir erfüllet,

Strömet in voller Empfindung über!

Nektar der Seele! Helden entflammtest du,

10

Welchen die Nachwelt jedes Erstaunen weiht,

Du stärktest sie! In Sklavenhänden

Rostet der Stahl, wird entnervt der Bogen.

Wer für die Freiheit, wer für das Vaterland

Mutig den Arm hebt, leuchtet im Blute wie

15

Der Blitz des Nachtsturms; der Gefahren

Trübt ihm nicht eine die heitre Stirne.

Namen, mir festlich wie ein Triumphgesang:

Brutus! Tell! Hermann! Cato! Timoleon!

Im Herzen des, dem freie Seele

20

Gott gab, mit Flammenschrift eingegraben.

382
2
An Goethe.1

Der du edel entbranntst, wo hochgelahrte

Diener Justinians Banditen zogen,

Die in Roms Labyrinthen

Würgen das Recht der Vernunft;

Freier Goethe, du darfst die goldne Fessel,

Aus des Griechen Gesang geschmiedet, höhnen!

Shakespeare dürft’ es und Klopstock,

Söhne gleich ihm der Natur!

Mag doch Heinrichs Homer,2 im trägen Mohnkranz,

Mag der grosse Corneill’, am Aristarchen—

Trone knieend, das Klatschen

Staunender Leutlein erflehn!

Deutsch und eisern wie Götz, sprich Hohn den Schurken—

Mit der Fessel im Arm! Des Sumpfes Schreier

Schmäht der Leu zu zerstampfen,

Wandelt durch Wälder und herrscht!

3
An Teuthard.3

Trotz jedem Ausland stürmet Begeisterung

In deutschen Seelen. Barden, ihr zeuget es,

Die ihr von Sarons Palmen und von

Heimischen Eichen euch Kränze wandet!

5

Mit schnellern Flügen als der Hesperier

Und Brite flogt ihr, Barden des Vaterlands,

Zu Bragas Gipfel! Noch war Dämmrung;

Dämmrung zerflog, und die Mittagssonne

383

Stand hoch am Himmel. —Muse Teutoniens,

10

Du bietest deiner Schwester, der Britin, Trotz

Und überfleugst sie bald! Du lächelst,

Muse, der gaukelnden Afterschwester,

Die in den goldnen Sälen Lutetiens

Ihr Liedchen klimpert. Schande dem Sohne Teuts,

15

Der’s durstig trinket, weil es Wollust

Durch die entloderten Adern strömet!

Kein deutscher Jüngling wähle das Mädchen sich,

Das deutsche Lieder hasset und Buhlersang

Des Galliers in ihre Laute

20

Tändelnde Silberaccorde tönet!

Schwing deine Geissel, Sänger der Tugend, schwing

Die Feuergeissel, welche dir Braga gab,

Die Natternbrut, die unsre deutsche

Redlichkeit, Keuschheit und Treue tötet,

25

Zurückzustäupen! Ich will, o Freund, indes,

Wenn deine Geissel brauset, des tollen Schwarms

Am Busen eines deutschen Mädchens

Unter den Blumen des Frühlings lachen.

4
Lied eines deutschen Knaben.

Mein Arm wird stark, und gross mein Mut,

Gib, Vater mir ein Schwert!

Verachte nicht mein junges Blut,

Ich bin der Väter wert!

5

Ich finde fürder keine Ruh

Im weichen Vaterland!

Ich stürb, o Vater, stolz wie du,

Den Tod fürs Vaterland!

Schon früh in meiner Jugend war

10

Mein täglich Spiel der Krieg;

Im Bette träumt’ ich nur Gefahr

Und Wunden nur und Sieg.

Mein Feldgeschrei erweckte mich

Aus mancher Türkenschlacht;

15

Noch jüngst ein Faustschlag, welchen ich

Dem Bassa zugedacht.

384

Da neulich unsrer Krieger Schar

Auf dieser Strasse zog,

Und, wie ein Vogel der Husar

20

Das Haus vorüberflog:

Da gaffte starr und freute sich

Der Knaben froher Schwarm;

Ich aber, Vater, härmte mich

Und prüfte meinen Arm.

25

Mein Arm wird stark, und gross mein Mut,

Gib, Vater, mir ein Schwert!

Verachte nicht mein junges Blut,

Ich bin der Väter wert!

5
Trinklied für Freie.

Mit Eichenlaub den Hut bekränzt!

Wohlauf! und trinkt den Wein,

Der duftend uns entgegenglänzt!

Ihn sandte Vater Rhein.

