401
Stübchen - Stuck
Stübchen, altes Flüssigkeitsmaß im nördlichen und westlichen Deutschland, in Hamburg = 3,62 Lit., in Hannover = 3,89 L., in Bremen = 3,22 L.
Stuben (ungar. Stubnya), höchst gelegener ungar. Badeort im Komitat Turocz, Eigentum der nahen Stadt Kremnitz, mit alkalisch-salinischen, bei Rheuma, Gicht und Hautkrankheiten wirksamen Thermen von 46,5° C. S. ist Station der Ungarischen Staatsbahn.
Stubenarrest, s. Arrest.
Stubenfliege, s. Fliegen, S. 373.
Stubensandstein, s. Triasformation.
Stubenvögel (Käfigvögel, hierzu Tafel "Ausländische Stubenvögel"). Die Liebhaberei für S. ist uralt. In Indien, Japan und China richtet man schon seit Jahrtausenden kleine Vögel zu Kampfspielen ab. Alexander d. Gr. brachte den ersten Papagei von seinem Zug aus Asien mit, und auch später haben bei Eroberungen und Entdeckungen prächtige Schmuckvögel die Triumphzüge der Heimkehrenden verherrlichen müssen. Aus Amerika, wo die Peruaner seit alten Zeiten Papageien zähmten, brachte Kolumbus diese Vögel nach Europa. In Deutschland fanden der Fink und der Dompfaff in manchen Landstrichen, wie in Tirol, im Harz und in Thüringen, begeisterte Freunde, und dem Vogelmarkt, der sich in manchen Städten, wie namentlich in Berlin, außerordentlich entwickelte, verdankt auch die Wissenschaft manche Bereicherung. Viel größere Verbreitung als irgend ein heimischer Vogel fand aber der Kanarienvogel, dem sich seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts andre überseeische Sing- und Schmuckvögel anschlossen. Schon 1790 gab Vieillot ein besonderes Werk über dieselben heraus. Zu Bechsteins Zeit wurden 72 Arten fremdländischer Vögel nach Deutschland eingeführt, und 1858 gab Bolle ein Verzeichnis von 51 Arten. Zehn Jahre später nahm aber diese Liebhaberei einen ganz außerordentlichen Aufschwung, und wenn damals die Zahl der eingeführten Arten auf 250 veranschlagt werden konnte, so hat sich dieselbe bis 1878 auf nahezu 700 gesteigert. Neben den Singvögeln, wie Spottdrossel und andre Drosseln, Grasmücken, Finken, Starvögel, Bülbüls etc., spielen gegenwärtig besonders die Prachtfinken (Astrilds und Amadinen), Witwenvögel (Widafinken), Weber, Reisvogel, Tangaren, Sonnenvogel, Dominikanerfink, Kardinal und Papageien die größte Rolle und erregen ein besonderes Interesse dadurch, daß sie in der Gefangenschaft leicht zur Brut schreiten. Die Tafel zeigt eine Auswahl der beliebtesten ausländischen S. Man züchtet sie vielfach in sogen. Vogelstuben oder Heckkäfigen, und der Handel mit den bei uns gezüchteten fremdländischen Vögeln erreicht bereits einen namhaften Betrag. Trotz der großen Mannigfaltigkeit der fremdländischen sind aber auch die einheimischen Vögel noch immer ein bedeutsamer Gegenstand der Liebhaberei. Sprosser, Nachtigall, Schwarzplättchen, von Südeuropa her Stein- und Blaudrossel sind von großer Wichtigkeit für den Vogelhandel, dann nicht minder verschiedene Grasmücken, Rot- und Blaukehlchen, Meisen, Drosseln, Hänfling, Stieglitz, Edelfink, Gimpel u. a. m., welche auch zugleich zahlreich nach Nordamerika und andern Weltteilen ausgeführt werden. Neuerdings züchtet man auch vielfach einheimische Finken und selbst Insektenfresser in Volieren und Vogelstuben. - Was die Gesundheitszeichen aller S. betrifft, so ist darüber folgendes zu sagen: jeder Vogel muß munter und frisch aussehen, natürliche Lebhaftigkeit, glatt anliegendes, am Unterleib nicht beschmutztes Gefieder, nicht trübe oder matte Augen, nicht verklebte oder schmutzige Nasenlöcher, keinen spitz hervortretenden Brustknochen haben; er darf nicht traurig, struppig oder aufgebläht dasitzen und nicht kurzatmig sein; abgestoßenes Gefieder, fehlender Schwanz und beschmutzte Federn bergen nicht immer Gefahr, doch muß bei Wurmvögeln dann wenigstens ein voller Körper vorhanden sein. Die Fütterung soll der Ernährung im Freileben gleichen, und daher lassen sich keine allgemein gültigen Regeln geben. Die hauptsächlichsten Futtermittel für alle Körnerfresser sind Hanf, Kanariensame, Hirse, Hafer u. a. m., für die Insektenfresser: frische oder getrocknete Ameisenpuppen, Mehlwürmer, Eierbrot, Eikonserve u. dgl. wie auch süße Beeren und andre Früchte. Unentbehrlich sind auch Kalk (Sepia, wohl auch Mörtel von alten Wänden) und sauberer, trockner Stubensand. Reinlichkeit, sorgfältige Bewahrung vor Zugluft, Nässe, schnellem Temperaturwechsel, plötzlichem Erschrecken und Beängstigen sind die hauptsächlichsten Hilfsmittel zur Erhaltung der Gesundheit für alle S. Vgl. die Schriften von Ruß (s. d.); Friderich, Naturgeschichte der deutschen Zimmer-, Haus- und Jagdvögel (3. Aufl., Stuttg. 1876); Reichenbach, Die Singvögel (als Fortsetzung der "Vollständigsten Naturgeschichte"); Gebr. Müller, Gefangenleben der besten einheimischen Singvögel (Leipz. 1871); Lenz, Naturgeschichte der Vögel (5. Aufl., Gotha 1875); A. E. Brehm, Gefangene Vögel (Leipz. 1872-75, 2 Bde.); Chr. L. Brehms "Vogelhaus", neubearbeitet von Martin (3. Aufl. , Weim. 1872), und die Zeitschrift "Die gefiederte Welt" (hrsg. von Ruß, Berl., seit 1872).
Stüber (holländ. Stuiver), frühere Scheidemünze in den Niederlanden (20 S. = 1 Gulden); in Ostfriesland etc. (72 S. = 1 preußischen Thaler); auch alte schwedische Silbermünze, s. v. w. Ör (s. d.).
Stubica, Badeort im kroatisch-slawon. Komitat Agram, 8 km von Krapina-Teplitz, mit vielen indifferenten Thermen von 58,7° C.
Stuck (ital. stucco), Mischung von Gips, Kalk und Sand, welche in der Baukunst sowohl zum Überzug der Wände als zur Verfertigung der Gesimse und Reliefverzierungen dient. Man unterscheidet je nach der Zubereitung: Weißstuck, Kalkstuck, Graustuck, Glanzstuck (ital. stucco lustro), Leinölstuck. Schon die alten Griechen wandten eine Art S. als Überzug bei nicht in Marmor aufgeführten Bauten an. Die eigentliche Stuckaturarbeit zur Verzierung hieß bei den Römern Opus albarium oder coronarium und ward von ihnen vielfach an Decken und Wänden, meist bemalt oder vergoldet, angewandt. Nachdem die Kunst lange in Vergessenheit geraten war, soll sie zuerst von Margaritone um 1300 von neuem erfunden worden sein. Vervollkommt ward dieselbe namentlich durch den Maler Nanni von Udine zur Zeit Raffaels, wie die nach diesem benannten Logen im Vatikan zeigen. Recht in Aufnahme kam aber die Stuckaturarbeit in Deutschland und anderwärts erst mit dem Rokokostil zu Anfang des 18. Jahrh. Zur Stuckaturarbeit muß das feinste Material angewandt werden. Die Masse wird in weichem Zustand aufgetragen und erst, wenn sie etwas hart und zäh geworden, mit den Fingern und dem Bossiereisen in beliebige Formen gebracht. Gute Stuckaturarbeit trotzt jeder Witterung. Eine Art S. ist auch der sogen. Gips- oder Stuckmarmor, mit welchem man Säulen etc. bekleidet, um ihnen ein marmorartiges Ansehen zu geben. Vgl. Heusinger v. Waldegg, Der Gipsbrenner (Leipz. 1863); Fink, Der Tüncher, Stuckator etc. (das. 1866).
Meyers Konv.- Lexikon, 4. Aufl., xv. Bd.
26
AUSLÄNDISCHE STUBENVÖGEL.
1. Helenafascäuclxen (Habropyga. Astrild).-
2. Grauer Astrild ( Habropyga cinerea). -
3. Tigerfink (Pytelia ampdava).-
4. Zebrafink ( Zonaeginthus casta.notis) (1-4 Ait.^4strU 5. Bandvogel (Spermestes fasciai-a).- 6. Erz amadme, Meines Eisterchen (Spermestes cucullata) (5,6 ATI
. ^tmacUnen,). - 7. Schwarzköpfiger Webervoge| (HyphAntornis toxtor) (Art.
Webervögel]. - 8. Paradieswitwe (Vidua paradisea) (Art. wwwanmS/Ä). - 9. Beisvogel (Padda oryzivora) (Art. Retevogel}. - 10. Tangara ('Rhamphocehis Tyrasiliensis) (Art. Tan#aren). - 11. Socopvogel (I,eiofhrix Juteus) (Art. SomunvoffA) - 12. Dominikanerfink (Paroraria dominicana)..- 13. Kardinal, virginische Nachtigall (Cardinalii viriniatius ) ( 12, 13
Aj-t.Kas°£isi 402 Stück - Studieren. Stück, s. v. w. Geschütz. Stuckatur, s. Stuck. Stücke in Esther, s. Esther. Stückelalgen, s. v. w. Diatomaceen, s. Algen, S.
343. Stückelberg, Ernst, Maler, geb. 22. Febr. 1831 zu
Basel, ging 1850 auf die Antwerpener Akademie, von da nach Paris,
1854 nach München, 1856 nach Italien, wo er ein Jahrzehnt
blieb, und ließ sich dann in Basel nieder. Von seinen
poetisch empfundenen und zart gemalten Bildern sind die
hervorragendsten: Prozession im Sabinergebirge (1859-60, Museum zu
Basel); Kirchgang aus "Faust" (1865); der Kindergottesdienst,
Marionetten, Jugendliebe (Museum in Köln); Echo und Narkissos,
als Pendants; Zigeuner an der Birs; der Eremit von Maranno; das
helvetische Siegesopfer. 1877 malte er ein großes Fresko:
Erwachen der Kunst, in der Kunsthalle zu Basel, und im selben Jahr
erhielt er den ersten Preis für Entwürfe zu Fresken der
neuen Tell-Kapelle am Vierwaldstätter See, welche er bis 1887
ausführte. Stückelung (franz. coupure), im Münzwesen und
bei Wertpapieren die Festsetzung der Teilmünzen und der
Appoints (s. d.). Stückfaß, Gebinde Wein, in Frankfurt a. M. = 8
¼ Ohm, in Leipzig = 4, in Nürnberg = 15 bis 15 ½
Eimer Visiermaß. Das dänische Stykfad à 5 Oxhoft
= 11,231 hl. Stückgießerei, s. v. w.
Geschützgießerei (s. d.). Stückgut, Bronze zu Geschützen. Stückgüter (auch zählende Güter),
Waren, welche nach der Zahl (Groß, Dutzend, Schock, Ballen
etc.) angegeben werden, beim Eisenbahn- und Wassertransport
diejenigen, welche nicht in ganzen Wagen- oder Schiffsladungen,
sondern als besondere Frachtstücke oder Kolli (s. d.)
aufgegeben werden. Vgl. Eisenbahntarife. Stückjunker, im 17. und 18. Jahrh. Name des
Fähnrichs bei der Artillerie. Stückkugel, s. Geschoß, S. 213. Stücklohn, s. Arbeitslohn, S. 759. Stuckmarmor, s. Gips, S. 357. Stückzahlung, s. v. w. Abschlagszahlung. Stückzinsen, bei Wertpapieren derjenige Teil vom
Betrag des nächstfälligen Zinskoupons, welcher auf die
seit dem letzten Zinstermin verflossene Zeit entfällt. Stud., Abkürzung für Studiosus, Student; z. B.
Stud. arch. nav., für St. architecturae navalis, Studierender
des Schiffbaues (an technischen Hochschulen); Stud. phil.,
Studierender der Philosophie; Stud. philol., Studierender der
Philologie; Stud. rer. nat., für St. rerum naturalium,
Studierender der Naturwissenschaften. Stud., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung
für B. Studer (s.d.). Stud-book (engl., spr. stodd-buck), "Gestütbuch",
das Verzeichnis der in einem Land vorhandenen Vollbluttiere nebst
deren Pedigree (s. d.). Studemund, Wilhelm, namhafter Philolog, geb. 3. Juli 1843
zu Stettin, studierte 1860-63 in Berlin und Halle, hielt sich
1864-66 zu wissenschaftlichen Zwecken in Italien auf und fertigte
besonders eine Abschrift des berühmten Mailänder
Palimpsestes des Plautus, privatisierte dann in Halle, verglich
1867 bis 1868 in Verona auf Anregung der Berliner Akademie das
Palimpsest des Gajus, wurde 1868 außerordentlicher und 1869
ordentlicher Professor der Philologie in Würzburg, 1870 in
Greifswald und 1872 in Straßburg, wo er auch die Leitung des
philologischen Seminars übernahm. Seit 1885 als ordentlicher
Professor und Mitdirektor des philologischen Seminars an der
Universität Breslau wirkend und 1889 zum Geheimen
Regierungsrat ernannt, starb er daselbst 9. Aug. 1889. S. ist
hochverdient um die lateinische Paläographie und die Kritik
des Plautus sowie um die griechischen Musiker und Metriker. Er
veröffentlichte: "De canticis Plautinis"
(Inauguraldissertation, Berl. 1864), "Studien auf dem Gebiet des
archaischen Lateins" (Bd. 1, das. 1873), "Analecta Liviana" (mit
Th. Mommsen, Leipz. 1873), "Gaji institutionum codicis Veronensis
apographum" (das. 1874), eine Handausgabe des Gajus (mit P.
Krüger; 2. Aufl., Berl. 1884), "Anecdota varia graeca musica,
metrica, grammatica" (das. 1886) und zahlreiche Abhandlungen,
besonders zu Plautus, von dessen "Vidularia" er auch eine Ausgabe
besorgte (Greifsw. 1870, 2. Aufl. 1883). Student (lat.), s. Studieren. Studer, Bernhard, Geolog, geb. 21. Aug. 1794 zu
Büren im Kanton Bern, studierte anfangs in Bern Theologie,
wandte sich aber mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien
zu und wurde 1815 Lehrer am Gymnasium zu Bern, studierte dann in
Göttingen und Paris Geologie und Astronomie, begleitete
Leopold v. Buch auf mehreren Alpenreisen und widmete sich seitdem
hauptsächlich der Erforschung der Alpen. 1825 erhielt er die
für ihn errichtete Professur der Geologie in Bern, die er bis
1873 innehatte. Er starb 2. Mai 1887 in Bern. Von seinen Schriften
sind zu nennen: "Monographie der Molasse" (Bern 1825); "Geologie
der westlichen Schweizeralpen" (Heidelb. 1834); "Anfangsgründe
der mathematischen Geographie" (2. Aufl., Bern 1842); "Die
Gebirgsmasse von Davos" (das. 1837); "Lehrbuch der physikalischen
Geographie und Geologie" (das. 1844-47, 2 Bde.); "Hauteurs
barometriques prises dans le Piémont, en Valois et en
Savoie" (mit Escher von der Linth, das. 1843); "Geologie der
Schweiz" (das. 1851-53, 2 Bde.); "Einleitung in das Studium der
Physik und Elemente der Mechanik" (das. 1859); "Geschichte der
physischen Geographie der Schweiz" (Zürich 1863); "Über
den Ursprung der Schweizer Seen" (Genf 1864); "Zur Geologie der
Berner Alpen" (Stuttg. 1866); "Index der Petrographie und
Stratigraphie der Schweiz" (Bern 1872); "Gneis und Granit der
Alpen" (Berl. 1873). Auch bearbeitete er mit Escher von der Linth
die treffliche "Carte géologique de la Suisse" (Winterth.
1853, 2. Aufl. 1870, in 4 Blättern) und eine
Übersichtskarte in 1 Blatt. In den letzten Jahren widmete er
sich besonders der auf seine Anregung von der Schweizerischen
Naturforschenden Gesellschaft beschlossenen Herausgabe von
"Beiträgen zu einer geologischen Karte der Schweiz" und der
geologischen Kolorierung der großen Schweizerkarte von
Dufour. 1885 legte er das Präsidium der schweizerischen
geologischen Kommission nieder. - Sein Vetter Gottlieb S., geb.
1804 zu Bern, lebt als Bibliothekar daselbst und ist bekannt als
Mitbegründer des Schweizer Alpenklubs und durch die wertvollen
Schriften: "Berg- und Gletscherfahrten" (mit Ulrich und Weilenmann,
Zürich 1859-63, 2 Bde.); "Über Eis und Schnee. Die
höchsten Gipfel der Schweiz und die Geschichte ihrer
Besteigung" (Bern 1869-83, 4 Bde.). Studie (v. lat. studium), Übungsstück,
Vorarbeit zu einem Kunstwerk, besonders in der Malerei etc. Studienanstalten, in Bayern amtliche Bezeichnung der
Gymnasien; s. Gymnasium, S. 962. Studieren (lat.), wissenschaftlich forschen, etwas
wissenschaftlich betreiben; zu diesem Zweck eine Hochschule
besuchen. Student, Studiosus, ein Stu- 403 Studio - Stuhlzwang. dierender, besonders auf einer Hochschule (vgl.
Universitäten). Studio (Bruder S.), scherzhaft für Studiosus,
Student. Studium (lat., Mehrzahl: Studien), wissenschaftliche
Forschung sowie der Gegenstand derselben; auch Werkstätte
eines bildenden Künstlers (ital. studio). Als akademisches S.
pflegt man die Bildungszeit zu bezeichnen, die jemand auf der
Universität zubringt. Studjianka, Dorf, s. Borissow. Studley Royal (spr. stoddli reu-el), s. Ripon. Stuer, Lehngut in Mecklenburg-Schwerin, am Plauer See,
hat eine evang. Kirche, eine Burgruine, eine besuchte
Wasserheilanstalt und (1885) 173 Einw. Stuerbout (spr. stührbaut), Maler, s. Bouts. Stufe, ein Stück Gestein oder Erz; Fundstufe, am
Fundort von dem gefundenen Mineral genommene Probe; auch ein vom
Markscheider oder einem Bergbeamten in das Gestein eingehauenes
Merk- oder Grenzzeichen. Stufenerz, s. v. w. Stuferz. Stufengebete (Staffelngebete) heißen die Gebete,
welche am Anfang der Messe von dem Celebranten und dem Altardiener
auf der untersten Stufe des Altars gesungen werden. Stufenjahre, s. Klimakterische Jahre. Stufenlieder, s. Psalmen. Stufenscheibe, s. Riemenräderwerke. Stufenschnitt, in der Heraldik, s. Heroldsfiguren. Stuferz (Stufferz), derbes Erz; edle Stuferze, reine
gediegene Erzstücke, welche keiner Aufbereitung auf Pochwerken
etc. bedürfen. Stuhl, früher Bezeichnung gewisser hoher
Gerichtsbarkeiten, z. B. Schöppenstuhl; in Siebenbürgen
früher s. v. w. Gerichtsbezirk (daher Stuhlrichter etc.). Stühle. Über die S. der Alten s. Sella. Im
frühern Mittelalter kommt der Stuhl noch selten vor und
dann nur als Thronstuhl für hohe Würdenträger oder
als Ehrensitz für das Familienhaupt. Die übrigen
Familienmitglieder setzten sich auf Schemel, Bänke, Truhen,
Klappstühle, Sessel. Am Ende des 11. Jahrh. findet man Schemel
mit Rückenlehnen im täglichen Gebrauch, doch immer nur
noch bei Vornehmen. Im 13. Jahrh. wird die Sitzplatte sechs- bis
achteckig, und das Gerät hat die entsprechende gleiche Zahl
von Beinen oder Stützen; für den Richterstuhl besteht aus
jener Zeit die Vorschrift, daß er vierbeinig sein soll.
Ebenfalls im 13. Jahrh. fertigte man auch schon S. aus dünnen
Eisenstäben, deren Sitze aus Riemen oder Gurten bereitet und
mit Kissen belegt wurden. Sehr kostbar waren und blieben das ganze
Mittelalter hindurch die byzantinischen und römischen
Prachtstühle, die besonders hohe und mit Schnitzereien
gezierte Rücklehnen sowie geschweifte oder gedrechselte
Säulen und Füße hatten. Ein solcher Prachtstuhl,
der in der Regel mit einem gestickten oder gewirkten Überzug
bedeckt war, stand nie frei, sondern meist vor der Mitte einer
Wand. Stuhlfeier Petri, s. Petri Stuhlfeier. Stuhlgericht, s. v. w. Femgericht. Stuhlherr (Gerichtsherr), bei den frühern
Patrimonialgerichten der Inhaber der Patrimonialgerichtsbarkeit (s.
d.); bei den Femgerichten (s. d.) des Mittelalters der Inhaber des
sogen. Freistuhls und der Patronatsherr des Gerichts. Stühlingen, Stadt im bad. Kreis Waldshut, an der
Wutach und der Linie Oberlauchringen-Weizen der Badischen
Staatsbahn, 501 m ü. M., Hauptstadt der dem Fürsten von
Fürstenberg gehörigen gleichnamigen Standesherrschaft,
hat ein Bergschloß (Hohenlupfen), ein Hauptzollamt, eine
Bezirksforstei, Baumwollzwirnerei, Gerberei, eine Kunstmühle
und (1885) 1244 Einw. 1849 wurden hier römische Mauern mit
Mosaikboden gefunden. Stuhlrohr, s. v. w. Spanisches Rohr. Stuhlverstopfuug (Obstruktion), Hemmung der normalen
Darmentleerung. Die S. ist keine selbständige Krankheit,
sondern nur das Symptom einer solchen und begleitet eine
große Zahl von Darmleiden. Entweder hat die S. ihre Ursache
darin, daß an irgend einer Stelle des Darmrohrs eine
Verengerung, Einklemmung oder Verschlingung eingetreten ist, welche
mechanisch das Hineingelangen des Inhalts in den Mastdarm und seine
Entleerung hindert, oder es liegt bei freier Wegsamkeit eine mehr
oder weniger vollständige Lähmung der Darmbewegung
(Peristaltik) dem Übel zu Grunde. Eine solche Trägheit in
der wurmförmigen Zusammenziehung kann künstlich durch
sogen. stopfende Mittel, Tannin und besonders Opium, hervorgerufen
werden; gemeiniglich ist sie eine Folge vorausgegangener abnorm
lebhafter Bewegungen, wie sie bei Darmkatarrhen,
Darmentzündungen, choleraähnlichen Durchfällen oder
beim Typhus vorkommen; zuweilen ist die üble Angewohnheit der
seltenen Stuhlentleerung schuld an der S., in noch andern
Fällen mag eine organische Erkrankung des Nervenapparats,
welcher in der Darmwand selbst liegt, die Ursache der sogen.
habituellen S. (Hartleibigkeit) sein. Die leichtern Grade der S.,
welche ungemein häufig nach kleinen Diätfehlern
auftreten, weichen der Anwendung milder Abführmittel, wie
Rizinusöl, Senna, oder dem Gebrauch einiger Gläser
Bitterwasser. Die hartnäckigen Fälle erfordern eine
sorgfältige Behandlung des ursachlichen Darmleidens; bei
habitueller S. ist die Diät zu regeln, für Bewegung und
Erhaltung eines guten Allgemeinbefindens zu sorgen und bei
bestehender hypochondrischer Verstimmung künstlich durch milde
Arzneien vollständige und tägliche Öffnung des
Leibes zu schaffen. Stuhlweißenburg (ungar. Szekesfehervar, lat. Alba
regia), königliche Freistadt im ungar. Komitat
Weißenburg und Knotenpunkt der Süd- und Ungarischen
Westbahn, hat einen Dom, unter dem außer alten
Königsgräbern auch die Basilika Stephans des Heiligen
gefunden wurde, eine bischöfliche Residenz mit Bibliothek, 3
Klöster, eine schöne Seminarkirche, ein neues Theater,
eine große Honvedkaserne, ein Denkmal des Dichters
Vörösmarty (von Vay) und (1881) 25,612 Einw., die
lebhaften Handel (bedeutend sind die Pferdemärkte) und Gewerbe
treiben. S. hat ein katholisches Obergymnasium, ein
Priesterseminar, eine Real- und eine Handelsschule, ein
Militärhengstedepot und ist Sitz des Komitats, eines
römisch-katholischen Bischofs, Domkapitels und Gerichtshofs. -
Von Stephan dem Heiligen zur Krönungsstadt erhoben, war S.
seitdem meist Residenz und Begräbnisstätte der
ungarischen Könige, bis erstere zur Zeit des Königs Bela
IV. nach Ofen verlegt wurde. 1543 fiel die Stadt den Türken
durch Kapitulation in die Hände. Infolge der hier 3. Nov. 1593
und 6. Sept. 1601 von den Kaiserlichen über die Türken
erfochtenen Siege kam die Stadt wieder in den Besitz der erstern,
aber schon 1602 durch Meuterei der Besatzung von neuem in die
Gewalt der Türken, welche sie erst 1688 verließen. Stuhlwinde, s. Aufzüge, S. 70. Stuhlzeug, Roßhaargewebe zum Beziehen von
Möbeln. Stuhlzwang (Tenesmus), das schmerzhafte Drängen zum
Stuhl, wobei aber nur geringe Kotmassen 404 Stuhm - Stumpfsinn. entleert werden, oder welches auch gänzlich erfolglos
bleibt. Der S. beruht auf krampfhafter Zusammenziehung der
Muskulatur des Dickdarms und des Afterschließmuskels und ist
konstantes Symptom der Dickdarmentzündungen bei Katarrhen,
namentlich des Mastdarms, bei Reizungen durch Würmer und
vornehmlich bei Ruhr, Typhus etc. Der S. hört mit erfolgtem
Stuhl auf, oder dauert noch eine Weile fort; er kann ein
äußerst quälendes Symptom darstellen. Stuhm, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk
Marienwerder, an zwei Seen und an der Linie Thorn-Marienburg der
Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine kath.
Kirche, ein altes Schloß, Amtsgericht, Pferdemärkte und
(1885) 2238 Einw. Stuhmsdorf, Dorf im preuß. Regierungsbezirk
Marienwerder, Kreis Stuhm, hat eine kath. Kirche und 602 Einw. Hier
wurde 12. Sept. 1635 unter französischer Vermittelung ein
Waffenstillstand auf 26 Jahre zwischen Schweden und Polen
geschlossen. Stuhr, Peter Feddersen, Geschichtsforscher, geb. 28. Mai
1787 zu Flensburg, ließ sich nach beendetem akademischen
Studium 1810 in Heidelberg nieder und machte sich durch seine
Polemik gegen Niebuhr in der Schrift "Über den Untergang der
Naturstaaten" (Berl. 1817) bekannt. Nachdem er den Feldzug von 1813
in der hanseatischen Legion und den von 1815 in der
preußischen Landwehr, dann im 6. Ulanenregiment mitgemacht,
erhielt er eine Anstellung als Sekretär bei der
Militärstudienkommission in Berlin und 1826 eine
außerordentliche Professur daselbst. Er starb 13. März
1851 in Berlin. Von seinen Arbeiten sind noch hervorzuheben: "Die
Staaten des Altertums und die christliche Zeit in ihrem Gegensatz"
(Heidelb. 1811); "Die Religionssysteme der heidnischen Völker
des Orients" (Berl. 1836) und der Hellenen" (das. 1838); "Die drei
letzten Feldzüge gegen Napoleon" (Lemgo 1832, Bd. 1); "Der
Siebenjährige Krieg" (das. 1834); "Geschichte der See- und
Kolonialmacht des Großen Kurfürsten" (Berl. 1839);
"Forschungen und Erläuterungen über Hauptpunkte der
Geschichte des Siebenjährigen Kriegs" (Hamb. 1842, 2
Bde.). Stuiben, Berg in den Algäuer Alpen, südwestlich
von Immenstadt, 1764 m hoch, mit Wirtshaus. Stuifen, Bergkegel an der Nordwestseite des Albuch
(Schwäbischer Jura) im württembergischen Jagstkreis,
erreicht 756 m Höhe. Stuiver, Münze, s. Stüber. Stüler, Friedrich August, Architekt, geb. 28. Jan.
1800 zu Mühlhausen in Thüringen, bildete sich zu Berlin
nach Schinkel, bereiste 1829 und 1830 Frankreich und Italien, ward
Hofbauinspektor und 1832 Hofbaurat und Direktor der
Schloßbaukommission. Unter Friedrich Wilhelm IV.
eröffnete sich ihm ein bedeutender Wirkungskreis. Außer
den "Vorlegeblättern für Möbeltischler" , welche er
mit Strack in 4 Heften (1835 ff.) herausgab, sind unter seinen
architektonischen Entwürfen die im "Album des
Preußischen Architektenvereins" (Potsd. 1837 ff.)
erschienenen hervorzuheben, ferner die zu dem neuen Rathaus in
Perleberg, zum Wiederaufbau des Winterpalais in Petersburg, zu den
Schloßbauten in Boitzenburg, Basedow, Arendsee, Dalwitz und
zu der katholischen Kirche in Rheda. Seine bedeutendste
Schöpfung ist das Neue Museum in Berlin. Auch der Kuppelbau
auf dem Triumphbogen des Hauptportals des königlichen
Schlosses ist sein Werk. Andre Bauten von ihm sind: die Alte
Börse zu Frankfurt a. M. (1844), die Matthäus-, Jacobus-,
Markus- und Bartholomäuskirche in Berlin, mehrere
Prachtanlagen im Park von Sanssouci, die Nikolaikirche zu Potsdam,
die Vollendung des großherzoglichen Schlosses zu Schwerin,
die Universität zu Königsberg, das Nationalmuseum zu
Stockholm, die Akademie zu Pest. Endlich lieferte er eine Menge
dekorativer Zeichnungen für Gußwerke,
Porzellangefäße, Silberarbeiten etc. S. starb 18.
März 1865 in Berlin. Stultitia (lat.), Thorheit; Stultus, Thor. Stumm, Karl Ferdinand, Freiherr von, Industrieller, geb.
30. März 1836 zu Saarbrücken, besuchte die
Universitäten Bonn und Berlin und übernahm sodann die
Leitung der von seinem Vater gegründeten großen
Eisenhüttenwerke in Neunkirchen. 1870/71 führte er als
Rittmeister der Landwehr eine Ulanenschwadron; auch erhielt er von
der Regierung den Titel eines Geheimen Kommerzienrats. Er wurde
1867 gleichzeitig in das preußische Abgeordnetenhaus und den
Reichstag gewählt und gehörte dem erstern bis 1870, dem
andern bis 1881 und wieder seit 1889 an. 1882 wurde er zum Mitglied
des Herrenhauses ernannt und 1888 in den Freiherrenstand erhoben.
Mitglied der deutschen Reichspartei, unterstützte er
namentlich die wirtschaftlichen Reformen Bismarcks, sowohl die
schutzzöllnerische Tarifreform von 1879 als die
Maßregeln für den Schutz des Handwerks und der Arbeiter.
Sein Bruder Ferdinand, Freiherr von S., geb. 1843 zu Neunkirchen,
machte als Offizier die Feldzüge gegen Dänemark (1864) u.
Österreich (1866) mit, nahm 1868 am Feldzug der Engländer
gegen Abessinien teil, trat 1869 zur diplomatischen Laufbahn
über, kämpfte aber 1870/71 im Kriege gegen Frankreich und
ward 1883 zum Gesandten in Darmstadt, 1885 in Kopenhagen, 1887 in
Madrid ernannt. 1888 ward er Botschafter des Deutschen Reichs in
Madrid und in den Freiherrenstand erhoben. Stummelaffe (Colobus Illig.), Gattung aus der Familie der
Schmalnasen (Catarrhini) und der Unterfamilie der Hundsaffen,
stehen den Schlankaffen (s. d.) sehr nahe, haben aber an den
Vorderhänden nur Daumenrudimente; ihr Leib ist schlank, die
Schnauze kurz, der Schwanz sehr lang; sie besitzen
Gesäßschwielen, aber keine Backentaschen. Die Guereza
(C. Guereza Rüpp.), 65 cm lang, mit 70 cm langem Schwanz, ist
schwarz mit silbergrauer Kehle und Stirnbinde und grauer
Seitenmähne u. Schwanzquaste; er bewohnt Abessinien, lebt fast
nur auf Bäumen, ist höchst behende, durchaus harmlos und
nährt sich von Blättern, Früchten und Insekten. Zu
derselben Gattung gehören der Bärenstummelaffe (C.
ursinus Wagn.), in Westafrika, und der Teufelsaffe(C. Satanas
Wagn.), auf Fernando Po. Stumme Rollen, im Theaterwesen Rollen, in welchen der
Schauspieler nicht spricht oder singt, sondern sich einzig und
allein durch die Gebärdensprache zu verstehen gibt (z. B. in
der "Stummen von Portici"). Stummheit, das Unvermögen, artikulierte Laute
hervorzubringen, zeigt sich bei Krankheiten des Gehirns
(Schlagfluß, Epilepsie etc.) und der Sprachwerkzeuge, auch
bei Taubheit (Taubstummheit). Stumpf, s. Juxtabuch. Stumpfsinn (Stupor), ein Seelenzustand, bei welchem alle
Thätigkeit des Gehirns daniederliegt. Teils als
selbständige Geisteskrankheit, teils als Teilerscheinung
mannigfacher Symptomenkomplexe (Melancholie, paralytische
Geistesstörung) aufgefaßt, stellt der S. den
höchsten Grad des Schwachsinns dar, welcher durch die
gänzliche Aufhebung aller willkürlichen psychischen wie
motorischen Äußerungen charakterisiert ist. Man sieht
diese Kranken im Zustand völliger Geistesabwesenheit und
Regungslosigkeit durch Tage und Wo- 405 Stunde - Sturdza. chen verharren; keine Frage wird beantwortet, kein
äußerer Eindruck kommt zum Bewußtsein, das
Gefühl gegen Frost und Hitze, gegen Schmerzen und andere
Sinneseindrücke ist verloren. Der Harn u. Speichel
fließen unwillkürlich ab, die Kranken verunreinigen
sich, sie müssen künstlich ernährt werden, da sie
sonst verhungern oder verdursten würden. Zuweilen ist mit dem
S. eine eigentümliche Starrsucht (Flexibilitas cerea)
verbunden, bei welcher die Muskeln gespannt, ja bretthart sind und
in der einmal eingenommenen Stellung ohne Regung, ohne
Ermüdung verharren. Die Ursache dieses Zustandes ist
unbekannt. Der S. geht zuweilen in Genesung über, sofern er
akut und als einzige Geistesstörung auftritt; bildet er den
Ausgang chronischer, in Schwachsinn übergehender
Geisteskrankheiten, so führt er ziemlich jäh den letzten
Abschnitt dieser Leiden zu Ende. Stunde, der 24. Teil eines Tags, der wieder in 60 Minuten
à 60 Sekunden geteilt wird. Die Zeichen dafür sind h,
d. h. hora oder S., m und s; es ist also 5 h 12 m 51,5 s soviel wie
5 Stunden 12 Min. 51,5 Sek. Die meisten zivilisierten Völker
fangen jetzt die erste S. des Tags im bürgerlichen Leben nach
dem Eintritt der Mitternacht an zu zählen, zählen aber
nur bis 12 und beginnen zu Mittag wieder von vorn, so daß der
Tag in zweimal 12 Stunden (Vormittag [a. m. = ante meridiem] und
Nachmittag [p. m. = post m.]) zerfällt. In einem großen
Teil Italiens aber zählte man bis zur neuesten Zeit die
Stunden vom Sonnenuntergang an fortlaufend von 1-24. Ebenso pflegen
die Astronomen zu zählen, aber von Mittag an. S. als
Wegmaß (Wegstunde) = 5km. Stundenglas, s. v. w. Sanduhr. Stundenkreis, jeder größte Kreis der
Himmelskugel, welcher durch beide Pole geht, also den Äquator
senkrecht schneidet, gleichbedeutend mit Deklinationskreis; vgl.
Himmel, S. 545. Stundenwinkel, der Winkel zwischen dem Deklinationskreis
eines Sterns und dem Meridian; vgl. Himmel, S. 546. Stundisten (russ. Stundisty, vom deutschen "Stunde" im
Sinn von Betstunde), Name einer um 1870 im Gouvernement Kiew
gebildeten religiösen Sekte, die in Südrußland
weite Verbreitung gefunden hat. Die S. verwerfen jede
Priesterherrschaft, die Sakramente und äußern
gottesdienstlichen Gebrauche und begegnen sich, indem sie das
Hauptgewicht auf die religiöse Erweckung legen, mannigfach mit
dem protestantischen Pietismus. Stundung, Fristerteilung von seiten des Gläubigers
dem Schuldner gegenüber in Ansehung einer an und für sich
fälligen Forderung. Die nach gemeinem deutschen Recht auch
gegen den Willen des Gläubigers zulässige S. durch die
Staatsgewalt ist nach der deutschen Zivilprozeßordnung nicht
mehr statthaft. Stupa, s. Tope. Stupefaktion (lat.), Bestürzung; Stupefacientia,
betäubende Mittel; stupend, erstaunlich. Stüpfelmaschine, s. Schablonenstechmaschine. Stupid (lat.), stumpfsinnig, dumm. Stupor (lat.), Erstarrung, dumpfe Starrheit; als
Geisteskrankheit s. v. w. Stumpfsinn (s. o.). Stupp, Quecksilberruß, s. Quecksilber. Stuprum (lat.), außerehelicher Beischlaf; Stuprata,
die Geschändete, Geschwächte; Stuprator, der
Schwängerer. Stur, 1)(Stúr, spr. schtur) Ludewit, slowak.
Schriftsteller u. Patriot, geb. 23. Okt. 1815 zu Uhrowez im
ungarischen Komitat Trentschin, protestantischer Abkunft, studierte
in Preßburg und Halle und bekleidete 1840-43 eine Professur
am Lyceum zu Preßburg, der Hauptpflanzstätte der
litterarischen und patriotischen Bewegung der Slowaken, der er sich
mit Begeisterung anschloß. Fortan ganz der Litteratur
zugewendet, verteidigte er in mehreren Schriften in deutscher
Sprache die Rechte der Slowaken gegen die Angriffe der Magyaren und
gründete 1845 die Zeitung "Slovenske narodnie Novini"
("Slowakische Nationalzeitung") mit der litterarischen Beilage
"Orol Tatranski" ("Der Adler von der Tatra"), worin er sich statt
des bisher üblichen Tschechischen der slowakischen
Volkssprache (und zwar im Dialekt seiner Heimat) bediente, die
hierdurch zur Schriftsprache bei den protestantischen Slowaken
erhoben wurde. Im J. 1847 wurde S. von Altsohl in den Reichstag zu
Preßburg gewählt, wo er mit glänzender Beredsamkeit
für die Rechte seines Volkes auftrat; nach Ausbruch des
Aufstandes 1848 floh er nach Wien, nahm dann am
Slowakenkongreß zu Prag teil, blieb aber nach wie vor der
Hauptleiter der Bewegung gegen die Ungarn, die sogar einen Preis
auf seinen Kopf setzten. Später in Zurückgezogenheit
seinen litterarischen Arbeiten lebend, starb er 12. Jan. 1856
infolge einer Wunde, die er sich auf der Jagd zugezogen hatte. Von
seinen Schriften sind noch "Zpevy i pisne" ("Gesänge und
Lieder", Preßb. 1853) und das in tschechischer Sprache
abgefaßte Werk "Über die Volkslieder und Märchen
der slawischen Stämme" (Prag 1853) zu erwähnen. Auch
hinterließ er im Manuskript ein deutsch geschriebenes Werk
aus den Jahren 1852 bis 1853, das eine Darstellung seiner Theorie
des Panslawismus enthält und in russischer Übersetzung
von Lamanskij unter dem Titel: "Das Slawentum und die Welt der
Zukunft" (Mosk. 1867) erschien. 2) Dionys, Geolog und Paläontolog, geb. 1827 zu Beczko
(Ungarn), besuchte die hohen Schulen von Modern und Preßburg,
studierte in Wien und Schemnitz, wurde 1850 Mitglied der k. k.
geologischen Reichsanstalt in Wien und 1877 Vizedirektor derselben.
Er lieferte zahlreiche Arbeiten, namentlich über
Pflanzenpaläontologie, und schrieb: "Geologie der Steiermark"
(Graz 1871, mit Karte); "Die Kulmflora des
mährisch-schlesischen Dachschiefers"(Wien 1875); "Die
Kulmflora der Ostrauer und Waldenburger Schichten" (das. 1877);
"Die Karbonflora der Schatzlarer Schichten" (das. 1885-87) u.
a. Stura, Fluß in der ital. Landschaft Piemont,
entspringt auf der Höhe des Monte Argentera in den Seealpen,
tritt vor Cuneo in die oberitalienische Tiefebene und mündet
bei Cherasco in den Tanaro; 110 km lang. Noch drei andre
Wasserläufe im Piemontesischen heißen S. Sturdza (Stourdza), moldauische Bojarenfamilie, die
urkundlich bis in den Anfang des 15. Jahrh. hinaufreicht. Gregor S.
war unter dem Fürsten Kallimachi Kanzler der Moldau und
leitete die Abfassung des 1817 erschienenen moldauischen
Gesetzbuchs. Als nach der langen Fremdenherrschaft der Fanarioten
der Hospodarensitz der Moldau wieder von Rumänen eingenommen
wurde, waren es zwei Sturdzas, die nacheinander denselben
besetzten: Johann S. (1822-28) und Michael S. (1834 bis 1. Mai
1849). Die Regierung beider war sehr erschwert durch das auf den
Donaufürstentümern lastende russische Protektorat. Johann
S. mußte einer russischen Besitznahme der Moldau weichen, die
1828-34 währte. Michael Sturdzas (geb. 14. April 1795, gest.
8. Mai 1884 in Paris) 14jährige Regierung wurde verhaßt
durch den russischen Zuschnitt, den er dem Fürstentum zu geben
sich bemühte (s. Walachei, Ge- 406 Sture - Sturm schichte). Vgl. "Michel Stourdza et son administration"
(Brüssel 1848); "Michel Stourdza, ancien prince regnant de
Moldavie" (Par. 1874). Sein Sohn Gregor, geb. 1821, ist ein
Hauptvertreter der russischen Partei in Rumänien.
Außerdem haben sich einen Namen gemacht: 1) Alexander S., geb. 29. Nov. 1791, Sohn eines moldauischen
Bojaren, der als politisch Kompromittierter 1792 nach Rußland
auswanderte, erhielt seine Bildung in Deutschland und suchte sich
nach seiner Rückkehr nach Rußland der dortigen Regierung
als loyaler Publizist bemerklich zu machen. Seine Schrift
"Betrachtungen über die Lehre und den Geist der orthodoxen
Kirche" (deutsch, Leipz. 1817) erwarb ihm die Würde eines
russischen Staatsrats. Auf dem Kongreß zu Aachen schrieb er
im Auftrag seines Kaisers ein "Memoire sur l'etat actuel de
l'Allemagne" (deutsch in den "Politischen Annalen" 1819), worin er
unter andern ungerechten Urteilen über Deutschland namentlich
die deutschen Universitäten als Pflanzschulen
revolutionären Geistes und des Atheismus hinstellte. Die
bedeutendsten Gegenschriften sind: "Coup d'oeil sur les universites
de l'Allemagne" (Aach. 1818) und von Krug (Leipz. 1819). S. zog
sich 1819 nach Dresden zurück, wo er sich mit einer Tochter
Hufelands verheiratete, und 1820 auf seine Güter in der
Ukraine und lebte später zu Odessa, sich der Einrichtung und
Leitung wohlthätiger Anstalten, unter andern eines
Diakonissenvereins, widmend. Er starb 25. Juni 1854 zu Mansyr in
Bessarabien. Von seinen übrigen Schriften ist hervorzuheben
"La Grece en 1821" (Leipz. 1822). Nach seinem Tod wurden
herausgegeben: "OEuvres posthumes religieuses, historiques,
philosophiques et litteraires" (Par. 1858-61, 5 Bde.). 2) Demeter S. von Miclauscheni, rumän. Staatsmann und
Schriftsteller, geb. 10. März 1833, studierte in München,
Göttingen, Bonn und Berlin, war 1857 Kanzleichef des Diwans ad
hoc der Moldau, 1866 einer der eifrigsten Mitarbeiter an dem Sturz
des Fürsten Alexander Cusa, 1866 bei der Wahl des Fürsten
Karl von Hohenzollern als Mitglied (Minister der öffentlichen
Arbeiten) der provisorischen Regierung thätig und bekleidete
im Kabinett Bratianus 1876-88 wiederholt den Ministerposten der
öffentlichen Arbeiten, der Finanzen, des Äußern und
des Unterrichts. Als Generalsekretär der rumänischen
Akademie leitet er die Herausgabe von zwei großen
Quellenwerken über rumänische Geschichte (Hurmuzakis
"Documente privitoare la Istoria Romanilor", Bukar. 1876-89, 11
Bde., u. Sturdzas "Acte si Documente privitoare la Istoria
Renascerei Romaniei", das. 1888-89, 3 Bde.). Er schrieb mehrere
historische und numismatische Abhandlungen, z. B. "La marche
progressive de la Russie sur le Danube" (Wien 1878); "Rumänien
und der Vertrag von San Stefano" (das. 1878); "Übersicht der
Münzen und Medaillen des Fürstentums Rumänien,
Moldau u. Walachei" (das. 1874); "Memoriu asupra numismaticei
romanesci" (Bukar. 1878). Sture, altadliges Geschlecht in Schweden, das 1716
erlosch. Sten S. der ältere, Reichsvorsteher von Schweden,
Sohn Gustav Amundssons S. und Schwestersohn Karl Knutsons, ward
nach dessen Tod 1470 Reichsvorsteher und besiegte den
Dänenkönig Christian I. 10. Okt. am Brunkeberg. Er
errichtete 1476 die Universität zu Upsala, führte die
Buchdruckerei in Schweden ein und versöhnte sich 1497 mit
König Johann von Dänemark, der bloß den Titel eines
Königs von Schweden führte, während S. Regent war.