5

Ist einem noch die Knechtschaft wert,

Und zittert ihm die Hand,

Zu heben Kolbe, Lanz’ und Schwert,

Wenn’s gilt fürs Vaterland:

Weg mit dem Schurken, weg von hier!

10

Er kriech’ um Schranzenbrot,

Und sauf’ um Fürsten sich zum Tier,

Und bub’4 und lästre Gott!

Und putze seinem Herrn die Schuh,

Und führe seinem Herrn

15

Sein Weib und seine Tochter zu

Und trage Band und Stern!

Für uns, für uns ist diese Nacht,

Für uns der edle Trank!

Man keltert’ ihn, als Frankreichs Macht

20

In Höchstädts5 Tälern sank.

Drum, Brüder, auf! den Hut bekränzt!

Und trinkt, und trinkt den Wein,

Der duftend uns entgegenglänzt!

Uns sandt’ ihn Vater Rhein.

25

Uns rötet hohe Freiheitsglut,

Uns zittert nicht die Hand,

Wir scheuten nicht des Vaters Blut,

Geböt’s das Vaterland.

Uns, uns gehöret Hermann an,

30

Und Tell, der Schweizerheld,

Und jeder freie deutsche Mann;

Wer hat den Sand gezählt?

6
Vaterlandslied.

Gesegnet mir, mein Vaterland,

Wo ich so viele Tugend fand,

Gesegnet mir, mein Vaterland!

385

Die Männer haben Heldenmut,

Verströmen Patriotenblut,

Sind edel auch dabei und gut.

Die Weiber sind den Engeln gleich,

Es ist, fürwahr, ein Himmelreich,

Ihr Preislichen, zu schauen euch.

Sie lieben Zucht und Biedersinn.

O selig Land, worin ich bin!

O möcht’ ich lange leben drin!

7
Lob der Alten.

Es leben die Alten,

Die Mädchen und Wein

Für Mittel gehalten

Sich weislich zu freun!

5

Sie übten die Pflichten

Des Biedermanns aus

Und lachten in Züchten

Beim nächtlichen Schmaus.

Da lud man die Jugend

10

Zum Mahle mit ein,

Und predigte Tugend

Durch Taten allein;

Man rühmte die Grossen,

Die, tapfer und gut,

15

Kein andres vergossen

Als feindliches Blut.

Dem Lande zu Ehren

Nahm jeder sein Glas;

Vergnügen half’s leeren,

20

Doch hielten sie Mass,

Und lachten sich nüchtern

Und sangen in Ruh

Von fröhlichen Dichtern

Ein Liedchen dazu.

25

Um Mitternacht schieden

Sie küssend vom Schmaus,

Und kehrten in Frieden

Zum Weibchen nach Haus.

Es leben die Alten!

30

Wir folgen dem Brauch,

Auf den sie gehalten,

Und freuen uns auch.

8
Deutsches Trinklied.

Auf, ihr meine deutschen Brüder,

Feiern wollen wir die Nacht!

Schallen sollen frohe Lieder,

Bis der Morgenstern erwacht!

5

Lasst die Stunden uns beflügeln!

Hier ist echter, deutscher Wein,

Ausgepresst auf deutschen Hügeln

Und gereift am alten Rhein!

Wer im fremden Tranke prasset,

10

Meide dieses freie Land!

Wer des Rheines Gabe hasset,

Trik’ als Knecht am Marnestrand!

Singt in lauten Wechselchören!

Ebert, Hagedorn und Gleim

15

Sollen uns Gesänge lehren;

Denn wir lieben deutschen Reim.

Trotz geboten allen denen,

Die, mit Galliens Gezier,

Unsre Nervensprache höhnen!

20

Ihrer spotten wollen wir!

386

Ihrer spotten! Aber, Brüder,

Stark und deutsch, wie unser Wein,

Sollen immer unsre Lieder

Bei Gelag und Mahlen sein.

25

Unser Kaiser Joseph lebe!

Biedermann und deutsch ist er.

Hermanns hoher Schatten schwebe

Waltend um den Enkel her,

Dass er, mutig in Gefahren,

30

Sich dem Vaterlande weih’,

Und in Kindeskinder-Jahren

Muster aller Kaiser sei!

Jeder Fürst im Lande lebe,

Der es treu und redlich meint!

35

Jedem wackern Deutschen gebe

Gott den wärmsten Herzensfreund,

Und ein Weib in seine Hütte,

Das ihm sei ein Himmelreich,

Und ihm Kinder geb’, an Sitte

40

Seinen braven Vätern gleich!

Leben sollen alle Schönen,

Die, von fremder Torheit rein,

Nur des Vaterlandes Söhnen

Ihren keuschen Busen weihn!

45

Deutsche Redlichkeit und Treue

Macht uns ihrer Liebe wert:

Drum wohlauf! der Tugend weihe

Jeder-sich, der sie begehrt!

9
An die Natur.

Süsse, heilige Natur,

Lass mich gehn auf deiner Spur!

Leite mich an deiner Hand,

Wie ein Kind am Gängelband!

Wenn ich dann ermüdet bin,

Rück ich dir am Busen hin,

Atme süsse Himmelslust,

Hangend an der Mutter Brust.

Ach, mir ist so wohl bei dir!

Will dich lieben für und für.

Lass mich gehn auf deiner Spur,

Süsse, heilige Natur!

10
Frühlingslied.

Die Luft ist blau, das Tal ist grün,

Die kleinen Maienglocken blühn

Und Schlüsselblumen drunter;

Der Wiesengrund

Ist schon so bunt

Und malt sich täglich bunter.

Drum komme, wem der Mai gefällt,

Und freue sich der schönen Welt

Und Gottes Vatergüte,

Die diese Pracht

Hervogebracht,

Dem Baum und seine Blüte.

1. The ode, written in 1773, alludes to Goethe’s newly published Götz, in which there are some drastic comments on German legal procedure under the Code Justinian.

2. Allusion to Voltaire’s Henriade.

3. Teuthard—poetic name for a rugged Old German—is Fritz Hahn, a member of the Alliance.

4. Buben, ‘indulge in shameless vice.’

5. At Höchstädt in Bavaria the French were defeated in 1704 by the English and Germans.

LXXVII. GOTTFRIED AUGUST BÜRGER

1747-1794. The stormy decade 1770-1780, which quickened other germs of what was afterwards to be known as romanticism, brought with it a notable renascence of the ballad. By general consent the first place in the balladry 387 of the time belongs to Bürger’s Lenore (1774). The uncanny supernaturalism and onomatopœic word-jingles, which had lent a mysterious fascination to many an old ballad, but had virtually disappeared from the lyric poetry of the reason-worshiping century, were here revived with telling effect.

Lenore.

Lenore fuhr ums Morgenrot

Empor aus schweren Träumen:

“Bist untreu, Wilhelm, oder tot?

Wie lange willst du säumen?”

5

Er war mit König Friedrichs Macht

Gezogen in die Prager Schlacht,

Und hatte nicht geschrieben,

Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,

10

Des langen Haders müde,

Erweichten ihren harten Sinn

Und machten endlich Friede;

Und jedes Heer, mit Sing und Sang,

Mit Paukenschlag und Kling und Klang,

15

Geschmückt mit grünen Reisern,

Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,

Auf Wegen und auf Stegen,

Zog alt und jung dem Jubelschall

20

Der Kommenden entgegen.

Gottlob! rief Kind und Gattin laut,

Willkommen! manche frohe Braut.

Ach! aber für Lenoren

War Gruss und Kuss verloren.

25

Sie frug den Zug wohl auf und ab,

Und frug nach allen Namen;

Doch keiner war, der Kundschaft gab,

Von allen, so da kamen.

Als nun das Heer vorüber war,

30

Zerraufte sie ihr Rabenhaar

Und warf sich hin zur Erde,

Mit wütiger Gebärde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr:—

“Ach, dass sich Gott erbarme!

35

Du trautes Kind, was ist mit dir?”—

Und schloss sie in die Arme.—

“O Mutter, Mutter, hin ist hin!

Nun fahre Welt und alles hin!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

40

O weh, o weh mir Armen!”—

“Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!

Kind, bet’ ein Vaterunser!

Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Gott, Gott erbarmt sich unser!”—

45

“O Mutter, Mutter, eitler Wahn!

Gott hat an mir nicht wohlgetan!

Was half, was half mein Beten?

Nun ist’s nicht mehr von Nöten.”—

“Hilf Gott, hilf! wer den Vater kennt,

50

Der weiss, er hilft den Kindern.

Das hochgelobte Sacrament

388

Wird deinen Jammer lindern.”—

“O Mutter, Mutter, was mich brennt,

Das lindert mir kein Sacrament!

55

Kein Sacrament mag Leben

Den Toten wiedergeben.”—

“Hör, Kind, wie wenn der falsche Mann,

Im fernen Ungerlande,

Sich seines Glaubens abgetan,

60

Zum neuen Ehebande?

Lass fahren, Kind, sein Herz dahin!

Er hat es nimmermehr Gewinn!