Er starb 13. Dez. 1503 in Jönkoping, wahrscheinlich an Gift.
Vgl. Palmen, Sten Stures strid med konung Hans (Helsingf. 1884);
Blink, Sten S. den äldre och hans samtider (Stockh. 1889). Ein
Seitenverwandter von ihm, Svante Nilsson S., folgte ihm als
Reichsvorsteher. Derselbe setzte den Krieg gegen die Dänen
fort, eroberte Kalmar, welches dieselben besetzt hielten, und
schlug Johann zu wiederholten Malen, starb aber schon 2. Jan. 1512
in Westeras, worauf sein Sohn Sten S. der jüngere 23. Juli
1512 zum Reichsverweser erwählt wurde. Er unterlag in der
Schlacht bei Bogesund, in welcher er verwundet wurde, den
Dänen und starb auf dem Weg nach Stockholm 3. Febr. 1520.
Seine Leiche wurde nach dem Stockholmer Blutbad auf einem
Scheiterhaufen verbrannt. Sturluson, s. Snorri Sturluson. Sturm, heftiger Wind (s. d.). Im Feldkrieg heißt S.
der entscheidende Angriff auf eine vom Feind besetzte Stellung,
Ortschaft, Schanze etc., wobei es zum Handgemenge (s. d.) kommt,
wenn der Feind standhält. Der S. auf Festungswerke ist in der
Regel nur nach vorhergegangenem förmlichen Angriff
möglich (s. Festungskrieg, S. 190). Sturm, 1) Jakob S. von Sturmeck, elsäss. Staatsmann,
geb. 10. Aug. 1489 zu Straßburg, stammte aus einer edlen
Familie des Niederrheins, widmete sich zuerst dem Studium der
Theologie auf der Universität zu Freiburg, dann der
Rechtswissenschaft in Lüttich und Paris. 1525 wurde er zum
erstenmal Stadtmeister in seiner Vaterstadt. Schon früh
schloß er sich der Reformation an und nahm 1529 an dem
Religionsgespräch zu Marburg teil, sonderte sich dann aber von
den Lutheranern , weil er ihnen die Schuld an der Spaltung der
Evangelischen zuschrieb, und überreichte 1530 im Namen
Straßburgs und andrer Städte auf dem Reichstag zu
Augsburg die Confessio tetrapolitana. Um die Aufnahme seiner
Vaterstadt in den Schmalkaldischen Bund zu erreichen, machte er
1532 Luther einige Zugeständnisse. Fortan leitete er
Straßburgs Angelegenheiten mit großer Umsicht und
vertrat ihre Interessen auf mehreren Gesandtschaften mit Geschick.
Auch gelang es ihm, 1547 nach der Schlacht bei Mühlberg die
von Karl V. auferlegte Kontribution zu ermäßigen. S. hat
die Bibliothek und ein Gymnasium in Straßburg begründet,
das bald erfreulich gedieh (s. S. 2). Er starb 30. Okt. 1553 in
Straßburg. Vgl. Baum, Jakob S. (3. Aufl., Straßb.
1872); Baumgarten, Jakob S. (das. 1876). 2) Johannes von, verdienter Schulmann, geb. 1. Okt. 1507 zu
Schleiden in der Eifel, besuchte das Gymnasium der Hieronymianer zu
Lüttich, vollendete seine Studien auf der Universität
Löwen, ward 1530 akademischer Lehrer der klassischen Sprachen
in Paris und 1537 Rektor des neugegründeten Gymnasiums zu
Straßburg, welches unter seiner Leitung europäischen Ruf
erlangte. Als eifriger Calvinist mit den Lutheranern in Streit
über die Annahme der Konkordienformel verwickelt, verlor S.
1582 seine Stelle und starb 3. März 1589 in Straßburg.
Kaiser Karl V. verlieh ihm den Reichsadel. Sturms Studienordnung,
im wesentlichen auf Melanchthons Grundsätzen erbaut, war das
Vorbild für zahlreiche Schulpläne des 16. und 17. Jahrh.
und hatte namentlich auch wesentlichen Einfluß auf die Ratio
studiorum der Jesuiten. Vgl. Schmidt, La vie et les travaux de Jean
S. (Straßb. 1855); Laas, Die Pädagogik des J. S. (Berl.
1872); Kückelhahn, J. S., Straßburgs erster Schulrektor
(Leipz. 1872); Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts (das.
1885). 407 Sturmbock - Sturmvogel. 3) Jakob, Kupferstecher und Naturforscher, geb. 21. März
1771 zu Nürnberg, gest. 28. Nov. 1848 daselbst, verdient durch
seine ikonographischen Werke über die deutsche Flora und
Fauna, nach Sturms Tod fortgesetzt von seinem Sohn Johann Wilhelm
S. (geb. 19. Juli 1808, gest. 7. Jan. 1865 in Nürnberg),
nämlich: "Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur"
(Nürnb. 1798-1855, 163 Hefte mit 2472 Tafeln; 1. Abt.:
Phanerogamen, 96 Hefte, bearbeitet von Hoppe, Schreber, Sternberg,
Reichenbach und Koch; 2. Abt.: Kryptogamen mit Ausschluß der
Pilze, 31 Hefte, von Launer und Conde; 3. Abt.: Die Pilze, 36
Hefte, von Ditmar, Rostkovius, Conde, Preuß, Schnizlein und
F. v. Strauß); "Deutschlands Fauna in Abbildungen nach der
Natur" (das. 1805-57; Vögel, Amphibien, Mollusken,
Käfer). 4) Julius, Lyriker, geb. 21. Juli 1816 zu Köstritz im
Reußischen, studierte zu Jena Theologie und wirkte seit 1857
als Pfarrer in Köstritz, bis er 1885 mit dem Titel eines
Geheimen Kirchenrats in den Ruhestand trat. Von seinen Dichtungen
sind hervorzuheben: "Gedichte" (Leipz. 1850, 5. Aufl. 1882);
"Fromme Lieder" (das. 1852, 11. Aufl. 1889); "Zwei Rosen oder das
Hohelied der Liebe" (das. 1854); "Neue Gedichte" (das. 1856, 2.
Aufl. 1880); "Neue fromme Lieder und Gedichte" (das. 1858, 3. Aufl.
1880); "Für das Haus", Liedergabe (das. 1862); "Israelitische
Lieder" (3. Aufl., Halle 1881) und "Von der Pilgerfahrt" (das.
1868); ferner die neue Sammlung "Lieder und Bilder" (Leipz. 1870, 2
Tle.); "1870. Kampf- und Siegesgedichte" (Halle 1870); "Spiegel der
Zeit in Fabeln" (Leipz. 1872); "Gott grüße dich" (das.
1876, 3. Aufl. 1887); "Das Buch für meine Kinder" (das. 1877,
2. Aufl. 1880); "Immergrün", neue Lieder (das. 1879, 2. Aufl.
1888); "Märchen" (das. 1881, 2. Aufl. 1887); "Aufwärts!",
neue religiöse Gedichte (das. 1881); "Neues Fabelbuch" (5.
Aufl., das. 1881); "Dem Herrn mein Lied", religiöse Gedichte
(Brem. 1884); "Natur, Liebe, Vaterland", neue Gedichte (Leipz.
1884); "Bunte Blätter" (Wittenb. 1885); "Palme und Krone",
Lieder zur Erbauung (Brem. 1887). Tief religiöser Sinn,
Innigkeit der Empfindung und echt deutsche Gesinnung zeichnen die
Dichtungen Sturms durchweg aus. Er gab auch die Anthologie
"Hausandacht in frommen Liedern unsrer Tage" (Leipz. 1870, 5. Aufl.
1883) und unter dem Pseudonym Julius Stern die Märchensammlung
"Das rote Buch" (das. 1855) heraus. 5) Eduard, österreich. Abgeordneter, geb. 8. Febr. 1830 zu
Brünn, studierte in Olmütz und Brünn die Rechte,
ward 1852 Advokat zu Brünn und 1856 in Pest. 1861 nach
Brünn zurückversetzt, beteiligte er sich daselbst an der
Gründung und Förderung vieler öffentlicher Vereine
und Anstalten. 1865 ward er zu Iglau in den mährischen Landtag
und von diesem 1867 in das österreichische Abgeordnetenhaus
gewählt, dem er seitdem ununterbrochen angehörte. Er ist
Mitglied der verfassungstreuen Partei und ein vortrefflicher
Redner. 1870 siedelte er als Advokat nach Wien über, schadete
aber hier in der Zeit des Gründungsschwindels seinem Ansehen
sehr durch seine Beteiligung an unsoliden finanziellen
Unternehmungen. Sturmbock (Mauerbrecher), s. Aries. Sturmbretter, s. Fußangeln. Sturmfeuer, mit Pulver oder heftig brennenden Stoffen
gefüllte Fässer, Töpfe, Säcke etc., welche
ehemals brennend auf den die Bresche stürmenden Feind
geschleudert wurden. Sturmflut, der durch andauernden auf die Küste zu
wehenden Sturm hervorgerufene ungewöhnlich hohe Wasserstand.
Sturmfluten haben mit dem Wechsel der Gezeiten keinen notwendigen
Zusammenhang und treten zu allen Mondphasen auf, das Wasser steigt
und fällt in denselben nur weniger gleichförmig als
sonst. Ebb- und Flutstand werden um gleiche Beträge über
das gewöhnliche Maß emporgetrieben. Wenn sich bei
starkem Wind hohe Wellen bilden, auf deren Hinterseite der Wind
drückt, so daß die Wellenkronen sich
überstürzen, dann findet offenbar nicht mehr ein Hin- und
Herschwingen, sondern ein teilweises Vorwärtsbewegen des
Wassers statt. Hält der Sturm einige Zeit an, so ist die
Wassermasse, welche er vor sich hertreibt, sehr bedeutend, und wenn
die Küste, welche dem Sturm ausgesetzt ist, diesem eine offene
Bucht zuwendet, so kann dort ein mächtiger Wasserstau
stattfinden. Für die deutsche Bucht der Nordsee sind daher
andauernde schwere Stürme aus nordwestlicher Richtung die
gefürchtetsten. Bei den höchsten Sturmfluten der letzten
hundert Jahre stieg das Wasser bei Kuxhaven jedesmal nach
tagelangem Sturm aus W. bis NW. über den mittlern
Hochwasserstand: 22. März 1791 um 3 m, 3. Febr. 1825 um 3,18
m, 2. Jan. 1855 um 3,03 m. Bei der großen S. vom November
1872 wehte zwei Tage lang der Sturm aus der Richtung NO. bis ONO.
und trieb in der Ostsee die Wassermassen von der livländischen
Küste geradeswegs bis in die Buchten von Travemünde und
Kiel hinein, am erstern Ort einen Wasserstand von 3,38 m, am
letztern einen solchen von 3,17m über Mittelwasser
verursachend. Die Orkane der Tropen geben Anlaß zu ungeheuern
Sturmfluten, von denen die in der Bucht von Bengalen die
berüchtigtsten sind. Am 1. Dez. 1876 kamen durch eine solche
S. im Delta des Brahmaputra nahe an 200,000 Menschen um. Die
außerordentliche Verminderung des Luftdrucks in diesen
Orkanen ist für das Steigen des Wassers hier noch besonders
günstig. Vgl. Mayer, Über Sturmfluten (Berl. 1873);
Lentz, Flut und Ebbe und die Wirkungen des Windes auf den
Meeresspiegel (Hamb. 1879). Sturmhaube (Sturmhut), s. Helm, S. 364. Sturmhaube (Große und Kleine), Berggipfel, s.
Riesengebirge. Sturmhut, Pflanzengattung, s. v. w. Aconitum. Sturmpfähle, s. Palissaden. Sturmrose, s. Kompaß. Sturmschritt (früher auch Chargierschritt), beim
Militär die beim Vorgehen zum Angriff beschleunigte Gangart,
die zuletzt in vollen Lauf übergeht. Sturmschwalbe, s. Sturmvogel. Sturmsignale, die bei Sturmwarnungen gegebenen Signale,
s. Wetter. Sturmsold, die den Soldaten für eine gewonnene
Schlacht oder die Erstürmung einer befestigten Stadt ehedem
gezahlte Belohnung, von der sich die heute noch gebräuchlichen
Douceurgelder herleiten. Sturm- und Drangperiode, s. Deutsche Litteratur, S.
748. Sturmvogel (Procellaria L.), Gattung aus der Ordnung der
Schwimmvögel und der Familie der Sturmvögel
(Procellariidae), kleine Vögel mit schlankem Leib,
großem Kopf, kurzem Hals, sehr langen, schwalbenartigen
Flügeln, mittellangem Schwanz, kleinem, schwächlichem,
geradem, an der Spitze herabgebogenem Schnabel, kleinen,
schwächlichen, langläufigen Füßen mit drei
langen, schwachen, durch Schwimmhäute verbundenen Vorderzehen
und rudimentärer Hinterzehe. Die Sturmschwalbe (Gewittervogel,
Petersläufer, Procellaria [Thalassidroma] pelagica L., s.
Tafel "Schwimmvögel II"), 14 cm lang, 33 cm breit, mit
abgestutztem 408 Sturmwarnungen - Stuttgart. Schwanz, rußbraun, auf dem Oberkopf schwarz, auf dem
Bürzel, Steiß und an den Wurzeln der Steuerfedern
weiß und an den Spitzen der Flügeldeckfedern
trübweiß, und der Sturmsegler (P. Leachi Rchb.), 20 cm
lang, 50 cm breit, mit verhältnismäßig langem, tief
gegabeltem Schwanz, der vorigen ähnlich gefärbt, bewohnen
den Atlantischen und Stillen Ozean mit Ausnahme des höchsten
Nordens, leben meist auf hoher See, erscheinen nur zur Brutzeit am
Land, fliegen bald höher in der Luft, bald unmittelbar
über den Wogen, welche sie bald mit den trippelnden
Füßchen, bald mit den Spitzen der Schwingen
berühren, und lassen sich selten auf das Wasser nieder, um
auszuruhen. Sie sind hauptsächlich in der Nacht thätig,
nähren sich von allerlei Seetieren, brüten in
selbstgegrabenen Höhlen nahe der See und legen ein einziges
weißes Ei, welches wahrscheinlich von beiden Geschlechtern
ausgebrütet wird. Sie sind vollkommen harmlos, verlieren,
ihrem Element entrückt, gleichsam die Besinnung und sind auf
dem Land ganz hilflos. Angegriffen, suchen sie sich nur durch
Ausspeien von Thran zu verteidigen. Den Schiffern gilt die
Sturmschwalbe als Unglücksbote. Der Eissturmvogel (Fulmar, P.
[Fulmarus] glacialis Steph., s. Tafel "Schwimmvögel II"), 50
cm lang, 110 cm breit, ist weiß, auf dem Mantel
möwenblau, mit schwärzlichen Schwingen, braunen Augen,
gelbem Schnabel und Füßen, bewohnt das Nördliche
Eismeer, fliegt und schwimmt vortrefflich und kommt fast nur zur
Brut ans Land, auf welchem er sich sehr hilflos zeigt. Er
nährt sich von Fischen und Weichtieren, ist sehr
gefräßig und zudringlich, lebt und brütet gesellig
auf allen hochnordischen Inseln und legt nur ein weißes Ei;
gleichwohl werden auf Westmanöer bei Island jährlich
über 20,000 Junge ausgenommen, und trotzdem nimmt die Zahl der
Vögel von Jahr zu Jahr zu. Sturmwarnungen, s. Wetter. Sturnus, Star; Sturnidae (Stare), Familie aus der Ordnung
der Sperlingsvögel (s. d.). Sturt (spr. stört), Charles, Australienreisender, in
England geboren, wollte 1827 einen in Zentralaustralien vermuteten
See entdecken und fand, dem Macquariefluß folgend, zu Anfang
1828 den Darlingfluß und, 1829 mit einer neuen
Forschungsreise betraut, den Murrayfluß. Begleitet von Stuart
(s.d. 1), führte er 1844-45 eine dritte große Reise aus,
auf der er den Cooper Creek entdeckte und nordwestlich bis fast in
das Zentrum des Kontinents vordrang. Er starb 16. Juni 1869 zu
Cheltenham in England. Seine ersten beiden Reisen beschrieb er in
"Two explorations into the interior of Southern Australia etc."
(Lond. 1833, 2 Bde.), die dritte in "Narrative of an expedition
into Central Australia etc." (das. 1848, 2 Bde.). Sturz, der eine Thür oder ein Fenster oben
abschließende, horizontal aufliegende Teil, in der primitiven
Baukunst meist ein schwerer Steinblock oder Balken aus Holz. Sturz, Helferich Peter, Schriftsteller, geb. 16. Febr.
1736 zu Darmstadt, studierte in Göttingen die Rechte und
Ästhetik, erhielt 1763 eine Anstellung zu Kopenhagen im
Departement der auswärtigen Angelegenheiten, 1770 bei dem
Generalpostdirektorium, ward 1773 Regierungsrat und zwei Jahre
später Etatsrat zu Oldenburg und starb 12. Nov. 1779 in
Bremen. S. war einer der geschmackvollsten deutschen Prosaiker, wie
seine "Erinnerungen aus dem Leben des Grafen von Bernstorff" (1777)
und seine "Briefe eines Reisenden" (1768) mit ihren trefflichen
Charakterschilderungen bekunden. Seine Schriften erschienen
gesammelt in 2 Bänden (Leipz. 1779-1782). Vgl. Koch, Helf.
Peter S. (Münch. 1879). Sturzblech, dünnste Sorte Eisenblech. Stürze, die starke Erweiterung der
Blechblasinstrumente an der dem Mundstück entgegengesetzten
Seite. Sturzenbecker, Oskar Patrik, unter dem Namen Orvar Odd
bekannter schwed. Dichter und Schriftsteller, geb. 1811 zu
Stockholm, studierte und promovierte in Upsala, trat kurz darauf in
die Redaktion des "Aftonblad" in Stockholm ein und erwarb sich bald
einen Namen als gewandter und geistreicher Feuilletonist.
Später lebte er teils in Helsingborg, wo er mehrere Jahre lang
den "Öresundsposten" herausgab, teils in Kopenhagen; er starb
im Februar 1869 auf seinem Landsitz in der Nähe von
Helsingborg. Unter seinen Prosaschriften verdienen die meisterhaft
ausgeführten feuilletonartigen Skizzen: "Grupper och
personagen fran igar" ("Gruppen und Persönlichkeiten von
gestern") und "La Veranda" besondere Auszeichnung; auch viele
seiner Gedichte sind durch ihre frische, lebhafte Stimmung
anziehend. Seine gesammelten Werke erschienen in 5 Bänden (2.
Aufl., Stockh. 1880-82). Stürzfurche, s. Brache. Sturzgüter, beim Beladen von Schiffen durch die
Luken in den Schiffsraum gestürzte Güter, z. B. Kohlen,
Getreide, Erze u. dgl. Stutereien (Gestüte), s. Pferde, S. 949. Stuttgart (hierzu der Stadtplan), Haupt- und
Residenzstadt des Königreichs Württemberg, des
württembergischen Neckarkreises und des Stadtdirektionsbezirks
S., liegt in einer kesselförmigen, reizenden Erweiterung des
Nesenbachthals, das 1 km von der Stadt in das Neckarthal
ausläuft, von Weinbergen, Gärten und Villen rings
umgeben, unter 48° 46' nördl. Br. und 9° 10'
östl. L. v. Gr., 249 m ü. M., und wird durch die 1100 m
lange Königs- und die sich an diese anschließende
Marienstraße in die "obere" (im NW.) und die "untere Stadt"
(im SO.) geteilt, von denen letztere auch die Altstadt in sich
schließt. Außer den genannten Straßen sind die
Neckar-, Olga-, Reinsburg-, Silberburg- und Rote
Bühlstraße sowie unter den Plätzen der
Schloßplatz, der Alte Schloßplatz, die Planie, der
Dorotheen-, der St. Leonhards- und der Charlottenplatz, der
Feuerseeplatz und der Marktplatz hervorzuheben. Den
Schloßplatz zieren schöne Anlagen, inmitten deren sich
die 18 m hohe, mit einer Konkordia gezierte
Jubiläumssäule (1841 zur Feier des 25jährigen
Regierungsjubiläums König Wilhelms errichtet) erhebt, auf
dem Alten Schloßplatz steht das von Thorwaldsen modellierte
Standbild Schillers. Von den öffentlichen Anlagen und
Promenaden sind noch zu nennen: der Schloßgarten (mit der
Danneckerschen Nymphengruppe, der Eberhardsgruppe von Paul
Müller, der Hylasgruppe und den zwei Pferdebändigern von
Hofer), welcher sich bis in die Nähe von Kannstatt zieht, der
Silberburggarten (Eigentum der Museumsgesellschaft), die Planie mit
den neuerrichteten Denkmälern Bismarcks u. Moltkes
(Büsten, von Donndorf modelliert), der Stadtgarten, die
Anlagen bei der Seidenstraße, die neue Weinsteige etc. Von
den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (9
evangelische, eine reformierte und eine kath. Kirche und eine
Synagoge) Wappen von Stuttgart. STUTTGART. Akademie E3 Alexander-Straße C-F3-5 Alleen-Straße C-E1 Archiv E3 Archiv-Straße E3,4 Augusten-Straße AB3 Bach-Straße, Obere CD4 Bach-Straße, Untere D3 Bahnhof D2 Bahnhof-Straße E1 Band-Straße D3 Baugewerk-Schule CD2 Berg-Straße C2 Bibliothek C3 Blumen-Straße E4 Böblinger Straße B4,5 Böheim-Straße A5 Bopser Brunnen D5 Bopser Straße C4,5 Bopser Weg D5 Bothanger Straße A2 Breite-Straße C3 Brunnen-Straße D4 Büchsen-Straße C2,3 Bürger-Hospital C2 Bürger-Museum C3 Bürger-Schule B2 Calwer Straße CD3 Charlotten-Platz DE3,4 Charlotten-Straße E4 Christophs-Straße C4 Classon Villa F3 Cotta-Straße B5 Dannecker-Denkm. D3 Diakonissen-Anstalt B1 Diemershalden F4,5 Dobel-Straße E5 Dorotheen-Straße u. Platz D3 Eberhards-Standbild D3 Eberhards-Straße CD4 Eich-Straße D3 Enge-Straße D3 Englische Kirche D4 Eßlinger Berg, Oberer F4 Eßlinger Straße D4 Etzel-Straße CD5 Eugens-Denkmal F3 Eugen-Straße EF3 Falbenhennen-Straße C5 Falkert-Straße B1 Fangelsbach-Friedhof B5 Fangelsbach-Straße B4,5 Färber-Straße D4 Feuer-See B3 Filder-Straße AB5 Finanzministerium E2 Forst-Straße AC1 Friedrichs-Straße D1,2 Furthbach-Straße B1 Gaisburg-Straße E4 Garnison-Kirche C1 Garten-Straße C23 Gebel-Straße A4 Gerber-Straße C4 Gewerbe-Halle CD1 Gewerbe-Museum C3 Goethe-Straße D1 Graben-Straße D3 Güter-Bahnhhof E1 Gutenberg-Straße AB3 Hasenberg-Straße A1-4 Hauptstätter Straße BD4 Hauptzollamt EF1 Hebammen-Schule D1 Hegel-Straße C1 Heiler E4 Herdweg C1 Hermanns-Straße B3 Herzog-Straße B3 Heslacher-Straße A5 Heu-Straße C2 Heusteig-Straße BD5 Hirsch-Straße CD3 Hohe-Straße C2 Hohenheimer Straße DE5 Holzgärten, Königl. C1 Holz-Straße D3,4 Hoppenlau-Friedhof C1 Hoppenlau-Straße C1,2 Hospital-Kirche C2 Hospital-Platz C2 Hospital-Straße C2 Hühnerdieb F3 Ilgen-Platz D4 Ilgen-Straße D3 Immenhofen-Straße BC5 Infanterie-Kaserne B3 Jäger-Straße DE1 Jakob-Straße D4 Johannes-Straße B1-3 Johannes-Kirche B3 Jubiläums-Säule D3 Justiz-Palast E3,4 Kanal-Straße E4 Kanonen-Weg F3 Kanzlei-Straße D1,2 Karls-Linde A4 Karls-Straße D3 Kasernen-Straße BC2 Katharinen-Hospital D1 Katharinen-Platz D4 Katharinen-Stift D2 Katharinen-Straße D4 Katholische Kirche, Alte DE2 Katholische Kirche, Neue B4 Keppler-Straße D1,2 Kerner-Straße F2,3 Kolb-Straße AB5 Königsbau D2 Königs-Straße CE2,3 Königs-Thor E2 Korps-Kommando DE1 Kreuser-Straße D1 Kreuz-Straße D4 Kriegsberg, Mittlerer E1 Kriegsberg, Unterer D1 Kriegsberg-Straße CE1 Kriegs-Ministerium DE4 Kronprinz-Straße CD3 Kronprinzen-Palais C2,3 Kühlesteig E5 Kunstausstellung, Permanente C3 Kunst-Verein D2 Landhaus-Straße F2 Lange-Straße C2,3 Lazarett-Straße D4 Legions-Kaserne C3 Lehen-Straße B5 Lerchen-Straße AC1 Liederhalle C2 Lindenspür-Straße AB1 Linden-Straße CD2,3 Loge Wilhelm B3 Loge zu den 3 Zedern D4 Lorenz-Straße D45 Ludwigsburger Straße EF1 Ludwigs-Spital B1 Ludwigs-Straße AB2 Maler-Straße F3 Marien-Platz A5 Marien-Straße B4 Markt-Halle D3 Markt-Platz D3 Markt-Straße D34 Marstall E2 Militär-Spital B2 Militär-Straße AB2 Minsterium des Äußern CD3 Möricke-Denkmal B4 Moser-Straße EF3 Mozart-Straße C5 Münze EF2 Münz-Straße D3 Museum für bildende Künste F3 Museum, Oberes D2 Museum, württemb. Altertümer E3 Neckar-Straße EF2,3 Nadler-Straße CD3 Naturalien-Kabinett E3 Neue Brücke C3 Olga-Spital A2 Olga-Straße CE4,5 Orangerie E1 Paulinen-Straße BC3,4 Paulinen-Straße, Verlängerte B2,3 Pfarr-Straße D4 Polizei C3 Polytechnische Schule D1 Postamt D2 Posthof C3 Post-Platz, Alter C3 Post-Straße C3 Prinzen-Palais D3 Prinzessinnen-Palais E3,4 Rathaus D3 Realgymnasium C1 Reinsburg A4 Reinsburg-Straße AB4 Reiter-Kaserne E1 Reuchlin-Straße A3 Röer-Straße B5 Rosen-Straße DE4 Rosenberg-Straße AC1 Rote-Straße C2,3 Rote Bühl-Straße AC3 Sankt Johannes-Kirche B3 Sankt Leonhards'Krche D4 Sankt Leonhards-Platz D4 Sankt Leonhards-Str D4 Sänger-Straße F2,3 Schellen-König F5 Schelling-Straße CD2 Schiler-Denkmal D3 Schiller-Straße E1 Schlachthaus C1 Schloß, Altes D3 Schlosser-Straße C4,5 Schloß-Garten EF1,2 Schloß-Kirche E3 Schloß, Königliches DE3 Schloß-Platz D2,3 Schloß-Platz, Alter D3 Schloß-Straße AD2 Schmale-Straße C3 Schul-Straße D3 Schützenhaus F3 Schützen-Straße F2,3 Schwab-Denkmal C2 Schwab-Straße D1,2 See-Straße D1,2 Seiden-Straße C1,2 Sennefelder-Straße A1-3 Silberburg B4 Silberburg-Straße B1-4 Silcher-Straße B2 Sonnenberg-Straße E5 Sophien-Straße C3,4 Stadt-Direktion D3 Stadt-Garten D1,2 Stafflenberg E5 Ständehaus D2,3 Stein-Straße C-D3 Stifts-Kirche D3 Stiftskirchen-Platz D3 Strohberg-Straße B5 Stützenburg DE5 Synagoge C2 Tannen-Straße A5 Telegraphen-Amt D2 Theater E2 Thor-Straße C4 Tübinger Straße C4 Tübinger Thor BC4 Turm-Straße D5 Turnhalle, Erste C2 Uhland-Denkmal E2 Uhlands-Höhe F3 Uhlands-Straße E4 Ulrich-Straße E3 Urban-Straße EF2-4 Vera-Straße F3 Vogelsang-Straße A2,3 Wagner-Straße D4 Waisenhaus D3 Wannen-Straße AB3,4 Wasser-Reservoir F5 Weber-Straße DE4 Wein-Straße C3 Weißenburg-Straße C5 Wilhelms-Platz CD4 Wilhelms-Straße D4,5 Wilhelms-Thor D5 Zorn, Villa B4 Zuchthaus A2 Zucker-Fabrik E1 Zwinger, Im D3,4 409 Stuttgart (Beschreibung der Stadt). sind hervorzuheben: die Stiftskirche (1436-1531 erbaut), mit
zwei Türmen; die Leonhardskirche (1470 bis 1491 im gotischen
Stil erbaut), mit einem steinernen Kalvarienberg von großem
Kunstwert; die Hospitalkirche (1471-93 erbaut), mit vielen
Grabmälern (darunter das Reuchlins) und dem Modell der
Christusstatue von Dannecker; die prachtvolle, 1865-76 im gotischen
Stil von Leins aufgeführte Johanniskirche; die englische
Kirche; die neue Garnisonkirche von Dollinger (1879) im romanischen
Stil; die alte und die von Egle 1873-79 erbaute neue katholische
Kirche und die 1860 im maurischen Stil aufgeführte Synagoge.
Von weltlichen Gebäuden sind zu nennen: das Neue
Residenzschloß im französischen
Renaissancestil(1746-1807 erbaut); das Alte Schloß, in dessen
Hof sich das bronzene Reiterstandbild des Grafen Eberhard im Bart
(von Hofer) befindet; das 1845-46 umgebaute Hoftheater mit vier
ehernen Statuen von Braun; die sogen. Akademie, ein Nebenbau des
Schlosses (früher Sitz der Karlsschule, jetzt die
königliche Handbibliothek, den königlichen Leibstall, die
Schloßwache etc. enthaltend); der im italienischen Stil
erbaute Wilhelmspalast; das Kronprinzenpalais, im römischen
Palaststil aufgeführt (gegenüber das Denkmal Danneckers);
das Palais des Prinzen Hermann von Sachsen-Weimar; das
Ständehaus; das Museum der bildenden Künste (1838 bis
1843 im italienischen Palaststil erbaut), mit der Reiterstatue des
Königs Wilhelm, von Hofer; der Königsbau (1856 bis 1860
von Leins aufgeführt), mit Läden und der Börse in
den untern und mehreren großen Sälen in den obern
Räumen; das Rathaus (1456 erbaut); die Gebäude des
Staatsarchivs und der Naturaliensammlungen; das
Kanzleigebäude; das neue Justizgebäude; der Hauptbahnhof;
das neue Postgebäude; das Museum; das 1860-65 von Egle erbaute
Polytechnikum; die Blumen- und Gemüsehalle; das Schlachthaus
etc. Die Zahl der Einwohner belief sich 1885 mit der Garnison (ein
Regiment und 2 Bataillone Infanterie Nr. 119 und 125 und ein
Ulanenregiment Nr. 19) auf 125,901 Seelen (gegen 107,289 im J.
1875), darunter 106,282 Evangelische, 16,067 Katholiken und 2568
Juden. Die industrielle Thätigkeit ist nicht unbedeutend. Ganz
besonders treten hervor die Bierbrauereien, die Farben-,
Pianoforte-, Harmonium-, Kassen-, Möbel-, Parkettboden-,
Zigarren-, Chemikalien- und Wagenfabrikation, die Eisen- und
Glockengießerei und die Fabrikation von Reiseartikeln.
Außerdem gibt es Fabriken für Trikot- und Wollwaren,
Baumwollen- u. Wollenzeuge, Teppiche, Leder, Papier, Posamentier-
und Kautschukwaren, Parfümerien, Bijouterie-, Glas-,
Porzellan-, Gold- und Silberwaren, mechanische und optische
Instrumente, Maschinen, Schokolade etc. Der Handelsverkehr,
unterstützt durch eine Handels- und Gewerbekammer, eine
Börse, durch zahlreiche Banken (darunter eine
Reichsbankhauptstelle), viele Wechsel und Geldgeschäfte etc.,
ist recht bedeutend; im Buchhandel ist S. nach Leipzig sogar der
wichtigste Platz in Deutschland. Die Stadt zählt über 100
Buch- und Kunsthandlungen, zahlreiche Buchdruckereien, Schrift- und
Stereotypengießereien, litho-, xylo- und photographische
Anstalten etc. Alljährlich findet hier eine
Buchhändlermesse für Süddeutschland statt. Bekannt
sind auch die Tuchmesse sowie die dortigen Karte der Umgebung von
Stuttgart Hopfen- und Pferdemärkte. Den Verkehr nach
außen hin fördern die Linien Bretten-Friedrichshafen und
S.-Freudenstadt der Württembergischen Staatsbahn, für
welche S. den Knotenpunkt bildet; eine Zahnradbahn führt nach
dem auf der Filderebene liegenden, durch seinen guten Rotwein und
seinen Obstbau bekannten Dorf Degerloch und weiter nach Hohenheim;
den Verkehr in der Stadt und mit der nächsten Umgebung
vermitteln zwei Pferdebahnlinien. An Wohlthätigkeitsanstalten
besitzt S. das Bürgerhospital, das Armenhaus, die
Olgaheilanstalt, die Paulinenhilfe (orthopädische
Heilanstalt), die Nikolauspflege für blinde Kinder, die
Paulinenpflege etc. sowie mehrere Wohlthätigkeits- und
zahlreiche andre gemeinnützige Vereine. Unter den
Bildungsanstalten steht das Polytechnikum (Wintersemester 1888-89:
248 Studierende) obenan. Außerdem befinden sich in S. eine
Baugewerk-, eine Kunst- und eine Kunstgewerbeschule, ein
Konservatorium, eine höhere Handels-, eine Tierarznei- und
eine Landes- 410 Stütze - Stüve. hebammenschule und eine Turnlehrerbildungsanstalt; ferner 2
Gymnasien, ein Realgymnasium, eine Reallehranstalt, ein Privatlehr-
und Erziehungsinstitut, ein Lehrerinnenseminar und zahlreiche
niedere Schulanstalten. Unter den Sammlungen für Kunst und
Wissenschaft ist die königliche Sammlung, bestehend aus einer
Bibliothek von über 400,000 Bänden, Gemälde-,
Skulpturen-, Antiken-, Münzen- und Naturaliensammlung, die
wichtigste. Außerdem gehören hierher: die Sammlung
vaterländischer Altertümer, die Gemäldesammlung des
Museums der bildenden Künste und die des Kunstvereins, die
permanente Kunstausstellung, die mit der Zentralstelle für
Handel und Gewerbe verbundenen Sammlungen, die
Präparatensammlung der Tierarzneischule, der zoologische
Garten etc. Groß ist die Zahl der in S. erscheinenden
Zeitschriften und politischen Zeitungen. S. ist Geburtsort des
Philosophen Hegel, des Architekten Heideloff, der Dichter Hauff,
Schwab u. a. S. ist Sitz des Staatsministeriums und sämtlicher
Zentralstellen des Landes, eines Oberlandes- und eines
Landgerichts, eines Oberbergamtes und eines Bergamtes, des
evangelischen Konsistoriums, des katholischen Kirchenrats und der
israelitischen Oberkirchenbehörde, einer
Militärintendantur, eines Gouverneurs, der
Oberrechnungskammer, einer Stadtdirektion, einer Münze
(Münzzeichen F) etc.; ferner des Generalkommandos des 13.
Armeekorps, des Kommandos der 26. Division, der 51. Infanterie- und
26. Kavalleriebrigade. Die städtischen Behörden setzen
sich zusammen aus 25 Gemeinderats- und 25
Bürgerausschußmitgliedern. - In der Umgebung der Stadt
sind bemerkenswert: das am Ende des Schloßgartens liegende
und zum Stadtdirektionsbezirk gehörige Berg (s. d.) mit
königl. Villa, die königl. Lustschlösser Rosenstein
und Wilhelma; gegenüber die Stadt Kannstatt (s. d.); im
Süden die Silberburg, ein Vergnügungsort der Bewohner von
S.; über derselben die 340 m hohe Reinsburg mit schönen
Villen am Abhang; weiterhin die Uhlandshöhe über dem
Schießhaus, 350 m ü. M., mit Anlagen, einem Pavillon und
der Uhlandslinde; ferner der Bosper, 481 m ü. M., und die
Schillerhöhe, in deren Nähe das Dorf Degerloch (s. oben);
im SW. der Stadt das Jägerhaus mit Aussichtsturm,
sämtlich mit schöner Aussicht; das Lustschloß
Solitüde mit Wildpark; endlich die Feuerbacher Heide.
Urkundlich kommt S., das seinen Namen von einem Gestütgarten
oder Fohlenhof führt, zuerst 1229 vor. 1312 wurde es dem
Grafen Eberhard entrissen und ergab sich an Eßlingen, wurde
jedoch 1316 wieder ausgeliefert. Seitdem haben die Grafen von
Württemberg hier ihren Sitz gehabt und es 1482 zur Hauptstadt
der württembergischen Lande gemacht. Doch verlegte Herzog
Eberhard Ludwig 1727 und nochmals Karl Eugen 1764 die Residenz
für mehrere Jahre nach Ludwigsburg. Bis 1822 stand S. unter
einer eignen Regierung, seitdem sind Stadt und Bezirk mit dem
Neckarkreis vereinigt und bilden ein eignes Oberamt unter dem Namen
einer Stadtdirektion. Vom 6.-18. Juni 1849 hielt der Rest der
deutschen Nationalversammlung, das sogen. Rumpfparlament, in S.
seine Sitzungen. Im September 1857 fand hier eine Zusammenkunft
zwischen Alexander I. von Rußland und Napoleon III. statt.
Vgl. Pfaff, Geschichte der Stadt S. (Stuttg. 1845-47, 2 Bde.);
Wochner, S. seit 25 Jahren (das. 1871); Nick, Chronik und Sagenbuch
von S. (das. 1875); "S. Führer durch die Stadt und ihre
Bauten" (Festschrift, das. 1884); "Beschreibung des
Stadtdirektionsbezirks S." (hrsg. vom statistisch-topographischen
Büreau, das. 1886); Hartmann, Chronik der Stadt S. (das.
1886). Stütze, örtlich auch Stützel genannt, im
Bauwesen meist lotrechter hölzerner oder eiserner Pfosten zur
Unterstützung einer Decke oder eines Daches, seltener
geneigte, einem Seitendruck widerstehende Strebe. Die S. ist ein
insbesondere im Gegensatz zur Säule interimistischer
schmuckloser Träger und besteht entweder aus einem runden oder
vierkantigen beschlagenen Holzstamm auf Holz- oder Steinunterlage,
oder aus gußeisernen, im Querschnitt meist
kreuzförmigen, zusammengeschraubten Barren auf gemauertem
Fundament, oder aus winkel- oder I-förmigen Façoneisen,
welche zu kreuz- oder H-förmigen Querschnitten zusammengesetzt
und an eine gußeiserne, mit einem gemauerten Fundament
verankerte Unterlagsplatte geschraubt werden. Stutzen, kurzes Gewehr, das zum Abschießen gegen
die Brust gestützt wurde; dann verkürztes, leichteres,
gezogenes Gewehr der Jäger und Scharfschützen. Stützerbach, Dorf im preuß. Regierungsbezirk
Erfurt, Kreis Schleusingen, im Thüringer Wald, 587 m ü.
M., mit evang. Kirche, Hohlglas- und Glasinstrumentenfabrikation
und (1885) 1081 Einw. Dabei der gleichnamige weimarische Ort mit
675 Einw. Stützpunkte, Punkte, an die sich irgend etwas, z. B.
ein Hebel, stützt oder lehnt. Im Kriegswesen sind taktische S.
solche Örtlichkeiten, z. B. Anhöhen, Ortschaften etc.,
die meist befestigt, für die Verteidigung besonders
günstig sind, ihr als Stütze dienen; strategische S. sind
meist große Festungen, auf welche sich operierende Armeen
zurückziehen können. Stützzapfen, Zapfen, bei welchem der Druck zum
größten Teil in der Längenrichtung desselben wirkt.
Man unterscheidet hierbei Spurzapfen und Kammzapfen, je nachdem der
Druck nur von der Stirnfläche des Zapfens oder von seitlichen,
mit dem Zapfen fest verbundenen Ringen aufgenommen wird. Stüve, Johann Karl Bertram, hannöv. Staatsmann,
geb. 4. März 1798 zu Osnabrück, ließ sich 1820
daselbst als Advokat nieder und war, 1830 zum Schatzrat
gewählt, seit 1831 in freisinniger Richtung auf dem Landtag
thätig. 1832 veröffentlichte er die Schrift "Über
die gegenwärtige Lage des Königreichs Hannover" (Jena).
1833 wurde er Bürgermeister seiner Vaterstadt. Nach der
Thronbesteigung des Königs Ernst August 1837 und nach der
durch denselben verfügten Vertagung des Landtags
veröffentlichte S. eine "Verteidigung des
Staatsgrundgesetzes". Am 20. März 1848 übernahm er unter
Graf Bennigsen das Ministerium des Innern, dessen Programm auf
Beseitigung der privilegierten Landesvertretung, Reform der
Administration und Justiz, Selbständigmachung der Gemeinden,
Freigebung der Presse, Einrichtung von Schwurgerichten etc.
lautete. Dagegen war er in der deutschen Sache der Bildung eines
kleindeutschen Bundesstaats unter preußischer Leitung abhold
und suchte die Sonderrechte der Kleinstaaten sowie die Verbindung
mit Österreich aufrecht zu erhalten. Im Oktober 1850 legte er
sein Portefeuille nieder, blieb aber als Bürgermeister seiner
Vaterstadt (seit 1852) ein hervorragendes Mitglied der
Ständeversammlung, bis er wegen Differenzen mit dem
Bürgervorsteherkollegium 1864 sich veranlaßt sah, sein
Amt als Bürgermeister von Osnabrück niederzulegen. 1869
übernahm er auf kurze Zeit das Amt eines
Bürgervorstehers; er starb 16. Febr. 1872. Im J. 1882 wurde
sein Denkmal auf dem Marktplatz in Osnabrück enthüllt.
Obwohl liberal und echt deutsch gesinnt, ver- 411 Stygisch - Styrax mochte er sich doch nicht mit der neuen Wendung der Dinge in
Deutschland zu befreunden. Die Annexion Hannovers und die Einigung
Deutschlands unter Preußen widerstrebten ihm ebensosehr wie
die Freizügigkeit und Gewerbefreiheit. Litterarisch
beschäftigte er sich mit der Geschichte Osnabrücks. Er
gab den 3. Band von Mösers "Osnabrückischer Geschichte"
(Berl. 1824) und den 3. Band von Fridericis "Geschichte
Osnabrücks aus Urkunden" (Osnabr. 1826) heraus; von seinen
selbständigen Arbeiten erwähnen wir: eine Darstellung des
Verhältnisses der Stadt Osnabrück zum Stift (Hannov.
1824); "Geschichte des Hochstifts Osnabrück" (Bd. 1 u. 2, das.