Wann Seel’ und Leib sich trennen,

Wird ihn sein Meineid brennen.”—

65

“O Mutter, Mutter, hin ist hin!

Verloren ist verloren!

Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!

O wär’ ich nie geboren!

Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

70

Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus!

Bei Gott ist kein Erbarmen.

O weh, o weh mir Armen!”—

“Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht

Mit deinem armen Kinde!

75

Sie weiss nicht, was die Zunge spricht.

Behalt ihr nicht die Sünde!

Ach, Kind, vergiss dein irdisch Leid,

Und denk’ an Gott und Seligkeit!

So wird doch deiner Seelen

80

Der Bräutigam nicht fehlen,”—

“O Mutter, was ist Seligkeit?

O Mutter! Was ist Hölle?

Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,

Und ohne Wilhelm Hölle!—

85

Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

Stirb hin, stirb hin, in Nacht und Graus!

Ohn ihn mag ich auf Erden,

Mag dort nicht selig werden.”—

So wütete Verzweifelung

90

Ihr in Gehirn und Adern.

Sie fuhr mit Gottes Vorsehung

Vermessen fort zu hadern;

Zerschlug den Busen und zerrang

Die Hand, bis Sonnenuntergang,

95

Bis auf am Himmelsbogen

Die goldnen Sterne zogen.

Und aussen, horch! ging’s trap trap trap,

Als wie von Rosses Hufen;

Und klirrend stieg ein Reiter ab,

100

An des Geländers Stufen.

Und horch! und horch! den Pfortenring

Ganz lose, leise, klinglingling!

Dann kamen durch die Pforte

Vernehmlich diese Worte:

105

“Holla! Holla! Tu auf, mein Kind!

Schläfst, Liebchen, oder wachst du?

389

Wie bist noch gegen mich gesinnt?

Und weinest oder lachst du?”—

“Ach, Wilhelm, du? —So spät bei Nacht?—

110

Geweinet hab ich und gewacht;

Ach, grosses Leid erlitten!

Wo kommst du hergeritten?”—

“Wir satteln nur um Mitternacht.

Weit ritt ich her von Böhmen.

115

Ich habe spät mich aufgemacht,

Und will dich mit mir nehmen.”—

“Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!

Den Hagedorn durchsaust der Wind,

Herein, in meinen Armen,

120

Herzliebster, zu erwarmen!”—

“Lass sausen durch den Hagedorn,

Lass sausen, Kind, lass sausen!

Der Rappe scharrt, es klirrt der Sporn,

Ich darf allhier nicht hausen.

125

Komm, schürze, spring und schwinge dich

Auf meinen Rappen hintermich!

Muss heut noch hundert Meilen

Mit dir ins Brautbett eilen.”—

“Ach, wolltest hundert Meilen noch

130

Mich heut ins Brautbett tragen?

Und horch! es brummt die Glocke noch,

Die elf schon angeschlagen.”—

“Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell.

Wir und die Toten reiten schnell.

135

Ich bringe dich, zur Wette,

Noch heut ins Hochzeitbette.”—

“Sag’ an, wo ist dein Kämmerlein?

Wo? Wie dein Hochzeitbettchen?”—

“Weit, weit von hier! —Still, kühl und klein!—

140

Sechs Bretter und zwei Brettchen!”—

“Hat’s Raum für mich?” —“Für dich und mich!

Komm, schürze, spring und schwinge dich!

Die Hochzeitgäste hoffen;

Die Kammer steht uns offen.”—

145

Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang

Sich auf das Ross behende;

Wohl um den trauten Reiter schlang

Sie ihre Lilienhände.

Und hurre hurre, hop hop hop,

150

Ging’s fort im sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

Zur rechten und zur linken Hand

Vorbei vor ihren Blicken,

155

Wie flogen Anger, Heid’ und Land!

Wie donnerten die Brücken!

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

Hurra! die Toten reiten schnell!

390

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

160

“Ach, nein! —Doch lass die Toten!”

Was klang dort für Gesang und Klang?

Was flatterten die Raben?

Horch Glockenklang! horch Totensang:

“Lasst uns den Leib begraben!”

165

Und näher zog ein Leichenzug,

Der Sarg und Totenbahre trug.

Das Lied war zu vergleichen

Dem Unkenruf in Teichen.

“Nach Mitternacht begrabt den Leib,

170

Mit Klang und Sang und Klage!

Jetzt führ’ ich heim mein junges Weib.

Mit, mit zum Brautgelage!

Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor,

Und gurgle mir das Brautlied vor!