1853-1872; Bd.3, 1882); "Wesen und Verfassung der Landgemeinden in
Niedersachsen und Westfalen" (Jena 1851); "Untersuchungen über
die Gogerichte in Westfalen und Niederfachsen" (das. 1870) u.
a. Stygisch (griech.), der Styx, d. h. der Unterwelt,
angehörig; daher s. v. w. fürchterlich, schauerlich. Styl (griech.), s. Stil. Stylidiaceen, dikotyle, etwa 100 Arten umfassende,
vorzugsweise in Australien einheimische Pflanzenfamilie aus der
Ordnung der Kampanulinen; von ihren nächsten Verwandten durch
ihre beiden mit dem Griffel in eine auf dem Eierstock stehende
Säule verwachsenen Staubgefäße verschieden. Styliten (griech., Säulenheilige), eine im 5. Jahrh.
im Morgenland aufgekommene Klasse christlicher Asketen, welche ihr
Leben auf der Spitze hoher Säulen stehend zubrachten (s.
Simeon 3). Die S. hielten sich in Syrien und Palästina bis ins
12. Jahrh.; im Abendland fand ihr Beispiel keine Nachahmung. Stylobat (griech.), aus der Vereinigung einzelner
Postamente (Stereobate) entstandenes fortlaufendes, abgestuftes
Fußgestell der Säulen; Säulenstuhl. Stylodisch (styloidisch, griech.),
griffelförmig. Stylograph (griech.), Fabrikname für einen mit Tinte
gefüllten Schreibgriffel; Füllfederhalter. Stylographie (griech.), ein von dem Kupferstecher
Schöler in Kopenhagen erfundenes Verfahren zur leichtern
Herstellung von Kupferdruckplatten durch Gravierung in eine nicht
leitende Masse, von welcher dann zuerst eine erhabene, dann von
dieser eine vertiefte Platte auf galvanischem Weg abgeformt
werden. Stylolithen (griech., "Säulensteine"),
stengelartige, gestreifte oder geriefte Gebilde in Kalken und
Mergeln, besonders im Muschelkalk, 1-30 cm lang und von 1 mm bis zu
mehr als 1 cm im Durchmesser. Die Längsachse der S. steht
gewöhnlich senkrecht zur Schichtungsfläche, doch gibt es
auch liegende S. Die Entstehung wird bald auf Erosion
zurückgeführt, bald mit der Entwickelung von Gasen in
Zusammenhang gebracht, am richtigsten aber wohl als Folge von Druck
und Pressung von noch plastischem Material aufgefaßt,
wofür Experimente, durch welche es Gümbel gelang, S.
künstlich darzustellen, sprechen. Eine verwandte Erscheinung
ist der Nagelkalk (Tutenmergel), konische, mit einer rohen innern
Struktur versehene Körper, ineinander gesteckten Tüten
vergleichbar, die hier und da im Lias vorkommen. Stylosporen, die bei Kernpilzen in besondern
Fruchtbehältern, den Pykniden, durch Abschnürung an
Hyphenenden entstehenden Sporen (s. Pilze, S. 72 f.). Stylus (lat.), Griffel, s. Blüte, S. 69. Stymphalische Vögel (Stymphaliden), im griech.
Mythus Raubvögel mit ehernen Flügeln und Federn, die sie
wie Pfeile abschießen konnten, hausten am Stymphalischen See
in Arkadien und wurden von Herakles verscheucht. Styphninfäure, s. Resorcin. Styptische Mittel (Styptica), s. v. w. blutstillende
Mittel, s. Blutung, S. 90. Styr, rechter Nebenfluß des Pripet im westlichen
Rußland, entspringt in Ostgalizien unweit der russischen
Grenze und mündet nach einem Laufe von über 500 km. Styraceen, dikotyle Pflanzenfamilie aus der Ordnung der
Diospyrinen, durch die der Blumenkrone angewachsenen
Staubblätter und das ganz oder halb unterständige Ovar
von den nächstverwandten Ebenaceen und Sapotaceen verschieden.
Die nur Holzpflanzen enthaltende Familie zählt über 220
Arten, welche meist im tropischen Asien und Amerika einheimisch und
wegen der eigentümlichen aromatischen Harze (Storax, Benzoe),
welche ihre Stämme enthalten, zum Teil wichtige Arzneipflanzen
sind. Styracinen, s. Diospyrinen. Styrax Tourn. (Storaxbaum), Gattung aus der Familie der
Styraceen, an allen Teilen, mit Ausnahme der Blattoberseite, mit
Schuppen besetzte oder sternhaarig filzige, selten kahle
Sträucher oder Bäume mit ganzrandigen oder schwach
gesägten Blättern, meist weißen Blüten in
achsel- oder endständigen, einfachen oder zusammengesetzten
Trauben und kugeliger oder eiförmiger, ein- bis dreisamiger
Frucht. Etwa 60 Arten meist in den Tropengebieten Asiens und
Amerikas, spärlich im gemäßigten Asien und
Südeuropa. S. Benzoin Dryand. (Benzoebaum), mittelgroßer
Baum mit gestielten, eiförmig länglichen, lang
zugespitzten, oberseits kahlen, unterseits weißfilzigen
Blättern, innen braunroten, außen und am Rand
silberweißen Blüten und holziger,
weißlich-brauner, nicht aufspringender Frucht, wächst
auf Java und Sumatra, in Siam und Kotschinchina, wird auch
kultiviert und liefert die Benzoe. S. officinalis L. (echter
Storaxbaum), ein Strauch oder kleiner Baum mit kurz gestielten,
breit länglichen, unterseits weißfilzigen Blättern,
endständigen, nickenden, zwei- bis vierblütigen Trauben
mit wohlriechenden Blüten und filziger grüner
Steinfrucht, wächst in den östlichen
Mittelmeerländern nördlich bis Dalmatien und lieferte
früher Styrax, der gegenwärtig allein von Liquidambar
orientalis gewonnen wird. Styrax (Storax, Judenweihrauch), ein Balsam, welcher aus
der Rinde des Amberbaums, Liquidambar orientalis Mill., im
südlichen Kleinasien und Nordsyrien durch Behandeln mit warmem
Wasser und Abpressen gewonnen wird. Er ist zäh,
dickflüssig, schwerer als Wasser, grau, etwas
grünbräunlich, undurchsichtig, wird beim Erwärmen
braun und durchsichtig, trocknet nicht an der Luft, löst sich
in Alkohol und Äther, riecht angenehm, schmeckt scharf
aromatisch, kratzend, besteht aus Zimtsäurestoresinäther,
Zimtsäurephenylpropyläther, Zimtsäurezimtäther,
freier Zimtsäure, Äthylvanillin, Styrol etc. Man benutzt
ihn in der Parfümerie und als Mittel gegen Krätze. Die
Produktion beträgt jährlich etwa 800 Ztr. S. wird schon
von Herodot erwähnt und kam durch die Phöniker nach
Griechenland. Neben oder vor dem Liquidambarstyrax war aber auch
das feste Harz von Styrax officinalis L. im Gebrauch, welches etwa
seit Beginn unsers Jahrhunderts nirgends mehr in einiger Menge
gewonnen wird. Die bei der Bereitung des S. ausgepreßte Rinde
wird getrocknet und dient mit nicht gepreßter Borke in der
griechischen Kirche als Christholz neben Weihrauch zum
Räuchern; früher kam sie als Cortex Thymiamatis in den
Handel. Gegenwärtig wird sie vielfach zerkleinert und mit S.
zu einem schmierigen oder ziemlich trocknen Gemenge verarbeitet,
welches als Styrax calamita von Triest aus 412 Styrum - Suber. in den Handel kommt, statt jener Rinde aber oft auch nur
Sägespäne enthält. Aus dem amerikanischen
Liquidambar styraciflua L. gewinnt man durch Einschnitte in den
Stamm einen braungelben, ziemlich festen S. (Sweet gum), der
besonders von Kindern gern gekaut wird. Styrum (Stirum), Fabrikort im preuß.
Regierungsbezirk Düsseldorf, Kreis Mülheim a. d. Ruhr,
unweit der Ruhr und an der Linie Ruhrort-Holzwickede der
Preußischen Staatsbahn, hat eine evangelische und eine kath.
Kirche, ein Schloß (Stammort der Grafen von S.), ein
großes Eisenwerk (zu Oberhausen), Fabrikation von feuerfesten
Steinen und Leim und (1885) 8896 meist kath. Einwohner. Styx, in der griech. Mythologie älteste Tochter des
Okeanos und der Tethys, eilte zuerst von allen Göttern mit
ihren Kindern Zelos (Eifer), Nike (Sieg), Kratos (Kraft) und Bia
(Gewalt), die sie von Pallas, dem Sohn des Titanen Krios, geboren,
dem Zeus gegen die Titanen zu Hilfe. Dafür behielt er ihre
Kinder bei sich im Olymp, sie selbst erhob er zur Eidesgöttin
der Unsterblichen. Sie wohnt als Nymphe des mächtigen Flusses
S., der als ein Arm des Okeanos unter die Erde fließt und
(nach späterer Vorstellung) die Unterwelt neunmal
durchströmt, im äußersten Westen in einem von hohen
Felsen überschatteten und von silbernen Säulen getragenen
Haus. Ist ein Streit unter den Göttern nur durch Eidschwur zu
lösen, so holt Iris von ihrem heiligen Wasser in goldener
Kanne, und wehe demjenigen, der bei diesem Wasser falsch
schwört. Den Fluß S. hat man später in dem jetzt
Mavronéri genannten arkadischen Gewässer
wiedergefunden. Su (türk.), s. v. w. Wasser, Fluß. Suada (Suadela, lat.), s. v. w. Peitho (s. d.); dann
überhaupt Rede- und Überzeugungsgabe. Suaheli (Sawahili, "Küstenbewohner"), die Bewohner
der Sansibarküste Ostafrikas und der vorliegenden Inseln, ein
durch die beinahe tausendjährige Vermischung der
eingewanderten Araber mit den eingebornen Negern der großen
südafrikanischen Völkerfamilie sowie durch das
jahrhundertelang fortgesetzte Einführen von Sklaven aus allen
Teilen des Innern entstandenes Mischvolk, welches alle
Schattierungen der Haut von den schwarzen Eingebornen bis zu den
hellen Arabern und alle Zwischenstufen der
Körperbeschaffenheit beider Rassen zeigt. Die Sprache der S.,
das Kisuaheli, bildet mit den übrigen Sprachen von Sansibar
zusammen die nördlichste Gruppe der östlichen Abteilung
des großen Bantusprachstammes (s. Bantu). Grammatiken
derselben lieferten Krapf (Tübing. 1850) und Steere (3. Aufl.,
Lond. 1884), der auch die nahe verwandte Kihian- oder Yaosprache
bearbeitete (das. 1871), ein Wörterbuch Krapf (das. 1882). Die
S. bilden das Hauptkontingent unter der Bevölkerung des
Sultanats Sansibar, und ihre Sprache ist das allgemeine
Verständigungsmittel von Ostafrika. Auch die frühere
Bevölkerung der Komoren ist zu den S. zu rechnen. Suakin (Sauâkin), Hafenstadt in Nubien, am Roten
Meer, auf einer Küsteninsel in einem Becken, zu welchem
zwischen Korallenbänken ein schmaler, gewundener Kanal
führt. In diesem liegt eine zweite Insel, welche als
Quarantäne dient. Die Stadt hat eine Anzahl Moscheen mit
Minarets, steinerne, mit Schnitzwerk schön verzierte
Häuser und wird von Arabern, Türken, Leuten aus
Hadramaut, Griechen und Maltesern bewohnt. Sie ist durch eine feste
Brücke mit dem aus Mattenhütten bestehenden El Kef auf
dem gegenüberliegenden Ufer verbunden, dessen Bewohner die
Inselstadt mit Lebensmitteln und Trinkwasser versorgen. Um El Kef
gegen die Überfälle der Mahdisten zu schützen, hat
man den Ort mit Befestigungen umgeben. Die Einwohnerzahl der
Doppelstadt ist (1882) 11,000. Vor dem Krieg verkehrten hier
jährlich 760 europäische Schiffe und arabische Barken von
172,000 Ton., welche Reis, Datteln, Salz, Kauris und
europäische Waren gegen Gummi, Elfenbein, Straußfedern,
Felle, Wachs, Moschus, Getreide, Kaffee sowie Sklaven, Maulesel und
wilde Tiere eintauschten. Die Ausfuhr wertete früher 5,2 Mill.
Mk. S. ist auch Einschiffungshafen für Mekkapilger
(jährlich 6-7000). Auf der großen Karawanenstraße
zwischen hier und Berber am Nil verkehrten früher
jährlich 20,000 beladene Kamele. Englische Dampfer vermitteln
den Verkehr mit Suez; von dort läuft eine ägyptische
Linie über Dschiddah nach S. und nach Massauah. Ein Kabel geht
nach Suez und Dschiddah. Gegenwärtig ist S. von einer
englischen Garnison besetzt. Suardi, Bartolommeo, s. Bramantino. Suarez, Franz, berühmter kathol. Theolog, geb. 5.
Jan. 1548 zu Granada, wirkte als Professor in Segovia und
Valladolid, nach einem Aufenthalt in Rom wieder in Alcalá,
Salamanca und Coimbra; starb 25. Sept. 1617 in Lissabon. Unter
seinen Werken (Lyon u. Mainz 1632 ff., 23 Bde. ; Vened. 1740, 23
Bde.; Par. 1859, 26 Bde.; Auszug von Migne, das. 1858, 2 Bde.)
befindet sich eine "Defensio fidei catholicae" (1613), gegen die
kirchlichen Maßnahmen Jakobs I. von England gerichtet. Vgl.
Werner, Franz S. (Regensb. 1861, 2 Bde.). Suasorisch (lat.), überredend; Suasorien,
Überredungsmittel, Überredungsgründe. Sub (lat.), unter. Subaltern (lat.), untergeordnet, unter einem andern
stehend; Subalternbeamte, Beamte, welche nicht die höhern
Staatsprüfungen abgelegt haben und im Büreaudienst oder
sonst in untergeordneter Thätigkeit angestellt sind;
Subalternoffiziere, die niedrigste Rangstufe der Offiziere (s. d.),
zu welcher die Premier- und Sekondeleutnants gehören. Subalternation (neulat.), in der Logik dasjenige
Verhältnis, wo eins unter dem andern enthalten ist, daher das
besondere (bejahende und verneinende) Urteil im Verhältnis zum
allgemeinen subalterniert, aber auch der Unterordnungsschluß
Subalternationsschluß heißt. Subapenninenformation, s. Tertiärformation. Subäraten (lat.), versilberte röm.
Kupfermünzen. Subclavia (arteria, vena s.),
Schlüsselbeinschlagader, -Blutader. Sub conditione (lat.), unter der Bedingung. Subconductio (lat.), s. v. w. Aftermiete (s. d.). Subdatarius (lat.), s. Dataria. Subdelegat (lat.), Unterbevollmächtigter. Subdiakonus, in der abendländischen Kirche seit dem
3. Jahrh. Gehilfe des Diakonen, erst seit Innocenz III. zu den
Ordines majores gerechnet; in der protestantischen Kirche der
zweite Hilfsprediger an einer Kirche. Sub dio (sub Jove, lat.), unter freiem Himmel. Subditius (lat.), untergeschoben. Subdivision (lat.), Unterabteilung. Subdominante (lat.), s. v. v. Unterdominante (s.
Dominante). Subdominus (lat.), Unter- oder Afterlehnsherr; s.
Afterlehen und Lehnswesen, S. 633. Suber (lat.), Kork, Korkbaum; Suberin, die reine
Korksubstanz (s. Kork); suberös, korkartig. 413 Subert - Sublimation. Subert (spr. schubert), Franz Adolf, tschech. Dichter,
geb. 1845 zu Techonice, studierte in Prag, war Mitredakteur des
"Pokrok" und Sekretär des Böhmischen Klubs und ist seit
1883 Direktor des böhmischen Nationaltheaters. Er schrieb zwei
gehaltvolle historische Erzählungen: "Die Gefangennehmung des
Königs Wenzel" und "Georg Podiebrad" ; ferner das Lustspiel
"Petr Volk z Rozmberka" , ein fesselndes Intrigenstück aus der
Zeit des Bruderzwistes im Haus Habsburg, das Trauerspiel
"Probuzenci" ("Die Erwachten", 1882), aus der Zeit des
österreichischen Erbfolgekriegs und der
bayrisch-französischen Invasion in Böhmen. Wie dieses,
fußt auch das folgende: "Jan Vyrawa" (1886), in dem Kampf
zwischen den leibeignen Bauern und den Großgrundbesitzern.
Seine jüngsten Stücke sind: "Laska Raffaelova" ("Die
Liebe Raffaels", 1887), eine Frucht seiner italienischen Reisen und
Studien, die sich durch schwungvolle Diktion auszeichnet, indessen
in der Komposition viel zu wünschen übrigläßt,
und "Praktikus" (1888), worin S. seine genauen Kenntnisse der
journalistischen Welt in gar zu drastischen Effekten verwertet. Im
ganzen ist ihm mehr Fleiß und Routine als angebornes
dramatisches Talent nachzurühmen. Subfeudum (lat.), s. Afterlehen. Subhastation(lat.), öffentliche Versteigerung eines
Gegenstandes (vgl. Hasta), erfolgt entweder auf Antrag des
Eigentümers (freiwillige) oder auf Anordnung der Behörde
(notwendige), insbesondere um mit dem Erlös Gläubiger zu
befriedigen. Im engern Sinn versteht man unter S. die gerichtliche
Versteigerung von Immobilien und unter Subhastationsordnung ein
ausführliches Gesetz über die gerichtliche
Zwangsvollstreckung (s. d.) in Grundstücke. Subhastieren,
öffentlich versteigern. Sub hodiérno dië (lat.), unter heutigem
Tag. Subiáco (das röm. Sublaqueum), Stadt in der
ital. Provinz Rom, am Teverone, eng von Bergen umschlossen, hat
einen dem Papst Pius VI. 1789 errichteten Triumphbogen, ein
Kastell, Reste Neronischer Bauten, Fabrikation von Hüten,
Leder, Töpferwaren, Papier, Glocken, Ackerbauwerkzeugen etc.
und (1881) 6503 Einw. Die Umgebung von S. ist die Wiege des
Benediktinerordens; noch finden sich von zwölf dort erbauten
Klöstern zwei schon im 6. Jahrh. gestiftete vor: Santa
Scolastica und Sacro Speco mit der Felsengrotte, in die sich St.
Benedikt zurückzog. Im erstgenannten Kloster stellten die
deutschen Buchdrucker Sweynheym und Pannartz 1464 die ersten in
Italien gedruckten Bücher her. Vgl. Gregorovius, Lateinische
Sommer (5. Aufl., Leipz. 1883). Subito (ital.), schnell, plötzlich, sofort. Subjekt (lat. subjectum), jeder Begriff, der in der
Voraussetzung gedacht wird, daß ihm ein andrer, das
Prädikat (s. d.), in einem Urteil als Merkmal beigelegt oder
abgesprochen werde; dann der Vorstellende im Gegensatz zu dem
Vorgestellten oder dem Objekt (s. d.); auch s. v. w. Person (oft im
verächtlichen Sinn). In der Musik bezeichnet S. das Thema
einer Fuge (s. d.); man spricht von Fugen mit 2 Subjekten
(Doppelfuge), 3 Subjekten (Tripelfuge), wo mehrere Themata
selbständig durchgeführt werden. Subjektion (lat.), Unterwerfung; als Redefigur s. v. w.
Aufwerfung und Selbstbeantwortung einer Frage (z. B. bei Herder:
"Wes ist der Erdenraum? Des Fleißigen"). Subjizieren,
unterwerfen, unterordnen; eingeben, an die Hand geben. Subjektiv (lat.), dem Subjekt eigen, persönlich, in
der individuellen Natur des Denkenden oder Empfindenden
begründet (vgl. Objekt). Subjektivismus (neulat.), eine Weltauffassung, welche, im
Gegensatz zur objektiven, d. h. im Objekt (s. d.), in der Natur der
(vorgestellten oder empfundenen) Sache, begründeten,
Betrachtung der Dinge, viel mehr im Subjekt (s. d.), d. h. in der
(individuellen) Natur des Vorstellenden oder Empfindenden, ihren
bestimmenden Ursprung hat. Derselbe ist theoretisch, wenn er
dasjenige, was dem (individuellen) Subjekt wahr scheint,
ebendeshalb für wahr, praktisch, wenn er dasjenige, was dem
(individuellen, eignen) Subjekt nützt, ebendeshalb für
gut (und erlaubt) erklärt, und fällt in ersterer Hinsicht
mit der Lehre der Sophisten ("Der Mensch ist das Maß aller
Dinge": Protagoras), in letzterer mit der (Un-)Moral des
Eigennutzes und des Egoismus zusammen. Dadurch, daß der S.
die Existenz von Objekten weder leugnet, noch sich für den
Schöpfer derselben erklärt, unterscheidet er sich vom
(subjektiven) Idealismus (z. B. Fichtes) dadurch, daß er sich
gegen das Dasein anderer Subjekte (außer ihm) zwar
gleichgültig verhält, dasselbe aber nicht
ausschließt, vom (theoretischen und praktischen) Solipsismus
(z. B. M. Stirners). Subjektivität (neulat.), subjektives Wesen,
subjektive Auffassung und Darstellung, im Gegensatz zu
Objektivität (s. d.). Vgl. Subjektivismus. Subjizieren (lat.), s. Subjektion. Sub Jove (lat.), unter freiem Himmel. Sub judice (lat., "unter dem Richter"), noch
unentschieden (von Prozessen). Subjungieren (lat.), unterordnend anknüpfen. Subjunktiv (lat.), s. v. w. Konjunktiv, s. Verbum. Subkonträr heißt in der Logik das besonders
bejahende im Verhältnis zum besonders verneinenden Urteil,
weil es unter dem allgemein bejahenden und dieses unter dem
allgemein verneinenden steht, welche beide einander konträr
entgegengesetzt sind. Subkutan (lat.), unter der Haut befindlich. Sublevieren (lat.), erleichtern, unterstützen,
aushelfen; besonders einen Teil der Amtslast übernehmen;
Sublevant, Helfer, Amtsgehilfe. Sublim (lat.), erhaben. Sublimat (lat.), jedes Produkt einer Sublimation,
speziell s. v. w. Quecksilberchlorid (ätzendes S.). Sublimation (lat.), Operation, welche zum Zweck hat,
starre, flüchtige Körper von nicht flüchtigen zu
trennen. Von der Destillation (s. d.) unterscheidet sich die S. nur
dadurch, daß ihr Produkt, das Sublimat, starr und nicht
flüssig ist. Die zur S. dienenden Apparate bestehen aus einem
Teil, in welchem der zu sublimierende Körper erhitzt wird, und
einem andern, geräumigern, in welchem sich die Dämpfe
verdichten. Bisweilen (Kalomelbereitung) genügt ein einziges
Gefäß, z. B. ein Glaskolben, dessen Boden in einem
Sandbad erhitzt wird. Der flüchtige Körper verwandelt
sich in Dampf, der sich an den obern Wandungen des Kolbens wieder
verdichtet. Das Sublimat bildet dann einen nahezu
halbkugelförmigen Kuchen. Bei der S. mancher Substanzen
(Benzoesäure, Pyrogallussäure) ist es praktisch, sie auf
einer Metallplatte oder in einer flachen Schale zu erhitzen und die
Dämpfe in einem Hut von Papier, den man auf die Platte oder
Schale setzt, aufzufangen. In der Technik benutzt man Töpfe
aus Steinzeug, welche über einer Feuerung in Sand eingebettet
stehen und mit ihrem Hals bis an eine eiserne Platte reichen,
welche für jeden Topf eine Öffnung besitzt. Das Sublimat
wird in kleinen irdenen Töpfen aufgefangen, welche man
über die Mündungen der größern stülpt.
Häufig sublimiert man auch in eisernen Kesseln, die über
einer Feuerung eingemauert und innen bisweilen mit feuerfesten
Stei- 414 Sublokation - Substantiv. nen ausgekleidet werden. Man verschließt sie fest mit
einem eisernen Deckel, der nur ein kleines Loch zum Entweichen
nicht kondensierbarer Gase enthält. Derartige einfache
Apparate sind nur anwendbar, wo die Dämpfe des zu
sublimierenden Körpers sich sehr leicht kondensieren lassen.
In andern Fällen ist es notwendig, die Dämpfe aus dem
Gefäß, in welchem sie sich gebildet haben, abzuleiten
und in besondern Räumen zu verdichten. Dies geschieht z. B.
bei der S. des Schwefels, dessen Dämpfe in großen
gemauerten Kammern verdichtet werden. Sind die Dämpfe des zu
sublimierenden Körpers nicht entzündlich, so ist es
vorteilhaft, sie durch einen Luftstrom, den ein Ventilator liefert,
in die Kondensationsräume zu treiben. Dies geschieht auch
dann, wenn man das Sublimat in Form eines feinen Pulvers und nicht
als kompakte Masse erhalten will, und zwar kann man statt der Luft
auch irgend ein indifferentes Gas oder Wasserdampf anwenden. Manche
Sublimate entstehen bei der Einwirkung von Gasen auf starre
Körper, z. B. wenn man ein Bündel von Eisendraht in dem
Hals einer tubulierten Retorte erhitzt und trocknes Chlor
hindurchleitet. Es entsteht dann Eisenchlorid, welches sich in der
Retorte verdichtet. Bisweilen kann man mit der S. eine Reinigung
der Substanz von flüchtigen Verunreinigungen, z. B. von
empyreumatischen Stoffen, in der Art verbinden, daß man die
Beschickung mit Holz- oder Teerkohle mischt, welche jene
Verunreinigungen zurückhält. Manche Sublimate bilden
feste Kuchen (Zinnober, Quecksilberchlorür und -Chlorid,
kohlensaures Ammoniak, Salmiak); andre bilden Kügelchen
(Schwefelblumen) oder isolierte kleinere oder größere
Kristalle (Benzoesäure, Pyrogallussäure, Jod); alle aber
zeichnen sich meist durch große Reinheit aus. Daher benutzt
man auch die S. in der Analyse, um an wohl ausgebildeten Kristallen
den sublimierenden Körper zu erkennen. Sublokation (lat.), Aftermiete (s. d.). Sublunarisch (lat.), unter dem Mond befindlich. Subluxation (lat.), eine Verrenkung, wobei die
Gelenkflächen nicht gänzlich voneinander gewichen sind,
sondern sich noch teilweise berühren. Submarin (lat.), unterseeisch. Submergieren (lat.), untertauchen, unter Wasser setzen;
Submersion, Untertauchung. Subministrieren (lat.), behilflich sein, an die Hand
gehen; Subministration, Vorschubleistung, namentlich bei
Unterschleifen. Submiß (lat.), unterwürfig. Submission (Summission, lat.), die Vergebung
öffentlich ausgebotener Arbeiten, bez. Materiallieferungen an
den Mindestfordernden auf Grund schriftlich eingereichter geheimer
Angebote. Dieselbe ist eine allgemeine, wenn jedermann zur
Konkurrenz zugelassen wird, eine beschränkte oder engere, wenn
von vornherein eine Auswahl getroffen, die Zulassung vom Nachweis
bestimmter Fähigkeiten, Berufs-, Staats- oder
Gemeindeangehörigkeit, Kapitalbesitz zur Kautionsstellung u.
dgl. abhängig gemacht wird. über Bedeutung, Vorteile und
Mißstände der S., dann über die in der neuern Zeit
vorgeschlagenen und durchgeführten Maßregeln zur
Besserung vgl. F. C. Huber, Das Submissionswesen (Tübing.
I885). S. auch Staatsschulden, S. 204. Suboles (Soboles. lat.), in der Botanik s. v. w.
Ausläufer. Subordination (lat.), "Unterordnung", Dienstgehorsam;
beim Militär die Pflicht des Untergebenen, jedem Befehl seines
Vorgesetzten sich ohne Widerrede zu fügen, die Grundlage aller
Disziplin und Mannszucht (vgl. Insubordination). In der Logik ist
S. der Begriffe dasjenige Verhältnis derselben, vermöge
dessen ein Begriff zum Umfang eines andern, ihm übergeordneten
gehört (vgl. Koordinieren). Suboxyd und Suboxydul, s. Oxyde. Sub poena (lat.), unter Androhung einer Strafe. Subreption (lat.), Erschleichung (s. d.), insbesondere
durch Angabe falscher Thatsachen (vgl. Obreption). Subrogieren (lat.), jemand in eines andern Stelle setzen;
einem sein Recht abtreten. Sub rosa (lat.), im Vertrauen, unter der Bedingung der
Verschwiegenheit. Der Ausdruck bezieht sich auf den Brauch im
Altertum, daß man bei Gastmählern eine Rose als Symbol
der Verschwiegenheit über den Gästen auszuhängen
pflegte. Subsekutiv (lat.), nachfolgend. Subsellien (lat.), Schulbänke; s.
Schulgesundheitspflege, S. 649. Subsemitonium modi, der Halbton unter der Tonika, also
die große Septime in der aufsteigenden Tonleiter, der Leitton
der Tonart. Subsequenz (lat.), das Nachfolgende. Subsidien (lat.), ursprünglich bei den Römern
das dritte Treffen der Schlachtordnung, welches den beiden ersten
Treffen im Notfall zu Hilfe zu kommen hatte, später
überhaupt die Reserve in der Schlachtordnung; dann Bezeichnung
für Hilfsmittel überhaupt, daher "in subsidium",
subsidiär (subsidiarisch), s. v. w. unterstützend,
hilfeleistend. Namentlich versteht man unter S. Gelder, die im Fall
eines Kriegs vermöge eines besondern Vertrags
(Subsidientraktats) ein Staat dem andern zahlt (s. Allianz). In
England werden mit dem Ausdruck Subsidiengelder (grants,
"Bewilligungen") auch diejenigen Gelder bezeichnet, welche vom
Parlament jährlich für die Land- und Seemacht bewilligt
werden. Charitativsubsidien, die ehedem von der reichsfreien
Ritterschaft dem Kaiser entrichteten zeitweiligen Abgaben. Sub sigillo (lat.), unter dem Siegel (der
Verschwiegenheit); vgl. Beichtsiegel. Subsistieren (lat.), Bestand haben; seinen Unterhalt
haben; Subsistenz, Lebensunterhalt. Subskribieren (lat.), unterschreiben, auf etwas
unterzeichnen, eine Subskription (s. d.) eingehen. Subskription (lat.), die Verpflichtung durch
Namensunterschrift zur Teilnahme an einem Unternehmen oder zur
Annahme einer Ware, besonders einer litterarischen Arbeit oder
eines Kunstwerks, aber auch zur Übernahme von Aktien oder zur
Beteiligung an einer Anleihe (s. Staatsschulden, S. 204). Die S.
bewirkt für den Subskribenten rechtliche Verbindlichkeit, wenn
auch vom andern Teil alle Versprechungen sowohl hinsichtlich der
Zeit der Lieferung als auch der Beschaffenheit des zu liefernden
Gegenstandes eingehalten werden. Der Subskriptionspreis ist oft
niedriger gestellt als der spätere Kaufpreis. Das Sammeln von
Subskribenten durch Buchhandlungsreisende wird nicht als
Hausiergewerbe behandelt. Sub sole (lat.), unter der Sonne. Substantiell (lat.), wesenhaft, wesentlich (s. Substanz);
derb, kräftig (von Speisen); materiell; Substantialität,
Wesenheit, Selbständigkeit. Substantiv (Nomen substantivum, Haupt-, Dingwort), in der
Grammatik Bezeichnung einer Person oder Sache oder eines Begriffs.
Der Ausdruck S. findet sich im Altertum noch nicht, sondern ist
erst bei den Grammatikern des Mittelalters aufgekommen, die ihn aus
dem lateinischen substantia ("Stoff") bildeten. Er drückt
besonders den Gegensatz dieser Wort- 415 Substanz - Subtraktion klasse zu den Eigenschaftswörtern (Adjektiven) aus, die
bloß ein einzelnes Merkmal bezeichnen. Schon die Alten
teilten das S. in verschiedene Klassen ein; die noch jetzt
allgemein gebräuchlichen Einteilungen sind folgende. Je
nachdem ein S. ein bestimmtes, persönliches Wesen oder eine
ganze Gattung von Personen, Sachen oder Begriffen bezeichnet,
heißt es Nomen proprium (Eigenname) oder Nomen appellativum
(Gattungsname). Das Appellativum kann wieder Abstractum oder
Concretum sein, je nachdem es entweder etwas bloß Gedachtes
oder Vorgestelltes, oder etwas wirklich im Raum Vorhandenes
bedeutet. Andre Unterarten des Nomen appelativum sind die
Collectiva (Sammelwörter), die eine Gesamtheit von Individuen
bezeichnen, wie z. B. Volk, Menge, Schar, und die Materialia
(Stoffwörter), wie Gold, Wasser, Wein, Getreide. Für die
historische und vergleichende Sprachforschung sind alle diese
Unterschiede nicht vorhanden, da die Substantiva aller Arten und
selbst die Adjektiva und Partizipia fortwährend ineinander
übergehen, auch die Eigennamen stets aus einem Appellativum
entstanden sind und auch wieder zu einem solchen werden
können, wie z. B. Cäsar ursprünglich "Töter,
Mörder" bedeutete, dann ein Beiname des Gajus Julius
Cäsar, hierauf der gewöhnliche Titel der römischen
und später der deutschen "Kaiser", zuletzt in manchen
Fällen im Deutschen wieder ein Eigenname geworden ist. Das S.
ist neben dem Verbum der wichtigste der Redeteile, und es gibt
keine Sprache, der das S. fehlt. Die Flexion der Substantiva durch
angehängte Kasusendungen (s. Kasus) heißt
Deklination. Substanz (lat.), im gewöhnlichen Sinn das Grund
wesen, das Wesentliche oder der Hauptinhalt einer Sache, der Stoff,
im Gegensatz zum Accidens (s. d.), der zufälligen, nicht
wesentlichen Eigenschaft eines Dinges. So bezeichnet man z. B.
Kapitalien als S. eines Vermögens im Gegensatz zum Ertrag oder
den Zinsen als seinen Accidenzien. In der Philosophie ist S. das
unbekannte Seiende, welches als beharrlich und bleibend
gegenüber allem Wechsel der Erscheinung gedacht wird und dem
Vielen und Mannigfaltigen die Einheit gibt. Hinsichtlich der
Bestimmung des Wesens dieser S. gehen die philosophischen Systeme
auseinander. Ob es eine Vielheit von Substanzen gebe (Monaden des
Leibniz, reale Wesen Herbarts), oder ob nur eine anzunehmen sei (S.
des Spinoza), ob dieselbe oder dieselben geistiger oder materieller
Natur seien, darüber ist der alte Streit bis auf den heutigen
Tag nicht entschieden. Substituieren (lat), an eines andern Stelle setzen. Substitut (lat.), ein Amts- oder Stellvertreter;
Beigesetzter, Nachgeordneter im Amt, auch s. v. w. Nacherbe (s.
Substitution). Substitution (lat.), Stellvertretung, Einsetzung eines
Stellvertreters, namentlich seitens eines
Prozeßbevollmächtigten, der seine Vollmacht auf einen
andern überträgt; Substitutorium, die zur Beurkundung
dessen ausgestellte Urkunde. Im Erbrecht versteht man unter S. eine
eventuelle Erbeinsetzung oder, wie der Entwurf eines deutschen
bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 1804 ff.) es nennt, die
Nacherbfolge, welche dann vorliegt, wenn der Erblasser einen Erben
in der Weise einsetzt, daß derselbe erst, nachdem ein andrer
Erbe geworden ist, von einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis an
Erbe sein soll. Mit diesem Moment hört der bisherige Erbe
(Vorerbe) auf, Erbe zu sein, und die Erbschaft fällt dem
Nacherben zu. Dahin gehört zunächst die
Vulgarsubstitution, d. h. die Einsetzung eines zweiten Erben
(Substituten, Nacherben) für den Fall, daß der erst
ernannte nicht Erbe wird; ferner die Pupillarsubstitution, darin
bestehend, daß der Vater seinem unmündigen Kind einen
Erben ernennen darf für den Fall, daß dieses nach ihm
noch unmündig versterben sollte; endlich die
Quasipupillarsubstitution (substitutio quasi pupillaris s.
exemplaris), vermöge deren es allen Aszendenten freisteht,
einem blödsinnigen Abkömmling einen Substituten zu
ernennen für den Fall, daß das Kind im Blödsinn
verstirbt, jedoch nur in betreff des Vermögens, welches der
Blödsinnige von dem Aszendenten hat, nicht seines anderweiten.
Der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs kennt nur
eine Art der Nacherbfolge, bestimmt aber (§ 1851)
bezüglich der eventuellen Erbeinsetzung für einen
Abkömmling folgendes: "Hat der Erblasser einem
Abkömmling, welcher zur Zeit der Errichtung der letztwilligen
Verfügung keinen Abkömmling hat, für die Zeit nach
dessen Tod einen Nacherben bestimmt, so ist anzunehmen, daß
die Einsetzung des Nacherben auf den Fall beschränkt sei, wenn
der Vorerbe keinen Abkömmling hinterlasse". In der Chemie
heißt S. oder Metalepsie die Vertretung eines Atoms oder
einer Atomgruppe in einer chemischen Verbindung durch ein
Äquivalent eines andern Elements oder einer andern Atomgruppe.
Bei der Einwirkung von Chlor auf manche organische Verbindungen
können ein oder mehrere Atome Wasserstoff in Form von
Chlorwasserstoff austreten, während gleich viel Atome Chlor
die Stelle des ausgetretenen Wasserstoffs einnehmen. Auf diese
Weise entstehen chlorhaltige Verbindungen (Substitutionsprodukte),
die, obgleich chlorhaltig, noch den Charakter ihrer Muttersubstanz,
aus der sie entstanden sind, besitzen. Behandelt man
Essigsäure C2H4O2 mit Chlor, so entstehen der Reihe nach
Monochloressigsäure C2H3ClO2, Dichloressigsäure
C2H2Cl2O2, Trichloressigsäure C2HCl3O2, und alle diese
Säuren zeigen noch den Charakter und die Basizität der
Essigsäure. Wie Chlor verhalten sich auch Brom und Jod und
gewisse Atomgruppen, wie NO2, NH2, SO2. Ebenso können an die
Stelle von Sauerstoff Schwefel, Selen oder Tellur, an die Stelle
von Stickstoff Phosphor, Arsen oder Antimon treten, ohne daß
der Charakter der betreffenden chemischen Verbindungen
geändert wird. Daraus muß man schließen, daß
der Charakter der organischen Substanzen bis zu einem gewissen Grad
weniger von der Natur ihrer Bestandteile als vielmehr von der Art
der Verbindung, von der Stellung, welche letztere einnehmen,
abhängig ist. Diese Thatsachen führten in der Chemie zur
Aufstellung der Typentheorie durch Dumas und Laurent und der
Kerntheorie durch Laurent, und wenn beide auch nicht allgemeine
Geltung erlangt haben, so bildeten sie doch die Brücke zu den
neuen, jetzt herrschenden Anschauungen. Substitutionsverfahren, s. Zucker. Substrat (lat.), Unterlage, Grundlage; der vorliegende
Fall; in der Logik s. v. w. Substanz. Substruktion (lat.), Unter-, Grundbau. Subsultus tendinum (lat.), Sehnenhüpfen (s. d.). Subsumieren (lat.), unter etwas zusammenfassen, mit
begreifen, etwas folgern; Subsumtion, Zurückführung des
Besondern auf ein Allgemeines; Voraussetzung, Annahme; subsumtiv,
voraussetzend. Subtil (lat.), zart, fein; spitzfindig. Subtrahendus (lat.), s. Subtraktion. Subtraktion (lat.), in der Arithmetik die zweite der vier
Spezies, welche zu zwei gegebenen Zahlen, dem Minuendus und dem
Subtrahendus, eine 416 Subtropen - Suchitoto. dritte, die Differenz (den Unterschied), findet, die, zu dem
Subtrahendus addiert, den Minuendus gibt. Das Zeichen der S. ist -
oder -, gelesen minus oder weniger, z. B. 12-4=8. Das Verfahren bei
S. mehrzifferiger Zahlen besteht gewöhnlich darin, daß
man die einzelnen Ziffern des Subtrahendus von den (nach Befinden
um 10 vermehrten) des Minuendus subtrahiert, z. B. 25831-16543 wird
gerechnet 3 von 11 gibt 8, 4 von 12 gibt 8, 5 von 7 gibt 2, 6 von
15 gibt 9, 1 von 1 gibt 0; in Österreich und auf einzelnen
Schulen anderwärts rechnet man dagegen: 3+8 ist 11, 5
(nämlich 4+1)+8 ist 13, 6(5+1)+2 ist 8, 6+9 ist 15, 2+0 ist 2.
Das Resultat ist also 9288. Das letztere Verfahren ist vorzuziehen,
weil man bei Gewöhnung an dasselbe bei der Division die
abzuziehenden Tellprodukte nicht hinzuschreiben braucht, sondern
gleich den Rest angeben kann. Subtropen, der zu beiden Seiten der Tropen gelegene
Gürtel, ausgezeichnet durch die Gleichmäßigkeit der
Temperatur, umfaßt die Gegenden mit ausgesprochenem
Winterregen. Subtropisch, dem Tropischen sich annähernd, z. B.
subtropische Vegetation. Subulirostres, s. v. w. Pfriemenschnäbler. Sub una specie (lat.), unter einerlei Gestalt,
nämlich nur des Brotes, wie die Katholiken das Abendmahl
genießen; sub utraque specie, unter beiderlei Gestalt (vgl.
Abendmahl und Hussiten). Subura, im alten Rom eine zwischen dem Kapitol und
Esquilinus befindliche Niederung, durch welche eine sehr belebte,
mit zahlreichen Tavernen und Bordellen besetzte Straße
führte. Subvention (lat.), Beihilfe, Unterstützung,
insbesondere aus öffentlichen Mitteln. Subverfion (lat.), Umsturz; subversiv, Umsturz
bezweckend; subvertieren, umstürzen, zerstören. Sub voce (lat.), unter dem und dem Wort. Subzow, Kreisstadt im russ. Gouvernement Twer, am
Einfluß der Wasusa in die Wolga, mit 5 griechisch-russ.
Kirchen und (1885) 4191 Einw. Succedaneum (lat.), Ersatz, Notbehelf. Suceedieren (lat.), nachfolgen, in ein
Rechtsverhältnis als Berechtigter eintreten (s.
Rechtsnachfolge). Succeß (lat.), glücklicher Erfolg. Succession (lat.), s. Rechtsnachfolge. Successive (lat.), nach und nach, allmählich. Successor (lat.), Rechtsnachfolger. Succinate, s. Bernsteinsäure. Succinit, s. v. w. Bernstein; auch eine bernsteinfarbige
Varietät des Granats. Succiusäure, s. Bernsteinsäure. Succinum (lat.), Bernstein. Succus (lat.), Saft, S. entericus, Darmsaft; dann
besonders Pflanzensaft; z. B. S. Citri, Zitronensaft; S. Juniperi
inspissatus, Wacholdermus, eingedampfter Saft frischer
Wacholderbeeren; S. Liquiritiae (Glycyrrhizae), Lakritzen, Extrakt
der Süßholzwurzel; S. Sambuci inspissatus, Fliedermus,
der eingedampfte Saft der Holunderbeeren. Suche, Jagdmethode, bei welcher man das Wild mit dem Hund
aufsucht, um es beim Verlassen seiner Lagerstätte zu
schießen; auch die Nachsuche auf angeschossenes Wild mit dem
Schweißhund. Suchenwirt, Peter, der berühmteste Wappendichter des
14. Jahrh., im Österreichischen geboren, begleitete 1377 den
Herzog Albrecht III. von Österreich auf seinem Kriegszug nach
Preußen, lebte später in Wien und starb nach 1395. Unter
seinen zahlreichen Dichtungen (hrsg. von Primisser, Wien 1827)
behauptet die poetische Erzählung "Von Herzog Albrechts
Ritterschaft" (Ritterzug) den ersten Platz. Sucher, kleines Fernrohr mit großem Gesichtsfeld,
welches mit einem größern astronomischen Fernrohr
derartig verbunden ist, daß die Achsen beider Instrumente
genau parallel sind. Hierdurch wird die Auffindung eines Objekts am
Himmel, welche mit dem großen Instrument allein wegen der
Kleinheit seines Gesichtfeldes schwierig wäre, wesentlich
erleichtert. Denn richtet man das Instrument so, daß der zu
betrachtende Gegenstand in der Mitte des Gesichtsfeldes des Suchers
erscheint, so wird er auch für das größere Fernrohr
im Gesichtsfeld sich befinden. Sucher, Joseph, Komponist und Dirigent, geb. 1843 zu St.
Gotthardt in Ungarn, erhielt seinen ersten Musikunterricht in Wien
als Sängerknabe der kaiserlichen Hofkapelle, studierte
später die Rechte, widmete sich aber schließlich ganz
der Musik und übernahm nach absolviertem gründlichen
Studium der Komposition unter Leitung Sechters die Direktion des
Wiener akademischen Gesangvereins. Nachdem er dann zeitweilig auch
als Kapellmeister der Komischen Oper fungiert hatte, folgte er 1876
einem Ruf als Theaterkapellmeister nach Leipzig, wo er sich
namentlich um die Vorführung der Wagnerschen Musikdramen
großes Verdienst erwarb. Im folgenden Jahr verheiratete er
sich mit der Sängerin Rosa Hasselbeck, einer Zierde der
Leipziger Oper. 1879 wurden beide an das Stadttheater nach Hamburg,
1888 an das Berliner Opernhaus berufen. Suchet (spr. ssüschä), Louis Gabriel, Herzog
von Albufera, franz. Marschall, geb. 2. März 1770 zu Lyon,
trat 1792 als Freiwilliger in die Lyoner Nationalgarde, focht 1794
und 1795 in Italien unter Laharpe, ward 1797 Brigadegeneral und
befehligte 1798-1800 als Divisionsgeneral erst in der Schweiz, dann
in Italien. Nach dem Frieden von Lüneville 1801 wurde S. zum
Generalinspektor der Infanterie ernannt und erhielt 1804 eine
Division im Lager von Boulogne. In den Feldzügen von 1805,
1806 und 1807 zeichnete sich seine Division, die erste des 5. Korps
unter Lannes, vielfach aus. Nach dem Frieden von Tilsit befehligte
S. das 5. Korps in Schlesien und führte gegen Ende 1808
dasselbe nach Spanien. Nach Saragossas Fall übernahm er im
April 1809 das Kommando der Armee von Aragonien, siegte bei Mavia,
Belchite und Lerida und eroberte Tortosa und Tarragona, womit er
sich den Marschallsstab erwarb. 1812 schlug er Blake abermals bei
Sagunto und eroberte 9. Jan. Valencia, wofür er den
Herzogstitel erhielt. Nachdem er Anfang 1814 über die
Pyrenäen zurückgegangen, erklärte er aus seinem
Hauptquartier Narbonne 14. April die Anerkennung Ludwigs XVIII. und
schloß einen Waffenstillstand mit Wellington. Bei der
Rückkehr Napoleons I. von Elba ließ er sich jedoch von
demselben das Kommando der Alpenarmee übertragen, drang 14.
Juni in Savoyen ein, ward aber von den Österreichern
zurückgeworfen. Bei Ludwigs XVIII. Rückkehr verlor er die
Pairswürde, erhielt dieselbe aber 1819 zurück. Er starb
3. Jan. 1826 in Marseille. In Lyon ist ihm ein Denkmal errichtet.
Seine "Mémoires sur les campagnes en Espagne depuis 1808
jusqu'en 1814" (2. Aufl., Par. 1834, 2 Bde.) veröffentlichte
sein Stabschef Saint-Cyr-Nuguas. - Suchets Sohn Napoléon S.,
Herzog von Albufera, geb. 23. Mai 1813, war 1852-70 Mitglied des
Gesetzgebenden Körpers, starb 23. Juli 1877 in Paris. Suchitoto (spr. ssutschi-), Hauptstadt des Departements
Cuscutlan im mittelamerikan. Staat Salvador, auf einer Anhöhe
beim Rio Lempa, hat Anbau von Mais, Zuckerrohr etc. und (1878) 5826
Einw. 417 Suchona - Südafrikanische Republik. Suchoua (Ssuchona), einer der beiden Quellströme der Dwina
im russ. Gouvernement Wologda, kommt aus dem Kubenskischen See,
wendet sich bald nach NO. und behält diese Richtung bis zur
Vereinigung mit dem Jug bei. Die Länge dieses im ganzen Lauf
schiffbaren Flusses beträgt 580 km. Durch den Kanal des
Herzogs Alexander von Württemberg steht der Fluß mit der
Ostsee wie mit dem Kaspischen Meer in Verbindung. Sucht, in der Medizin ein veraltetes Wort, das nur noch
in Zusammensetzung vorkommt, wahrscheinlich gleichen Stammes mit
"Seuche" und "siechen", früher ganz allgemein Krankheit, hat
sich dann erhalten in Schwind-, Wasser-, Fett-, Gelbsucht etc. Süchteln, Stadt im preuß. Regierungsbezirk
Düsseldorf, Kreis Kempen, unweit der Niers und an der Linie
Viersen-S. der Krefelder Eisenbahn, hat eine evangelische und kath.
Kirche, starke Samt- und Samtbandweberei, Seidenfärberei,
Zeugdruckerei, Flachsbereitung, Appreturanstalten, Gerberei,
Ziegeleien, Ölmühlen und (1885) 9465 meist kath.
Einwohner. Nahe der Stadt auf einem Höhenzug das
Kriegerdenkmal und ein Aussichtsturm mit prachtvoller Fernsicht
sowie auf dem Heiligenberg die alte Irmgardiskapelle, ein
vielbesuchter Wallfahrtsort. Suchum Kale (Soghum Kala), befestigte Gebietshauptstadt
in der russ. Statthalterschaft Kaukasien, am Schwarzen Meer, mit
vortrefflichem, gegen alle Winde geschütztem Hafen, aber nur
(1879) 1947 Einw. Der Ort steht auf den Ruinen des alten
griechischen Dioskurias, einer Gründung der Milesier, wurde
1809 von den Russen erobert, aber erst 1829 im Frieden von
Adrianopel von der Türkei abgetreten und erhielt nun
ansehnliche Magazine und einen schönen Bazar. 1854 wurde es
von den Russen bei Annäherung einer
englisch-französischen Flottille eiligst geräumt,
teilweise zerstört und von den Abchasen, welche die
türkische Flagge aufpflanzten, geplündert. Im September
1855 landete Omer Pascha mit einem türkischen Korps und begann
von hier aus die Operationen gegen Tiflis. Im Mai 1877 wurde der
Ort abermals von den Türken besetzt, aber, da die
beabsichtigte Insurgierung der Bergvölker nicht gelang, im
September wieder geräumt und darauf von den Abchafen
verbrannt. Suckow, Albert, Freiherr von, württemberg.
Kriegsminister, geb. 13. Dez. 1828 zu Ludwigsburg, Sohn des 1863
verstorbenen Obersten Karl von S. (Verfassers der
militärischen Erinnerungen aus der Napoleonischen Zeit: "Aus
meinem Soldatenleben", Stuttg. 1863), der, ein Mecklenburger, in
der Rheinbundszeit in württembergische Dienste getreten war,
und der als Schriftstellerin unter dem Pseudonym Emma von Niendorf
bekannten Freifrau Emma v. Callatin (gest. 1876 in Rom). 1848 wurde
S. Leutnant der Artillerie, seit 1861 als Hauptmann mit der Leitung
der Kriegsschule betraut. 1866 als Major
Militärbevollmächtigter im Hauptquartier der Bayern, nahm
er an den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen mit
Preußen teil, ward Adjutant des Kriegsministers v. Wagner,
den er bei der Einführung des preußischen Heersystems
unterstützte, sodann Oberst und Generalquartiermeister, 24.
März 1870 als Generalmajor Chef des Kriegsdepartements und
machte sich um die Organisation der württembergischen Division
und ihre Ergänzung und Verpflegung während des Kriegs
hochverdient. Er wurde dafür 19. Juli d. J. zum
Generalleutnant und Kriegsminister befördert, als welcher er,
mehrmals in das preußische Hauptquartier in Frankreich
gesandt, die Militärkonvention mit Preußen und die
Reichsverträge abschloß; er erhielt eine Dotation von
300,000 Mk. S. nahm 1874 seinen Abschied und lebt zu Baden-Baden.
Gegen Arkolay (Streubel) schrieb er die Broschüre "Wo
Süddeutschland Schutz für sein Dasein findet?" (Stuttg.
1869). Sucre (spr. ssuhkre), 1) Stadt in Bolivia, s. Chuquisaca.
- 2) (Puerto de S.) Einfuhrhafen der Stadt Cariaco (s. d.) in
Venezuela. Sucre (spr. ssuhkre), Antonio José de,
Präsident von Bolivia, geb. 1793 zu Cumana in Venezuela, trat
1810 in die südamerikanische patriotische Armee, diente
1814-17 im Generalstab und dann unter Bolivar gegen Neugranada,
brachte den Spaniern mehrere Niederlagen bei und entschied als
Oberbefehlshaber der republikanischen Truppen durch den Sieg bei
Ayacucho 9. Dez. 1824 die Befreiung Südamerikas vom spanischen
Joch. Er erhielt hierfür durch den Kongreß von Bolivia
den Titel Großmarschall von Ayacucho und ward 1825 von der
Republik Bolivia zum lebenslänglichen Präsidenten
erwählt, legte aber infolge der innern Unruhen 1. Aug. 1828
diese Würde nieder und ward im Juni 1830 bei Pasto unweit
Cartagena, wo er für Bolivar zu wirken suchte, meuchlings
erschossen. Suczawa (spr. ssutschawa), Stadt in der Bukowina, unweit
des Flusses S. (Nebenfluß des Sereth), über den hier
eine Brucke zur Station S.-Itzkany (mit Grenzzollamt) der
Lemberg-Jassyer Eisenbahn führt, dicht an der rumänischen
Grenze, ist Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines
Kreisgerichts, hat ein Obergymnasium, eine alte
griechisch-oriental. Kathedrale mit dem Grab des heil. Johann von
Novi, Landespatrons der Bukowina, Burgruinen, eine nichtunierte
Armeniergemeinde, Bierbrauerei, ansehnlichen Speditionshandel und
(1880) 10,104 Einw. S. war ehedem die Hauptstadt der Moldau und als
solche ein großer und blühender Ort. Südafrikanische Republik, seit 1884 offizieller Name
des früher Transvaal genannten Freistaats in Südafrika
(s. Karte bei Artikel "Kapland"), erstreckt sich von dem
Vaalfluß im Süden über den Wendekreis hinaus bis
zum Limpopo im N. und wird im W. und N. begrenzt von
Britisch-Betschuanaland, im O. von Portugiesisch-Ostafrika und
Swasiland, im Süden von der Neuen Republik, Natal und der
Oranjefluß-Republik und umfaßt 308,200 qkm (5597 QM.)
mit Einschluß der Neuen Republik (s. d.), als Distrikt
Vrijheid einverleibt, 315,590 qkm (5681 QM.). Die Bodengestaltung
der Republik wird wesentlich bedingt durch den Verlauf zweier
Gebirge. Durch das eine derselben, die Drakenberge mit der 2188 m
hohen Mauchspitze, ein nordsüdlich sich hinziehendes Plateau,
das steil gegen O. abfällt, gegen W. aber sich allmählich
abdacht, wird das Land geteilt in eine größere und
höher gelegene westliche Hälfte und eine kleinere
östliche, welch letztere in eine sandige Ebene übergeht,
aus welcher als Grenzscheide gegen portugiesisches Gebiet der lange
nordsüdlich verlaufende Höhenzug des Lebombo hervorragt.
Das zweite Gebirge besteht aus einer Reihe westöstlich
verlaufender Ketten (Magalisberge, Witwatersrand), welche wiederum
die S. R. in einen südlichen höhern Teil, das Hooge Veld,
und einen nördlichen tiefern, das Bosch Veld, trennen. Diese
Bergzüge bilden auch in klimatischer Beziehung eine Scheide.
Im Hochfeld sind die Tage im Winter zwar warm, nachts aber sinkt
das Thermometer gewöhnlich unter den Gefrierpunkt, und die
Drakenberge sind häufig mit Schnee bedeckt, im Buschfeld aber
sind die Winter milder, 418 Südafrikanische Republik. und es gedeihen dort Kaffee, Baumwolle, Zuckerrohr u. a. Auch
östlich von den Drakenbergen ist es wärmer; infolge der
vom Indischen Ozean her wehenden Südostpassate ist die
Ostseite regenreich, während die westlichen Hochebenen arm an
Regen sind. Die Regenzeit fällt in den Sommer. In dieser Zeit
herrschen im Buschfeld Fieber, während das Hochfeld eine der
gesündesten Gegenden der Erde ist. Hier leben die Buren im
Sommer, im Winter ziehen sie mit ihren Herden ins Buschfeld. Die
Pflanzenwelt in den einzelnen Gebieten ist sehr verschieden. Das
Land trägt fast durchgehends den Charakter der Steppe, aber
während das Hochfeld fast ganz aus weiten, einförmigen
Grassteppen besteht, ist das Buschfeld mit dichtem, vielfach
undurchdringlichem Strauchwerk bedeckt, in dem man nur einzelne
offene Stellen antrifft. Hier finden sich auch Adansonien und andre
tropische Gewächse. In Klüften am Ostabhang des
Tafellandes trifft man noch majestätische Urwälder aus
Gelbholzbäumen (Taxus elongata), Eisen- und Stinkholz und
Mimosen; Akazien, Proteen, Euphorbia candelabrum etc.
charakterisieren die Hochebenen der Mittelstufen. Mais, Kafferkorn,
Hirse, Bohnen, Erbsen, Melonen werden kultiviert. In der Tierwelt
herrschen Antilopen vor, Springböcke finden sich auf den
grasreichen Hochebenen noch in Herden. Gnus, Zebras und Quaggas,
Giraffen, Büffel, Elefanten und Nashörner sind selten
geworden, ebenso Löwen, Leoparden und Hyänen sowie der
Strauß. Krokodile hausen in den Flüssen; giftige
Schlangen sind zahlreich, in den nordwestlichen, nördlichen
und östlichen Grenzgebieten erschwert die Tsetsefliege die
Viehzucht. Von einheimischen Haustieren fanden die Europäer
Rinder, Schafe mit Fettschwänzen, Ziegen und Hunde vor, Pferde
und Merinoschafe wurden eingeführt. Viehzucht bildet die
Hauptbeschäftigung der Ansiedler. Sehr fruchtbar sind die
kahlen Hochebenen des Südens. Mais, Korn, Hirse,
Hülsenfrüchte, Zuckerrohr, Wein gedeihen hier sehr gut.
Das Land ist reich an Gold, Silber, Kupfer, Graphit, Nickel,
Kobalt, Blei, Steinkohle, Zinn, Salz, Alaun u. a. Gold wurde seit
1871 gefunden, in größern Mengen aber erst seit 1883 auf
den Goldfeldern von De Kaap (Barberton) und Witwatersrand
(Johannesburg); ausgeführt wurde über die Kapkolonie und
Natal 1871 bis Mitte 1888 für 1,266,530 Pfd. Sterl.;
Silbererze gewinnt man in der Nähe von Pretoria. Die
weiße Bevölkerung wird auf 60-75,000 Seelen
geschätzt, zum größten Teil Buren, nur 12-15,000
Europäer, unter den letztern auch zahlreiche Deutsche, die auf
mehreren von hannöverschen Missionären gegründeten
Ansiedelungen wohnen. Dazu kommt seit den letzten Jahren eine
20,000 Köpfe starke Bevölkerung, meist englischer
Abstammung, auf den genannten Goldfeldern. Die Zahl der Kaffern
(Betschuanen, Basuto u. a.) ermittelte der Zensus von 1886 zu
299,848 Seelen, die Gesamtbevölkerung kann daher zu 490,000
angenommen werden. Das Christentum hat trotz zahlreicher
Missionäre nur teilweise unter den Eingebornen Platz
gegriffen. Die Beschäftigung der Bevölkerung ist
ausschließlich Naturalwirtschaft. Die Ausbeutung der
großen natürlichen Reichtümer des Landes wird
erschwert durch den Mangel an genügenden
Transportverhältnissen. Die Ausfuhr besteht in Wolle,
Rindvieh, Cerealien, Leder, Fellen, Früchten, Tabak, Butter,
Branntwein, Straußfedern und Elfenbein, außerdem Gold.
Die Einfuhr (1887: 1,695,978 Pfd. Sterl.) besteht in
Industrieprodukten. Der Handel nimmt seinen Weg, da die S. R. vom
Meer abgeschloffen ist, über D'Urban, Port Elisabeth und
Kapstadt, wird sich aber, nachdem die im Bau begriffene Eisenbahn
von der Delagoabai bereits bis zur Grenze (81 km) vollendet ist und
jetzt nach Pretoria weitergeführt wird, zum großen Teil
über die portugiesische Kolonie richten. Telegraphenlinien
bestehen zwischen Pretoria und Standerton, Heidelberg und Heilbron
im Oranjefreistaat und von Pretoria nach den Kaap-Goldfeldern, im
ganzen 1116 km, im Bau sind 895 km. Das Land wird eingeteilt in 16
von Landdrosten verwaltete Distrikte, an der Spitze steht ein auf
fünf Jahre gewählter Präsident, eine aus 46 vom Volk
erwählten Mitgliedern bestehende Legislative hat die
Gesetzgebung. Staatskirche ist die niederdeutsch-reformierte, doch
sind alle Konfessionen geduldet. Die Staatseinnahmen fließen
meist aus direkten Steuern und Zöllen; dieselben betrugen
1887: 668,433 Pfd. Sterl., die Ausgaben 721,073 Pfd. Sterl. Die
öffentliche Schuld beträgt 430,000 Pfd. Sterl., davon
250,000 Pfd. Sterl. an die englische Krone; das Staatsvermögen
besteht in Ländereien im geschätzten Wert von mehreren
Millionen Pfund Sterling. Ein stehendes Heer gibt es nicht; im
Kriegsfall werden sämtliche Bürger aufgeboten. Hauptstadt
ist Pretoria. Geschichte. Die Transvaalrepublik wurde gegründet durch
holländische Buren, welche englische Mißwirtschaft aus
der Kapkolonie zunächst nach Natal und dann von dort über
die Drakenberge trieb, wo sie 1848 die Oranjefluß-Republik
und die anfänglich getrennten, aber 1852 durch Pretorius zur
Republik Transvaal vereinigten Freistaaten Potschefstroom,
Zoutpansberg und Lydenburg bildeten. Diese Republik wurde in
demselben Jahr von England anerkannt. Als aber das Transvaal mit
Portugal in Unterhandlungen trat zum Zweck der Erbauung einer
Eisenbahn nach der Delagoabai, wodurch die Ausfuhr des Freistaats
von Natal, über welchen sie den Weg nehmen mußte,
abgelenkt worden wäre, benutzte England einen für die
Buren verderblichen Raubzug des Kaffernhäuptlings Sikukuni, um
1877 das Transvaal zu annektieren unter dem Vorgeben, dadurch die
christliche Bevölkerung schützen zu wollen, in Wahrheit
aber, um sich das bedrohte Handelsmonopol zu sichern. Die Proteste
der Buren blieben unbeachtet. In dem nun folgenden Aufstand
erlitten die Engländer bei ihrem Versuch, in das Gebiet der
Republik einzudringen bei Laings-Nek (24. Jan. 1881), am Ingogo (8.
Febr.) und am Majubaberg (27. Febr.) empfindliche Niederlagen, so
daß England es vorzog, dem Land durch Vertrag vom 3. Aug.
1881 seine Unabhängigkeit wiederzugeben. In der 1884
abgeschlossenen Konvention nahm das Land den alten Namen
"Südafrikanische Republik" wieder an. Die
Souveränität der britischen Krone wurde wesentlich
beschränkt, indem nur Verträge und Verbindlichkeiten,
welche die Republik mit einem Staat oder Volk (außer dem
Oranjefreistaat) oder mit einem eingebornen Volksstamm einzugehen
beabsichtigt, der englischen Krone zur Genehmigung zu unterbreiten
sind. Als 1881 die im Westen der Republik neuentstandenen
Burenfreistaaten Stellaland und Goschen sich bildeten, trat
letzteres unter den Schutz der Südafrikanischen Republik, doch
mußte derselbe auf einen von seiten Englands erhobenen
Protest zurückgezogen werden. Zugleich proklamierte England
sein Protektorat über das zwischen Transvaal und den deutschen
Besitzungen an der Westküste Afrikas liegende Gebiet und
über einen Landstreifen nördlich von Transvaal, somit die
Buren nach diesen Seiten völlig einschließend. Und als
1884 der Bu- 419 Sudak - Südaustralien. renfreistaat Nieuwe Republik entstand, wodurch die Buren einen
Weg zum Indischen Ozean gewinnen wollten, annektierte England auch
hier das sämtliche noch freie Land und nötigte die Buren,
ihre Ansprüche auf die Meeresküste zurückzuziehen.
Somit war die S. R. rings von englischem Gebiet umschlossen. Nur
nach der Delagoabai blieb noch ein Weg durch portugiesisches
Gebiet, und hier ist denn auch bereits der Anfang zu einer
Eisenbahn gemacht worden, welcher das Innere der Republik mit
diesem Hafen verbinden soll (s. oben). Ein 1888 gemachter Versuch,
die Burenrepublik in einem alle von Europäern gegründeten
Staaten Südafrikas umfassenden Zollverband zu vereinigen,
verlief ohne Ergebnis, vielmehr schlossen sich die
Oranjefluß-Republik und die S. R. enger aneinander durch
einen Zollverband. Vgl. Jeppe, Die Transvaalsche Republik (Gotha
1868); E. v. Weber, Vier Jahre in Südafrika 1871-75 (Leipz.
1878,2 Bde.); Aylward, Transvaal of to-day (neue Ausg.,Lond. 1881);
Roorda-Smit, Die Transvaalrepublik und ihre Entstehung (2. Aufl.,
deutsch, Köln 1884); Nixon, Complete story of the Transvaal
(Lond. 1885); Bellairs, The Transvaal war 1880-81 (das. 1885);
Klössel, Die südafrikanischen Republiken (Leipz. 1888);
Heitmann, Transvaal (das. 1888); Jeppe, Transvaal Book. Almanac for
1887 (Maritzburg 1887); Merensky, Erinnerungen aus dem
Missionsleben in Südostafrika (Bielef. 1888). Sudak (Ssudak), Flecken im russ. Gouvernement Taurien, am
Schwarzen Meer und am Südabhang der Krimschen Berge, 40 km von
Feodosia, hat bedeutenden Exporthandel in Wein und getrockneten
Früchten. Es war schon im 8. Jahrh. ein wichtiger Handelsplatz
der Byzantiner und kam im 13. Jahrh. in den Besitz der Venezianer.
1365 entrissen die Genuesen die Stadt den Venezianern und erbauten
eine Festung, deren Überreste noch heute erkennbar sind. Zu
Ende des 14. Jahrh. setzten sich die Türken hier fest, bis
nach dem Untergang des krimschen Chanats die russische Herrschaft
begann. Eine gleichnamige deutsche Kolonie liegt 3 km entfernt. Südamerika, s. Amerika. Sudamina (lat.), Schweiß- oder
Hitzblätterchen, Schweißfriesel (s. Friesel). Sudan (Nigritien, Nigerland), vom arabischen
áswad, "schwarz", plur.: sud, der Teil des Binnenlandes von
Nordafrika, welcher im N. von der Sahara begrenzt wird, im
Süden bis an den Äquator, im W. bis an den Fuß der
innern Bergländer von Senegambien und Guinea, im O. bis an die
zwischen Dar Fur und Kordofan liegende Wüste sowie bis an den
Fuß der abessinischen Gebirge reicht und etwa 16 Breiten- und
36-40 Längengrade umfaßt (s. Karte "Ägypten etc.").
S. begreift hiernach außer dem langen und breiten Thal des
mittlern Nigerlaufs auch die östlich von letzterm unter
gleichen Breitengraden gelegenen sowie die im Süden bis an den
Äquator sich erstreckenden Länder (Bambarra, Dschinni,
Haussa, Bornu, Mandara, Baghirmi, Wadai, Dar Fur etc.). Die
ägyptische Geschäftssprache bezeichnet mit Sudanland
(Beled es= S.) insbesondere die Länder Dar Fur, Kordofan und
Senaar. Vgl. Afrika und die einzelnen Länderartikel. S. ward
1874 von den Ägyptern erobert und ägyptische Provinz.
1881 aber erhob sich der Mahdi (s. d.) im S. und riß
während des Aufstandes Arabi Paschas in Ägypten die
Herrschaft an sich. Ein Versuch der Ägypter unter Hicks
Pascha, S. wiederzu erobern, endete mit der Vernichtung des
ägyptischen Heers bei Kaschgil (3. Nov. 1883). Die
Engländer schickten darauf im Januar 1884 Gordon, der
ägyptischer Gouverneur Sudans gewesen war, nach S., um die
Bevölkerung auf friedliche Weise wiederzugewinnen, sandten
aber gleichzeitig ägyptische Truppen unter Baker Pascha nach
Suakin am Roten Meer, um von hier aus in S. einzudringen. Der erste
Versuch der Ägypter hatte ihre Niederlage am Teb (4. Febr.
1884) gegen Osman Digma zur Folge. Nachgesandte englische Truppen
unter General Graham siegten zwar über die Aufständischen
bei Teb (29. Febr.) und bei Tamanieb (13. März) über
Osman Digma, doch wurde der weitere Vormarsch ins Innere
aufgegeben. Gordon richtete in Chartum durch gütliche
Verhandlungen nichts aus und wurde sogar von den
Aufständischen eingeschlossen. Die Engländer rückten
unter General Wolseley nilaufwärts vor, um ihn zu entsetzen,
doch kamen sie zu spät: 26.Jan. 1885 wurde Chartum von den
Anhängern des Mahdi erstürmt und Gordon getötet. Die
ägyptische Regierung verzichtete nun auf die Wiedereroberung
Sudans. Vgl. Nachtigal,Sahara und S. (Berl. u.Leipz. 1879-89, 3
Bde.); James, The wild tribes of the Soudan (2. Aufl., Lond. 1884);
Wilson u. Felkin, Uganda und der ägyptische S. (deutsch,
Stuttg. 1883); Paulitschke, Die Sudanländer (Freiburg 1884);
Buchta, Der S. unter ägyptischer Herrschaft (Leipz. 1888). Sudation (lat.), das Schwitzen; Sudatorium, Schwitzbad,
Schwitzkasten. Südaustralien, britisch-austral. Kolonie, begreift
den ganzen mittlern Teil des Australkontinents (s. Karte
"Australien") zwischen dem Indischen Ozean im Süden und dem
Timormeer im N., dem 129.° östl. L. v. Gr. im W. (gegen
Westaustralien) und Queensland, Neusüdwales und Victoria im O.
und besteht aus dem 983,655 qkm (17,864 QM.) großen
eigentlichen S., das vom Südlichen Ozean bis zum 26.°
südl. Br. reicht, und dem 1,356,120 qkm (24,628 QM.)
großen Nordterritorium nördlich davon. Über das
letztere s. den betreffenden Artikel. Das eigentliche S. hat zwei
tief ins Land eindringende Meereseinschnitte: den Spencergolf und
den Golf St. Vincent, gebildet durch die Halbinseln Eyria, York und
Kap Jervis; östlich von letzterm dringt auch die Encounterbai,
in welche der Murray mündet, tiefer ein. Vor dem Vincentgolf
liegt die große Känguruhinsel, die einzige bedeutendere
der Küste. Vom Kap Jervis im Süden erstreckt sich
nordwärts die MountLoftykette und daran anschließend die
Flinderskette (aus Sandstein, Schiefer und Kalkstein bestehend) mit
den höchsten Erhebungen (nicht über 1000 m) des Landes.
Nur auf diesen Bergen und in deren nächster Nachbarschaft
sowie in dem schönen Mount Gambierdistrikt mit ausgestorbenen
Vulkanen, Basalt- und Tropfsteinhöhlen im SO. fällt
hinreichender Regen, um das Land genügend für den
Ackerbau zu befeuchten. Von Süden nach N. schwindet derselbe
mehr und mehr, auch gegen W. und O. zu herrscht große
Dürre, die Gawlerberge auf der Eyriahalbinsel sind völlig
dürr und kahl. Beständig fließende Flüsse gibt
es daher außer dem Murray, der die Kolonie im SO.
durchfließt und vor seiner Mündung die
Süßwasserseen Alexandrina und Albert bildet, gar nicht,
die zahlreichen Seen (Torrens, Eyre, Frome, Gairdner u. a.) sind
nur schreckliche Salzsümpfe und ihre Nachbarschaft meist
traurige Wüste. Doch gibt es um den Eyresee zahlreiche zu Tage
tretende Quellen in freilich unfruchtbarer Gegend, auch hat man in
neuester Zeit durch Bohrungen große Waffervorräte
erschlossen. Das Klima ist durchaus gesund, in Adelaide steigt die
Temperatur im Januar bis 27* 420 Südbrabant - Südcarolina. 45° C. und sinkt im August bis 2° C.; Gewitter,
Hagelschlag und heftige Regengüsse sind namentlich im Sommer
häufig, dann machen sich auch die aus dem Innern wehenden
glühenden Winde sehr zum Schaden der Vegetation bemerkbar. Die
einheimische Pflanzen- und Tierwelt unterscheidet sich in nichts
von denen des übrigen Australien. Die europäischen
Ansiedler haben die Orange, Olive, den Pfirsich- und Feigenbaum,
den Weinstock sowie Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln u. a.
eingeführt; namentlich zeichnet sich die Kolonie durch ihren
vorzüglichen Weizen aus, der nebst Mehl Absatz in England
findet, auch der Wein gewinnt jetzt dort Freunde. Von den 1,9 Mill.
Hektar kultivierten Landes waren 1885 mit Wetzen bestellt 776,981
Hektar, mit Wein bepflanzt 1836 Hektar. Infolge ihrer Trockenheit
eignet sich die Kolonie vornehmlich für Schafzucht; man
zählte 1884: 6,696,406 Schafe, 389,726 Rinder, 168,420 Pferde
und 163,807 Schweine. An Mineralien ist das Land reich. Die
frühern außerordentlichen Erträge von Kupfer
(Kapunda, Wallaroo, Moonta, Blinman) haben zwar sehr nachgelassen,
und die Bearbeitung der Silber-, Blei- und Eisengruben hat man ganz
aufgegeben; dafür findet man Wismut und Gold, letzteres in
neuester Zeit in der ganzen mittlern Gebirgskette vom Süden
bis zum hohen Norden. Kohle aber hat man trotz eifriger Forschungen
bis jetzt nirgends entdeckt, dieselbe muß aus Newcastle und
Neusüdwales eingeführt werden. Die Bevölkerung
(1887: 317,446, wovon 65,199 männlich, 52,247 weiblich) ist
fast ganz britisch; die Zahl der Deutschen, welche in der
Hauptstadt stark vertreten sind und eine Reihe ganz deutscher
Ortschaften gegründet haben, wie Hahndorf, Lobethal, Tanunda
u. a., mag 30,000 betragen. Die der sehr zusammengeschmolzenen
Eingeborgen (s. Tafel "Ozeanische Völker", Fig. 1 u. 2),
welche man 1836 noch auf 12,000 schätzte, wurde 1881 auf 5628
ermittelt. Hinsichtlich der Religion folgen ihrer numerischen
Stärke nach aufeinander: Anglikaner, Katholiken, Wesleyaner,
Lutheraner, Presbyterianer etc. Die Industrie entwickelt sich
kräftig; nennenswert sind die Mahlmühlen (meist mit
Dampfbetrieb), Anstalten für den Bau landwirtschaftlicher
Maschinen und Geräte, Gerbereien, Brauereien. Der
auswärtige Handel geht zum allergrößten Teil
über den Hafen der Hauptstadt, Port Adelaide, dann über
Port Augusta. Ausgeführt werden namentlich Wolle (1884
für 2,6, 1887 nur für 2 Mill. Pfd. Sterl.), ferner
Weizen, Mehl, Kupfer, Häute und Felle, Talg, Gerberrinde, im
ganzen 1884 für 6,6, 1887 nur für 5,3 Mill. Pfd. Sterl.
Die Einfuhr (1887 nur 5,1 Mill. Pfd. Sterl.) besteht in Geweben,
Eisenwaren, Thee, Zucker etc. Der Tonnengehalt der in allen
Häfen der Kolonie ein- und ausgelaufenen Schiffe betrug
1,677,833 Ton., die Kolonie besaß selber eine Handelsflotte
von 230 Segelschiffen von 27,640 T. und 94 Dampfern von 10,890 T.
Die Eisenbahnen hatten Ende 1887 eine Länge von 2272 km, die
Telegraphenlinien von 8756 km. Eine große Telegraphenlinie
läuft von Adelaide quer durch den Kontinent nach Port Darwin
im N. zum Anschluß an ein untermeerisches Kabel, wodurch
Australien in direkte Verbindung mit Europa gebracht wird; eine
andre große Linie geht nach Westaustralien. Die Verfassung
ist der englischen nachgebildet; dem Gouverneur steht ein
verantwortliches Ministerium, Oberhaus und Unterhaus zur Seite. Die
Einnahmen betrugen 1887: 2,014,102, die Ausgaben 2,145,135, die
Schuld der Kolonie 19,168,500 Pfd. Sterl. Für das Schulwesen
wurde in jüngster Zeit viel gethan, und der Schulbesuch ist
ziemlich allgemein; die höhern Schulen sind meist
Gründungen religiöser Gemeinden oder Privatanstalten. In
Adelaide besteht eine Universität nach englischem Muster,
öffentliche Bibliotheken sind an vielen Orten vorhanden; die
Presse ist stark vertreten. Für die Verteidigung der Kolonie
besteht ein Freiwilligenkorps, auch besitzt die Kolonie ein kleines
Kriegsschiff. Vgl. Trollope, South Australia and West Australia
(Lond. 1874); Harcus, South Australia (das. 1876); Stow, South
Australia (Adelaide 1883); Jung, Der Weltteil Australien, Bd. 2
(Leipz. 1882). Südbrabant, belg. Provinz, s. Brabant. Sudbury (spr. ssöddberi), Stadt in der engl.
Grafschaft Suffolk, am Stour, hat Seiden- und Samtweberei,
Ziegelbrennerei, Malzdarren, eine Kornbörse und (1881) 6584
Einw. Südcarolina (South Carolina, abgekürzt S. C.),
einer der südlichen Staaten der nordamerikan. Union, am
Atlantischen Meer zwischen Nordcarolina und Georgia gelegen,
zerfällt der Bodengestaltnng nach in drei scharf geschiedene
Teile: Unter-, Mittel- und Oberland. Das erstere, das sich von der
See aus etwa 130 km weit landeinwärts erstreckt, ist niedrige
Ebene und besteht größtenteils aus Pine Barrens,
unterbrochen von Sümpfen und Savannen; es gehören zu ihm
die sogen. Sea Islands, vom Festland durch Flußarme
abgetrennte Inseln. Das Mittelland, in der Breite von 50-70 km,
besteht hauptsächlich aus Sandhügeln; das Oberland
dagegen, im W., ist ein ziemlich steil aufsteigendes romantisches
Hochland, aus dem sich die Berge der Blue Ridge bis zur Höhe
von 1220 m erheben. Noch 60 Proz. des Staats sind bewaldet,
vorwiegend mit Föhren. Die Hauptflüsse sind: der Great
Pedee (Yadkin), Santee, Ashley, Edisto und Savannah, der
Grenzfluß gegen Georgia. Die mittlere Jahrestemperatur bewegt
sich zwischen 15 und 20° C., und es fallen 1200-1500 mm Regen.
S. hat ein Areal von 78,616 qkm (1609,4 QM.) mit (1880) 995,577
Einw., worunter 604,332 Farbige. Die Schulen wurden 1886 von
183,966 Kindern besucht; 21 Proz. der über 10 Jahre alten
Weißen und 78 Proz. der Farbigen sind des Schreibens
unkundig. An höhern Bildungsanstalten bestehen 9 Colleges mit
1075 Studenten. Die Landwirtschaft beschäftigt 76 Proz. der
Bevölkerung, und 1,677,330 Hektar sind der Kultur gewonnen.
Gebaut werden namentlich Mais, Reis (an der Küste) und Hafer,
Bataten, Baumwolle (1880: 522,548 Ballen) und Zucker. An Vieh
zählte man 1880: 61,000 Pferde, 67,000 Maultiere, 365,000
Rinder, 119,000 Schafe und 628,000 Schweine. Die Fischereien
beschäftigten 1880: 1005 Personen mit 523 Booten. Gold wird im
W. gewonnen, und auch Eisen, Kupfer und Blei kommen vor. Dagegen
werden Porzellanerde, Bausteine und namentlich Phosphorite in
bedeutenden Mengen gewonnen, und die Herstellung eines
künstlichen Düngers aus denselben beschäftigte 1880:
9059 Arbeiter. Wichtig ist noch die Gewinnung von Teer und
Terpentin (4619 Arbeiter). Sonst ist die Industrie unbedeutend,
doch gab es 1880 bereits 14 Baumwollfabriken mit 2018 Arbeitern.
Der Staat besitzt (1886) 227 Seeschiffe von 12,806 Ton. Gehalt und
ein Eisenbahnnetz von 2772 km. Die alte Verfassung von 1775, eine
der am wenigsten demokratischen, wurde 1868 durch eine neue
ersetzt, durch welche den Farbigen die Rechte von Bürgern
verliehen wurden. Die gesetzgebende Gewalt wird ausgeübt von
einer General Assembly, welche aus einem Senat von 35 Mitgliedern
und einem Repräsentantenhaus von 124 Mit- 421 Süden - Südliches Kreuz. gliedern besteht. Der Governor und die höhern Beamten
werden auf 2 Jahre vom Volk gewählt. Die Richter ernennen der
Governor und die Assembly auf 6 Jahre. Die Einnahmen beliefen sich
1885 auf 1,065,001 Dollar; die Staatsschuld betrug 1887: 6,399,742
Doll. Hauptstadt ist Columbia, die bedeutendste Stadt aber
Charleston. - S. bildete seit der Trennung von Nordcarolina 1729
(s. Carolina) eine besondere Kolonie und schloß sich 1775 der
Erhebung gegen England an, nach deren Sieg es einen Staat der Union
bildete. Im Bürgerkrieg 1861-65 war S. einer der eifrigsten
Staaten der Konföderation des Südens und war in der
letzten Periode desselben 1865 Kriegsschauplatz. Die früher
wohlgeordneten Finanzen wurden durch den Krieg und die
nachfolgenden Wirren gänzlich zerrüttet, und die
Staatsschuld war 1875 zur angeblichen Höhe von 68 Mill. Mk.
angewachsen, betrug jedoch thatsächlich noch weit mehr. Süden, s. v. w. Mittag. Suderode, Dorf im preuß. Regierungsbezirk
Magdeburg, Kreis Aschersleben, bei Gernrode, am Nordfuß des
Harzes und an der Linie Frose-Quedlinburg der Preußischen
Staatsbahn gelegen, hat eine evang. Kirche, ein besuchtes Bad
(Beringer Brunnen, s. d., 1887: 3364 Kurgäste) und (1885) 1189
Einw. Vgl. Reinhardt, Bad S. (Suderode 1881). Süderoog, eine der nordfriesischen Inseln im
schleswigschen Wattenmeer, südwestlich von Pellworm. Sudeten (sudetisches Gebirgssystem), im weitern Sinn
geographische Bezeichnung einer Anzahl nach Form und geognostischer
Beschaffenheit sehr verschiedener Gebirgszüge und
Gebirgsgruppen, die sich vom Elbdurchbruch an in
südöstlicher Richtung bis zu der Einsenkung erstrecken,
welche das deutsche Bergland von den Karpathen trennt (s. Karte
"Schlesien"). Die Längenachse dieser Gebirgsmasse beträgt
340, die Breite 60-90 km. Die Kuppen und Hochkämme ragen zum
Teil über die obere Grenze der Nadelholzregion (1230 m) hinaus
und zeigen hinsichtlich der Form der Gipfel und der Thalränder
wie des Pflanzenwuchses alpinen Charakter, während das
hügelige Vorland gut kultiviert ist. Das
südöstlichste und ausgedehnteste Glied dieses
Gebirgssystem ist das Mährisch-Schlesische Gebirge, bestehend
aus dem Mährisch-Schlesischen Gesenke (Gessénike),bis
zu 777 m Höhe, das zwischen Oder und Betschwa auch Odergebirge
heißt, als dem südöstlichsten, und dem
Altvatergebirge oder den S. im engern Sinn, im Altvater 1490 m
hoch, als dem nordwestlichsten Teil. Vom Altvater breiten sich die
allmählich abfallenden Züge nach Süden und SO., N.
und NW. gegen die Thäler der Oder und Oppa strahlenartig aus,
indem die nördlichen Verzweigungen in der Bischofskuppe noch
886 m hoch ansteigen, sich dann aber in das Tiefland der obern Oder
verflachen. Nordwestlich streicht ein Querzug nach NO., der
Hunsrück, der nur eine kurze Strecke über 1000 m hoch ist
und steil gegen das Neißethal bei Neiße abfällt.
In der Längenachse der Gebirgsmasse nach NW. streicht das
Reichensteiner Gebirge, mit dem Jauersberg (882 m), bis zu dem
Warthaberg (619 m), wo das Durchbruchstal der Glatzer Neiße
(280-290 m) diesen Gebirgszug begrenzt. Von dem Knotenpunkt des
Hunsrücks nach SW. zieht sich längs der
böhmisch-schlesischen Grenze das Glatzer Schneegebirge, mit
dem Großen oder Spieglitzer Schneeberg (1424), dann von dem
südlichen Ende der Grafschaft Glatz das Habelschwerdter
Gebirge, mit dem Kohlberg (963 m), nach NW., und von diesem durch
das Thal der Erlitz geschieden, laufen die Böhmischen
Kämme oder das Adlergebirge, mit der Hohen Mense (1085 m),
beinahe parallel. Nördlich von letztgenannter Kuppe trennt ein
tief einschneidender Paß die an ihrem Nordende durch die
sumpfige Hochfläche der Seefelder (784 m) verbundenen
Habelschwerdter Gebirge und Böhmischen Kämme, zusammen
auch Erlitzgebirge genannt, von dem scharf begrenzten
Sandsteinplateau der Heuscheuer, auf dessen bewaldeter, 750 m hoher
Fläche sich die Kuppe der Großen Heuscheuer (920 m)
erhebt. Weiter nach NW. liegt ein andres zerklüftetes
Sandsteinplateau, das Adersbacher Gebirge (780 m). Von dem
Durchbruch der Neiße bei Wartha aber gegen NW. erstreckt sich
in der Längenachse des südlichen Sudetenzugs das
Eulengebirge, mit der Hohen Eule (1000 m), bis an die Weistritz,
und aus dem nördlichen Vorland desselben steigt der Zobten
(718 m) empor. Westlich von der Weistritz breitet sich eine
Berglandschaft aus, die mit dem Gesamtnamen Niederschlesisches
Steinkohlengebirge, in einzelnen Teilen auch Waldenburger und
Schweidnitzer Gebirge benannt wird, im Hochwald 840, im Sattelwald
778, im Heidelberg 954 m erreicht und im. W. in das bis zum Bober
reichende Katzbachgebirge (Hohe Kullge 740 m) übergeht. Der
bedeutend niedergedrückte und verbreiterte Hauptkamm zieht
sich nach NW. im Überschargebirge (640 m) bis an die
Boberquelle fort. Dann folgen von Süden nach N. sich
aneinander reihend das Rabengebirge, der Schmiedeberger Kamm, mit
dem Forstberg (982 m), und der Landeshuter Kamm, mit dem
Friesenstein (800 m), sämtlich mit breiten, dicht bewaldeten,
abgerundeten Kuppen. Da, wo das Rabengebirge und der Schmiedeberger
Kamm bei den Grenzbauden zusammentreffen, beginnt das
Riesengebirge, das eigentliche Hochgebirge des Systems, mit der
1603 m hohen Schneekoppe, dem südlich parallel der
Böhmische Kamm (Brunnberg 1502 m) zieht, und an das sich im
NW. das Isergebirge, mit der 1123 m hohen Tafelfichte,
anschließt. Das Ende des ganzen Gebirgssystems bildet das
Lausitzer Gebirge, im Jeschken 1013, in der Lausche 796 m hoch,
welches sich links der Neiße und an der
sächsisch-böhmischen Grenze hinzieht. Von diesem, als dem
letzten Gliede des ganzen Gebirgssystems, treten einzelne
Vorhöhen, darunter die vulkanische Landskrone (432 m) bei
Görlitz, auf preußisches Gebiet über. Näheres
s. die einzelnen Artikel. Südfall, eine der nordsriesischen Inseln im
schleswigschen Wattenmeer, südöstlich von Pellworm. Südfrüchte, aus Südeuropa, bez. Nordafrika
frisch, trocken oder eingemacht eingeführte, den dortigen
Ländern eigenartige Fruchtsorten, wie z. B. Apfelsinen,
Zitronen, Datteln, Feigen, Traubenrosinen etc. Sudhaus, der Teil einer Bierbrauerei, in welchem die
Würze gekocht wird. Südhollaud, Provinz, s. Holland, S. 655. Sudler, bei den Landsknechten (s. d.) der Koch; Sudlerin,
die Marketenderin. Südliche Krone, Sternbild, s. Krone, S. 248. Südlicher Kontinent, s.