175

Komm, Pfaff, und sprich den Segen,

Eh wir zu Bett uns legen!”—

Still Klang und Sang. —Die Bahre schwand.—

Gehorsam seinem Rufen,

Kam’s hurre hurre! nachgerannt,

180

Hart hinters Rappen Hufen.

Und immer weiter, hop hop hop!

Ging’s fort im sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben.

Und Kies und Funken stoben.

185

Wie flogen rechts, wie flogen links

Gebirge, Bäum’ und Hecken!

Wie flogen links, und rechts, und links

Die Dörfer, Städt’ und Flecken!

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

190

Hurra! die Toten reiten schnell!

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

“Ach! Lass sie ruhn, die Toten!”—

Sieh da! sieh da! Am Hochgericht

Tanzt’ um des Rades Spindel

195

Halb sichtbarlich, bei Mondenlicht,

Ein lustiges Gesindel.—

“Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!

Gesindel, komm und folge mir!

Tanz uns den Hochzeitreigen,

200

Wann wir zu Bette steigen!”—

Und das Gesindel husch husch husch!

Kam hinten nachgeprasselt,

Wie Wirbelwind am Haselbusch

Durch dürre Blätter rasselt

205

Und weiter, weiter, hop hop hop!

Ging’s fort irn sausenden Galopp,

Dass Ross und Reiter schnoben,

Und Kies und Funken stoben.

391

Wie flog, was rund der Mond beschien,

210

Wie flog es in die Ferne!

Wie flogen oben über hin

Der Himmel und die Sterne!—

“Graut Liebchen auch? —Der Mond scheint hell!

Hurra! die Toten reiten schnell!

215

Graut Liebchen auch vor Toten?”—

“O weh, lass ruhn die Toten!”—

“Rapp’! Rapp’! Mich dünkt, der Hahn schon ruft.—

Bald wird der Sand verrinnen—

Rapp’! Rapp’! Ich wittre Morgenluft—

220

Rapp’! Tummle dich von hinnen!—

Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!

Das Hochzeitbette tut sich auf!

Die Toten reiten schnelle!

Wir sind, wir sind zur Stelle!”—

225

Rasch auf ein eisern Gittertor

Ging’s mit verhängtem Zügel.

Mit schlanker Gert’ ein Schlag davor

Zersprengte Schloss und Riegel.

Die Flügel flogen klirrend auf,

230

Und über Gräber ging der Lauf.

Es blinkten Leichensteine

Rund um im Mondenscheine.

Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick

Huhu! ein grässlich Wunder!

235

Des Reiters Koller, Stück für Stück,

Fiel ab wie mürber Zunder.

Zum Schädel, ohne Schöpf und Zopf,

Zum nackten Schädel ward sein Kopf;

Sein Körper zum Gerippe,

240

Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp’,

Und sprühte Feuerfunken;

Und hui! war ’s unter ihr hinab

Verschwunden und versunken.

245

Geheul! Geheul aus hoher Luft,

Gewinsel kam aus tiefer Gruft.

Lenorens Herz, mit Beben,

Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Mondenglanz,

250

Rund um herum im Kreise,

Die Geister einen Kettentanz,

Und heulten diese Weise:

“Geduld! Geduld! Wenn’s Herz auch bricht!

Mit Gott im Himmel hadre nicht!

255

Des Leibes bist du ledig;

Gott sei der Seele gnädig!”

392

LXXVIII. FRIEDRICH SCHILLER

1759-1805. The more important work of Schiller falls without the limit set for this book. His contribution to the literature of revolution begins with the Robbers (1781), a fierce castigation of the social order, and ends with Cabal and Love (1784), which is the only family tragedy of that time that has survived on the stage. The dramatic genius which was to give Schiller the supreme place in the history of the German theater appears full-fledged in his early plays, not, however, his self-control, his wisdom, or his knowledge of human nature.

1
Lied Amaliens.

Schön wie Engel, voll Walhallas Wonne,

Schön vor allen Jünglingen war er,

Himmlisch mild sein Blick, wie Maiensonne

Rückgestrahlt vom blauen Spiegelmeer.

Seine Küsse—paradiesisch Fühlen!

Wie zwo Flammen sich ergreifen, wie

Harfentöne in einander spielen

Zu der himmelvollen Harmonie,—

Stürzten, flogen, schmolzen Geist und Geist zusammen,

Lippen, Wangen brannten, zitterten,—

Seele rann in Seele—Erd’ und Himmel schwammen

Wie zerronnen um die Liebenden!

Er ist hin—vergebens, ach, vergebens

Stöhnet ihm der bange Seufzer nach!