Südpolarländer. Südliches Dreieck, Sternbild der südlichen
Hemisphäre, zwischen Paradiesvogel, Altar, Lineal und
Winkelmaß, Zirkel und Kentaur, nahe der Milchstraße,
mit einem Stern zweiter, zwei dritter Größe. Südliches Eismeer, s. Eismeer, S. 487. Südliches Kreuz, kleines Sternbild der
südlichen Halbkugel, im engsten Teil der Milchstraße,
rechts neben der dunkeln Region des sogen. Kohlensacks, unweit des
Pols der Ekliptik gelegen. Es wird gebildet durch vier helle
Sterne, welche in den Ecken 422 Südliches Kreuz (Orden) - Südpolarländer. eines Vierecks stehen,dessen Diagonalen das Kreuz darstellen;
der eine Arm des letztern, an dessen Ende der Hauptstern erster
Größe steht, ist länger als der andre (s. Figur).
Schon Vespucci gedenkt desselben auf seiner dritten Reise (1501),
und von Corsali (1517) wird es bereits als "Wunderkreuz"
bezeichnet. Dante (im Eingang seines "Fegfeuers") kannte es
wahrscheinlich aus arabischen Quellen. Das Sternbild ist
Flaggenzeichen der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft (s.
Tafel "Flaggen II"). Danach ist auch benannt der Orden vom
südlichen Kreuz, höchster brasilischer Orden, gestiftet
1. Dez. 1822 vom Kaiser Dom Pedro I. zur Erinnerung an seine
Berufung auf den Thron und so benannt mit Anspielung auf die
geographische Lage des Reichs, in welchem sich das Sternbild des
südlichen Kreuzes zeigt. Der Orden hat vier Klassen:
Großkreuze, Dignitäre, Offiziere und Ritter. Die
Dekoration besteht in einem fünfarmigen, weiß
emaillierten Goldkreuz, durchwunden von einem Kranz aus Kaffee- und
Tabaksblättern, an einer goldenen Kaiserkrone hängend.
Der goldene Mittelavers zeigt Dom Pedros Bild mit der Umschrift :
"Petrus I., Brasiliae Imperator", der blaue Revers ein Kreuz aus 19
Sternen mit der Umschrift: "Bene merentium Praemium". Die
Großkreuze, Dignitäre und Offiziere tragen das Kreuz und
eine Plaque, bestehend aus dem Kreuz mit goldenen Strahlen zwischen
den Armen, dem Mittelrevers und der Krone, die Dignitäre das
Kreuz am Hals, die beiden letzten Klassen auf der Brust. Das Band
ist himmelblau. Die Großkreuze sind Exzellenzen, den
Dignitären gebührt die Senhoria. Auch sind Pensionen mit
dem Orden verknüpft. Südlicht, s. Polarlicht. Süd-Nordkanal, Kanal in der Provinz Hannover, der
bedeutendste unter den neuen Anlagen in den Mooren auf der linken
Emsseite (Bourtanger Moor), zum Zweck der Kultivierung derselben.
Er hat eine Länge von 71 km, eine Breite von 15,7 m und wird
zu beiden Seiten (wie der Ems-Vechtekanal) von Wegen begleitet. Der
Kanal verläßt bei Nordhorn den Ems-Vechtekanal und zieht
sich nach N. durch die großen Moore in geringer Entfernung
von der niederländischen Grenze bis Rhede, wo er sich mit dem
Rhede-Bellingwolder Kanal verbindet und mit diesem zur Ems geht.
Zahlreiche Seitenkanäle sind aus ihm in die Moore
geführt, auch mehrfach Verbindungen mit dem
niederländischen Kanalsystem hergestellt. Sudogda (Ssudogda), Kreisstadt im russ. Gouvernement
Wladimir, am Flusse S., mit (1885) 1987 Einw. Im Kreise sind 15
Fabriken, welche Kristall- und Glaswaren liefern. Sudorifera (lat.), s. Schweißtreibende Mittel. Südpol, s. Pol und Magnetismus. Südpolarexpeditionen, s.
Südpolarländer. Südpolarländer (antarktische Länder), alle
diejenigen Länder und Inseln, welche innerhalb oder in der
Nähe des südlichen Polarkreises liegen. Manche nehmen das
Vorhandensein eines großen Festlandes oder antarktischen
Kontinents im S. an, andre bezweifeln die Existenz eines solchen
und denken an größere oder kleinere Inselgruppen. Was
man bis jetzt entdeckt hat, ist folgendes:
Südsüdöstlich von der Südspitze Amerikas liegen
zwischen 63 1/2 und 65° südl. Br. Trinity- und Palmerland,
1821 von Powell und Palmer entdeckt; weiter südlich in der
Breite des Polarkreises das 1832 von Biscoe entdeckte Adelaiden-
und Grahamsland und aus der Ostseite des Trinitylandes das 1838 von
Dumont d'Urville entdeckte Louis-Philippeland nebst der Insel
Joinville. Von der schon 1599 von Dirk Gerrits gesehenen, aber erst
1819 von W. Smith wirklich entdeckten Inselkette Südshetland
ist jener Teil des antarktischen Landes durch die
Bransfieldstraße geschieden. Südwestlich davon liegt die
Alexanderinsel und unter derselben Breite die hohe Peterinsel,
beide 1821 von Bellingshausen entdeckt. Weiter westlich ist nur
Wasser und Eis, kein Land gesehen worden. Erst unter 170-160°
östl. L. v. Gr. entdeckte James Clark Roß (1841-42) die
hohe Küste eines schneebedeckten Landes, welches er
Victorialand nannte, und welches zahlreiche Berge von 3000 bis 4000
m Höhe trägt, darunter die Vulkane Erebus (3770 m),
Terror (3318 m) und den 4570 m hohen Melbourne als höchsten
der gesehenen Gipfel. Zwischen 165-95° östl. L. v. Gr.,
unter dem Polarkreis, verzeichneten Dumont d'Urville, Balleny und
Wilkes (1839-40) eine Reihe Inseln und unzusammenhängender
Küstenstrecken, die unter dem Namen Wilkesland
zusammengefaßt werden; einzelne Strecken sind:
Adélieland, Clarieland, Sabrinaland, Knoxland,
Terminationinsel. Weiter westlich von Wilkesland liegt Kempland
sowie das 1831 von Biscoe entdeckte Enderbyland, beides
wahrscheinlich nur Inseln. Auch die schon weiter nördlich
liegende, von Cook 1775 entdeckte, 1819 von Bellingshausen
untersuchte Sandwichgruppe, das ebenfalls von Cook untersuchte,
schon 1675 von Laroche entdeckte Südgeorgien und die 1821 von
Palmer und Powell aufgefundenen, 1822 von Weddell besuchten
Südorkneyinseln werden hierher gerechnet. Man schätzt das
Areal der S. auf 660,000 qkm (12,000 QM.). Falls ein antarktischer
Kontinent wirklich vorhanden ist, kann derselbe höchstens an
einer Stelle (Australien gegenüber) den 70. Breitengrad
wesentlich überschreiten und muß aus der atlantischen
Seite weit von demselben entfernt bleiben. Hier erreichte Weddell
im Februar 1823 unter 33° 20' westl. Länge in fast
eisfreiem Meer die Breite von 74° 15'. - Die eisige Öde
der antarktischen Felseninseln beschränkt das Pflanzen- und
Tierleben fast ganz auf den Ozean; doch sind Klippen und
Berghänge mit zahllosen Vögeln bedeckt. Thätiger
Vulkanismus tritt besonders im Bereich des Victorialandes in
großartigster Weise auf. Die Temperaturbeobachtungen weisen
naturgemäß auf die niedrige Sommerwärme und geringe
Winterkälte eines durchaus ozeanischen Klimas hin. Seitdem die
Challenger-Expedition 1874 über den Polarkreis vordrang und
Dallmann 1873-74 Grahamsland untersuchte, und seit der Fahrt der
Gazelle (1874-75) ist die Erforschung der S. wiederholentlich von
Deutschland aus angeregt worden. Namentlich aber war man in
Australien dafür thätig, und die dortigen geographischen
Gesellschaften erlangten die Bewilligung einer namhaften Summe
durch die dortigen Regierungen; da die englische Regierung aber
ihre Beihilfe versagte, so kam ein Unternehmen nicht zu stande. 423 Südpreußen - Suetonius. Südpreußen, ehemalige Provinz des
Königreichs Preußen, aus dem 1793 zu Preußen
geschlagenen Teil Großpolens bestehend, umfaßte die
frühern Woiwodschaften Posen, Gnesen, Kalisch, Sieradz,
Lentschiza, Rawa und Plozk, zusammen 60,570 qkm (1100 QM.) mit
1,335,000 Einw. (s. "Geschichtskarte von Preußen"). 1795 kam
noch ein Teil der Erwerbungen der dritten polnischen Teilung mit
Warschau hinzu. Im Frieden von Tilsit (1807) wurde S. zu dem
Großherzogtum Warschau geschlagen, nach dessen Auflösung
Preußen 1815 das jetzige Großherzogtum Posen
zurückerhielt, der übrige größere Teil aber zu
Rußland kam. Vgl. Holsche, Geographie und Statistik von
West-, Süd- und Neuostpreußen (Berl. 1804, 3 Bde.). Südpunkt (Mittagspunkt), derjenige der beiden
Schnittpunkte des Meridians mit dem Horizont, welcher dem
Südpol näher liegt. Sudra, die vierte und unterste Klasse in der altindischen
Kastenordnung, welche die verschiedenen Handwerker, Pachtbauern,
Tagelöhner, Diener etc. umfaßte. In der Gegenwart gehen
die S. in den Mischkasten auf, stehen jedoch noch innerhalb der
Kastenordnung. Sie bilden die große Mehrzahl des indischen
Volkes, gelten auch den orthodoxen Hindu als rein, wohnen deswegen
innerhalb der Ortschaften, gehen aber nicht unter dem Namen S.,
sondern unter den besondern Kastenbezeichnungen, die sich jede der
vielen Gruppen der S. beilegte. Sudsalz, das in den Salinen gewonnene Kochsalz im
Gegensatz zum Steinsalz. Südsee, s. Stiller Ozean. Südseegesellschaft, s. Handelskompanien, S.86. Südseeinsulaner, die Bewohner der Inseln der
Südsee, die Polynesier, Mikronesier, Melanesier (s. Ozeanien,
S. 584 ff.), welche eine Abteilung der großen malaiischen
Rasse bilden und (wahrscheinlich im 1. Jahrh. unsrer Zeitrechnung)
von W. nach O. sich über alle Inselgruppen verbreiteten. Nach
allem, was vorliegt, dürfen wir annehmen, daß in den
Samoa- und Tongainseln der Ursitz dieser östlichen Abteilung
der malaiischen Rasse nach ihrer Absonderung von der westlichen zu
suchen ist. Von diesem Zentrum aus scheinen sie dann sämtliche
polynesische Inseln der Südsee bevölkert zu haben. Südseeschwindel, s. Handelskrisis, S. 88. Südseethee, s. Ilex. Sudsha (Ssudsha), Kreisstadt im russ. Gouvernement Kursk,
am Flusse S., mit (1885) 4979 Einw. In der Nähe
Sandsteinbrüche. Südslawen, Gruppe der slawischen Völker in
Südosteuropa. Dazu gehören die Slowenen in den Ostalpen
Österreichs, die Serben und Bosniaken, Kroaten, Slawonier und
die Bulgaren (s. Slawen und Slawische Sprachen). Sudur (arab., Mehrzahl von Sadr, s. d.), Rangbezeichnung
der hohen geistlichen Würdenträger im türkischen
Staat. Südwestinseln (Serwatty), eine zur niederländ.
Residentschaft Amboina gehörige Inselgruppe des Indischen
Archipels, erstreckt sich von den Kleinen Sundainseln und Timor an
östlich bis Timorlaut und umfaßt die größere
Insel Wetter und die kleinern Kisser, Damma, Roma, Moa, Sermattan,
Lakor, Baber u. a. mit einem Gesamtumfang von 5236 qkm (95 QM.) und
etwa 47,000 Einw. (meist Malaien). Für den Handel liefern sie
Wachs, Schildpatt, Trepang, Sago, Holz. Süd-Wilhelmskanal (Zuid-Willemsvaart), Kanal in den
niederländ. Provinzen Nordbrabant und Limburg, 122 km lang,
1822-26 gegraben, führt von Herzogenbusch über Helmond
und Weert, dann durch belgisches Gebiet nach Maastricht. Zweige
dieses Kanals sind: der Kanal nach Eindhoven und der Helenavaart
nach den Fehnen des Peel. Sue (spr. ssüh), Joseph Marie, genannt
Eugène, franz. Romandichter, geb. 10. Dez. 1804 zu Paris,
machte als Militärarzt 1823 den Feldzug nach Spanien, dann
mehrere Fahrten nach Amerika und Westindien mit, besuchte 1827
Griechenland und nahm an der Schlacht bei Navarino teil. Hierauf
trat er aus dem Militärdienst, um zur Malerei
überzugehen, veröffentlichte aber auf Zureden von
Freunden eine Romandichtung: "Kernock le pirate" (1830), ward durch
den günstigen Erfolg des Buches veranlaßt, sich ganz der
Schriftstellerei zu widmen, und wurde der Begründer des
Seeromans in Frankreich. Nachdem er noch eine Reihe Werke in diesem
Genre, besonders die unhistorischen "Histoire de la marine
française" (1835-37, 5 Bde.) und "Histoire de la marine
militaire chez tous les peuples" (1841), veröffentlicht,
wandte er sich dem Sittenroman zu, wobei er sich besonders in
greller Ausmalung sittlichen Verderbnisses gefiel; so in den durch
zahllose Übersetzungen verbreiteten "Mystères de Paris"
(1842, 10 Bde.). Der beispiellose Erfolg dieses Produkts
führte den Verfasser dem sozialen Roman zu. Hierher
gehören: "Le Juif errant" (1845, 10 Bde.; von gleichem Erfolg
wie die "Mystères"); "Martin, l'enfant trouvé" (1846,
12 Bde.); "Les sept péchés capitaux" (1847 bis 1849,
16 Bde.); "Les mystères du peuple" (1849, 16 Bde.), vor den
Assisen in Paris als unmoralisch und aufrührerisch verurteilt;
"La famille Jouffroy" (1854, 7 Bde.); "Les secrets de l'oreiller"
(1858, 7 Bde.) u. a. 1850 zum Deputierten erwählt, hielt er
sich zur äußersten Linken, wurde nach dem Staatsstreich
1851 aus Frankreich verbannt und lebte seitdem zu Annecy in
Savoyen, wo er 3. Aug. 1859 starb. Auch als dramatischer Dichter
für die Boulevardstheater hatte er sich versucht, doch ohne
besonderes Glück. Auf dem Gebiet des Romans hat S. in Bezug
auf Phantasie, sprudelnde Erfindungskraft und Erzählertalent
wenige Rivalen unter seinen Landsleuten. Seine Mittel sind zwar
teilweise zu tadeln und sein Realismus oft mehr als derb; aber
seiner unwiderstehlichen Macht, den Leser gefangen zu halten, kann
man die Bewunderung doch nicht versagen. Suecia, neulat. Name für Schweden. Suedoise (franz., spr. sswedoahs'. "Schwedin"), eine in
Frankreich sehr beliebte süße Speise aus
Apfelmarmelade. Sues, Stadt, s. Suez. Suessouer (Suessones), tapferes und mächtiges Volk
in Gallia belgica, das über 50,000 Bewaffnete stellte, und
dessen König Divitiacus vor Cäsars Zeiten der
mächtigste unter den Fürsten Galliens war, bewohnte einen
ausgedehnten und fruchtbaren Landstrich zwischen Seine und Aisne
und besaß zwölf Städte, unter welchen Noviodunum,
später Augusta Suessonum (Soissons), die Hauptstadt war. Suetonius, Gajus S. Tranquillus, röm.
Geschichtschreiber, lebte um 70-140 n. Chr., widmete sich zu Rom
rhetorischen und grammatischen Studien, trat dann daselbst als
gerichtlicher Redner auf, ward unter Hadrian zum Magister
epistolarum ernannt, verlor aber diese Stelle wieder und scheint
sich von nun an ausschließlich der schriftstellerischen
Thätigkeit gewidmet zu haben. Er verfaßte 120 die fast
vollständig erhaltenen Biographien der zwölf Kaiser von
Julius Cäsar bis Domitian ("De vita Caesarum"), welche in
einfacher und klarer Sprache eine 424 Sueven - Suezkanal. Menge wertvoller Notizen über die betreffenden Kaiser
enthalten. Außerdem besitzen wir noch Teile einer Schrift:
"De grammaticis et rhetoribus" (hrsg. von Osann, Gieß. 1854),
und Biographien des Terenz, Horaz, Lucanus (letztere
unvollständig) sowie Reste einer Biographie des ältern
Plinius, alles wahrscheinlich Überreste eines
größern von ihm verfaßten Werkes: "De viris
illustribus". Von andern Schriften sind nur die Namen und
unbedeutende Fragmente erhalten; die ebenfalls seinen Namen
führenden Biographien des Vergilius und Persius sind
wahrscheinlich unecht. Ausgaben lieferten Burmann (Amsterd. 1735, 2
Bde.), Oudendorp (Leid. 1751), Ernesti (Leipz. 1748, 2. Aufl.
1772), Wolf (das. 1802, 4 Bde.) und Roth (das. 1858); neuere
Übersetzungen Reichardt (Stuttg. 1855 ff.), Stahr (2. Aufl.,
das. 1874, 2 Bde.) und Sarrazin (das. 1883, 2 Bde.). Des S.
übrige Schriften außer den "Vitae" sind besonders
herausgegeben von Reifferscheid (Leipz. 1860). Sueven (Suevi), Name eines german. Völkerbundes,
welcher wohl die im Osten der Elbe vorhandenen, weniger von
Ackerbau als von Jagd und Viehzucht lebenden kriegerischen,
wanderlustigen ("schweifenden") Stämme umfaßte,
später Name eines einzelnen Volkes. Cäsar, welcher die
nach Gallien eingedrungenen S. unter Ariovist 58 v. Chr. besiegt
hatte, begreift unter diesem Namen die hinter den Ubiern und
Sigambern wohnenden Germanen und berichtet, daß sie 100 Gaue
mit je 10,000 streitbaren Männern gezählt, aber sich bei
seinem Rheinübergang weit, nach dem Wald Bacenis,
zurückgezogen hätten. Sie sollen keine festen Wohnsitze
gehabt haben, sondern alljährlich zum Teil auf kriegerische
Unternehmungen ausgezogen sein. Tacitus nennt das ganze
östliche Germanien von der Donau bis zur Ostsee Suevia. Die
Hermunduren gelten ihm als das vorderste, die Semnonen als das
angesehenste, die Langobarden als das kühnste unter den
suevischen Völkern. Der Dienst der Nerthus (Hertha) war allen
S. gemeinschaftlich. Der Markomanne Marbod vereinigte suevische
Völker unter seinem Zepter, und noch später, zu Marcus
Aurelius' Zeiten, werden Markomannen und Quaden als S. bezeichnet.
In der Zeit der Völkerwanderung beschränkte sich der Name
S. auf die Semnonen. Ein Teil derselben nahm 406 an dem
Verwüstungszug des Radagaisus teil. 409 drangen sie dann mit
den Vandalen und Alanen über die Pyrenäen nach Spanien
vor und breiteten sich unter Rechila nach Süden über
Lusitanien und Bätica aus. Rechilas Sohn Rechiar verlor 456
gegen den westgotischen König Theoderich II. Sieg und Leben,
und sein Nachfolger Remismund wurde von Eurich zur Anerkennung der
Oberhoheit der Westgoten gezwungen. König Theodemir trat vom
Arianismus zum Katholizismus über. 585 ward das suevische
Reich dem westgotischen einverleibt. In Deutschland hat sich der
Name S. in dem der Schwaben erhalten. Suez (Sues), Stadt in Ägypten, an der Nordspitze des
Roten Meers, welches hier in den Golf von S. ausläuft, an der
Mündung des Suezkanals (s. d.) in denselben und der Eisenbahn
Kairo-Ismailia-S., mit (1882) 10,919 Einw., worunter 1183
Ausländer. Die Stadt besteht aus dem arabischen Viertel und
dem regelmäßig angelegten europäischen Viertel mit
großen Warenlagern, Magazinen der Peninsular and
Oriental-Dampfergesellschast und einer vizeköniglichen Villa.
Nordöstlich die Mündung des hier 2 m ü. M. liegenden
Süßwasserkanals mit großem Schleusenwerk,
nordwestlich ein großes englisches Hospital. Zu den
Hafenanlagen, welche in S. weit ins Meer hinausgebaut sind,
führt ein 3 km langer Damm; auf diesem läuft die
Eisenbahn zum Bassin der Kanalgesellschaft mit Leuchtturm und der
Statue des Leutnants Waghorn. Das große Hafenbassin, Port
Ibrahim genannt, wird durch eine mächtige Mauer in den Kriegs-
und den Handelshafen geschieden und kann 500 Schiffe fassen. Der
Handel hat sich aber nicht hier konzentriert, sondern mehr nach
Port Said und Alexandria gezogen, und S. ist mehr ein
Durchgangspunkt geblieben. 1886 betrug die Einfuhr 594,385, die
Ausfuhr 42,697 ägyptische Pfund. Die Stadt ist Sitz eines
deutschen Konsuls. Wahrscheinlich steht S. auf der Stätte des
alten Klysma, von den Arabern Quolzum genannt. Es war vor der
Entdeckung des Seewegs nach Indien um das Kap als Hauptniederlage
europäischer und indischer Waren ein blühender Platz,
verfiel aber danach und zählte bei Beginn der Kanalbauten nur
1500 Einw. Suezkanal, Seekanal zur Verbindung des
Mittelländischen und des Roten Meers mittels Durchschneidungen
der nur 113 km breiten Landenge von S. (s. das Nebenkärtchen
auf der Karte "Mittelmeerländer"). Dieser Kanal ist gleichsam
von der Natur vorgezeichnet, indem der Isthmus selbst nur als eine
den Golf von S. fortsetzende Bodensenkung zu betrachten ist, die an
ihrer höchsten Stelle, bei El Gisr, nur 16 m ü. M. liegt,
und deren Durchstechung durch drei Seen (Ballah-, Timsah- und
Bittersee) nochwesentlich erleichtert werden mußte. Bereits
im 14. Jahrh. v. Chr. wurde der Bau eines vom Nil zum Timsahsee und
von da zum Roten Meer führenden Kanals durch die beiden
großen Herrscher Sethos I. und Ramses II. ausgeführt, um
ihre Flotte aus dem einen ins andre Meer bringen zu können.
Dieser Kanal (altägypt. ta tenat, "der Durchstich") ging
wahrscheinlich durch Vernachlässigung zu Grunde, und erst
gegen Ende des 7. Jahrh. v. Chr. unternahm es Necho (616-600), ein
Sohn Psammetichs I., einen neuen Kanal vom Nil ins Rote Meer zu
bauen, der aber durch Orakelspruch (weil er nur den "Fremden"
nützen würde) gehemmt wurde, nachdem sein Bau schon
120,000 Menschen das Leben gekostet hatte. Erst Dareios Hystaspis
(521-486) vollendete das Werk des Necho, welches unter den
Ptolemäern dann noch bedeutend verbessert wurde. Doch schon zu
Kleopatras Zeit war der Kanal teilweise wieder versandet, und was
unter den Römern, namentlich unter Kaiser Trajan (98-117 n.
Chr.), für den Kanal geschah, scheint nicht von großer
Bedeutung gewesen zu sein. Nachdem die Araber Ägypten erobert
hatten, war es Amr, der Feldherr des Kalifen Omar, welcher im 7.
Jahrh. den Kanal von Kairo nach dem Roten Meer wiederherstellte und
zu Getreidetransporten benutzte; im 8. Jahrh. aber war er schon
wieder gänzlich unbrauchbar, und heute bezeichnen nur noch
schwache Spuren das alte Werk, an dem einst Pharaonen, Perser,
Ptolemäer, römische Kaiser und arabische Kalifen bauten.
Das Verdienst, zuerst wieder auf die Vorteile eines maritimen
Kanals zwischen dem Mittel- und dem Roten Meer hingewiesen zu
haben, gebührt Leibniz, der in diesem Sinn 1671 an Ludwig XIV.
schrieb. Bonaparte ließ gelegentlich seiner Expedition nach
Ägypten 1798 durch den Ingenieur Lepère Vermessungen
zum Bau eines direkten Kanals machen. Leider gelangte Lepère
zu dem schon damals als falsch bezeichneten Ergebnis, daß der
Spiegel des Roten Meers 9,908 m höher liege als der des
Mittelmeers. Dies schreckte von weitern Versuchen ab. Als endlich
1841 durch barometrische Messungen englischer Offiziere der Irrtum
nachgewiesen werden war, versuchte Metternich 1843 vergeblich,
Mehemed Ali dafür zu 425 Suffeten - Suffolk. interessieren, bis endlich 1854 Ferdinand v. Lesseps (s. d.) bei
dem Vizekönig Said Unterstützung fand. Nach
Überwindung von mancherlei Schwierigkeiten erhielt dieser
endlich 5. Jan. 1856 von der Pforte einen Ferman zur Konzession des
Kanalbaues und zur Bildung einer Aktiengesellschaft. Diese
Gesellschaft trat unter dem Namen Compagnie universelle du canal
maritime de Suez zusammen und erhielt ein Privilegium auf 99 Jahre,
nach welcher Zeit der Kanal an Ägypten fällt. Am 25.
April 1859 erfolgte zu Port Said, am Nordende des Kanals, der erste
Spatenstich. Das Maß der zu bewältigenden
Schwierigkeiten war ein ungeheures. Alles Material, alle Werkzeuge,
Maschinen, Kohlen, Eisen, jedes Stück Holz mußte aus
Europa geholt werden. 1862 waren von den 1800 Lastkamelen der
Kompanie allein 1600 zum täglichen Transport des Trinkwassers
für 25,000 Arbeiter in Anspruch genommen, so daß die
tägliche Ausgabe für Trinkwasser 8000 Frank betrug. Es
war also vor allen Dingen erst nötig, den
Süßwasserkanal zu vollenden, welcher vom Nil Trinkwasser
nach dem Isthmus führen sollte. Bei Sagasig zweigt derselbe
sich vom Nil ab, führt zunächst in östlicher
Richtung nach Ismailia und von da südlich bis Suez;
Schleusenwerke geben die Möglichkeit, ihm eine
größere oder geringere Wassermenge zuzuführen. Auf
dem Spiegel erreicht er eine Breite von 17, am Grund von 8 m; doch
ist er nur 2 1/2 m im Durchschnitt tief. Seine Vollendung erfolgte
29. Dez. 1863, wodurch eine Jahresausgabe von 3 Mill. Fr. erspart
wurde. Mit Maschinenkräften, die bis 22,000 Pferdekräfte
repräsentierten, wurde trotz mancher Unglücksfälle
(Ausbruch der Cholera und darauf folgende Desertion sämtlicher
Arbeiter), trotz diplomatischer und finanzieller Schwierigkeiten
rüstig weitergearbeitet, so daß schon 18. Nov. 1862 die
Wasser des Mittelmeers in den Timsahsee einströmen konnten, zu
dessen Ausfüllung 80 Mill. cbm notwendig waren. Am
nordwestlichen Gestade dieses Sees entstand die Residenz der
Kanalverwaltung, die Stadt Ismailia, zu welcher die neue Eisenbahn
von Kairo und Alexandria hingeführt wurde, während die
alte Wüstenbahn Kairo-Suez aufgegeben ward. Am 18. März
1869 erfolgte der Einlaß der Mittelmeerwasser in den
Bittersee, und 16. Nov. 1869 fand im Beisein vieler
Fürstlichkeiten und einer ungeheuern Schar geladener
Europäer die Eröffnung des Kanals unter Festlichkeiten
statt, die dem Chedive 20 Mill. Fr. gekostet haben sollen. Die
Länge des Kanals beträgt 160 km, die Breite am
Wasserspiegel 58-100 m, an der Sohle 22 m, die Tiefe 8 m. Er
beginnt am Mittelmeer bei Port Said mit zwei ungeheuern in das Meer
hinausgebauten Molen von 2250 und 1600 m Länge, welche den
Vorhafen von Port Said bilden und den durch westliche
Strömungen herbeigeführten Nilschlamm abhalten. Der Kanal
tritt dann in südlicher Richtung in den Menzalehsee ein, wo er
an beiden Seiten von Dämmen eingerahmt ist, verläßt
denselben bei Kilometer 45 und erreicht die El Kantara genannte
Bodenerhebung, welche er durchschneidet, um 4 km weiter in den
Ballahsee einzutreten. Nachdem er aus diesem wieder ausgetreten,
folgen die Stationen El Ferdane und El Gisr; dann tritt der Kanal
in die weite, blaue Fläche des Timsahsees ein, an dessen
Nordwestende Ismailia liegt, und den er bei Tusûn
verläßt, um die 16 km lange Felsenschwelle des Serapeums
zu durchbrechen. Die nun bei Kilometer 95 folgenden Bitterseen
bilden eine schöne, etwa 220 qkm große
Wasserfläche, die rings von Wüsten umgeben und am Ein-
und Austritt des Kanals mit Leuchttürmen versehen ist. Bei El
Schaluf, am Südende der Bitterseen , machen sich bereits Ebbe
und Flut des Roten Meers bemerkbar, das bei Kilometer 156 erreicht
wird. Südöstlich von der Stadt Suez ist die Kanalrinne
noch 4 km weit in das Meer geführt, um endlich bei 9 m Tiefe
die Reede von Suez zu erreichen. Die Baukosten des Kanals beliefen
sich auf etwa 19 Mill. Pfd. Sterl., von denen 12,800,000 durch
Aktienzeichnungen aufgebracht wurden, während den Rest der
Chedive deckte. Letzterm kaufte England 1875 die übernommenen,
noch unplacierten Aktien (177,602 Stück im Wert von 3,5 Mill.
Pfd. Sterl.) ab. Bis Ende 1884 wurden mit Einschluß der
Verbesserungen für den Kanal verausgabt 488 Mill. Fr., wogegen
die Aktiva 76,7 Mill. Fr. betrugen. Die Einnahmen der Gesellschaft
ergaben 1872 zum erstenmal einen Überschuß von 2 Mill.
Fr., der 1887 auf 29,7 Mill. Fr. stieg. Auch der Schiffsverkehr
beweist den vollständigen Erfolg des Unternehmens. Es
benutzten den Kanal 1887: 3137 Schiffe von 5,903,024
Nettotonnengehalt, davon 2330 englische, 185 französische, 159
holländische, 159 deutsche, 82 österreichisch-ungarische,
138 italienische etc. Die Zahl der Reisenden betrug 182,998 mit
Einschluß von Soldaten. Die Einnahmen bezifferten sich auf
60,5, die Ausgaben auf 30,8 Mill. Fr. Was die Abkürzung der
Entfernungen zwischen Europa und den östlichen Ländern
betrifft, so beträgt dieselbe für die Dampferfahrt nach
Bombay von Brindisi 37, von Triest 37, von Genua 32, von Marseiile
31, von Bordeaux 24, von Liverpool 24, von London 24, von Amsterdam
24, von Hamburg 24 Tage. Danach lassen sich die Zeitersparnisse in
der Fahrt nach andern Häfen berechnen. Freilich ist auch in
Rücksicht zu ziehen, ob die zu transportierenden Waren den
kostspieligen Kanalzoll (10 Fr. pro Tonne Nettogewicht) zu tragen
vermögen. Manufakturen, Stahl, feine Metallwaren, Seide, Thee,
Kaffee, Baumwolle etc. dürfen als unbedingt kanalfähige
Güter gelten, während eine lange Fracht vertragende
Güter vorteilhafter den Weg um das Kap nehmen. Vgl. Lesseps,
Lettres, journal et documents à l'histoire du canal de Suez
(Par. 1881, 5 Bde.); Volkmann, Der S. und seine Erweiterung (in
"Kanäle", Berl.1886); Krukenberg, Die Durchflutung des Isthmus
von S. (Heidelb. 1888). Suffeten ("Richter"), die obersten Magistratspersonen in
Karthago (s. d., S. 566). Sufficit (lat.), es genügt, reicht hin. Suffisance (franz., spr. ssüffisängs),
Selbstgefälligkeit, dünkelhafte Selbstgenügsamkeit;
süffisant, gegenügend; selbstgefällig,
eingebildet. Suffix (lat.), Nachsilbe, am Ende eines Wortes
angehängte Silbe; s. Flexion. Suffizient (lat.), genügend, ausreichend. Sufflenheim, Flecken im deutschen Bewirk
Unterelsaß, Kreis Hagenau, am Eberbach, hat Fabriken für
Töpferwaren und feuerfeste Steine, Bauholzhandel und (1885)
3158 meist kath. Einwohner. Suffocatio (lat.), Erstickung (s. d.). Suffolk (spr. ssöffok), engl. Grafschaft, an der
Nordsee, 3820 qkm (69,4 QM.) groß mit (1881) 356,893 Einw.,
ist im allgemeinen wellenförmig und meist sandig und verflacht
sich nach der Küste, wo Strecken von Marschland vorkommen. Die
bedeutendsten Flüsse sind: der Stour (Grenzfluß gegen
Essex), Orwell, Wavenay (Grenzfluß gegen Norsolk) und Ouse
mit dem Lark. Ackerbau und Viehzucht stehen auf hoher Stufe. Man
hält hier eine Rasse von ungehörnten Kühen, welche
ungemein viel Milch geben; das Suf- 426 Suffolk - Suggestion. folkschaf gibt kurze, aber sehr feine Wolle. 63 Proz. der
Oberfläche sind unter dem Pflug, 18 Proz. bestehen aus Wiesen.
1888 zählte man 41,534 Ackerpferde, 63,258 Rinder, 422,150
Schafe und 130,887 Schweine. Im Bau landwirtschaftlicher Maschinen
leistet S. Bedeutendes, andre Zweige der Industrie sind ohne
Belang. Hauptstadt ist Ipswich. Suffolk (spr. ssöffok), engl. Adelstitel, zuerst der
Familie Clifford als Grafen, seit dem 14. Jahrh. der Familie Pole
als Herzöge von S. Der letzte aus diesem Haus ward 1513
hingerichtet. Heinrich VIII. verlieh den Titel seinem
Günstling Charles Brandon, dem Gemahl seiner Schwester Maria,
dessen Schwiegersohn Henry Gray von Eduard VI. 1551 zum Herzog von
S. erhoben wurde. Derselbe ward nebst seiner Tochter Johanna Gray
(s. Gray 1) 1554 enthauptet. Demnächst erhielt Lord Thomas
Howard, Sohn des vierten Herzogs von Norfolk, der 1597 zum Baron
Howard ernannt war, 1603 den Titel eines Grafen von S. Schon in dem
Kampf gegen die unüberwindliche Flotte Philipps II. hatte er
sich ausgezeichnet, unter Jakob I. wurde er 1603 Geheimrat und 1605
Lord-Oberkämmerer, in welcher Eigenschaft er sich bei der
Entdeckung der Pulververschwörung hervorthat. 1614-18 war er
Lord-Großschatzmeister, wurde aber 1618 entlassen, wegen
Bestechlichkeit angeklagt und in den Tower gesetzt, aus dem er
jedoch nach einigen Tagen wieder befreit wurde. Er starb 1626. Sein
zweiter Sohn wurde 1626 zum Grafen von Berkshire erhoben und ist
Stammvater der jetzigen Grafen von S. und Berkshire;
gegenwärtiger Chef des Hauses ist Charles John Howard, Graf
von S. und Berkshire, geb. 7. Nov. 1804. Suffragan (lat.), jedes zu Sitz und Stimme (suffragium)
berechtigte Mitglied eines Kollegiums von Geistlichen; insbesondere
der (einem Erzbischof untergeordnete) Diözesanbischof. Suffrage universel (franz., spr. ssüffrahsch
üniwersséll), s. Allgemeines Stimmrecht. Suffragium (lat.), die Stimme, die der röm.
Bürger in den Komitien (s. d.) oder als Richter in
Kriminalprozessen (judicia publica) abgab; auch die Abstimmung im
ganzen und das Stimmrecht selbst. Suffrutex (lat.), s. Halbstrauch. Suffusion (lat., Hyphämie), diffuse Blutunterlaufung
von größerer Ausdehnung in die Gewebsmaschen, wie sie
namentlich unter der Haut bei Quetschungen, Schlägen mit
stumpfen Instrumenten in seltenen Fällen spontan vorkommen, z.
B. bei Blutfleckenkrankheit, Skorbut u. dgl. Sûfismus (Sofismus), der Mystizismus der
Mohammedaner, nach welchem der Mensch ein Ausfluß (Emanation)
Gottes ist und zur Wiedervereinigung mit demselben
zurückstrebt. Seine Anhänger heißen Sufi
("Wollbekleidete"), da sie nach der Sitte der ersten Gründer
im 3. Jahrh. nach Mohammed nur wollene Kleidung trugen, was aber
heute nicht mehr der Fall ist. Die Sûfi unterscheiden drei
Stationen in ihrem Orden: die der Methode, auf welcher der Moslem
die vorgeschriebenen Reinigungen und Gebete äußerlich
vollbringt; die der Erkenntnis, auf der er erkennt, daß alle
äußerliche Religionsübung keinen wahren Wert hat,
und sich vielmehr dem Studium der heiligen sûfistischen
Schriften und beschaulichem Versenken in die Gottheit widmet;
endlich die der Gewißheit, auf welcher er sich als eins mit
der Gottheit weiß und daher über alle Askese erhaben
ist. Als Stifter des S., der namentlich in Kleinasien und Persien,
auch in Indien Ausbreitung fand, wird ein arabischer Perser aus
Irak genannt; für seine bedeutendsten Vertreter gelten der
persische Dichter Dschelal eddin Rumi und Frerid eddin Attar aus
Nischabur wie auch die berühmten Dichter Hafis und Saadi. Vgl.
Tholuck, S., sive Theosophia Persarum pantheistica (Berl. 1821);
Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islams (Leipz. 1868);
Palmer, Oriental mysticism (Lond. 1867); Gobineau, Les religions et
les philosophes dans l'Asie Centrale (2. Aufl., Par. 1866). Suganathal (Val Sugana),Flußthal der Brenta, soweit
sie tirolisches Gebiet durchströmt, zieht sich von den Quellen
der Brenta ab über 50 km bis zur italienischen Grenze, wo es
bei Tezze in eine wilde Schlucht übergeht, enthält die
Seen von Caldonazzo und Levico, hat südliche Vegetation, Wein-
und Seidenkultur und ca. 70,000 Bewohner. Wichtige Orte sind
Pergine, Levico, Borgo und der Badeort Roncegno. Der Name wird von
dem Volksstamm der Euganeer abgeleitet, welche hier angesiedelt
waren. Sugatag (spr. schú-), Dorf im ungar. Komitat
Marmaros, bei Marmaros-Sziget, mit großem Salinenwerk
(jährliche Produktion 165,000 metr. Ztr. Salz). Vom Bergwerk
führt eine 20 km lange schmalspurige Bahn nach
Marmaros-Sziget. Suger (spr. ssühsche), franz. Kirchenfürst und
Staatsmann, geb. 1081 zu St.-Omer, seit 1122 Abt zu St.-Denis,
hatte unter Ludwig VI. und Ludwig VII. bedeutenden Einfluß
auf das Staatswesen, verbesserte die Justiz, beförderte
Ackerbau, Handel und Gewerbe, begünstigte die Städte, war
während Ludwigs VII. Kreuzzug 1147-49 Reichsregent, hob die
Macht des Königtums und starb 12. Jan. 1151. Er schrieb unter
anderm: "Vita Ludovici VI." (hrsg. von Molinier, Par. 1887) und "De
rebus in sua administratione gestis" (bei Duchesne, "Scriptores",
Bd. 5). Sein Leben beschrieben Combes (Par. 1853) und Nettement (3.
Aufl., das. 1868). Suggerieren (lat.), einem etwas eingeben, ihn
beeinflussend zu etwas veranlassen. Suggestion (franz., "Eingebung"), die
Einflößung bestimmter Vorstellungen in der Hypnose (s.
Hypnotismus). Die Erfahrungen der letzten Jahre haben bewiesen,
daß die geistige Beeinflussung der durch die Hypnotisierung
ihres selbständigen und logischen Denkens beraubten Personen
viel weitere Ausdehnung zuläßt, als man bis dahin
geneigt war, zu glauben, und daß dadurch erstaunliche
Wirkungen erzielt werden können. Richet in Paris will einer
Dame von mittlern Jahren nacheinander suggeriert haben, sie sei
eine Bäuerin, eine Schauspielerin, ein alter General, ein
Prediger, eine Nonne, eine alte Frau, ein kleines Kind, ein junger
Mann etc., und sie habe sich jedesmal der eingebildeten Rolle
gemäß betragen. In einem kürzlich zu Pforzheim
verhandelten Prozeß handelte es sich um Personen, die in der
künstlich erregten Wahnvorstellung, Hunde zu sein, auf andre
gehetzt worden waren. Der bekannte Psycholog J. Delboeuf in
Lüttich hat einer Person sogar mit Erfolg vorgeredet, sie sei
ein geheizter eiserner Ofen oder eine brennende Petroleumlampe. Dem
Träumenden mangelt eben jede Logik und Fähigkeit, sich
durch eignes Denken einer gebieterischen Wahnvorstellung zu
entreißen. Man begreift die Gefährlichkeit der Macht
eines gewissenlosen Hypnotiseurs über seine Opfer, und es sind
bereits mehrere Fälle vor die Gerichte gekommen, in denen
Frauen unter dem Vorgeben, mit ihrem Gatten zu verkehren,
gemißbraucht oder zu schriftlichen Schenkungen
veranlaßt worden sind. Es ist somit höchst bedenklich,
sich ohne Beisein einer Vertrauensperson hypnotisierenzu lassen.
Einige 427 Suggestion mentale - Suifon. forscher, namentlich Charkot in Paris, dem aber auch
Krafft-Ebing in Graz, Obersteiner in Wien und andre deutsche
Autoritäten in neuerer Zeit beigestimmt haben, gehen noch
weiter und behaupten, es ließen sich durch S. Eindrücke
aus Körper- und Gemütsleben hervorbringen, die über
die Hypnose hinauswirken und so Heilwirkungen,
Charakteränderungen, erziehliche Einflüsse etc.
befördern könnten. Krafft-Ebing will einer Person die
Körpertemperatur, die sie am nächsten Morgen zeigen
sollte, und ein französischer Arzt einer andern durch die
Eingebung, sie werde mit glühendem Eisen gebrannt, sogar
Brandblasen erzeugt haben. Auch zu persönlichen Angriffen,
Verbrechen etc. nach der Hypnose soll durch S. ein Anstoß
gegeben werden können. Diese Angaben bedürfen aber noch
sorgfältiger Prüfung. Vgl. Obersteiner, Der Hypnotismus
mit besonderer Berücksichtigung seiner klinischen und
forensischen Bedeutung (Wien 1887); v. Krafft-Ebing, Eine
experimentelle Studie auf dem Gebiet des Hypnotismus (Stuttg.
1888); Bernheim, Die S. und ihre Heilwirkung (Wien 1888). Suggestion mentale (franz., spr.
ssüggschestióng mang-tall), die angebliche
Gedankenübertragung ohne Berührung; s. Gedankenlesen, S.
990. Suggestivfragen (eingebende Fragen), verfängliche
Fragen des Richters an den Angeklagten oder an Zeugen, welche so
gestellt werden, daß die von letztern erst anzugebenden
Thatsachen schon von dem Richter in die Frage hineingelegt werden;
nach moderner Rechtsanschauung unstatthaft. Sughlio, stark gewürzte Fleischbrühe, welche
mit Weißwein statt Wasser bereitet wird, dient zum Kochen von
Maccaroni, Geflügel und Wild. Sugillation (lat.), der Austritt von Blut in die Gewebe
nach Zerreißung kleinerer Gefäße. Der Ausdruck ist
aus den Worten sub ciliis ("unter den Augenlidern") entstanden und
bedeutet ursprünglich als Succiliatio die so häufigen bei
Schlägerei vorkommenden roten Flecke der Augenlider, welche
später alle Regenbogenfarben durchmachen und in der
Volkssprache schlechtweg als blaues Auge bekannt sind. Suheir, arab. Dichter, s. Sohair. Suhl (Suhla), Stadt im preuß. Regierungsbezirk
Erfurt, Kreis Schleusingen, an der Südseite des Thüringer
Waldes im Thal der Hasel und an der Linie Plaue-Ritschenhausen der
Preußischen Staatsbahn, 438 m ü. M., hat 2 evang.
Kirchen, ein Amtsgericht, eine Oberförsterei, eine
Reichsbanknebenstelle und (1885) 10,602 meist evang. Einwohner.
Hauptnahrungszweig derselben ist Eisenwaren- und Gewehrfabrikation,
welch letztere seit Jahrhunderten in großem Ruf steht und
nicht nur Kriegswaffen aller Art, sondern auch Jagdgewehre und die
verschiedensten Luxuswaffen liefert. Andre Gewerbe sind:
Barchentweberei, Holzwaren-, Porzellan-, Lederfabrikation,
Maschinenbau etc. Über der Stadt erhebt sich der Domberg mit
dem Ottilienstein (520 m), einem aussichtsreichen Porphyrfelsen. S.
wird urkundlich zuerst 1330 als Dorf erwähnt, das durch Kauf
an die Grafen von Henneberg kam und 1527 Stadtrecht erhielt; seit
1815 gehört es zu Preußen. Vgl. Werther, Chronik der
Stadt S. (Suhl 1846-47, 2 Bde.). Suhle, morastige Vertiefung, in welche sich Rot- und
Schwarzwild, besonders bei trocknem, heißem Wetter,
niederlegt, um sich darin zu kühlen und vom Ungeziefer,
namentlich den Hirschlausfliegen, zu reinigen. Der Hirsch
schlägt gewöhnlich zuerst mit dem Vorderlauf den Morast
zu einer breiartigen Masse, legt sich dann hinein und wälzt
sich behaglich darin umher. Beim Austreten aus der S.
schüttelt er sich den Schmutz ab und reibt (marlt) sich dabei,
wie namentlich auch die Sauen, an Bäumen. In Revieren, in
welchen es an natürlichen Suhlen fehlt, schlägt man
muldenförmige Vertiefungen mit strengem Letten aus, damit das
darin zusammenlaufende Wasser nicht in den Boden einsickern
kann. Suhler Weißkupfer, s. Nickellegierungen. Suhm, Ulrich Friedrich von, Freund Friedrichs d.Gr., geb.
29. April 1691 zu Dresden, studierte in Genf, kam 1720 als
kursächsischer Gesandter an den Berliner Hof, trat hier mit
dem damaligen Kronprinzen (Friedrich II.) in enge Verbindung und
stand mit demselben auch nach seinem Abgang von Berlin (1730) noch
in philosophischem Briefwechsel, der nach dem Tode des Königs
unter dem Titel: "Correspondance familiaire de
Frédéric II avec U. F. de S." (2 Bde.) erschien. 1737
ward S. Gesandter am russischen Hof; er starb im November 1740. Sühneverfahren, gerichtliches Verfahren zum Zweck
der gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits. Nach der
deutschen Zivilprozeßordnung (§ 268) kann das Gericht in
jeder Lage eines bürgerlichen Rechtsstreits die gütliche
Beilegung desselben oder einzelner Streitpunkte versuchen oder die
Parteien zum Zweck des Sühneversuchs vor einen beauftragten
oder ersuchten Richter verweisen. Auch kann zum Zweck des
Sühneversuchs das persönliche Erscheinen der Parteien vor
Gericht angeordnet werden. In Ehesachen muß dem Verfahren vor
dem Landgericht in der Regel ein Sühnetermin vor dem
Amtsgericht vorhergehen, bei welchem der Ehemann seinen allgemeinen
Gerichtsstand hat. Die Parteien müssen zu diesem
Sühneversuch persönlich erscheinen (§ 570 ff.).
Handelt es sich ferner um eine geringfügigere Rechtssache,
welche im einzelrichterlichen Verfahren vor dem Amtsgericht zu
verfolgen ist, so kann der Kläger zunächst seinen Gegner
zum Zweck eines Sühneversuchs vor das Amtsgericht laden
lassen. Kommt hier ein Vergleich nicht zu stande, so wird auf
Antrag beider Parteien sofort zur Verhandlung des Rechtsstreits
geschritten, indem alsdann die Klagerhebung durch den
mündlichen Vortrag der Klage erfolgt (§ 471). Bei
einfachen Beleidigungen ist nach der deutschen
Strafprozeßordnung (§ 420) die Erhebung der Klage erst
dann zulässig, wenn vor der zuständigen
Vergleichsbehörde die Sühne fruchtlos versucht worden
ist. Hierüber hat der Kläger mit der Klage eine
Bescheinigung einzureichen. Die Vergleichsbehörde ist in den
meisten deutschen Staaten der Schiedsmann (s. d.), der auch die
gütliche Beilegung von privatrechtlichen Streitigkeiten
versuchen kann. Suicidium (lat.), Selbstmord. Suidas, griech. Lexikograph, um 970 n. Chr., Verfasser
eines Worterklärungen und Notizen (namentlich biographische)
über die alten Schriftsteller enthaltenden lexikalischen
Werkes. Eilig und ohne Kenntnis und Kritik aus ältern
Wörterbüchern, Scholien und grammatischen Schriften
zusammengeschrieben, leidet es an zahlreichen schweren Mangeln und
Irrtümern, ist aber dennoch durch die Fülle nur hier
erhaltener Nachrichten besonders für die Litteraturgeschichte
von unschätzbarem Wert. Neuere Ausgaben besorgten Gaisford
(Oxford 1834, 3 Bde.), Bernhardy (Halle 1834-53, 2 Bde.) und Beker
(Berl. 1854). Vgl. Daub, De Suidae biographicorum origine et fide
(Leipz. 1880). Suifon (Suifun), Fluß im Südussuriland
(ostsibirisches Küstengebiet), welcher in der Mandschurei
entspringt und sich im Sichota Alin durch eine Felsspalte in die
Peters d. Gr.-Bai Bahn bricht. Die 428 Sui juris - Suleiman Pascha. Mündung des S. ist nur für Schiffe von 1,5 m Tiefgang
zugänglich. Sui juris (lat.), sein eigner Herr, mündig. Suina (Schweine), Familie der paarzehigen Huftiere. Suinter, s. v. w. Wollschweiß. Suir (spr. schuhr), Fluß in Irland, entspringt in
der Grafschaft Tipperary, fließt an Thurles, Caher, Carrick
und Clonmel vorbei und vereinigt sich unterhalb Waterford mit dem
Barrow (s. d.). Suite (franz., spr. sswiht), Folge, Gefolge, besonders
von Militärpersonen, welche den Landesherrn oder höhere
Vorgesetzte bei Besichtigungen begleiten; Offiziere, welche zu
Dienststellungen außerhalb der Truppe berufen sind, wie z. B.
Lehrer an den Militärbildungsanstalten, werden "à la
s." ihres Truppenteils geführt, d. h. sie bleiben in dessen
Listen, bis ihre Wiedereinrangierung in denselben oder einen andern
Truppenteil erfolgt. - In der Musik ist S. (Partie, Partita) eine
der ältesten mehrsätzigen (cyklischen) Formen, die ihren
Ursprung in den Musikvorträgen der Kunstpfeifer hat, welche
schon im 16.-17. Jahrh. Tänze verschiedener Nationalität,
kontrastierend in Tempo und Takt, aber in der Tonart
zusammenstimmend, nacheinander vortrugen und eine solche Folge
Partie benannten. Der Name und die Form wurden im 17. Jahrh. von
den deutschen Klavierkomponisten aufgegriffen, welche auch die in
ähnlicher Weise aus mehreren Stücken zusammengesetzten
Variationen (Doubles) als Partie bezeichneten. Durch diese sowie
durch die Violinkomponisten (Corelli) wurden allmählich die
Formen der Tanzstücke erweitert, es begannen aber bald die
verschiedenen Teile durch überhandnehmende Figuration, wie sie
der Violine gemaß war, ihre charakteristischen Merkmale zu
verlieren, und es ist das Verdienst der französischen
Klavierkomponisten (Couperin), die Rhythmik wieder schärfer
präzisiert zu haben. Ihre letzte Ausbildung erfuhr die
Kammersuite durch J. S. Bach. Neben den Tanzstücken fanden
später auch die Introduktion, das Präludium, die Fuge,
die Tokkata, der Marsch und das Thema mit Variationen Aufnahme in
die S. In neuerer Zeit ist die S. auf volles Orchester
übertragen und zu großem Umfang ausgestaltet worden,
besonders durch Franz Lachner, der in seinen Suiten große
kontrapunktische Meisterleistungen hingestellt hat. Die vier
charakteristischen Teile der ältern S. sind: Allemande,
Courante, Sarabande und Gigue; wurden mehr Sätze eingeschoben
(Intermezzi: Gavotte, Passepied, Branle, Bourrée, Menuett,
auch Doubles über ein Tanzstück), so geschah das in der
Regel zwischen Sarabande und Gigue. Selten erscheint ein
eingeschobener Satz vor der Sarabande. über den Charakter der
einzelnen Sätze s. die Spezialartikel. Suiten (vulgär Schwieten gesprochen), mutwillige,
lose Streiche; Suitier (Schwietjeh), Streichemacher, lustiger
Bruder. Sujet (franz., spr. ssüscheh), s. v. w. Subjekt;
Gegenstand, besonders Stoff einer Rede etc. Sukkade (ital.), kandierte Schale verschiedener
Citrus-Arten, besonders Zitronat. Sukkador, Holzart, s. Jacaranda. Sukkuba (lat.), nach dem mittelalterlichen Volksglauben
ein dem Inkubus (s. d.) ähnlicher weiblicher Nachtgeist (vgl.
Alp). Sukkulent (lat.), saftig, kraftvoll, nahrhaft; Sukkulenz,
Saftfülle, Nahrhaftigkeit. Sukkulenten (Succulentae), 1) Fettpflanzen, im
allgemeinen alle Gewächse mit fetten, saftreichen
Blättern oder mit sehr dicken, fleischigen, grünen
Stengeln mit rudimentären Blättern oder ganz ohne solche,
daher die meisten aus den Familien der Krassulaceen, Kakteen,
Mesembryanthemeen und den Gattungen Aloe, Agave etc. Die
oberirdischen Stengel dieser Pflanzen sterben meist nicht, wie die
der echten Kräuter, alljährlich ab, sondern dauern mit
ihren Blättern mehrere, oft viele Jahre. Sie können
Trockenheit der Umgebung länger als andre Gewächse
schadlos ertragen, weil ihre Transpiration äußerst
gering ist, so daß ihr ungewöhnlicher Wasserreichtum in
den voluminösen Organen zurückgehalten wird. - 2) (Opuntinae) Ordnung im natürlichen Pflanzensystem unter
den Dikotyledonen, Choripetalen mit dicken, fleischigen
Blättern oder, wenn diese nicht ausgebildet sind, mit
fleischigem, kugeligem bis säulenförmigem oder
zusammengedrücktem, grünem Stamm, die Blüten mit
Kelch- und Blumenblättern, welche, meist in großer
Anzahl, bald in Quirlen, bald in Spiralen geordnet sind, ebenso
gestellten Staubgefäßen und unter-, seltener
oberständigem Fruchtknoten mit meist wandständiger
Placenta, umfaßt die Familie der Kakteen und in einigen
Systemen auch die der Mesembryanthemeen. S. Tafel "Kakteen". Sukkumbeuzgeld, Buße, welche im bürgerlichen
Rechtsstreit der mit einem Rechtsmittel (Berufung, Revision etc.)
Abgewiesene an die Staatskasse zu entrichten hat. Wo
partikularrechtlich in Deutschland ein S. vorkam, ist es durch die
deutsche Zivilprozeßordnung beseitigt. Das französische
Recht kennt dagegen das S. in der Form eines Einsatzes, welchen der
Beschwerdeführer an die Staatskasse verliert, wenn seine
Beschwerde abgewiesen wird. Das S. bezweckt die Verhütung des
leichtfertigen Gebrauchs von Rechtsmitteln. Sukkumbieren (lat.), unterliegen, verlieren; Sukkumbenz,
das Unterliegen. Sukkurrieren (lat.), beispringen, zu Hilfe eilen. Sukkurs (lat.), Hilfe, Beistand, Unterstützung;
Sukkursale, Filiale eines Handlungshauses etc. Sulamith (hebr., d. h. Mädchen aus Sulem oder
Sunem), die Braut im Hohenlied Salomos (7, 1). Suleika, pers. Frauenname, unter welchem Goethe im
"Westöstlichen Diwan" seine Freundin Marianne v. Willemer (s.
d.) verherrlicht. Suleiman, s. Soliman. Suleimankette (Suleimankoh), Meridiangebirge im
östlichen Afghanistan, an der Grenze gegen Indien, erreicht im
Takht i Suleiman 3441 m Höhe, geht im W. in ein Hochland
über, fällt steil gegen Indien ab und ist von hier nur in
tief eingeriffenen, schwer zugänglichen Flußthälern
zu übersteigen. Suleiman Pascha, türk. General, geb. 1838 in
Thrakien, wurde in der Militärschule erzogen, trat 1854 in die
Armee, ward schon 1862 Kapitän und kämpfte mit
Auszeichnung in Montenegro, wurde darauf als Bataillonskommandeur
in die Kaisergarde versetzt und 1867 nach Kreta gesandt, wo er
namentlich bei Erstürmung des Bergs Rova ein hervorragendes
strategisches Talent entwickelte, und, nach Konstantinopel
zurückgekehrt, Professor der Litteratur an der Kriegsschule.
Er schrieb in dieser Zeit mehrere wissenschaftliche Werke,
namentlich eine allgemeine Geschichte in drei Bänden und eine
Grammatik der türkischen Sprache, kämpfte unter Redif
Pascha in Jemen, avancierte dann zum Generalmajor und Unterdirektor
der Militärschule, endlich zum Direktor derselben, die er nach
europäischem Muster erweiterte und verbesserte, und nahm an
der Verschwörung zur Entthronung Abd ul Asis' teil. 1875
zum 429 Sulfat - Sulla. Divisionsgeneral (Ferik) befördert, befehligte er im
serbischen Krieg 1876 zuerst eine Division, dann ein Korps, nahm
Knjaschewatz und die Höhen von Djunis und drang als einer der
ersten in Alexinatz ein. 1877 ward er zum Muschir und
Oberkommandanten von Bosnien und der Herzegowina ernannt,
verproviantierte Nikschitz und rückte in Montenegro ein, wurde
aber im Juli, als die Russen in Rumelien eindrangen,
zurückgerufen. Er warf dieselben bei Eski Zagra zurück,
griff sie 21.-26. Aug. vergeblich im Schipkapaß an, wobei er
seine vortreffliche Armee zu Grunde richtete, setzte auch im
September seine Angriffe hartnäckig fort, ward 2. Okt.
Oberbefehlshaber der Donauarmee, richtete aber nichts aus und ging
im Januar 1878 mit einem Teil derselben über den Balkan
zurück. Bei Philippopel ward 16. und 17. Jan. sein Heer
völlig zersprengt, S. im März zu Konstantinopel verhaftet
und vor ein Kriegsgericht gestellt und 2. Dez. besonders wegen
seines Verfahrens in Rumelien zur Degradation und zu 15 Jahren
Festung verurteilt, aber vom Sultan begnadigt. Er starb 15. April
1883. Vgl. Macrides, Procès de S. (Konstant. 1879). Sulfat, s. v. w. schwefelsaures Natron; in der
Färberei s. v. w. schwefelsaure Thonerde; Sulfate, s. v. w.
Schwefelsäuresalze; z. B. Kaliumsulfat, schwefelsaures
Kali. Sulfatofen, s. Soda, S. 1047. Sulfide, s. Schwefelmetalle. Sulfindigosäure, s. Indigo, S. 919. Sulfite, s. v. w. Schwefligsäuresalze; z. B.
Natriumsulfit, schwefligsaures Natron. Sulfobasen, s. Schwefelmetalle. Sulfocarbonate, s. Schwefelkohlenstoff. Sulfocyan, s. v. w. Rhodan. Sulfonal (Diäthylsulfondimethylmethan), ein
Oxydationsprodukt einer Verbindung von Äthylmerkaptan mit
Aceton, bildet farb-, geruch- und geschmacklose, gut lösliche
Kristalle und kann als schlafbringendes Mittel dem Morphium und
Chloral an die Seite gestellt werden, ja es übertrifft
dieselben in mancher Hinsicht, da es deren nachteilige Wirkung auf
Puls, Atmung und Körpertemperatur nicht teilt. Bei
Schlaflosigkeit durch Herzfehler, fieberhafte Krankheiten, welche
die Anwendung von Morphium oder Chloral ausschließen, leistet
S. ausgezeichnete Dienste, ebenso besonders bei Schlaflosigkeit aus
nervösen Ursachen, bei Geisteskrankheiten und bei Kindern. Der
Schlaf tritt erst nach einer halben bis ganzen Stunde ein, aber er
ist tief, dauert 6-8 Stunden, und Nebenwirkungen, wie Kopfschmerz
etc., treten selten ein. Sulfopurpursäure, s. Indigo, S. 919. Sulfosalze, s. Salze, S. 245, u. Schwefelmetalle. Sulfosäuren, s. Säuren und Schwefelmetalle. Sulfostannat, s. Zinnsulfide. Sulfozon, mit schwefliger Säure imprägnierte
Schwefelblumen, dient als Desinfektionsmittel und gegen Parasiten
auf Pflanzen. Sulfur (Sulphur, lat.), Schwefel; S. auratum Antimonii,
S. stibiatum aurantiacum, Goldschwefel, s. Antimonsulfide; S.
depuratum, gewaschene Schwefelblüte, s. Schwefel, S. 724; S.
jodatum, Jodschwefel, aus 1 Teil Schwefel und 4 Teilen Jod
zusammengeschmolzen; S. praecipitatum, Schwefelmilch, s. Schwefel,
S. 725; S. stibiatum rubeum, Stibium sulfuratum rubeum,
Mineralkermes, s. Antimonsulfide; S. sublimatum,
Schwefelblumen. Sulfüre, Sulfurete, s. Schwefelmetalle. Sulfuröl, s. Olivenöl. Sulina, der zweite Hauptmündungsarm der Donau (s.
d., S. 54 u. 55). An der Südseite desselben liegt im
rumänischen Kreis Tultscha (Dobrudscha) die Stadt S., mit
Leuchtturm und 5000 Einw., Sitz eines Pilotenkorps, Freihafen (seit
1879) und Hauptstationsort für die Dampsschiffahrt nach
Odessa. S. wurde 8. Okt. 1877 von den Russen beschossen und arg
verwüstet. Sulingen (Suhlingen), Flecken und Kreishauptort im
preuß. Regierungsbezirk Hannover, hat eine evang. Kirche, ein
Amtsgericht, bedeutende Sensenfabrikation und (1885) 1645 Einw.
Hier 3. Juni 1803 Konvention zwischen Franzosen und
Hannoveranern. Sulioten, albanes. Volksstamm im Südendes Paschaliks
Janina, dem alten Epirus, leitet seinen Ursprung von einer Anzahl
Familien ab, welche im 17. Jahrh. vor dem türkischen Druck in
den Gebirgen von Suli in der Nähe der Stadt Parga eine
Zuflucht suchten. Sie bekennen sich zur griechisch-katholischen
Kirche und sprechen als Muttersprache das Griechische, zugleich
aber auch das Albanesische. Neben Viehzucht und etwas Ackerbau war
ihr Hauptgewerbe das der Klephthen und Armatolen, worin sie sich
vorzüglich durch List und Ausdauer hervorthaten; besonders
galten ihre Angriffe den benachbarten Türken, gegen deren
Übermacht sie bei einem einfachen, aber ausharrenden
Verteidigungssystem geraume Zeit standhielten. Sie erlagen erst
1803 und verließen nun ihre bisherigen Wohnsitze, indem sie
erst nach Parga, dann, durch die Drohungen und Intrigen Ali Paschas
auch von da vertrieben, nach den Ionischen Inseln sich wandten.
Hier traten sie in den Militärdienst der verschiedenen
Mächte (Rußlands, Frankreichs, Englands), welche damals
nacheinander diese Inseln besaßen. Ali Pascha, 1820 in Janina
von den Türken unter Churschid Pascha eingeschlossen und von
den Albanesen verlassen, suchte bei den S. Hilfe und räumte
ihnen die Festung Kiagha ein. Die S. folgten seiner Einladung,
gerieten aber durch den Übertritt der albanesischen
Häuptlinge zu Churschid Pascha und den unglücklichen
Ausfall des im Sommer 1822 von Griechenland aus zu ihrer
Unterstützung unternommenen Feldzugs in große
Bedrängnis und mußten im September ihre Feste Suli den
Türken einräumen. Gegen 3000 S. wurden damals auf
englischen Schiffen nach Kephalonia gebracht, während sich die
übrigen in die Gebirge zerstreuten. Viele von ihnen
beteiligten sich tapfer an dem griechischen Freiheitskampf und
gelangten in Griechenland später zu Ansehen und Würden,
so die Botzaris und Tzavellas. Vgl. Perräbos, Geschichte von
Suli und Parga (neugriech., Vened. 1815, 2 Bde.; engl., Lond.
1823); Lüdemann, Der Suliotenkrieg (Leipz. 1825). Sulkowski, eine aus Polen stammende, den Adelsfamilien
Lodzia und Sulima von Haus aus angehörige, seit 1752
reichsfürstliche Familie in Posen und
Österreichisch-Schlesien, blüht in den beiden Linien von
Reisen und von Bielitz, welche beide vom Grafen, seit 1752
Fürsten Alex. Jos. v. S. (gest. 1762) abstammen. Ersterer
gehörte an Anton Paul, Fürst S., geb. 31. Dez. 1785, der
nach Poniatowskis Tod einige Zeit die Reste der polnischen Armee
kommandierte und dann Generaladjutant des Kaisers Alexander I.
ward; starb 13. April 1836. Ihm folgte sein Sohn August Anton,
Fürst S., geb. 13. Dez. 1820, im Ordinat Reisen und in der
Grafschaft Lissa, und nach dessen Tod (20. Nov. 1882) Fürst
Anton, geb. 6. Febr. 1844. Herzog von Bielitz ist gegenwärtig
Fürst Joseph S., geb. 2. Febr. 1848. Sulla, 1) Lucius Cornelius, röm. Diktator, geb. 138
v. Chr. als der Sprößling einer der Gens 430 Süllberg - Sullivan. Cornelia angehörigen patrizischen Familie, war nach einer
teils in leichtsinnigen Vergnügungen, teils in litterarischen
Beschäftigungen verbrachten Jugend 107 im Jugurthinischen
Krieg Quästor des Konsuls Marius und trug dadurch wesentlich
zur glücklichen Beendigung des Kriegs bei, daß er den
König Bocchus von Mauritanien durch geschickte Unterhandlungen
zur Auslieferung des Jugurtha bewog. Er wurde darauf 93
Prätor, und nachdem er sich im Marsischen Krieg als
Führer einer Abteilung des römischen Heers besonders
ausgezeichnet hatte, ward er für 88 zum Konsul erwählt
und mit der Führung des (ersten) Mithridatischen Kriegs
beauftragt. Als er sich bereits nach Nola in Kampanien zu seinem
Heer begeben hatte, wurde in Rom durch die Volkspartei unter
Führung des Volkstribunen P. Sulpicius Rufus der Oberbefehl im
Mithridatischen Krieg Marius übertragen. S. kehrte daher an
der Spitze seines Heers nach Rom zurück, schlug seine Gegner
und ächtete die hervorragendsten unter denselben, traf auch
einige Anordnungen, die dazu dienen sollten, die Ruhe in der Stadt
zu sichern, widmete sich dann aber zunächst völlig der
Führung des ihm aufgetragenen Kriegs, ohne sich um die
Vorgänge in Rom zu bekümmern, wo sich seine Gegner bald
unter den größten Grausamkeiten der Gewalt
bemächtigten, Marius 86 zum siebentenmal Konsul wurde und
große Heere gesammelt wurden, um den gefürchteten Kampf
mit S. bestehen zu können. Als dieser den Krieg mit
Mithridates glücklich beendigt hatte (s. Mithridates), kehrte
er an der Spitze von 40,000 Mann nach Italien zurück,
überwand in einer Reihe von Schlachten seine Gegner, zuletzt
den jüngern Gajus Marius bei Sacriportus und ein
hauptsächlich aus Samnitern bestehendes Heer unter den Mauern
von Rom, und wurde dann 82 zum Diktator auf unbestimmte Zeit
ernannt. Als solcher suchte er zunächst seine Stellung zu
sichern, indem er eine große Menge seiner Gegner
proskribierte, d. h. ihre Namen durch Proskriptionslisten bekannt
machte und auf ihren Kopf einen Preis setzte, und indem er die
Ländereien der in dem blutigen Bürgerkrieg Umgekommenen
unter seine Veteranen verteilte und 10,000 Sklaven die Freiheit
schenkte, die ihm als ihrem Patron gewissermaßen als
Leibwache dienten. Dann aber erließ er, hauptsächlich zu
dem Zweck, der Republik eine aristokratische Verfassungsform zu
geben, eine Reihe von Gesetzen (Leges Corneliae), unter denen die
Zurückgabe der Gerichte an den Senat und die Herabsetzung der
Macht der Volkstribunen auf ihr ursprüngliches geringes
Maß besonders hervorzuheben sind. Als er aber sein Ziel
erreicht zu haben glaubte (er liebte es, sein Gelingen nicht seinem
Verdienst, sondern seinem Glück beizumessen, und ließ
sich daher gern den Glücklichen, Felix, nennen), legte er 79
die Diktatur nieder und zog sich nach Puteoli zurück, wo er,
ohne sich jedoch den öffentlichen Angelegenheiten völlig
zu entziehen, hauptsächlich seinem Vergnügen lebte, starb
jedoch schon 78. Er schrieb in lateinischer Sprache
Denkwürdigkeiten seines Lebens, deren letztes Buch sein
Freigelassener Epicadus vollendet und die Plutarch in seiner
Biographie des S. benutzt hat. Neuere Biographien lieferten
Zachariä (Heidelb. 1834) und Lau (Hamb. 1855). 2) Faustus Cornelius, Sohn des vorigen, geboren um 88 v. Chr.,
diente im dritten Mithridatischen Krieg unter Pompejus und war der
erste, der 63 die Mauern des Tempels von Jerusalem erstieg; 54
bekleidete er die Quästur. Im Bürgerkrieg stand er auf
seiten des Pompejus, mit dessen Tochter er verheiratet war. Nach
der Schlacht bei Pharsalos floh er nach Afrika; nach der Schlacht
bei Thapsos (46) fiel er in Cäsars Hände und ward von
dessen Soldaten ermordet. 3) Publius Cornelius, Bruderssohn des Diktators S., ward 66 v.
Chr. zum Konsul für das folgende Jahr gewählt, aber,
bevor er sein Amt antrat, wegen Amtserschleichung (ambitus)
angeklagt und verurteilt. Dann wurde er 62 wieder wegen Teilnahme
an der Catilinarischen Verschwörung angeklagt, aber von
Hortensius und Cicero verteidigt und freigesprochen. Im
Bürgerkrieg war er Legat Cäsars und befehligte bei
Pharsalos den rechten Flügel. Er starb 45. Süllberg, s. Blankenese. Sülldorf, Dorf im preuß. Regierungsbezirk
Magdeburg, Kreis Wanzleben, hat eine evang. Kirche, eine Zucker-
und eine Thonwarenfabrik, Kalk- und Ziegelbrennerei, ein Solbad und
(1885) 1133 Einw. Sulliv., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung
für William S. Sullivant, geb. 1803 zu Franklinton, gest. 1873
in Columbus (Bryolog). Sullivan (spr. ssölliwän), 1) Timothy Daniel,
irischer Politiker, geb. 1827 zu Bantry in der Grafschaft Cork,
nahm als Herausgeber und Eigentümer der Zeitung "Nation" sowie
andrer der irischen Nationalpartei als Organe dienender
Zeitschriften an den politischen Kämpfen seiner Landsleute in
den letzten Jahrzehnten hervorragenden Anteil. 1850-85 war er
für Westmeath Mitglied des Parlaments, welchen Sitz er 1885,
für Dublin gewählt, seinem jüngern Bruder, Donal S.,
überließ. 1886 wurde er Lord-Mayor von Dublin und 1887
einstimmig wieder- und 1880-82 als Parlamentsmitglied für
Meath gewählt. Auch ein dritter Bruder, Alexander Martin S.,
geb. 1830, seit 1855 Mitarbeiter an der "Nation", seit 1876
Parlamentsmitglied für Louth und in demselben Jahr Lord-Mayor
von Dublin, seit 1876 irischer und seit 1877 englischer
Rechtsanwalt, gest. 17. Okt. 1884, hat in der irischen Partei eine
bedeutende Rolle gespielt. 2) Arthur, engl. Komponist, geb. 13. Mai 1842 zu London, war
Chorknabe in der königlichen Vokalkapelle, als er zum
Stipendiaten der Mendelssohn-Stiftung erwählt wurde (1856).
Seine fernere musikalische Ausbildung erhielt er zunächst in
der Royal Acaderny of music in London, wo besonders Bennett sein
Lehrer war, und 1858-61 am Konservatorium in Leipzig. Er wurde
darauf 1861 Nachfolger Bennetts als Kompositionsprofessor an der
Akademie, 1876 Direktor der National training school for music in
London und 1880 Vorstandsmitglied des Royal college of music
daselbst. S. ist der hervorragendste unter den jüngern
englischen Komponisten, hat jedoch weniger originelle
Erfindungstraft als wohlgeschulte Gestaltungskunst. Seine
bekanntesten Werke sind die Musik zu Shakespeares "Sturm",
"Kaufmann von Venedig" und "Heinrich VIII.", das Ballett
"L'île enchantée" (1864), die Ouvertüren: "The
sapphire necklace" und "In memoriam", eine Symphonie in E dur, die
Oratorien: "The light of the world", "The prodigal son" und "The
martyr of Antioch", mehrere Kantaten, Kammermusikstücke und
Klavierkompositionen sowie zahlreiche Lieder und Operetten, wie:
"Cox and Box" (1866), "The contrabandista", "Her Majesty's ship
Pinafore", "Jolanthe", "The pirates of Penzance". "The Mikado",
"The golden legend" (1887) u. a., die namentlich in England und
Amerika großen Erfolg hatten. 1883 wurde S. von der
Königin in den Ritterstand erhoben. 431 Süllö - Sulpicius. Süllö, s. Sander. Sully (spr. ssülli), Maximilian von Béthune,
Baron von Rosny, Herzog von, franz. Staatsmann, geb. 13. Dez. 1560
zu Rosny bei Nantes, ward in der reformierten Kirche erzogen und
zugleich mit Heinrich von Navarra unterrichtet. Er nahm mit
Auszeichnung an den Feldzügen des jungen Königs von
Navarra teil und kämpfte bei Coutras (1587) und bei Ivry
(1590) mit. Ein strenger Calvinist, stolz und schroff, trat er auch
seinem königlichen Freund, besonders seiner Verschwendung und
Ausschweifung, wiederholt mit Energie entgegen; doch vereinte beide
bald wieder die gemeinsame Liebe zum Vaterland. Deswegen riet er
auch 1593 Heinrich zur Annahme des Katholizismus, um den
Bürgerkrieg zu beendigen. 1597 an die Spitze der Finanzen
gestellt, tilgte er eine Staatsschuld von 200 Mill. Livres, erwarb
den größten Teil der verschleuderten Domänen
zurück, hob eine Menge überflüssiger Ämter auf,
ordnete und vereinfachte das Steuerwesen, baute Straßen,
führte die Seidenkultur und andre Erwerbszweige ein und
begünstigte den Ackerbau; diesen und die Viehzucht
erklärte er für die Brüste, von denen Frankreich
sich nähre. Seit 1601 auch Großmeister der Artillerie
und Oberaufseher über alle Befestigungen des Landes, stellte
er in kurzem die öffentliche Ruhe wieder her, namentlich durch
Vernichtung vieler Räuberbanden. Auf Heinrichs Zug nach
Savoyen (1600) eroberte S. die für unüberwindlich
gehaltenen Festungen Montmelian und Bourg. Nach dem Frieden
übernahm er unter dem Titel eines erblichen Kapitäns der
Häfen, Flüsse und Kanäle das Departement der
öffentlichen Bauten, hob Zölle auf, erklärte den
Getreidehandel für frei, legte Kanäle an und leistete in
dieser Stellung viel für Verbesserung der Kommunikationsmittel
des Landes. Zugleich leitete er auch die auswärtigen
Verhandlungen. 1604 wurde er zum Gouverneur von Poitou und 1606
für sein Gut Sully an der Loire zum erblichen Herzog ernannt.
Dabei erwarb er für sich selbst ein bedeutendes Vermögen.
Nach der Ermordung Heinrichs IV. (14. Mai 1610) ward er seiner
Stellung am Hof entbunden und von diesem auf sein Schloß S.
verwiesen; doch bediente sich auch Ludwig XIII. öfters seines
Rats und ernannte ihn 1634 zum Marschall; er starb 21. Dez. 1641.
Wichtig für die Geschichte seiner Zeit, obwohl nicht durchaus
zuverlässig, sind seine in Stil und Form ungenießbaren
"Memoires" (Amsterd. 1634, 2 Bde.; 2 Supplementbände 1662),
die vom Abbé L'Ecluse (das. 1745, 8 Bde.) modernisiert, aber
auch sehr verändert und gefälscht wurden. Vgl. die
biographischen Schriften von Legouvé (Par. 1873), Gourdault
(3. Aufl., Tours 1877), Bouvet de Cresse (das. 1878), Dussieux
(Par. 1887) und Chailley (das. 1888); Ritter, Die Memoiren Sullys
(Münch. 1871). Sully - Prudhomme (spr. ssülli-prüdómm),
Rene Francois Armand, franz. Dichter, geb. 16. März 1839 zu
Paris, wurde nach dem frühen Tod seines Vaters von einem
Oheim, dem Notar Sully, an Kindes Statt angenommen, widmete sich
dem Studium der Rechtswissenschaft, lebte dann aber ganz seinen
litterarischen Neigungen und veröffentlichte 1865 seine ersten
Gedichte: "Stances et poèmes", die das Glück hatten,
von Sainte-Beuve bemerkt zu werden, der namentlich auf das formell
vollendete und eine tiefe Innigkeit des Gefühls bekundende
Gedicht "Le vase brise" aufmerksam machte. Als weitere Sammlungen
folgten: "Les épreuves", "Les écuries d'Augias",
"Croquis italiens", "Les solitudes", "Impressions de la guerre",
"Les destins", "Les vaines tendresses", "La France" (Sonette), "La
revolte des fleurs" u. a. S. ist in diesen Dichtungen den Idealen
seiner Jugend treu geblieben; die Reinheit, die ihn kennzeichnete,
die Tiefe der Empfindung, der Adel des Gedankens wurden nie durch
Mißklänge getrübt, und die philosophierende
Richtung, die in seinen letzten Werken den Vorrang behauptet, hat
in ihrem Streben nach Aussöhnung zwischen einer schmerzvollen
Wirklichkeit und einer höhern Gerechtigkeit ebenfalls etwas
Wohltuendes. S. schrieb außerdem ein Lehrgedicht: "La
Justice" (1878), übersetzte den Lukrez (neue Ausg. 1886) und
veröffentlichte ein kunsthistorisches Werk: "L'expression dans
les beaux arts". Seine "OEuvres complètes" erschienen
1882-88 in 5 Bänden. Seit 1881 ist S. Mitglied der
französischen Akademie. Sully sur Loire (spr. ssülli ssürr loahr),
Stadt im franz. Departement Loiret, Arrondissement Gien, an der
Loire und der Eisenbahn von Argent nach Beaune la Rolande, hat ein
schönes Schloß (mit Statue Sullys, der hier 1604-41
wohnte) und (1881) 2037 Einw. Sulmirschütz (Sulmirzyce), Stadt im preuß.
Regierungsbezirk Posen, Kreis Adelnau, hat (1885) 3130 meist kath.
Einwohner. Sulmo, Stadt, s. Solmona. Sulphur (lat.), s. Sulfur. Sulpicia, röm. Dichterinnen: 1) S., s. Tibullus; 2) S., unter Domitian lebende Verfasserin von erotischen
Gedichten, die bis auf wenige Reste verloren sind; eine ihren Namen
tragende "Satira" von 70 Versen, eine ziemlich frostige Betrachtung
der traurigen Lage der Gelehrten unter Domitian, ist ein ihr
untergeschobenes Machwerk aus spätrömischer Zeit (hrsg.
von Bährens in "De Sulpiciae quae vocatur satira. Jena 1873,
und in den "Poetae latini minores", Bd. 5, Leipz. 1883; auch
häufig in Verbindung mit Persius und Juvenal). Sulpicius, angesehenes röm. Geschlecht, aus mehreren
Familien mit verschiedenen Beinamen (Camerinus, Galba, Gallus,
Longus, Paterculus Peticus, Prätextatus, Rufus und Saverrio)
bestehend. Publius S. Galba befehligte 210 v. Chr. und in den
folgenden Jahren die gegen König Philipp III. von Makedonien,
den Verbündeten Hannibals, ausgesandte Flotte und führte
als Konsul 200 und dann auch noch einen Teil des Jahrs 199 gegen
denselben Philipp den Oberbefehl. Servius S. Galba erlitt 151 als
Prätor eine Niederlage in Lusitanien, ließ im folgenden
Jahr viele tausend Lusitanier niederhauen, nachdem er sie unter der
Vorspiegelung, ihnen fruchtbare Ländereien anzuweisen, zur
Ergebung verlockt hatte, wurde deshalb 149 angeklagt, wandte aber
durch seine Beredsamkeit die Verurteilung von sich ab. 144
bekleidete er das Konsulat. Sein gleichnamiger Enkel war einer der
Verschwornen gegen Cäsar und wurde nebst den übrigen
Mördern Cäsars 43 von Oktavian geächtet; er ist der
Urgroßvater des Kaisers Galba. Publius S. Rufus, geb. 124,
wird von Cicero als Redner gerühmt, zeichnete sich 89 im
Bundesgenossenkrieg durch die Unterwerfung der Marruciner auch als
Feldherr aus und wurde für das Jahr 88 zum Volkstribun
erwählt. Sein Gesetzvorschlag, die mit dem Bürgerrecht
ausgestatteten Bundesgenossen in alle Tribus zu verteilen, fand auf
seiten der von den Konsuln Sulla und Quintus Pompejus Rufus
geführten Optimatenpartei den heftigsten Widerstand. Hierdurch
wurde er bewogen, sich an Gajus Marius anzuschließen, und
brachte daher ein Gesetz durch, daß der Oberbefehl gegen
Mithridates 432 Sultan - Sulze. von Sulla (s. d. 1) auf Marius übertragen werden sollte.
Sulla aber schlug seine Gegner innerhalb der Mauern Roms und
ächtete die vornehmsten derselben, darunter auch S., der auf
seiner Villa entdeckt und getötet wurde. Der Sklave, der ihn
verraten, ward von Sulla zwar freigelassen, aber darauf vom
Tarpejischen Felsen gestürzt. Sultan (arab., "Herr, Mächtiger"), gewöhnlicher
Titel mohammedan. Herrscher im Orient, besonders des osmanischen
Reichs. Auch den Frauen der Sultane wird der Titel Sultanin
beigelegt, in der Türkei aber nur der wirklichen Gemahlin des
Sultans sowie seinen Töchtern, welche Chanimsultaninnen
("Frauen von Geblüt") genannt werden. Die Mutter des
Großherrn heißt Walide S. Sultanabad, Hauptstadt der pers. Provinz Irak Adschmi,
1844 m ü. M., wurde erst zu Anfang dieses Jahrhunderis
gegründet, hat die Form eines Rechtecks, durch zahlreiche
Türme verstärkte Mauern und treibt lebhaften Handel mit
Teppichen, von denen die meisten nach Europa gehen; der Wert dieser
Ausfuhr belief sich 1877 auf 1,600,000 Mk. Sultanshuhn, s. Purpurhuhn. Sultepec, Bergwerksort im mexikan. Staat Mexiko, 2340 m
ü. M., in engem Thal, mit (1880) 7613 Einw. Dabei kamen Gold,
Silber, Kupfer, Eisen, Blei, Zinn, Antimon, Zinnober und andre
Metalle vor. Sulu (Joloinseln), eine Gruppe kleiner gebirgiger, aber
fruchtbarer Inseln im Ostindischen Archipel zwischen der
Nordostspitze von Borneo und der Südwestspitze von Mindanao,
2456 qkm (45 QM.) groß mit 75,000 malaiischen Bewohnern, die
sich zum Islam bekennen und früher als kühne
Seeräuber weithin berüchtigt waren. Trotzdem sie mehrmals
durch französische, spanische und niederländische
Schiffe, auch vom Radscha Brooke von Borneo, schwer gezüchtigt
wurden, hörten ihre Seeräubereien nicht auf, bis Spanien
von den Philippinen aus 1876 die Hauptinsel S. besetzte und den
ganzen Archipel dem Generalkapitanat der Philippinen einverleibte.
Das Recht Spaniens auf den Archipel wurde auch 1885
vertragsmäßig von Deutschland und England anerkannt.
Seitdem bilden das Einsammeln eßbarer Vogelnester und die
Perlenfischerei die ergiebigste Einnahmequelle der Insulaner, deren
geringer Handel fast ganz in den Händen von Chinesen aus
Manila ruht. Die Stadt S. wurde bei ihrer Einnahme 1876 durch die
Spanier niedergebrannt, aber von spanischen Genieoffizieren neu
aufgebaut und durch Sträflingsarbeit befestigt. Nach dem
Archipel führt der südlich bis Celebes sich erstreckende
Meeresteil den Namen Sulusee. S. Karte "Hinterindien". Sulz, 1) Oberamtsstadt im württemberg.
Schwarzwaldkreis, am Neckar und an der Linie Plochingen-Villingen
der Württembergischen Staatsbahn, 427 m ü. M., hat eine
evang. Kirche, ein Amtsgericht, ein Hauptsteuer- und ein
Kameralamt, eine Saline, ein Solbad und (1885) 1895 meist evang.
Einwohner. - 2) (Obersulz, franz. Soultz) Stadt und Kantonshauptort im
deutschen Bezirk Oberelsaß, Kreis Gebweiler, an der Eisenbahn
Gebweiler-Lautenbach, hat eine alte kath. Kirche, ein Amtsgericht,
eine Oberförsterei, Seidenspinnerei, Seiden- und
Baumwollweberei, Eisengießerei und (1885) 4511 meist kath.
Einwohner. Westlich der 1432 m hohe Sulzer Belchen, der
höchste Gipfel der Vogesen. - 3) (S. unterm Wald) Stadt und Kantonshauptort im deutschen
Bezirk Unterelsaß, Kreis Weißenburg, an der Eisenbahn
Straßburg-Weißenburg, hat eine evangelische und eine
kath. Kirche, ein Amtsgericht, Bergbau auf Petroleum, Asphalt und
Eisen, eine Petroleumraffinerie, Hopfenbau und (1885) 1566 Einw.
- 4) Bad, s. Schongau. Sülz, Dorf im preuß. Regierungsbezirk und
Landkreis Köln, 2 km südwestlich von Köln, hat
Spinnerei, Fabrikation von Maschinen, Goldleisten,
Buchdruckerschwärze, Bürsten und Lack, Ziegelbrennerei
und (1885) 2496 Einw. Sulza (Stadtsulza), Stadt im sachsen-weimar.
Verwaltungsbezirk Weimar II (Apolda), an der Ilm, Knotenpunkt der
Linie Neudietendorf-Weißenfels der Preußischen
Staatsbahn und der Eisenbahn Straußfurt-Großheringen,
134 m ü. M., hat eine evang. Kirche, eine Baugewerkschule, ein
besuchtes Solbad (1887: 2225 Kurgäste), Wollwarenfabrikation
und (1885) 2105 Einw. Dabei die zu Meiningen gehörige Saline
Neusulza mit drei Gradierwerken. Vgl. Rost, Führer und
Ratgeber durch Bad S. (Sulza 188l). Sulzbach, 1) Bezirksamtsstadt im bayr. Regierungsbezirk
Oberpfalz, an der Linie Nürnberg-Furth i. W., 400 m ü.
M., hat 3 Kirchen, ein Schloß (jetzt Gefängnis für
weibliche Sträflinge), ein Amtsgericht, starken Hopfenbau und
(1885) mit der Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 6) 4670 meist
kath. Einwohner. In der Nähe die Wallfahrtskirche Annaberg,
zahlreiche Eisensteingruben und ein großes
Eisenhüttenwerk. Das ehemalige gleichnamige deutsche
Fürstentum, dessen Hauptstadt S. war, und das 1028 qkm (19
QM.) mit 32,000 Einw. umfaßte, erscheint am Ende des 11.
Jahrh. als Grafschaft, kam 1305 an Bayern und fiel dann mit der
Oberpfalz an die Pfalz. Die Pfalzgrafen von S. waren eine
Nebenlinie derer von Pfalz-Neuburg (seit 1614) und folgten unter
Karl Theodor 1742 in der Kurpfalz, 1777 in Bayern (vgl. Pfalz, S.
933). - 2) Flecken im württemberg. Neckarkreis, Oberamt Backnang,
an der Murr und der Linie Waiblingen-Hessenthal der
Württembergischen Staatsbahn, 260 m ü. M., zur Grafschaft
Löwenstein gehörig, hat eine evang. Kirche, ein
Schloß (Lautereck), Gerberei, Schuhmacherei, Holzhandel,
Viehzucht und (1885) 2660 Einw. - 3) Dorf im deutschen Bezirk Oberelsaß, Kreis Kolmar, in
einem Thal der Vogesen, hat eine kath. Kirche, eine Mineralquelle
mit Bad und (1885) 756 Einw. - 4) Dorf im preuß. Regierungsbezirk Trier, Kreis
Saarbrücken, an der Linie Wellesweiler-Saarbrücken der
Preußischen Staatsbahn und einer Industriebahn, hat eine
evangelische und eine kath. Kirche, ein Amtsgericht, eine
Steinkohlengrube, Eisenerzbergbau, Koks- und Glasfabrikation, eine
chemische Fabrik und (1885) 11,177 meist kath. Einwohner. Sulzbacher Alpen, s. Steiner Alpen. Sulzbad, Dorf im deutschen Bezirk Unterelsaß, Kreis
Molsheim, an der Eisenbahn Zabern-Schlettstadt, hat eine kath.