Er ist hin, und alle Lust des Lebens

Wimmert hin in ein verlorenes Ach!

2
Die Entzückung an Laura.

Laura, über diese Welt zu flüchten

Wähn’ ich—mich in Himmelmaienglanz zu lichten,

Wenn dein Blick in meine Blicke flimmt;

Ätherlüfte träum’ ich einzusaugen,

5

Wenn mein Bild in deiner sanften Augen

Himmelblauem Spiegel schwimmt.

393

Leierklang aus Paradieses Fernen,

Harfenschwung aus angenehmern Sternen,

Ras’ ich in mein trunknes Ohr zu ziehn;

10

Meine Muse fühlt die Schäferstunde,

Wenn von deinem wollustheissen Munde

Silbertöne ungern fliehn.

Amoretten seh’ ich Flügel schwingen,

Hinter dir die trunknen Fichten springen,

15

Wie von Orpheus’ Saitenruf belebt;

Rascher rollen um mich her die Pole,

Wenn im Wirbeltanze deine Sohle

Flüchtig, wie die Welle, schwebt.

Deine Blicke, wenn sie Liebe lächeln,

20

Könnten Leben durch den Marmor fächeln,

Felsenadern Pulse leihn;

Träume werden um mich her zu Wesen,

Kann ich nur in deinen Augen lesen:

Laura, Laura mein!

3
From the ‘Robbers,’ Act 3, Scene 2.

Gegend an der Donau.

Die Räuber,1 gelagert auf einer Anhöhe unter Bäumen, die Pferde weiden am Hügel hinunter.

Moor. Hier muss ich liegen bleiben (wirft sich auf die Erde). Meine Glieder wie abgeschlagen. Meine Zunge trocken, wie eine Scherbe. (Schweizer verliert sich unbemerkt.) Ich wollt’ euch bitten, mir eine Handvoll Wrassers aus diesem Strome zu holen; aber ihr seid alle matt bis in den Tod.

Schwarz. Auch ist der Wein all in unsern Schläuchen.

Moor. Seht doch, wie schön das Getreide steht! —Die Bäume brechen fast unter ihrem Segen—der Weinstock voll Hoffnung.

394 Grimm. Es gibt ein fruchtbares Jahr.

Moor. Meinst du? —Und so würde doch Ein Schweiss in der Welt bezahlt. Einer? —Aber es kann ja über Nacht ein Hagel fallen und alles zu Grund schlagen.

Schwarz. Das ist leicht möglich. Es kann alles zu Grund gehen, wenig Stunden vorm Schneiden.

Moor. Das sag’ ich ja. Es wird alles zu Grund gehen. Warum soll dem Menschen das gelingen, was er von der Ameise hat, wenn ihm das fehlschlägt, was ihn den Göttern gleich macht? —Oder ist hier die Mark seiner Bestimmung?

Schwarz. Ich kenne sie nicht.

Moor. Du hast gut gesagt und noch besser getan, wenn du sie nie zu kennen verlangtest! —Bruder—ich habe die Menschen gesehen, ihre Bienensorgen und ihre Riesenprojekte—ihre Götterpläne und ihre Mäusegeschäfte, das wundersame Wettrennen nach Glückseligkeit;—dieser dem Schwung seines Rosses anvertraut—ein anderer der Nase eines Esels—ein dritter seinen eignen Beinen; dieses bunte Lotto des Lebens, worein so mancher seine Unschuld und—seinen Himmel setzt, einen Treffer zu haschen, und—Nullen sind der Auszug—am Ende war kein Treffer darin. Es ist ein Schauspiel, Bruder, das Tränen in die Augen lockt, wenn es dein Zwerchfell zu Gelächter kitzelt.

Schwarz. Wie herrlich die Sonne dort untergeht!

Moor (in den Blick verschwemmt). So stirbt ein Held! —Anbetungswürdig!

Grimm. Du scheinst tief gerührt.

Moor. Da ich noch ein Bube war—war’s mein Lieblingsgedanke, wie sie zu leben, zu sterben wie sie— (Mit verbissenem Schmerz) Es war ein Bubengedanke!

Grimm. Das will ich hoffen.

Moor (drückt den Hut übers Gesicht). Es war eine Zeit—Lasst mich allein, Kameraden!

Schwarz. Moor! Moor! Was zum Henker! Wie er seine Farbe verändert!

Grimm. Alle Teufel! Was hat er? Wird ihm übel?

Moor. Es war eine Zeit, wo ich nicht schlafen konnte, wenn ich mein Nachtgebet vergessen hatte—

395 Grimm. Bist du wahnsinnig? Willst du dich von deinen Bubenjahren hofmeistern lassen?

Moor (legt sein Haupt auf Grimms Brust.) Bruder! Bruder!

Grimm. Wie? Sei doch kein Kind! Ich bitte dich—

Moor. Wär’ ich’s,—wär’ ich’s wieder!

Grimm. Pfui! Pfui!

Schwarz. Heitre dich auf! Sieh diese malerische Landschaft—den lieblichen Abend.

Moor. Ja, Freunde, diese Welt ist so schön.

Schwarz. Nun, das war wohl gesprochen.

Moor. Diese Erde so herrlich.

Grimm. Recht—recht—so hör’ ich’s gerne.

Moor (zurückgesunken). Und ich so hässlich auf dieser schönen Welt—und ich ein Ungeheuer auf dieser herrlichen Erde.

Grimm. O weh! o weh!

Moor. Meine Unschuld! Meine Unschuld! —Seht, es ist alles hinausgegangen, sich im friedlichen Strahl des Frühlings zu sonnen—warum ich allein die Hölle saugen aus den Freuden des Himmels? —Dass alles so glücklich ist, durch den Geist des Friedens alles so verschwistert! —Die ganze Welt Eine Familie, und Ein Vater dort oben—Mein Vater nicht—Ich allein der Verstossene, ich allein ausgemustert aus den Reihen der Reinen—mir nicht der süsse Name Kind—nimmer mir der Geliebten schmachtender Blick—nimmer, nimmer des Busenfreunds Umarmung! (Wild zurückfahrend) Umlagert von Mördern—von Nattern umzischt—angeschmiedet an das Laster mit eisernen Banden—hinausschwindelnd ins Grab des Verderbens auf des Lasters schwankendem Rohr—mitten in den Blumen der glücklichen Welt ein heulender Abbadona!

Schwarz (zu den übrigen). Unbegreiflich! Ich habe ihn nie so gesehen.

Grimm (zu den andern). Nur Geduld! Der Paroxysmus ist schon im Fallen.

Moor. Es war eine Zeit, wo sie mir so gern flössen—o ihr Tage des Friedens! Du Schloss meines Vaters—ihr grünen schwärmerischen Täler! O all ihr Elysiumszenen meiner Kindheit! —Werdet ihr nimmer zurückkehren—nimmer mit köstlichem Säuseln 396 meinen brennenden Busen kühlen? —Dahin! dahin! unwiederbringlich!

1. Count Karl Moor, having been cast off by his father, through the machinations of his villainous younger brother Franz, has declared war on society and become captain of a band of robbers. But he is no selfish criminal, and his better nature often asserts itself, as in this scene.

4
From ‘Cabal and Love,’ Act 1, Scene 4.

Ferdinand von Walter. Louise.2

(Er fliegt auf sie zu—sie sinkt entfärbt und matt auf einen Sessel—er bleibt vor ihr stehen—sie sehen sich eine Zeitlang stillschweigend an. Pause.)

Ferdinand. Du bist blass, Louise?

Louise (steht auf und fällt ihm um den Hals). Es ist nichts! nichts! Du bist ja da! Es ist vorüber!

Ferdinand (ihre Hand nehmend und zum Munde führend). Und liebt mich meine Louise noch? Ich fliege nur her, will sehen, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein. —Du bist’s nicht.

Louise. Doch, doch, mein Geliebter.

Ferdinand. Rede mir Wahrheit! Du bist’s nicht. Ich schaue durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten. (Er zeigt auf seinen Ring.) Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht merkte—kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte. Was hast du? Geschwind! Weiss ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt. Was bekümmert dich?

Louise (sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmut). Ferdinand! Ferdinand! Dass du noch wüsstest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt—

Ferdinand. Was ist das? (Befremdet) Mädchen! Höre! Wie kommst du auf das? —Du bist meine Louise! Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muss. Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick—in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit 397 neben deiner Liebe? —Schäme dich! Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jüngling gestohlen.

Louise (fasst seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt). Du willst mich einschläfern, Ferdinand—willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiss stürzen muss. Ich seh’ in die Zukunft—die Stimme des Ruhms—deine Entwürfe—dein Vater—mein Nichts. (Erschrickt und lässt plötzlich seine Hand fahren.) Ferdinand! Ein Dolch über dir und mir! —Man trennt uns!