Kirche und (1885) 772 Einw. In der Nähe das Bad S. mit zwei
Mineralquellen, welche Chlor, Soda, Brom, Jod und Eisenoxyd
enthalten und namentlich gegen Hautkrankheiten und Rheumatismus
angewendet werden, sowie der besuchte Wallfahrtsort Avolsheim. Vgl.
Eissen, Soultzbad près Molsheim (Par. 1857). Sulzberg (Val di Sole), s. Noce. Sulzburg, Stadt im bad. Kreis Lörrach, am Sulzbach
und am Fuß des Schwarzwaldes, 339 m ü. M., hat eine
evang. Kirche, ein altes Schloß, eine Bezirksforstei,
vortrefflichen Weinbau, Weinhandel, eine Dampfsägemühle
und (1885) 1152 meist evang. Einwohner. Nahebei in einem
hübschen Waldthal das Bad S. mit alkalischer Kochsalzquelle
von 15° C. Sulze, s. Salzlecke. 433 Sülze - Sumatra. Sülze, kalte Fleischspeise, bereitet aus in
säuerlicher, stark gewürzter Brühe gekochtem und
fein geschnittenem Fleisch, welches mit der durchgeseihten, zu
Gelee eingedickten Brühe vermischt wird. Das Ganze
läßt man in einer Schüssel erstarren. Sülze, Stadt im Großherzogtum
Mecklenburg-Schwerin, Herzogtum Güstrow, an der Recknitz, hat
eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, eine Dampfmolkerei, eine
Saline, ein Solbad und (1885) 2342 fast nur evang. Einwohner. Sulzer, 1) Johann Georg, Ästhetiker, geb. 5.Okt.
1720 zu Winterthur, erhielt seine Bildung in Zürich und ging
1742 nach Berlin, wo er mit Euler und Maupertuis in nähere
Verbindung trat und 1747 die Professur der Mathematik am
Joachimsthaler Gymnasium, 1763 an der neugestifteten Ritterakademie
erhielt und auch in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen
ward. Durch Kränklichkeit 1773 genötigt, seine Professur
niederzulegen, starb er 27. Febr. 1779. Sein Hauptwerk ist die
einst vielbenutzte "Allgemeine Theorie der schönen
Künste" (neue Ausg., Leipz. 1792-94, 4 Bde.), zu welcher
Blankenburg "litterarische Zusätze" (das. 1796-98, 3 Bde.)
sowie Dyk und Schulze "Nachträge" (das. 1792-1808, 3 Bde.)
lieferten. S. suchte darin die Wolfsche Philosophie mit den
Ansichten der Franzosen und Engländer eklektisch in
Übereinstimmung zu bringen. Vgl. seine "Selbstbiographie"
(Berl. 1809). 2) Salomon, Begründer des modernen Synagogengesangs, geb.
30. März 1804 zu Hohenems in Vorarlberg, lebt als emeritierter
Oberkantor der israelitischen Gemeinde und Professor am
Musikkonservatorium in Wien. S. veröffentlichte eine Sammlung
gottesdienstlicher Gesänge: "Schir Zion" (Wien 1845-66, 2
Bde.), die sich in allen Synagogen einbürgerten. Vgl.
"Gedenkblätter an Oberkantor S. S." (Wien 1882). Sulzer Belchen, s. Belchen 2) und Sulz 2). Sulzmatt, Flecken im deutschen Bezirk Oberelsaß,
Kreis Gebweiler, in einem engen Thal der Vogesen, hat eine kath.
Kirche, Baumwollspinnerei und -Webe-rei, Spinnerei von Flockseide,
guten Weinbau und (1885) 2807 Einw. In der Nähe das Bad S. mit
mehreren Mineralquellen, darunter einem Sauerbrunnen und einer
Schwefelquelle, die bei Gliederschmerzen und Hautkrankheiten zu
Bädern gebraucht wird. Vgl. Bach, Des eaux alcalines de
Soultzmatt (Straßb. 1853). Sumach, Pflanzengattung , s. Rhus. Sumarokow, Alexander Petrowitsch, russ. Dichter, geb. 14.
Nov. (a. St.) 1718 zu Moskau, versuchte sich in fast allen
Gattungen der Poesie, besonders in der Satire, und gilt als
Schöpfer des russischen Dramas, insofern er zuerst nationale
Lust- und Trauerspiele (nach dem pseudoklassischen Muster der
Franzosen) lieferte. Er wurde von der Kaiserin Katharina II. zum
Staatsrat erhoben und starb 1. Okt. (a. St.) 1777 in Moskau. S. war
auch der erste Direktor des russischen Hoftheaters. Von seinen
Dramen, die mehr nach ihrem sittlichen Gehalt und historischen Wert
als nach Form und Konzeption zu beurteilen sind, stehen die
Tragödien: "Horew", "Sinaw und Trubor" und "Mstislaw" oben an.
Unbedeutend sind seine Komödien wie seine Epen etc.; dagegen
zeichnen sich viele seiner Satiren durch Kühnheit und Energie
der Gedanken aus und lassen in S. einen feurigen Verfechter des
Rechts und der Wahrheit erkennen. Seine gesammelten Werke
erschienen zuletzt in St. Petersburg 1787. Vgl. Bulitsch, Sumarokow
(Petersb. 1854). Sumatra, die westlichste und nächst Borneo die
größte der Sundainseln (s. Karte "Hinterindien"), wird
durch die Sundastraße von Java, durch die Straße von
Malakka von der Halbinsel Malakka getrennt und vom Äquator
mitten durchschnitten. Die von NW. nach SO. langgestreckte Insel
hat ein Areal, das offiziell auf 406,705 qkm (7386,2 QM.) angegeben
wird, nach Behm und Wagner aber 428,813 qkm (7787,7 QM.)
beträgt, ohne die Inseln an der Westküste (Babi, Nias,
die Batu-, Mantawi-, Poggiinseln, Engano) mit einem Areal von
14,421 qkm (261,9 QM.), welche, in derselben Richtung wie die
Hauptinsel streichend, wie die Trümmer einer zweiten Insel
erscheinen. Die Westküste ist hoch, und unter ihren
zahlreichen Buchten und Ankerplätzen ist die Bai von Tapanuli
die geräumigste und sicherfte; dagegen ist die Ostküste
niedrig und mit Strandmorästen bedeckt; nach innen zu steigt
das Land ganz allmählich auf, um sich endlich in
Hügelreihen an die Gebirgskette Boukit-Barissan
anzuschließen, welche S. in ihrer ganzen Länge
durchzieht. Durch dieselbe wird S. in einen schmalen, gebirgigen
westöstlichen und einen größern, von Tiefland
erfüllten östlichen Teil geschieden. Aus dem Gebirge
erheben sich 19 Vulkane, darunter 6 noch thätige: der
Indrapura (3833m), Dempo (3200m), Ophir oder Pasaman (2927 m),
Merapi (2660 m), Salasi und Ipo, zugleich die beträchtlichsten
Bodenerhebungen auf der Insel. Verheerende Ausbrüche (wie der
des Tambora, der über 12,000 Menschen das Leben kostete) haben
wiederholt stattgefunden. Am Südostende bilden die
Ausläufer der Parallelketten des Gebirges drei Landspitzen,
zwischen denen die Lampong- und die Kaiserbucht ins Land
hineintreten. Infolge der orographischen Verhältnisse sind die
Flüsse der Westküste unbedeutend, doch kann der Singkel
20 km von seiner Mündung aufwärts durch einheimische
Boote befahren werden. Dagegen wird die Ostseite von einer Anzahl
wasserreicher Flüsse (Rokan, Siak, Indragiri, Jambi, Palembang
oder Musi, Tulan-Bawan) durchzogen, die teilweise 150 km und weiter
aufwärts selbst von größern Kriegsschiffen befahren
werden können. Unter den Seen ist der Sinkara der
bedeutendste. Das Klima ist heiß und in den sumpfigen
Niederungen bei 27-32° C. Maximaltemperatur ungesund, in 1200 m
hohen Lagen aber bei einem Maximum von 24° C. zuträglich.
Der Wechsel des Monsuns ist auf den beiden Seiten des Äquators
ein entgegengesetzter. Die Tierwelt zeigt mehr Verwandtschaft mit
der von Borneo als der von Java. Affenarten sind zahlreich, sehr
häufig ist der Königstiger; sonst sind noch zu
erwähnen der Elefant, zwei Rhinozerosarten, der Tapir,
Nebelpanther; die Flüsse wimmeln von Kaimans (Crocodilus
biporcatus). Die Pflanzenwelt ist außerordentlich reichhaltig
und üppig. Als Repräsentant derselben kann die dort
heimische Rafflesia Arnolda gelten, ein Schmarotzergewächs mit
der größten Blüte der Welt (bis 1 m im Durchmesser
und über 5 kg schwer). S. hat in seinen ungeheuern
Wäldern eine Fülle von nutzbaren Holzarten und erzeugt
zugleich durch Kultur eine Reihe von Massenprodukten zur Ausfuhr,
wie Reis, Zucker, Tabak, Indigo, Baumwolle, Katechu, Kautschuk,
Guttapercha, Benzoe, Rotang, Kampfer, Betel- und Kokosnüsse,
eingeführt ist die Kultur von Kaffee, Muskatnüssen u. a.
An Metallen finden sich, und zwar reichlich, Gold, Kupfer, Zinn,
Eisen, auch Steinkohlen. Die Bevölkerung, deren Zahl man auf
3,8 Mill. berechnet, gehört zur malaiischen Rasse; im SO.
wohnen die Lampong, in der Mitte die Passumah und Redschang, nach
N. hin 434 Sumatrakampfer - Sumerier. die Batta und Atschinesen. Als besonderer Stamm hausen,
abgeschieden von der übrigen Bevölkerung, noch die
Orang-Kubu ohne feste Wohnsitze. Die Unterschiede zwischen den
verschiedenen Völkerschaften sind hauptsächlich bedingt
durch das Maß, in welchem arabisch-islamitische,
indo-javanische und europäische Einflüsse nacheinander
auf dieselben eingewirkt haben. Die Mehrzahl der Bewohner bekennt
sich zum Islam, und zwar sind sie meist fanatische Mohammedaner;
die Batta dagegen sind Heiden, die Passumah und Redschang zwar
nicht dem Namen, aber der That nach. Ackerbau und Schiffahrt sind
Hauptbeschäftigungen; Seeräuberei und Menschenraub waren
früher eingebürgert. Die industrielle Thätigkeit
beschränkt sich auf das Weben baumwollener Kleiderstoffe und
Arbeiten in Gold, mit Benutzung sehr einfacher Geräte. Ihr
Gemeinwesen ist sehr zersplittert. Die wichtigsten
Ausfuhrhäfen sind Padang und Palembang. Die Insel wurde seit
der Eroberung von Atschin und Siak fast ganz den Niederländern
unterworfen. Sie teilen dieselbe administrativ ein wie folgt: QKilom. QMeilen Bevölkerung 1885 Gouvernement Westküste 121171 2200,6 1192661 Benkulen 25087 455,6 149923 Lampongsche Distrikte 26155 475,0 118889 Palembang 140873 2558,4 627914 Ostküste 42321 768,6 171399 Atschin 51098 928,0 544634 Unter dieser gezählten Bevölkerung von 2,805,420
Seelen, welche gegen die oben angeführte Berechnung um 1 Mill.
zurücksteht, wurden 3944 Europäer, 62,053 Chinesen und
2549 Araber ermittelt. überall, wohin die Macht der
Holländer reicht, sind seit 1876 Sklaverei und Leibeigenschaft
aufgehoben worden. S. ward den Europäern durch den Portugiesen
Lopez de Figueira 1508 zuerst bekannt. Die Portugiesen errichteten
daselbst Handelsfaktoreien, wurden aber zu Ende des 16. Jahrh. von
den Holländern verdrängt, die 1620 auf der Insel festen
Fuß faßten. Neben dem Sultan von Bantam auf Java hatte
damals der Herrscher von Atschin (Atjeh) die meiste Macht auf S.
Zwischen 1659 und 1662 gelang es den Niederländern, die
Südwestküste ihrer Schutzherrschaft zu unterwerfen, und
1664 bemächtigten sie sich Indrapuras, Salidas und mehrerer
andrer Plätze, 1666 auch Padangs. Weiter im Süden hatten
sich seit 1685 die Engländer zu Benkulen festgesetzt, und
zwischen beiden regte sich bald lebhafte Eifersucht. 1803 fiel der
ganze südliche Teil der Ostküste mit Palembang ebenfalls
unter niederländische Herrschaft. Die Niederländer und
Engländer schlossen 1824 einen Vertrag, wonach diese gegen
Einräumung der niederländischen Besitzungen auf der
Halbinsel Malakka auf ihre Niederlassung auf S. zu gunsten der
Niederländer verzichteten. 1835 unterwarfen sich letztere auch
die Fürsten von Dschambi, und in einem Kriege gegen die
Atschinesen erweiterten sie ihren Besitz an der Westküste, wie
sie auch das malaiische Oberland des Reichs Menangkabu und zugleich
einen Teil der Battaländer unter ihre Botmäßigkeit
brachten. Es bestehen seitdem neben ihrem Reich nur noch die beiden
Reiche Atschin und Siak; auch ist ein Teil der Korintjier und Batta
im Innern noch unabhängig. Nachdem sich die Niederländer
durch die Abtretung Guineas an England dessen Zustimmung zur
Unterwerfung Atschins gesichert, begannen sie 1873 einen Krieg
gegen dies Reich (s. Atschin), der aber nur langsam und unter
großen Verlusten fortschritt. Vgl. Miquel, S., seine
Pflanzenwelt und deren Erzeugnisse (Leipz. 1862); Mohnike, Bangka
und Palembang, nebst Mitteilungen über S. (Münst. 1874);
Rosenberg, Der Malaiische Archipel (Leipz. 1878) ; Bock, Unter den
Kannibalen auf Borneo etc. (Jena 1882); Marsden, History of S.(3.
Ausg., Lond. 1811); Marre, S. Histoire des rois de Pasey (Par.
1875); Bastian, Indonesien, Teil 3 (Berl. 1886); Verbeek,
Topographische en georgische beschrijving van een gedeelte Van
Sumatra's westkust (1886). Sumatrakampfer, s. v. w. Borneokampfer, s. Kampfer. Sumatrawachs (Geta-Lahoe), der eingedickte Milchsaft von
Ficus ceriflua Jungh., ist aschgrau, härter als Bienenwachs,
spez. Gew. 0,963 bei 16°, fast vollständig löslich in
Äther, wenig in kaltem Alkohol, schmilzt bei 61°. Sumba (auch Sandelbosch, "Sandelholzinsel"), eine der
Kleinen Sundainseln, durch die Sandelboschstraße von Floris
und Sumbawa geschieden, im Besitz der Holländer, aber unter
einheimischen Häuptlingen und zur Residentschaft Timor
gehörig, hat mit dem südwestlich gelegenen kleinen Savu
ein Areal von 11,360 qkm (206 QM.) und etwa 200,000 Einw. Das
Innere ist ein Tafelland von 1000 m Höhe mit gesundem Klima.
Produkte sind: Baumwolle, Sandelholz, Pferde, Geflügel. An der
Westküste der Ort Manukaka Sumbawa (Sumbaua), eine der Kleinen Sundainseln, zwischen
Lombok und Floris, 13,980 qkm (254 QM.) groß, mit gebirgigem
und vulkanischem Boden, gut bewässert und sehr fruchtbar
(Sandelholz, Baumwolle, Tabak, Reis), hat etwa 150,000 Einw.
malaiischer Rasse und Bekenner des Islam. Die Insel bildet einen
Teil des niederländischen Gouvernements Celebes und
zerfällt in drei unter Radschas stehende Reiche: S., Bima und
Dompo; Sitz des niederländischen Residenten ist Bima. Vom 5.
bis 11. April 1815 fand hier ein Ausbruch des 4300 m hohen Vulkans
Tambora (Temboro) statt, welcher dabei zusammenstürzte, so
daß er jetzt nur noch 2339 m Höhe hat. Ein großer
Teil des umliegenden Landes wurde mit Asche bedeckt, und über
12,000 Menschen kamen ums Leben. Sumbulwurzel, s. Ferula. Sümeg (spr. schü-), Markt im ungar. Komitat
Zala, mit Sommerschloß des Veszprimer Bischofs,
Franziskanerkloster, (1881) 5029 ungar. Einwohnern, Weinbau und
Bezirksgericht. Sumerier (Akkadier), altes Volk, welches in frühster
Zeit das Euphrat- und Tigrisland ("Land Sumir und Akkad") bewohnte
und eine nicht flektierende, agglutinierende Sprache redete, also
nicht semitischen Ursprungs war. Sie besaßen bereits eine
bedeutende Kultur, welche die Semiten, Babylonier und Assyrer, die
spätern Einwohner jenes Gebiets, neben denen sich aber die S.
noch lange behaupteten, von ihnen annahmen, und von der uns in den
bilinguen (assyrisch-sumerischen) Thontäfelchen der Bibliothek
Assurbanipals ansehnliche Reste, Lieder, Hymnen, Gesetzsammlungen,
astronomische und astrologische Schriften etc., erhalten sind. Ihre
ältesten Herrschaftssitze und Priesterstädte befanden
sich im untern Euphratgebiet, das nach einem ihrer Stämme auch
Chaldäa genannt wurde (vgl. Babylonien). Die S. besaßen
die Keilschrift (s. d.), welche nicht bloß Babylonier und
Assyrer, sondern auch Meder und Perser von ihnen überkamen,
beobachteten die Himmelskörper, Sonne, Mond und fünf
Planeten, welche sie als Götter verehrten, und nach denen sie
die sieben Tage der Woche, 435 Sumiswald - Sumpfbiber. deren Einteilung von ihnen herrührt, benannten; die Namen
der Göttin Istar (Astarte), des Mondgottes Sin, des
Löwengottes Nergal u. a. sind in die semitische Religion
übergegangen. Ihre religiösen Hymnen, mitunter von tiefem
Gefühl, sind den Psalmen der Bibel ähnlich. Ihren
Rechnungen legten sie das Sexagesimalsystem zu Grunde, welches sich
bei der Einteilung unsrer Tagesstunden in Minuten und Sekunden, der
Grade etc. bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Vgl. Lenormant,
Études accadiennes (Par. 1872-80); Derselbe, Études
cunéiformes (das. 1878-80); Derselbe, La langue primitive de
la Chaldée et les idiomes touraniens (das. 1875) ; Haupt,
Die sumerischen Familiengesetze (Leipz. 1879); Derselbe, Die
akkadische Sprache (Berl. 1883). Sumiswald, Gemeinde im schweizer. Kanton Bern, Bezirk
Trachselwald, im untern Emmenthal, am Grünenbach, hat eine
schöne Kirche aus dem 16. Jahrh. und (1888) 5738 Einw., welche
Landwirtschaft, Viehzucht, Fabrikation von Leinwand und Uhren und
Handel mit Käse betreiben. Unweit das Schloß
Trachselwald, ehemals Sitz einer Deutschordens-Kommende, jetzt
Armenhaus. Summarischer Prozeß, diejenige Prozeßart, bei
welcher zum Zweck der Beschleunigung des Verfahrens Abweichungen
von dem regelmäßigen Prozeßgang und
Abkürzungen des letztern statuiert sind. Den Gegensatz bildet
der ordentliche bürgerliche Prozeß, und zum Unterschied
wird der summarische auch der "außerordentliche Prozeß"
genannt. Die moderne Gesetzgebung, welche für alle
Rechtsstreitigkeiten ein schleunigeres Verfahren an Stelle des
schwerfälligen gemeinrechtlichen Prozeßganges
einführte, hat die Fälle des summarischen Prozesses
wesentlich eingeschränkt. So kennt die deutsche
Zivilprozeßordnung als eigentlichen summarischen Prozeß
nur noch den Exekutiv- oder Urkundenprozeß (s. d.) und den
Wechselprozeß (s. d.); außerdem gehören noch das
sogen. Mahnverfahren (s. d.) hierher sowie der Arrest (s. d.) und
die "einstweiligen Verfügungen" (s. d.). Auch im
Strafprozeß ist in geringfügigen Fällen ein
summarisches Verfahren gestattet (s. Mandatsprozeß). Vgl.
Deutsche Zivilprozeßordnung, (§ 555-567, 628-643;
Deutsche Strafprozeßordnung, § 447-452. Summarium (lat.), kurz gefaßter Hauptinhalt einer
Schrift etc.; daher summarisch, dem Hauptinhalt nach
zusammengefaßt. Summation (lat.), s. Addition. Summe (lat. Summa), in der Arithmetik das Resultat einer
Addition (s. d.). Summenformel oder summarisches Glied einer Reihe
nennt man den algebraischen Ausdruck, der die S. einer bestimmten
Anzahl von Gliedern der Reihe in allgemeinen Zeichen (Buchstaben)
ausdrückt. Summis desiderantes affectibus (lat.), Bulle des Papstes
Innocenz VIII. von 1484 zu gunsten der Hexenprozesse (s. Hexe, S.
103). Summisten, im Gegensatz zu den Sententiariern Bezeichnung
der spätern Scholastiker, welche sogen. Summen (summae
theologiae), d. h. selbständige Lehrgebäude der
Theologie, lieferten, wie Alexander von Hales, Albertus Magnus,
Thomas von Aquino u. a. Summitates (lat.), pharmazeut. Bezeichnung der
blühenden Stengelspitzen oder auch der ganzen obern Teile der
Pflanzen; S. Sabinae, Sadebaumspitzen. Summum bonum (lat.), s. Höchstes Gut. Summumjus summa injuria (lat.), röm.
Rechtssprichwort: "das höchste Recht (d. h. das Recht, wenn es
auf die Spitze getrieben wird) ist die höchste
Ungerechtigkeit". Sumner (spr.ssömmner), Charles, am erikan.
Staatsmann, geb. 6. Jan. 1811 zu Boston, studierte an der
Harvard-Universität, dann an der juristischen Akademie in
Cambridge, ward 1834 Advokat in Boston, dann Referent des
Bezirksgerichtshofs der Vereinigten Staaten, lehrte auch an der
Universität Cambridge Staats- und Völkerrecht, bereiste
1837-40 Europa und gab Veseys "Reports" mit Anmerkungen heraus
(1844-46, 20 Bde.). In der Politik schloß er sich zuerst der
Whigpartei, 1848 aber, da er mit der Kriegserklärung gegen
Mexiko nicht einverstanden war und schon damals die Aufhebung der
Sklaverei verlangte, der Freibodenpartei an. 1850 wurde er in den
Bundessenat gewählt, wo er sich als hervorragender Redner und
heftiger Gegner der Sklaverei auszeichnete. Infolge einer
glänzenden, aber scharfen Rede gegen die Sklaverei aus
Anlaß des Kansas-Nebraskakonflikts (19. und 20. Mai 1856)
ward er 22. Mai von einem Repräsentanten aus Südcarolina,
Preston Brooks, körperlich gemißhandelt, so daß er
erkrankte und in Europa Erholung suchen mußte. 1859 nahm er
seinen Sitz im Senat wieder ein, ward einer der Führer der
neuen republikanischen Partei, unterstützte mit Eifer und
Erfolg die Wahl Lincolns und nahm unter dessen Präsidentschaft
als Vorsitzender des Senatskomitees für auswärtige
Angelegenheiten eine hervorragende Stellung in den
öffentlichen Angelegenheiten der Union ein. Auch die Rechte
des Kongresses Johnson gegenüber hatten an ihm einen
energischen Verteidiger. Ebenso trat er mutig und offen gegen Grant
auf, dessen Wahl er unterstützt hatte, als derselbe in der
Domingofrage eine Annexionspolitik verfolgte und die
schändlichste Korruption in der Verwaltung einreißen
ließ. S. verlor daher 1871 den Vorsitz im auswärtigen
Komitee, obwohl er das Recht der Union in der Alabamafrage noch
zuletzt ausführlich verteidigt hatte ("The case of the United
States", 1872). 1872 unterstützte er Greeleys Kandidatur und
starb 11. März 1874 in Washington. Er schrieb: "White slavery
in the Barbary States" (Bost. 1853). Gesammelt erschienen seine
Werke in 12 Bänden (Bost. 1871-75), seine Reden Boston 1851, 2
Bde., und 1855. Vgl. Lester, Life and public services of Charles S.
(New York 1874); Pierce, Life and letters of Ch. S. (Lond. 1877, 2
Bde.). Sumpf, ein Gebiet mit stagnierendem Wasser, welches durch
Gegenwart von Schlamm und Vegetation nicht schiffbar ist, aber auch
nicht betreten werden kann und niemals austrocknet. Am
häufigsten finden sich Sümpfe an Ufern solcher
Flüsse, welche mit geringem Gefälle große Ebenen
durchlaufen (Oder, Warthe, Netze, Theiß, Deltasümpfe),
ferner auf großen, wenig geneigten, waldbedeckten Ebenen, wo
Quell- und Regenwasser keinen genügenden Abfluß haben,
und an Küsten (Maremmen und Valli in Italien, Swamps in
Nordamerika). Die Vegetation der Sümpfe (vgl. Sumpfpflanzen)
ist verschieden, je nachdem Wasser oder Erde vorherrschen; oft
finden sich große Strecken mit Wald bedeckt, und die
absterbenden Pflanzen bilden mächtige Torflager. Meist sind
die Sümpfe berüchtigt durch ihre
gesundheitsschädlichen Ausdünstungen; kulturfähig
werden sie erst, wenn eine hinreichende Ableitung des stagnierenden
Wassers gelingt; andernfalls verwertet man sie nur durch
Rohrnutzung und Erlenwuchs. - Im Bergbau heißt S. der tiefste
Teil des Schachts, in welchem die Wasser behufs Hebung und
Entfernung aus dem Bergwerk gesammelt werden. Sumpfbiber (Schweifbiber, Myopotamus 436 Sumpfbussard - Sundainseln. Geoffr.), Säugetiergattung aus der Ordnung der Nagetiere
und der Familie der Trugratten (Echimyina). Der Koipu (M. Coypu
Geoffr., s. Taf. "Nagetiere II"), 40-45 cm lang, mit fast ebenso
langem, drehrundem, geschupptem und borstig behaartem Schwanz,
untersetztem Leib, kurzem, dickem Hals, dickem, langem, breitem,
stumpfschnäuzigem Kopf, kleinen, runden Ohren, kurzen,
kräftigen Gliedmaßen, fünfzehigen Füßen,
an den hintern Füßen mit breiten Schwimmhäuten und
stark gekrümmten, spitzigen Krallen, ist oberseits
dunkelbraun, an den Seiten rot-, unterseits schwarzbraun, an der
Nasenspitze und den Lippen weiß oder hellgrau. Er bewohnt das
gemäßigte Südamerika vom 24.-43.° südl.
Br., vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean und lebt paarweise an
Seen und Flüssen in selbstgegrabenen Höhlungen, fast
ausschließlich im Wasser. Auf dem Land bewegt er sich
langsam, dagegen schwimmt er vortrefflich, taucht aber schlecht. Er
nährt sich hauptsächlich von Gras, frißt aber auch
Wurzeln, Blätter, Körner. Das Weibchen wirft 4-6 Junge.
Man jagt den S. des kostbaren Pelzes halber, welcher als Rakunda
Nutria (amerikanisches Otterfell) in den Handel kommt, und in
manchen Gegenden ist das Tier fast schon ausgerottet. Das
weiße Fleisch wird an vielen Orten von den Eingebornen
gegessen. Alt eingefangene S. gehen bald zu Grunde, jung
eingefangene sind sehr lebhaft. Sumpfbussard, s. Weihen. Sumpfkresse, s. Taxodium. Sumpfdlstel, s. Cirsium. Sumpfeiche, s. Casuarina. Sumpferz, s. v. w. Raseneisenerz. Sumpffieber, diejenigen schweren Formen des
Wechselfiebers, welche in Sumpfgegenden endemisch vorkommen und
durch das sogen. Malariagift bedingt werden. S. Malaria und
Wechselfieber. Sumpfgarbe, s. Ptarmica. Sumpfgas, s. Methan. Sumpfgras, s. Cladium. Sumpfmiasma, s. v. w. Malaria. Sumpfotter, s. Nörz. Sumpfpflanzen, diejenigen Pflanzen, welche im sumpfigen
oder mit Wasser bedeckten Boden wurzeln, mit dem übrigen Teil
in der Luft wachsen. Dies sind besonders: Phragmites communis,
Glyceria spectabilis und fluitans, Phalaris arundinacea, Scirpus
lacustris, viele Arten Riedgräser (Carex), Eriophorum, Typha,
Sparganium, Alisma plantago, Sagittaria sagittaefolia, Acorus
Calamus, Iris Pseudacorus, Hippuris vulgaris, Rumex hydrolapathum,
Nasturtium palustre, N. amphibium, Cicuta virosa, Sium, Oenanthe,
Epilobium palustre, E. pubescens, Lythrum salicaria, Caltha
palustris, Myosotis palustris, Pedicularis palustris, Veronica
Beccabunga. Menyanthes trifoliata, Equisetum limosum. Sumpfporst, s. Ledum. Sumpfrodel, s. Pedicularis. Sumpfsassafras, s. Magnolia. Sumpfseidelbast, s. Dirca. Sumpfvögel, s. v. w. Watvögel (s. d.). Sumpfzeder, s. Taxodium. Sumter (spr. ssömmtter), Fort auf einer
künstlichen Insel am Eingang des Hafens von Charleston im
nordamerikan. Staat Südcarolina, 1845-55 erbaut, wurde 14.
April 1861 vom Konföderiertengeneral Beauregard genommen,
womit der Bürgerkrieg begann, und, obwohl im August 1863 durch
ein Bombardement zerstört, bis 14. April 1865 gegen die
Unionstruppen verteidigt. Vgl. Crawfurd, Story of S. (New York
1888). Sumtion (Sumption, lat.), Annahme, hypothetischer Satz;
in der katholischen Kirche das Nehmen und Genießen der
Hostie. Sumtum (lat.), genommene Abschrift. Sumtus (lat.), Aufwand, Kosten; sumtibus publicis. auf
Staatskosten; sumtuös, kostspielig. Sumy (Ssumy), Kreisstadt im russ. Gounernement Charkow,
am Pfiol und der Sumyer Bahn (Linie Merefa-Woroschba), hat 9
Kirchen, ein Gymnasium, eine Realschule, ein Mädchengymnasium,
Fabriken für Zucker, Talg, Lichte und Leder und (1885) 15,831
Einw. An der Grenze von Groß- und Kleinrußland gelegen,
bildet S. einen wichtigen Verkehrspunkt für die Ukraine und
treibt namentlich Handel mit Pferden, Getreide und Sandzucker. S.
wurde im 17. Jahrh. an Stelle der alten Ansiedelung Lipenski von
Kleinrussen gegründet. Sun, s. v. w. Sunnhanf. Sunbury (spr. ssönnberi). 1) Dorf in der engl.
Grafschaft Middlesex, an der Themse, oberhalb Hampton Court, mit
(1881) 4297 Einw.; dabei Pumpwerke und großartige
Filtrierbecken von zwei Londoner Wassergesellschaften sowie
Brutteiche des Vereins zum Schutz der Themsefischerei. - 2) Stadt im nordamerikan. Staat Pennsylvanien, bei der
Vereinigung der zwei Arme des Susquehanna, mit lebhaftem
Kohlenhandel und (1880) 4077 Einw. Sund (Öresund), Meerenge zwischen der dän.
Insel Seeland und der schwedischen Landschaft Schonen, die
gewöhnliche Durchfahrt aus der Nordsee in die Ostsee (s. Karte
"Dänemark"), ist 67 km lang, an der schmälsten Stelle
zwischen Helsingborg und Helsingör ungefähr 4 km breit
und wird von der dänischen Festung Kronborg auf Seeland
beherrscht. Seit dem Anfang des 15. Jahrh. erhob Dänemark bei
Helsingör von allen vorüberfahrenden Schiffen einen Zoll,
den Sundzoll, dessen Berechtigung durch Verträge von den
andern Seemächten anerkannt war. Völlig befreit von
demselben waren nur die sechs Hansestädte Lübeck,
Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg sowie
Stettin, Kolberg und Kammin, während einzelnen Staaten, wie
Schweden, Holland, England und Frankreich, eine
Ermäßigung bewilligt war. Der Sundzoll zerfiel in die
Schiffsabgabe von durchschnittlich mindestens 12 Speziesthlr. und
den Warenzoll, der 1-1 1/2 Proz. betrug, und brachte Dänemark
1853 (bei 21,000 passierenden Schiffen) eine Einnahme von 2,530,000
Thlr. Nachdem die Vereinigten Staaten 1855 ihren mit Dänemark
bestehenden Vertrag gekündigt und erklärt hatten, den
Sundzoll nicht mehr zu zahlen, trat im Januar 1856 zu Kopenhagen
eine von fast allen europäischen Staaten beschickte Konferenz
zusammen, durch welche laut Vertrags vom 1. April 1857 der
bisherige Sundzoll gegen eine Entschädigungszahlung von
30,476,325 dän. Reichsthlr. abgeschafft wurde. Vgl. Scherer,
Der Sundzoll, seine Geschichte etc. (Berl. 1845). Sund., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung
für C. I. Sundevall, geb. 22. Okt. 1801 zu Högestad bei
Ystad, gest. 5. Febr. 1875 als Professor und Direktor des Museums
in Lund (Zoolog). Sundainseln, ostind. Archipel zwischen dem Chinesischen
Meer und dem Indischen Ozean, erstreckt sich vom Südwesten der
Halbinsel Malakka bis zu den Molukken und dem Nordwesten
Australiens, umfaßt ein Areal von 1,626,669 qkm (29,542 QM.)
mit 28 Mill. Einw. und zerfällt in die sogen. Großen S.:
Sumatra, Java, Borneo und Celebes, und die Kleinen S., als deren
wichtigste Bali, Lombok, Sumbawa, Floris, Sumba und Timor zu nennen
sind. Diese 437 Sundalselv - Sundwig. Zusammenfassung von Inselgruppen und Inseln ist aber weder
geographisch noch ethnographisch voll berechtigt, man hat daher die
Bezeichnung S. auf die von der Makassar- und der Sapistraße
(zwischen Sumbawa und Komodo) westlich gelegenen Inseln
beschränken wollen. Der weitaus größte Teil der S.
steht unter mittelbarer oder unmittelbarer Herrschaft der
Niederländer; nur das nordöstliche Timor sowie Solor
beanspruchen die Portugiesen. S. Karte "Hinterindien". Sundalselv, norweg. Fluß, entspringt am Fuß
der Snehätta im Dovrefjeld und mündet im Amt Romsdal in
die Südostspitze des Tingvolds- oder Sundalsfjords. Sein Thal,
Sundalen genannt, gehört unter die wildesten Felsenthäler
Norwegens. Sundanesen, malaiischer Volksstamm, im westlichen Teil
von Java, der als Mittelglied zwischen den Malaien der Halbinsel
Malakka, den Javanen und Batta gelten kann. Sundasee (Meer von Java), der Teil der südasiat.
Gewässer, welcher sich zwischen Sumatra, Java, Borneo und
Celebes erstreckt. Sundastraße, Meerenge zwischen den Inseln Sumatra
und Java in Ostindien, verbindet den Indischen Ozean mit der
Sundasee. In dieser Straße liegen mehrere vulkanische Inseln:
Prinzeninseln, Thwart de Way, die durch die in neuester Zeit
erfolgten Ausbrüche bekannt gewordene Insel Krakatau u. a. Sünde, die sittliche Abnormität unter
religiösem Gesichtspunkt, jede mit Freiheit geschehene
Abweichung von dem erkannten göttlichen Gesetz. Obwohl Paulus,
welcher die Lehre von der S. begründet hat, als Anfang der
allgemeinen Sündhaftigkeit nach jüdischer Weise den
Sündenfall Adams voraussetzt, so leitet er doch zugleich die
S. spekulativ aus dem Fleisch (s.d., S. 363 f.) ab. Damit war das
Problem gegeben, an dessen Auflösung die Kirchenlehre sich
zerarbeitete, indem sie den historischen Anfang mit dem moralischen
Ursprung in Einklang zu bringen suchte. Übrigens unterscheidet
sie: Erbsünde (s.d.) und die aus dieser erst hervorgehende
Thatsünde (peccatum actuale); rücksichtlich der Form,
unter welcher das Gesetz auftritt, Begehungssünde (p.
commissionis), die Übertretung des Verbots, und
Unterlassungssünde (p. omissionis); rücksichtlich der
Handlung selbst innere Sünden (peccata interna), unerlaubte
Gedanken und Entschließungen, und äußere
Sünden (p. externa), unerlaubte Reden und Thaten; nach dem
Grade der in ihr liegenden Verkehrtheit vorsätzliche oder
Bosheitssünden (p.voluntaria), die unmittelbar aus einem
bösen Entschluß hervorgehenden Handlungen, und
unvorsätzliche oder Schwachheits-, übereilungssünden
(p. involuntaria. ex infirmitate, temeritate oriunda). Unter der
Matth. 12, 31 f. erwähnten unvergeblichen S. wider den
Heiligen Geist versteht man den definitiven Unglauben der im
Bösen verhärteten, eigne bessere Überzeugung
erstickenden Persönlichkeit. Darauf und auf 1. Joh. 5, 16. 17
beruht die besonders in der katholischen Praxis bedeutungsvolle
Einteilung der Sünden in vergebliche oder büßliche
(peccata remissibilia sive venialia) und unvergebliche oder
Todsünden (p. irremissibilia sive mortalia), die den Verlust
des Gnadenstandes nach sich ziehen, ohne daß sie jedoch von
der katholischen Lehre in einem bestimmten Katalog zusammengestellt
worden wären. Vgl. Jul. Müller, Die christliche Lehre von
der S. (6. Aufl., Bresl. 1878, 2 Bde.). Sündenbock, s. Asasel und Transplantation. Sündenfall, die erste Sünde, die nach dem mosaischen
Bericht Adam (s. d.) und Eva begingen. Über ihre Folgen s.
Erbsünde. Sündenvergebung (Remissio s. Condonatio peccatorum),
die von Gott ausgehende Wiederherstellung des durch die Sünde
gestörten Verhältnisses des Menschen zu ihm. Vgl.
Sünde und Beichte. Sunderbands (Sunderbans), Name für das sumpfige, von
unzähligen Kanälen durchzogene Inselgewirr des untersten
Gangesdelta, zwischen Hugli, Meghna und Bengalischem Meerbusen, an
dem es sich 264 km lang hinzieht, 15,477 qkm (281 QM.) groß.
Bewohnt sind nur die höhern westlichen und östlichen
Teile, wo die Einwohner in kleinen Weilern leben und namentlich
Reis, aber auch Zuckerrohr und Jute bauen. Das durchaus ebene Land
ist namentlich nach der Meeresseite zu von undurchdringlichem
Dschangelwald bedeckt, ein vorzüglicher Schutz gegen die
häufigen Sturmfluten, die dennoch zuweilen große
Verheerungen anrichten. Der Wald, meist Staatseigentum, liefert
große Mengen von Nutz- und Brennholz (jährlich für
590,000 Pfd. Sterl.). Sünderhanf, die männliche Hanfpflanze. Sunderland (spr. ssonderländ), Seestadt in der engl.
Grafschaft Durham, an der Mündung des Wear in die Nordsee, hat
mit den Vorstädten Bishop's Wearmouth, Monk Wearmouth und
Southwick (1881) 116,542 Einw. Eine eiserne Brücke von 30 m
Höhe verbindet die beiden von großartigen Docks
eingefaßten Flußufer. Der Eingang zum Hafen wird durch
zwei Dämme (594 und 539 m lang) gebildet und durch Batterien
geschützt. Die neuern Stadtteile sind meist geschmackvoll
gebaut; die Altstadt aber, besonders nach dem Hafen zu, ist eng und
winkelig. S. hat eine Börse, ein theologisches
Methodistenseminar, Athenäum mit Museum, Theater, einen Park
mit Statue des hier gebornen Generals Havelock, großartige
Schiffswerften (2600 Arbeiter), Maschinenbauwerkstätten,
Glashütten, Töpfereien, Eisengießereien etc. Zum
Hafen gehörten 1887: 329 Schiffe von 227,301 Ton. Gehalt und
52 Fischerboote. 1887 wurden Waren im Wert von 633,691 Pfd. Sterl.
nach dem Ausland ausgeführt und für 441,281 Psd. Sterl.
von dort eingeführt. S. ist Sitz eines deutschen Konsuls.
Dicht dabei liegt Southwick (8178 Einw.) mit Kohlengruben und
Eisenwerken. Sundewitt, Halbinsel in der preuß. Provinz
Schleswig-Holstein, durch den Alsener Sund von der Insel Alsen
geschieden, hat fruchtbaren Boden und eine hügelige
Oberfläche; sie war in den deutsch-dänischen Kriegen von
1848 bis 1849 und 1864 wiederholt Kriegsschauplatz (s.
Düppel). Vgl. Döring, Führer durch Alsen und S.
(Sonderb. 1877). Sündflut, s. Sintflut. Sundgau (Südgau), ehemals s.v.w. Oberelsaß, im
Gegensatz zum Nordgau (Unterelsaß); insbesondere die Umgegend
von Mülhausen. Sundsvall, Hafenstadt im schwed. Län Westernorrland,
nahe der Mündung des Indalself, Ausgangspunkt der Eisenbahn
S.-Drontheim, in welche bei Ange die von Stockholm kommende
Nordbahn mündet, hat Eisenindustrie, Sägemühlen,
bedeutende Ausfuhr von Holz und Eisen und (1887) 10,726 Einw. 1887
sind im Zollbezirk von S. vom Ausland angekommen 1139 Schiffe von
413,695 Ton., abgegangen 1453 Schiffe von 544,827 T. Im Juni 1888
wurde S. durch eine Feuersbrunst fast ganz eingeäschert. S.
ist Sitz eines deutschen Konsuls. Sundwig, Dorf im preuß. Regierungsbezirk Arnsberg,
Kreis Iserlohn, hat Eisengießerei, ein Messingwalzwerk,
Drahtzieherei, Fabrikation von Drahtstif- 438 Sundzoll - Superga. ten, Nägeln etc. und (1885) 877 meist evang. Einwohner.
Dabei das Felsenmeer, ein Kesselthal mit großen Felsen aus
devonischem Kalk, und die Sundwiger Höhle. Sundzoll, s. Sund. Suñer (spr. ssunjer), Luigi, ital.