Ferdinand. Trennt uns! (Er springt auf.) Woher bringst du diese Ahnung, Louise? Trennt uns? —Wer kann den Bund zwoer Herzen lösen oder die Töne eines Akkords auseinander reissen? —Ich bin ein Edelmann—Lass doch sehen, ob mein Adelsbrief älter ist als der Riss zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen giltiger als die Handschrift des Himmels in Louisens Augen: dieses Weib ist für diesen Mann? —Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer als die Liebe kann mir die Flüche versüssen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?

Louise. O wie sehr furcht’ ich ihn—diesen Vater!

Ferdinand. Ich fürchte nichts—nichts—als die Grenzen deiner Liebe! Lass auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Louisens Arme fliegen. Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Louise nur reizender machen. —Also nichts mehr von Furcht, meine Liebe! Ich selbst—ich will über dir wachen, wie der Zauberdrach über unterirdischem Golde. —Mir vertraue dich! Du brauchst keinen Engel mehr—Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen—empfangen für dich jede Wunde—auffassen für dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude—dir ihn bringen in der Schale der Liebe. (Sie zärtlich umfassend) An diesem Arm soll meine Louise durchs Leben hüpfen; schöner als er dich von sich liess soll der Himmel dich wieder haben und mit Verwunderung eingestehen, dass nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte.—

Louise (drückt ihn von sich in grosser Bewegung). Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig! —Wüsstest du—lass mich—Du weisst nicht, dass deine Hoffnungen mein Herz wie Furien anfallen. (Will fort.)

398 Ferdinand (hält sie auf). Louise? Wie? Was? Welche Anwandlung?

Louise. Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich—jetzt! Jetzt! Von heut an!—der Friede meines Lebens ist aus—Wilde Wünsche—ich weiss es—werden in meinem Busen rasen. —Geh—Gott vergebe dir’s! —Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden. (Sie stürzt hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach.)

2. Louise is the daughter of a middle-class musician. She has not yet heard of any plot (the ‘cabal’ comes later) to separate her from her noble lover, whose intentions are honorable; but her father’s uneasiness and her own instinctive class-feeling fill her with dismay.

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From a Discourse on the Theater, read before the German Society of Mannheim in 1784.

Noch ein Verdienst hat die Bühne—ein Verdienst, das ich jetzt um so lieber in Anschlag bringe, weil ich vermute, dass ihr Rechtshandel mit ihren Verfolgern ohnehin schon gewonnen sein wird. Was bisher zu beweisen unternommen worden, dass sie auf Sitten und Aufklärung wesentlich wirke, war zweifelhaft—dass sie unter allen Erfindungen des Luxus und allen Anstalten zur gesellschaftlichen Ergötzlichkeit den Vorzug verdiene, haben selbst ihre Feinde gestanden. Aber was sie hier leistet, ist wichtiger als man gewöhnt ist zu glauben.

Die menschliche Natur erträgt es nicht, ununterbrochen und ewig auf der Folter der Geschäfte zu liegen, die Reize der Sinne sterben mit ihrer Befriedigung. Der Mensch, überladen vom tierischem Genuss, der langen Anstrengung müde, vom ewigen Triebe nach Tätigkeit gequält, dürstet nach bessern auserlesenem Vergnügungen, oder stürzt zügellos in wilde Zerstreuungen, die seinen Hinfall beschleunigen und die Ruhe der Gesellschaft zerstören. Bacchantische Freuden, verderbliches Spiel, tausend Rasereien, die der Müssiggang ausheckt, sind unvermeidlich, wenn der Gesetzgeber diesen Hang des Volkes nicht zu lenken weiss. Der Mann von Geschäften ist in Gefahr, ein Leben, das er dem Staat so grossmütig hinopferte, mit dem unseligen Spleen abzubüssen—der Gelehrte zum dumpfen Pedanten herabzusinken—der Pöbel zum Tier. Die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet, wo keine Kraft der Seele zum Nachteil der andern gespannt, kein Vergnügen auf Unkosten 399 des Ganzen genossen wird. Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsre einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drücken, und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne—in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur und treiben das Blut in frischeren Wallungen. Der Unglückliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eignen aus—der Glückliche wird nüchtern und der Sichere besorgt. Der empfindsame Weichling härtet sich zum Manne, der rohe Unmensch fängt hier zum ersten Mal zu empfinden an. Und dann endlich—welch ein Triumph für dich, Natur!—so oft zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende Natur!—wenn Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch Eine allwebende Sympathie verbrüdert, in Ein Geschlecht wieder aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern! Jeder einzelne geniesst die Entzückungen aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, und seine Brust gibt jetzt nur Einer Empfindung Raum—es ist diese: ein Mensch zu sein.

 
 

END OF PART SECOND