Lustspieldichter, von spanischer Abkunft, geboren um 1832 zu
Havana, kam noch im kindlichen Alter nach Florenz, wo er eine
zweite Heimat fand. Sein erstes Lustspiel: "I gentiluomini
speculatori" (1859 zu Florenz aufgeführt), fußte auf der
Idee, die damals auf dem Schlachtfeld besiegelte Allianz
Frankreichs und Italiens in zwei Hauptpersonen des Stückes
symbolisch zu verkörpern. Durchgreifend wirkten aber erst die
folgenden Komödien: "I legitimisti" (1861) und "Spinte o
sponte". Einen Fortschritt bekundete er dann in den Lustspielen:
"L'ozio" (1863), "Una piaga sociale", "Caleche" (später mit
dem Titel: "Ogni lasciata è persa") und besonders "Le
amiche" (1873). Mit "Una legge di Licurgo" (1869) begann er sich
ernstern sozialen Problemen zuzuwenden. Es folgten das Proverb "Chi
ama teme", das Lustspiel "La gratitudine" und ein in Beziehung auf
Plan und Komposition vorzügliches Werk, welches einen Vers des
Dante zum Titel hat: "Amor ch'a nullo amato amar perdona". Sungari, rechter mächtiger Nebenfluß des Amur
in der chinesischen Mandschurei. Sunion (Sunium), die 60 m hohe Südspitze des alten
Attika, mit berühmtem Tempel der Athene, wovon noch 9 (Ende
des 17. Jahrh. noch 19) Säulen stehen, daher das Vorgebirge
jetzt KapKolonnäs heißt; war seit 413 v. Chr. zum Schutz
der nach Athen bestimmten Getreideschiffe mit Mauern umgeben,
welche diese Landspitze zu einer Art Festung machten. Sunn, s. v. w. Sunnhanf. Sunna (arab., "Weg, Richtung"), die Tradition, welche auf
ein Wort oder eine That des Propheten Bezug hat und in solchen
Fällen als Gesetz gilt, wo der Koran sich entweder gar nicht
oder in zweideutiger Weise ausspricht. Später mehrfach
gesichtet und in besondern Büchern niedergelegt, bildet die S.
jetzt neben dem Koran die hauptsächlichste Religionsquelle
für den rechtgläubigen Moslem. Die berühmteste unter
den sechs anerkanntesten Sammlungen ist die von El Bochari um 840
n. Chr. unter dem Titel: "Eddschâmi essahîh"
("Zuverlässige Sammlung") veranstaltete, 7275
Überlieferungen enthaltend, welche Bochari aus einer Anzahl
von 600,000 als die am meisten beglaubigten ausgewählt hatte
(hrsg. von Krehl, Leiden 1862-72, 3 Bde.). Sunnar (arab.), Ordensgürtel christlicher
Mönche, bei den Mohammedanern als Zeichen des Unglaubens
verpönt. Sunnhanf (Madras-, Bombayhanf, ostindischer Hanf), die
Faser der über ganz Indien und die Sundainseln verbreiteten
und vielfach kultivierten Crotalaria juncea, wird in sehr roher
Weise zubereitet und hat deshalb, obwohl die Faser an und für
sich sehr fein ist, einen verhältnismäßig nur
geringen Wert. Das Handelsprodukt ist blaßgelblich, mit
lebhaftem Seidenglanz, und dem Hanf sehr ähnlich. Man benutzt
den S. zu Seilerwaren, Packtuch etc., in England auch zur
Papierfabrikation. Sunniten, diejenigen Mohammedaner, welche neben dem Koran
die Sunna (s. d.) als Religionsquelle annehmen und die ersten
Kalifen, Abu Bekr, Omar und Othman, als rechtmäßige
Nachfolger Mohammeds anerkennen, während die Schiiten (s. d.)
diese Würde nur Ali und dessen Nachkommen beilegen. Das
geistliche Oberhaupt der S. unter dem Titel Kalif ist der
türkische Sultan. Zu ihnen gehören fast sämtliche
Moslems in Afrika, Ägypten, Syrien, der Türkei, in
Arabien und der Tatarei. Vgl. Mohammedanische Religion. Süntel, Teil des Wesergebirges, nördlich von
Hameln, erreicht in der Hohen Egge 441 m Höhe. Suomi, s. Finnische Sprache. Suovetaurilia (lat.), das große Sühnopfer am
Schluß des Lustrum in Rom, wobei auf dem Marsfeld ein Schwein
(sus), ein Schaf (ovis) und ein Stier (taurus) geschlachtet
wurden. Supan, Alexander, Geograph, geb. 3. März 1847 zu
Innichen in Tirol, studierte zu Graz, Wien, Halle und Leipzig,
wurde 1871 Realschullehrer in Laibach, habilitierte sich 1877 als
Privatdozent der Geographie an der Universität Czernowitz,
wurde 1880 Professor und siedelte 1884 nach Gotha über, wo er
seitdem die Redaktion von "Petermanns Mitteilungen" führt, um
welche er sich besonders durch die Begründung des
geographischen Litteraturberichts verdient machte. Er schrieb:
"Lehrbuch der Geographie für österreichische
Mittelschulen" (6. Ausl., Laib. 1888); "Studien über die
Thalbildung in den Tiroler Zentralalpen und in Graubünden" (in
den "Mitteilungen der Wiener Geographischen Gesellschaft" 1877) ;
"Statistik der untern Luftströmungen" (Leipz. 1881);
"Grundzüge der physischen Erdkunde" (das. 1884); "Archiv
für Wirtschaftsgeographie", 1. Teil: Nordamerika 1880-85 (als
Ergänzungsheft zu "Petermanns Mitteilungen" 1886). Superarbitrium (lat.), ein Schiedsspruch oder Gutachten
höherer, bez. höchster Instanz. Superb (lat.), stolz, prächtig, herrlich;
Superbiloquenz, Großsprecherei, übermütig stolze
Sprache. Supercherie (franz., spr. ssupärsch'rih),
Überlistung, hinterlistiger Streich. Superchloride, Superchlorüre, s. Chlormetalle. Supercilia (lat.), Augenbrauen. Superdividende (lat.), derüber den erwarteten oder
durch Zinsgarantie festgesetzten Betrag hinausgehende Teil der
Dividende (s. d.). Vgl. Aktie, S. 263. Supererogationes, s. Opera supererogationis. Superfizies (lat.), Oberfläche, in der Rechtssprache
dasjenige, was auf fremdem Grund und Boden erbaut oder auf solchem
gepflanzt ist. Der Regel nach erstreckt sich das Eigentum an dem
Grund und Boden auch auf die S. (superficies solo cedit). Ferner
wird mit S. (superfiziarisches Recht, Gebäuderecht, Baurecht,
Platzrecht) das erbliche und veräußerliche dingliche
Recht an einem auf fremdem Grund und Boden stehenden Gebäude
verstanden, vermöge dessen dem Berechtigten (Superfiziar)
während der Dauer des Rechts die Ausübung der Befugniffe
des Eigentümers zusteht. Der Entwurf eines deutschen
bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 961 ff.) gebraucht statt
dessen die Ausdrücke Erbbaurecht und Erbbauberechtigter und
versteht unter Erbbaurecht das veräußerliche und
vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche eines
Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Hiernach gehört auch
das vererbliche und veräußerliche Kellerrecht mit zu dem
superfiziarischen Recht. Superflua non nocent (lat., "das Überflüssige
schadet nicht"), besser zu viel als zu wenig. Superfoecundatio (Superfoetatio) . s.
Überfruchtung. Superga, La, die 10 km von Turin gelegene Grabeskirche
der Könige des Hauses Savoyen, welche König Amadeo I.
1717-37 durch Juvara in Form eines elliptischen Rundbaues mit
achtsäuliger Vor- 439 Superintendent - Suppé. halle und hoher Kuppel auf einem 678 m hohen Berg erbauen
ließ. Superintendent (lat.), Oberaufseher, Inspektor; besonders
in evangelischen Landeskirchen der erste Geistliche einer Ephorie,
welcher Wirksamkeit und Wandel der Geistlichen sowie die Verwaltung
der Kirchenärare etc. zu überwachen hat. Über
sämtlichen Superintendenten einer Provinz oder einer
Landeskirche steht der Generalsuperintendent. In
Süddeutschland wird der S. Dekan genannt. Superior (lat.), der Obere, Vorsteher. Superior City (spr. ssjupíhriör ssitti), Dorf
im nordamerikan. Staat Wisconsin, im Hintergrund des Obern Sees, 11
km von Duluth und eine der Kopfstationen der Nord-Pacificbahn,
schon 1854 gegründet, aber trotz seines guten Hafens mit nur
(1880) 655 Einwohnern. Superiorsee (Lake Superior), s. Oberer See. Superkargo, s. Kargo. Superlativ (lat.), s. Komparation. Supernaturalismus (Supranaturalismus, lat.), in der
Theologie im allgemeinen der Glaube an eine unmittelbare, der
natürlichen Vernunft, welche von der Sünde verfinstert
ist, durchaus unerreichbare Offenbarung Gottes. In dieser Form ist
er hauptsächlich durch Augustin begründet worden und
bildet den allgemeinen Schematismus für die gesamte
christliche, insonderheit für die altprotestantische Dogmatik,
der zufolge durch die Erbsünde alle moralische Kraft im
Menschen vernichtet, die Vernunft unfähig ist, in Sachen des
Heils (in rebus spiritualibus) zu entscheiden, und nur zur
Erfüllung der bürgerlichen Gerechtigkeit (justitia
civilis) hinreicht. Insbesondere wird mit dem Namen S. in der
Theologie diejenige Richtung bezeichnet, welche sich zu Ende des
vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts gegenüber dem
Rationalismus (s. d.) konstituierte, mit welchem sie übrigens
die fehlerhafte Auffassung der Religion als einer gleichartigen
Fortsetzung des Welterkennens über die Schranken des
Sichtbaren hinaus teilte. Supernumerarius (lat.), ein Überzähliger,
über die gewöhnliche (Beamten-) Zahl Angestellter. Superoxyd, s. Oxyde. Superphosphat, saurer phosphorsaurer Kalk, ein
Düngerpräparat, welches aus verschiedenen Rohmaterialien
mit hohem Gehalt an unlöslichem basisch phosphorsauren Kalk
dargestellt wird, indem man das letztere Salz durch Behandeln mit
Schwefelsäure in löslichen sauren phosphorsauren Kalk
überführt, wobei sich außerdem schwefelfaurer Kalk
(Gips) bildet. Bleibt hierbei wegen unzureichender
Schwefelsäure ein Teil des basischen Phosphats unzersetzt, so
bildet dies mit dem sauren Phosphat unlösliches neutrales
Phosphat; ähnlich wird auch bei Gegenwart von Thonerde und
Eisenoxyd ein Teil der Phosphorsäure wieder unlöslich
(Zurückgehen des Superphosphats), und da nun das Präparat
hauptsächlich durch seinen Gehalt an löslicher
Phosphorsäure Wert erhält, so sind von dessen Bereitung
eisenoxyd- und thonerdereiche Materialien auszuschließen, und
man muß hinreichend Schwefelsäure anwenden, um das
basische Phosphat vollständig in saures
überzuführen. Man verarbeitet auf S. namentlich
Knochenmehl, Knochenkohle, Knochenasche, Koprolithen, Phosphorit,
Baker- und Sombreroguano etc. und benutzt zum Aufschließen
derselben Kammersäure, Pfannensäure oder auch die
Schwefelsäure, welche bei der Bereitung des Nitrobenzols
zurückbleibt, oder solche, die zum Reinigen des Solaröls
gedient hat. 1 Teil Phosphorsäure erfordert zum
Aufschließen 1,72 Teile Schwefelsäure von 60° B.,
und reiner basisch phosphorsaurer Kalk gibt, mit solcher Säure
zersetzt, ein S. mit 25,6 Proz. löslicher Phosphorsäure.
Zur Vermischung der nötigen Falls staubfein zerkleinerten
Materialien mit der Säure benutzt man mit Blei ausgeschlagene
hölzerne Kasten oder gemauerte Behälter, oft unter
Anwendung eines mechanischen Rührwerkes, läßt dann
das Präparat liegen, bis es durch Bindung des Wassers
abgetrocknet ist, worauf es zerkleinert und gesiebt wird.
Namentlich bei Verarbeitung von Phosphoriten müssen die
Behälter mit einem hölzernen Mantel bedeckt werden, um
Dämpfe von Chlor- und Fluorwasserstoffsäure in die Esse
leiten zu können. Mineralische Phosphate werden viel leichter
aufgeschlossen, wenn man 7-10 Proz. der Schwefelsäure durch
Salzsäure ersetzt oder Kochsalz hinzufügt. Häusig
mischt man auch das S. mit stickstoffhaltigen Substanzen, wie
schwefelsaurem Ammoniak oder Chilisalpeter, ferner Horn, Leder,
Lumpen, welche gedämpft und dann gemahlen werden, auch mit
Leimbrühe vom Dämpfen der Knochen etc. Vgl. Marek,
Über den relativen Düngewert der Phosphate (Dresd.
1889). Superporte (neulat., ital. soprapporto), ein über
einer Zimmerthür angebrachtes, mit dieser gleich breites, aber
niedriges Bild in Malerei, Stuck, Weberei etc.; besonders bei den
Dekorateuren des Barock- und Rokokostils beliebt. Superrevision (lat.), nochmalige Prüfung. Supersedeas (lat., "laß ab"), in England Befehl,
das Verfahren einzustellen. Superstition (lat.), Aberglaube; superstitiös,
abergläubisch. Supertara, s. Tara. Suphan, Bernhard Ludwig , Literarhistoriker, geb. 18.
Jan. 1845 zu Nordhausen, studierte in Halle und Berlin
Altertumswissenschaft und veröffentlichte die
preisgekrönte Schrift "De Capitolio romano commentarius"
(1867), wandte sich dann aber dem Studium der deutschen Litteratur,
besonders des 18. Jahrh., zu und war in dieser Richtung ein
eifriger Mitarbeiter der "Preußischen Jahrbücher" und
des "Goethe-Jahrbuchs". Seit 1868 lebte er, im höhern Lehrfach
beschäftigt, in Berlin, bis er 1887 einem Ruf als Direktor des
Goethe-Archivs nach Weimar folgte. Große Verdienste hat sich
S. um die Wiedererweckung Herders erworben, von dessen
"Sämtlichen Werken" er eine kritische und mustergültige
Ausgabe in 33 Bänden (Berl. 1877 ff.) veranstaltete. Supination (lat.), s. Pronation. Supinum (lat.), in der lat. Sprache eine besondere Form
des Zeitwortes, eigentlich ein Verbalsubstantiv der vierten
Deklination, wovon jedoch nur zwei Kasus gebräuchlich sind.
Das S. auf um drückt den Zweck aus ("um zu"), das S. auf u den
Inhalt oder Betreff eines Adjektivums u. dgl. (schwer "zu" sagen).
Vgl. Jolly, Geschichte des Infinitivs im Indogermanischen
(Münch. 1874). Suppé, Franz von, Komponist, geb. 18. April 1820
zu Spalato (Dalmatien), studierte auf der Wiener Universität,
um sich dem Staatsdienst zu widmen, folgte aber seiner
überwiegenden Neigung zur Musik und bildete sich unter Leitung
Seyfrieds in der Komposition aus. Später bekleidete er
nacheinander die Kapellmeisterstellen am Josephstädter
Theater, am Theater an der Wien und zuletzt am Carl-Theater u.
komponierte gleichzeitig Quartette, Ouvertüren, Symphonien,
Lieder und Operetten, von denen namentlich letztere wegen ihres
populären, gefälligen Wesens allgemeine Verbreitung
gefunden haben. Man könnte S. den "deutschen Offenbach"
nennen. 440 Suppeditieren - Surate. jedoch ist er in seiner Musik gemütvoller als letzterer.
Die bekanntesten Operetten von S. sind: "Flotte Bursche", "Die
schöne Galathea", "Zehn Mädchen und kein Mann", "Franz
Schubert", "Fatinitza", "Boccaccio" und "Donna Juanita". Suppeditieren (lat.), Unterstützung
gewähren. Suppenkräuter, Kräuter, welche zum Würzen
der Suppen verwendet werden: Petersilie, Kerbel, Portulak,
Schnittlauch, junge Sellerieblätter, Sauerampfer, Spinat. Suppentafeln, s. v. w. Bouillontafeln; auch Konserven,
welche neben löslichen Fleischbestandteilen
Hülsenfrüchte etc. enthalten. Suppléant (franz., spr. ssüppleang),
Aushelfer, stellvertretender Ersatzmann, Substitut. Supplement (lat.), Nachtrag, Ergänzung, besonders
Nachtrag zu einem Buch. In der Mathematik heißt S. eines
Winkels seine Ergänzung zu 180°, S. eines Bogens seine
Ergänzung zu einem Halbkreis. Zwei sphärische Dreiecke
heißen Supplementar- oder Polardreiecke, wenn die Seiten
eines jeden die Supplemente der Winkel des andern sind.
Supplementar, auch suppletorisch, s. v. w. ergänzend. Supplicium (lat.), Todesstrafe. Supplieren (lat.), ergänzen, ausfüllen; daher
Supplent, in Österreich s. v. w. Hilfslehrer. Supplik (lat.), Bittschrift; Supplikant, derjenige, von
welchem eine solche ausgeht. Supplikationen (lat.), bei den Römern
öffentliche Buß-, Dank- oder Betfeste, wobei in
feierlicher Prozession die Tempel der Götter besucht und an
diese Gebete gerichtet zu werden pflegten. Die Anordnung derselben
besorgten die Pontifices. Süpplingenburg (Suplinburg), Pfarrdorf im
braunschweig. Kreis Helmstädt, an der Schunter, hat (1885) 574
Einw. Das alte Schloß S. ist das Stammhaus der Grafen von S.,
die schon zur Zeit Karls d. Gr. als eins der angesehensten
sächsischen Dynastengeschlechter erwähnt werden, und
denen Kaiser Lothar (1125-1137) angehörte. Supplizieren (lat.), um etwas nachsuchen, bitten. Supponieren (lat.), unterschieben, unterstellen. Support (franz., spr. ssüppor. "Stütze,
Träger"), bei Drehbänken oder Hobelmaschinen die
Vorrichtung, durch welche das Werkzeug eine feste Stellung und
sichere Führung erhält. Supposition (lat.), Annahme, Voraussetzung;
Unterschiebung, z. B. eines Testaments, eines Kindes etc. Suppofitum (lat.), Unterlage, das Vorausgesetzte. Supprimieren (lat.), unterdrücken; Suppression,
Unterdrückung; Verheimlichung. Suppuratio (lat.), Eiterung. Supputation (lat.), Überrechnung,
Überschlag. Supralapsarii (lat.) , s. Infralapsarii. Supranaturalismus, s. Supernaturalismus. Suprasl, Flecken im russ. Gouvernement Grodno, am Flusse
S. (zum Bug), mit 2000 Einw. In der Nähe lag einst das
griechisch-kathol. Mönchskloster S., mit bedeutender
Bibliothek, wovon jetzt noch die Klosterkirche vorhanden ist. Supremat (lat., "Obergewalt"), die päpstliche
Machtvollkommenheit, namentlich gegenüber den Bischöfen
(s. Primat). Supremateid (oath of supremacy) hieß in England
der ehedem von allen Parlamentsmitgliedern abzuleistende Eid, worin
der Krone die oberste Kirchengewalt zugesprochen, der katholische
Glaube und der Primat des Papstes negiert und die alleinige
Berechtigung der protestantischen Thronfolge ausgesprochen ward;
eingeführt von Heinrich VIII., 1791 wieder aufgehoben. Süptitz, Dorf, 5 km westlich von Torgau, mit 769
Einw., war der Mittelpunkt der Schlacht bei Torgau (s. d.) 3. Nov.
1760. Sur, Hafenstadt im asiatisch-türk. Wilajet Scharm,
am Mittelländischen Meer, nördlich von Akka, mit
Überresten des alten Tyros (darunter eine alte
Kreuzfahrerkirche, angeblich Barbarossas Grabstätte) und 5000
Einw. Sura (Ssura), rechtsseitiger Nebenfluß der Wolga,
entsteht im Gouvernement Simbirsk, strömt nördlich durch
die Gouvernements Saratow, Pensa, Simbirsk und Kasan, hat teils
steile, teils flache Ufer und mündet bei Wassil im
Gouvernement Nishnij Nowgorod. Er ist 1038 km lang, von Pensa an
schiffbar und wird viel mit Flößen befahren. Surabaja (Soerabaya), niederländ. Residentschaft an
der Nordküste der Insel Java, Madura gegenüber, 6029 qkm
(109,5 QM.) groß mit (1885) 1,856,635 Einw., darunter 7607
Europäer, 15,077 Chinesen und 2304 Araber, besteht
größtenteils aus fruchtbarem, von den Flüssen
Brantes und Solo bewässertem und gut kultiviertem Boden, der
Reis, Zucker, Kaffee und Baumwolle produziert. An der
Südostgrenze erhebt sich der Pananggungan zu 1685 m. Die
gleichnamige Hauptstadt an der Meerenge von Madura, durch Industrie
und Handel gleich bedeutend, hat einen schönen, durch zwei
Forts verteidigten Hafen, ein Seearsenal, Maschinenfabriken,
Werften, Metallgießereien, eine Kanonenbohrerei, 36
Zuckerfabriken, mehrere Möbelfabriken, eine Münze, ist
Sitz des obersten Gerichtshofs für die östlichen
Residenzien und der Kommandos für die östliche
Militärdivision sowie eines deutschen Konsuls und hat 127,403
Einw., worunter 6317 Europäer, 7436 Chinesen und 1443 Araber.
Eine Eisenbahn führt von S. nach Pasuruan und Malang, eine
andre über Surakarta und Samarang nach Dschokdschokarta.
Bedeutende Ausfuhr von Zucker, Kaffee, Häuten, Tabak,
Kapokwolle. Surakarta (Solo), niederländ. Residentschaft auf der
Insel Java, 5677 qkm (113,1 QM.) groß mit (1885) 1,053,985
Einw., darunter 2694 Europäer und 7543 Chinesen. Das Land ist
zum Teil sehr gebirgig (höchste Spitzen auf der Ostgrenze der
3.269 m hohe Lawu, im W. der 3115 m hohe Merbabu und der 2806 m
hohe Merapi), zum Teil sehr fruchtbar und reich bewässert;
Hauptfluß ist der Solo. Die Residentschaft ist im Besitz des
Susuhanan, d. h. Kaisers, von S. und des Fürsten Paku Allam.
Diese haben gegen bedeutende Jahresgehalte ihre Rechte an die
niederländische Regierung abgetreten, welche einen Residenten
in der Hauptstadt S. (1880: 124,041 Einw.) unterhält, wo auch
die beiden genannten Fürsten wohnen. Die Stadt hat mit
Samarang, Dschokdschokarta und Surabaja Eisenbahnverbindung. Surash (Ssurash), 1) Kreisstadt im russ. Gouvernement
Tschernigow, am Iput, mit (1886) 4825 Einw. Im Kreis lebhafte
Tuchfabrikation und Strumpfwirkerei. - 2) Stadt im russ. Gouvernement Witebsk, an der Düna, mit
(1885) 5085 Einw., wurde 1564 auf Befehl des polnischen Königs
Siegmund August aus strategischen Rücksichten erbaut und
diente namentlich als Festung an der Düna zum Schutz
Weißrußlands gegen das Moskowiterreich. Surate, Distriktshauptstadt in der britisch-ind.
Präsidentschaft Bombay, 22 km von der Mündung des Tapti,
hat (1881) 109,844 Einw., lebhaften Handel sowie eine evangelische
Mission und war der erste Ort an der Westküste, wo 1612 die
Englisch-Ostindische Kompanie eine Faktorei und Citadelle
anlegte. 441 Surbiton - Surrogat. Surbiton (spr. ssörbit'n), Stadt in der engl.
Grafschaft Surrey, an der Themse, dicht bei Kingston, hat
zahlreiche Landsitze und (1881) 9406 Einw. Surburg, Flecken im deutschen Bezirk Unterelsaß,
Kreis Weißenburg, im N. des Hagenauer Waldes und an der
Eisenbahn Straßburg-Weißenburg, hat eine kath. Kirche,
Wollspinnerei, 2 Mühlen und (1885) 1298 Einw. Nahebei ein
Oratorium an der Stelle, wo der heil. Arbogast im 7. Jahrh. als
Einsiedler wohnte, bevor er Bischof von Straßburg wurde. Surcot (franz., spr. ssürkoh, auch Surcotte), s. v.
w. Cotte-hardie. Surdität (lat.), s. v. w. Taubheit. Sure (arab.), Bezeichnung der einzelnen Kapitel des
Korans, welche angeblich durch den Engel Gabriel an Mohammed
gesondert abgeliefert worden sind. Jede S. zerfällt in mehrere
Ajes (Koransätze). Sure (spr. ssühr), Fluß, s. Sauer. Surenen, Hochgebirgspaß im östlichen
Flügel der Berner Alpen (2305 m), zwischen Uri-Rothstock und
Titlis, beginnt im Unterwaldner Thal Engelberg (1010 m) und senkt
sich mit steilem Abstieg zum Urner Reußthal (Attinghausen,
451 m ü. M.). Surenrinde, s. Cedrela. Suresnes (spr. ssürähn), Flecken im franz.
Departement Seine, Arrondissement St.-Denis, an der Seine,
über welche vom Boulogner Wäldchen eine Brücke
herüberführt, am Fuß des Mont Valérien und
an der Bahnlinie Paris-St.-Cloud-Versailles , mit Villen,
Bleicherei, Färberei und Druckerei und (1886) 7683 Einw. Surettahorn, Berggipfel, s. Err, Piz d'. Surgères (spr. ssürschähr), Stadt im
franz. Departement Niedercharente, Arrondissement Rochefort, an der
Eisenbahn Niort-La Rochelle, hat ein altes Schloß, eine
interessante Kirche, Geldschrankfabrikation, Branntweinbrennerei
und (1881) 3203 Einw. Surinam, Küstenfluß im holländ. Guayana,
mündet unterhalb Paramaribo und ist in der Küstenebene
für große Boote schiffbar. Surinam, Land, s. v. w. Niederländisch-Guayana, s.
Guayana, S. 895. Surja, in der wed. Mythologie die Personifikation der
Sonne, der Sonnengott. Er fährt auf einem goldenen Wagen mit
drei Sitzen und drei Rädern, den die kunstfertigen Ribhu, die
sich mit den Zwergen der nordischen und deutschen Sage vergleichen
lassen, geschaffen haben. Er schaut auf Recht und Unrecht bei den
Menschen, behütet den Gang der Frommen und beachtet das
Treiben eines jeden. In den wedischen Liedern wird seine
Thätigkeit unter verschiedenen Namen gepriesen, die vielleicht
ursprünglich die Sonnengötter verschiedener Stämme
bezeichneten. Surlet de Chokier (spr. ssürlä d' schockjeh),
Erasmus Louis, Baron, belg. Staatsmann, geb. 27. Nov. 1769 zu
Lüttich, war unter der französischen Regierung Maire in
Ginglom bei St.-Trond, 1800-1812 Mitglied des Großen Rats,
dann des Gesetzgebenden Körpers und nach der Bildung des neuen
Königreichs der Niederlande durch königliche Wahl
Mitglied der Zweiten Kammer. 1818 durch die Regierung entlassen,
ward er in der Provinz Limburg wieder gewählt und gehörte
von 1828 bis 1830 zu den hervorragendsten Mitgliedern der
Opposition. Nach dem Ausbruch der belgischen Revolution begab er
sich mit den übrigen Abgeordneten der südlichen Provinzen
nach dem Haag, bestand jedoch auf Trennung beider Länder
hinsichtlich der Verwaltung, ward zum Abgeordneten des
Nationalkongresses erwählt, im November 1830 Präsident
desselben und, als der Herzog von Nemours die Krone ausschlug, 26.
Febr. 1831 provisorischer Regent von Belgien. Nachdem der Prinz
Leopold 21. Juli 1831 seinen Einzug in Brüssel gehalten, legte
S. seine Gewalt in die Hände des Präsidenten des
Kongresses nieder. Er lebte seitdem zurückgezogen in Ginglom
und starb 7. Aug. 1839. Vgl. Juste, Surlet de Chokier (Brüssel
1865). Surmulet, s. Seebarbe. Surnia, s. Eulen, S. 905. Surone, Gewicht in Santo Domingo, à 100 Libra = 46
kg; in Mittelamerika à 150 Libra = 69 kg; s. auch
Seronen. Surplus (franz., spr. ssürplüh),
Überschuß, Rest; im Handel auch s. v. w. Deckung (s.
d.). Surrah, Stadt, s. Mogador. Surre (arab.), die auf Kosten der türkischen
Regierung ausgerüstete, unter Leitung des S.-Emini stehende
Karawane, welche die vom Sultan und den Landesgroßen für
die Kaaba und die heilige Stadt Mekka bestimmten Geschenke
alljährlich befördert. Surrey (spr. ssörri), engl. Grafschaft zwischen den
Grafschaften Middlesex, Kent, Sussex, Southampton und Berks, hat
1963 qkm (35,6 QM.) Areal mit (1881) 1,436,899 Einw., wovon 980,522
auf London kommen. Die Grafschaft ist zum größten Teil
fruchtbares Hügelland; die Mitte wird von Kreidehügeln
(Downs) durchzogen, der hügelige Süden kulminiert im
Leith Hill (303 m). Nördlich bildet die Themse die Grenze und
nimmt hier den Wey und Mole auf. Ackerbau und Viehzucht bilden die
Haupterwerbszweige der außerhalb Londons lebenden Einwohner.
Außer Getreide werden namentlich Hopfen und Gemüse
gezogen. 32,2 Proz. der Oberfläche sind unter dem Pflug, 29,2
Proz. bestehen aus Wiesen. 1888 zählte man 13,057 Ackerpferde,
45,864 Rinder, 81,982 Schafe und 25,238 Schweine. Hauptstadt ist
Guildford. Surrey (spr. ssörri), Henry Howard, Earl of, engl.
Dichter, geb. 1517 zu Kenning Hall in Suffolk, ältester Sohn
des Herzogs von Norfolk, trat 1540 in den Kriegsdienst und
befehligte bereits 1544 das englische Heer als Feldmarschall auf
dem Zug nach Boulogne, ward aber dann von dem argwöhnischen
König Heinrich VIII. ohne allen Grund des Hochverrats
angeklagt und trotz seiner männlichen und begeisterten
Selbstverteidigung 21. Jan. 1547 im Tower zu London enthauptet. S.
war seit Chaucer der erste bedeutendere Dichter der Engländer.
Seine Gedichte sind selbständige Nachahmungen Petrarcas,
weniger durch hohen Flug der Phantasie als durch Anmut und Zartheit
sowie durch Reinheit und Eleganz der Sprache ausgezeichnet; unter
ihnen stehen die Liebesgedichte an Geraldine (nach H. Walpole
wahrscheinlich die noch sehr jugendliche Lady Elizabeth Fitzgerald)
obenan. S. führte das Sonett und die ungereimten
fünffüßigen Jamben in die englische Sprache ein.
Auch vermied er die vielen Latinismen seiner Vorgänger aus der
Schule Chaucers und Dunbars. Seine "Songs and sonnets" erschienen,
mit denen seines Freundes Thomas Wyatt u. a., zuerst 1557 u.
öfter; eine neue Ausgabe besorgte Bell (1871). Surrogat (lat.), Ersatzmittel, besonders für einen
Rohstoff oder ein Fabrikat, welches meist der Wohlfeilheit halber
Anwendung findet und möglichst annähernd die
Eigenschaften der Substanz besitzen soll, welche es zu ersetzen
bestimmt ist. Häufig ist die Anwendung von Surrogaten durch
die Verhältnisse geboten, weil der ursprünglich
angewandte Rohstoff zu teuer geworden oder überhaupt nicht in
genügender Quantität zu beschaffen ist (Anwendung von
Esparto, Holzstoff etc. statt Hadern in der Papierfabrikation), 442 Sursee - Susdal. in der Regel aber bedeutet die Anwendung von Surrogaten eine
Verminderung der Qualität des Fabrikats (wie in dem
angeführten Beispiel Surrogierung der Hadern durch Thon,
Schwerspat etc., der Wolle durch Kunstwolle, des Malzes durch
Stärkezucker, Glycerin) und oft geradezu eine Fälschung.
Insofern aber Surrogate immer Ersatzmittel sind, dürfen sie
doch nicht mit den Fälschungsmitteln verwechselt werden.
Gefärbte Steinchen in Kleesaat sind kein S. der Kleesaat, denn
sie sind völlig wertlos, während z. B. Kaffeesurrogate,
wie Zichorie, Runkelrübe, Getreide, Hülsenfrüchte,
zwar nicht den Kaffee ersetzen können, wohl aber wie dieser
ein Getränk liefern, welches in mancher Hinsicht dem Kaffee
ähnlich ist. Aber auch diese Surrogate werden
Fälschungsmittel, wenn der Händler sie gemahlenem Kaffee
beimischt und die Mischung als Kaffee verkauft. Surfee, Bezirkshauptstadt im schweizer. Kanton Luzern, am
Sempacher See, unweit der Bahnlinie Olten-Luzern, mit (1888) 2135
Einw. Sursum (lat.), aufwärts, empor; S. corda! Empor die
Herzen! im katholischen Kult Aufforderung an das Volk, welches
darauf antwortet: Habemus ad dominum, d. h. wir haben sie zu dem
Herrn (gerichtet). Surtaxe (frz., spr. ssürtax), Nachsteuer,
Steuerzuschlag, insbesondere Zollzuschlag (im Gegensatz zu Detaxe,
Zollherabsetzung). Über S. d'entrepôt und S. de pavillon
s. Zuschlagszölle. Surtout (franz., spr. ssürtuh), Überrock,
Überzieher, kam gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts in
Gebrauch und wurde später, ähnlich dem englischen
Reitrock, mit mehreren übereinander hängenden
Schulterkragen versehen; dann ein größerer, mit
Blumenvasen und Fruchtschalen geschmückter Tafelaufsatz aus
Silber oder Kristall. Surtur, in der nord. Mythologie ein Riese, welcher, mit
glühendem Schwert bewaffnet, in Muspelheim als
unversöhnlicher Feind der Asen herrscht und beim Weltuntergang
eine große Rolle spielt; s. Götterdämmerung. Surukuku, Schlange, s. Lachesis. Surville (spr. ssürwill), Clotilde de, geb. 1405 zu
Vallon in Languedoc, wurde lange für die Verfasserin einer
1803 von Vanderburg herausgegebenen Sammlung sehr graziöser
Gedichte, meist lyrischen Inhalts, gehalten; aber Anachronismen in
Form und Inhalt machen es wahrscheinlich, daß dieselben von
Jos. Etienne de S. herrühren, der 1798 wegen royalistischer
Umtriebe erschossen wurde, und welcher sich durch diese
Mystifikation für die Verschmähung seiner Poesien am
Publikum rächen wollte. Auch Nodier mißbrauchte den
Namen der S. ("Poésies inédites de C. de S.", 1826).
Vgl. Vaschalde, C. de S. et ses poésies (Valence 1873);
König, Étude sur l'au- thenticité des
poésies de Clotilde de S. (Halle 1875). Survilliers (spr. ssürwiljeh), Graf von, der von
Joseph Bonaparte (s. d. 1, S. 183) 1815 angenommene Name. Sus (lat.), Schwein. Süs, Gustav, Maler, geb. 10. Juni 1823 zu Rumbeck in
Kurhessen, widmete sich auf der Kasseler Akademie, später im
Städelschen Institut in Frankfurt a. M. bei Professor
Passavant und Jakob Becker der Malerei. Um seine Existenz zu
fristen, schrieb er Kindermärchen, die er selbst illustrierte.
Sie fanden großen Beifall und wurden zum Teil ins Englische
und Französische übersetzt. Hervorzuheben sind: "Der
Kinderhimmel" , "Hähnchen und Hühnchen", "Der Wundertag",
"Das Kind und seine liebsten Tiere", "Was der Nußbaum
erzählt", "Das Wettlaufen zwischen dem Hasen und Igel",
"Froschküster Quack" u. a. Von 1848 bis 1850 malte er in der
Heimat Studien und Porträte. Seitdem lebte er in
Düsseldorf, wo er noch ein Jahr die Akademie besuchte. Hier
machte er die Darstellung von Tieren, namentlich Geflügel, zu
seiner Hauptaufgabe. Manche seiner trefflichen Bilder, die meist
von einem humoristischen Grundgedanken ausgehen, sind durch
Farbendruck und Photographie weit verbreitet, wie: der erste
Gedanke und die Kükenpredigt. Er starb 23. Dez. 1881. Sufa (Schuschan, "Lilienstadt", heute Ruinen Sûs),
Hauptstadt der altpers. Provinz Susiana, seit Kyros Winterresidenz
der persischen Könige, lag mitten im Land zwischen den
Flüssen Choaspes (Kercha) und Kopratas (Dizful Rud) und hatte
eine stark befestigte Burg, welche den königlichen Palast und
eine Hauptschatzkammer der persischen Könige enthielt. In ihr
feierten Alexander und seine Feldherren ihre Vermählung mit
Perserinnen. Dareios, Xerxes und ihre Nachfolger bis auf Artaxerxes
II. haben nach den dort gefundenen Inschriften die Prachtsäle
erbauen lassen, in deren Trümmern seit 1850 von Williams,
Loftus und Churchill, neuerdings (seit 1885) von Dieulafoy gegraben
worden ist. Vgl. Oppert, Les inscriptions susiennes (Par. 1873);
Dieulafoy, L'acropole de Suse (das. 1888). Susa, Kreishauptstadt in der ital. Provinz Turin, an der
Dora Riparia, der Mont Cenisstraße und durch die Zweiglinie
Bussoleno-S. mit der Mont Cenisbahn verbunden, ist Sitz eines
Bischofs und eines Hauptzollamts, hat eine Kathedrale (aus dem 11.
Jahrh.), ein Gymnasium, eine technische und eine Notariatsschule,
starken Obst- und Weinbau, Industrie in Eisen, Leder und Seide und
(1881) 3305 Einw. S. ist das römische Segusio. Dabei die
Ruinen des Stammschlosses der Markgrafen von S., das Fort La
Brunette und ein dem Augustus 8 v. Chr. vom König Cottius
errichteter Triumphbogen. Susandschird (arab.), Nadelmalerei, die älteste, in
Persien geübte Art der Teppichfabrikation, bei welcher die
Fäden nicht mit den Händen geknüpft, sondern mit der
Nadel zu einem Gewebe verarbeitet wurden. Vgl. Karabacek, Die
persische Nadelmalerei S. (Leipz. 1881). Susanna, Hebräerin zu Babylon, die nach dem
apokryphischen Buch "Historie von S. und Daniel" von zwei
Ältesten aus Israel, die sie vergebens zu verführen
gesucht, des Ehebruchs mit einem Unbekannten angeklagt und zum Tod
verurteilt, im letzten Augenblick aber durch die Eingebung und den
Scharfsinn des jungen Daniel, den spätern Propheten, errettet
wurde. Ihre Geschichte wurde namentlich im 16. Jahrh. vielfach
dramatisch behandelt, so in dem an zahlreichen Orten gegebenen
Magdeburger "Schönen Spiel von der S." (1534), von P. Rebhuhn
(1534), v. Bartfelt (1559), Nik. Frischlin (1589), Herzog Heinrich
Julius von Braunschweig (1593), Hans Sachs (1557) u. a., in
neuester Zeit von K. L. Werther (1855). Vgl. Brüll, Das
apokryphische Susannabuch (Frankf. 1877); Pilger, Die
Dramatisierungen der S. im 16. Jahrhundert (Halle 1879). Suscipere et finire (lat.), "beginnen und zu Ende
führen", Wahlspruch des Hauses Hannover. Suscitieren (lat.), erregen, aufmuntern; Suscitation,
Erweckung, Ermunterung. Susdal (Ssusdal), Kreisstadt im russ. Gouvernement
Wladimir, hat 25 griechisch-russ. Kirchen, 4 Klöster,
bedeutende Baumwollweberei, Gemüsebau und (1885) 6668 Einw.
S., schon 1024 erwähnt, war bis 1170 Hauptstadt eines
Fürstentums (s. Wladi- 443 Susemihl - Sussex. mir, Gouvernement) und kann als die Wiege des nachmaligen Staats
Moskau betrachtet werden. Die Stadt wurde mehrmals von den Tataren
zerstört. Susemihl, Franz, namhafter Philolog, geb. 10. Dez. 1826
zu Laage in Mecklenburg-Schwerin, studierte 1845-48 zu Leipzig und
Berlin, wirkte als Lehrer in Güstrow und Schwerin,
habilitierte sich 1852 in Greifswald und wurde daselbst 1856
außerordentlicher, 1863 ordentlicher Professor der
klassischen Philologie. Seine Hauptwerke sind: "Die genetische
Entwickelung der Platonischen Philosophie" (Leipz. 1855-60, 2
Bde.); "Aristoteles über die Dichtkunst" (griech. und deutsch,
das. 1865, 2. Aufl. 1874); "Aristotelis Politicorum libri VIII cum
vetusta translatione G. de Moerbeka" (das. 1872); "Aristoteles'
Politik" (griech. und deutsch, das. 1879, 2 Bde.); ferner zu
Aristoteles Textausgaben der "Ethica Nicomachea" (das. 1880), der
"Magna Moralia" (das. 1883), der "Ethica Eudemia" (das. 1884), der
"Oeconomica" (das. 1887). Außerdem hat er mehrere Platonische
Dialoge übersetzt und zahlreiche Abhandlungen, besonders
über die alten Philosophen, geschrieben. Susiana, altpers. Landschaft, am Persischen Meerbusen
zwischen Medien, Persis und Babylonien gelegen, das jetzige
Chusistan, wurde vom Choaspes (Kercha), Euläos (Kuren) und
Kopratas (Dizful Rud) bewässert und von den Kossäern,
Elymäern, Susianern und Uxiern bewohnt. Hauptstadt war Susa.
S. Karte "Reich Alexanders d. Gr.". Suso (Seuse), Heinrich, Mystiker, geb. 1295 zu
Überlingen, nannte sich nach der Mutter (der Vater war ein
Herr v. Berg), studierte in Köln Theologie und widmete sich
seit 1308 in einem Kloster zu Konstanz einem streng asketischen
Leben mit schweren Kasteiungen, durchzog, 40 Jahre alt, Schwaben,
gewann in den Frauenklöstern vielen Anhang und lebte etwa seit
1348 in Ulm, wo er 1366 starb. Sein Hauptwerk ist das "Buch von der
ewigen Weisheit". Seine Mystik zeigt weder reformatorische
Tendenzen noch selbständige Spekulation, doch ist er wegen des
Vorwiegens des sinnig-poetischen Elements als "Minnesinger in Prosa
und auf geistlichem Gebiet" bezeichnet worden. Seine Werke (zuerst
Augsb. 1482 u. 1512) wurden von Diepenbrock (4. Aufl., Regensb.
1884) und von Denifle (deutsche Schriften, Augsb. 1878-80) neu
herausgegeben. Vgl. Preger, Die Briefe Heinrich Susos (Leipz.
1867); Denifle in der "Zeitschrift für deutsches Altertum"
(1875); Preger (das. 1876); Derselbe, Geschichte der deutschen
Mystik, Bd. 2 (Leipz. 1882). Suspekt (lat.), verdächtig. Suspendieren (lat.), zeitweilig aufheben, einstellen;
zeitweilig außer Wirksamkeit, Amtstätigkeit setzen. Suspension (lat.), Dienstenthebung (s. Disziplinargewalt,
S. 5). Suspensiv (lat.), aufschiebend; daher suspensive
Rechtsmittel, solche, welche den Eintritt der Rechtskraft eines
Urteils und die zwangsweise Vollstreckung desselben verhindern;
Suspensivbedingung, eine aufschiebende Bedingung, von welcher der
Beginn eines Rechtsverhältnisses abhängt. Suspensorium (lat., Tragbeutel), Verbandstück,
vorzüglich eine gewisse Art von Tragbinden, bestimmt, einen
hängenden Teil des Körpers in einer gewissen Höhe zu
halten und zu tragen, wird besonders angewendet bei
Entzündungen des Hodensacks und der Hoden sowie der weiblichen
Brust. Suspicion (lat.), Verdacht, Argwohn; suspiciös,
argwöhnisch, mißtrauisch. Susquehanna, der Hauptstrom des nordamerikan. Staats
Pennsylvanien, entsteht aus zwei Quellflüssen, von denen der
östliche aus dem Otsegosee im Staat New York kommt,
während der westliche auf dem Alleghanygebirge in
Pennsylvanien entspringt. Nach der Vereinigung beider (bei Sunbury)
strömt der Fluß südlich, dann südöstlich
und fällt bei Havre de Grace im Staat Maryland in die
Chesapeakebai des Atlantischen Ozeans. Seine bedeutendsten
Nebenflüsse sind: der Chenango, Tioga und Juniata. Der S. hat
mehrere Wasserfälle und Stromschnellen, richtet oft
große Überschwemmungen an, wird aber im Sommer
öfters ziemlich seicht und hat daher ungeachtet seines 650 km
langen Stromlaufs und 62,000 qkm großen Stromgebiets als
Wasserstraße nur eine geringe Bedeutung; doch begleiten
denselben fast seiner ganzen Länge nach schiffbare
Kanäle. Sueß, Eduard, Geolog, geb. 20. Aug. 1831 zu London,
studierte in Prag und Wien, wurde 1852 Assistent am
Hofmineralienkabinett zu Wien, erhielt 1857 die Professur der
Geologie daselbst, war 1863 bis 1873 Mitglied des Wiener
Gemeinderats und Referent der Wasserversorgungskommission, wurde
1869 Mitglied des niederösterreichischen Landtags, 1870-74
Mitglied des Landesausschusses und als solcher mit der
tatsächlichen Durchführung der neuen
Volksschulgesetzgebung in Niederösterreich beschäftigt.
1873 in den Reichsrat gewählt, bewährte er sich als
glänzender Redner der Linken, namentlich in dem Kampf gegen
den Ultramontanismus. Er schrieb : "Böhmische Graptolithen"
(Wien 1852); "Brachiopoden der Kössener Schichten" (das.
1854); "Brachiopoden der Hallstätter Schichten" (das. 1855);
"Der Boden der Stadt Wien" (das. 1862); "Über den
Löß" (das. 1866); "Charakter der österreichischen
Tertiärablagerungen" (das. 1866, 2 Hefte); "Äquivalente
des Rotliegenden in den Südalpen" (das. 1868); "Lagerung des
Steinsalzes von Wieliczka" (das. 1868); "Die tertiären
Landfaunen Mittelitaliens" (das. 1871); "Bau der italienischen
Halbinsel" (das. 1872); "Erdbeben des südlichen Italien" (das.
1874); "Der Vulkan Venda bei Padua" (das. 1875); "Die Entstehung
der Alpen" (das. 1875); "Die Zukunft des Goldes" (das. 1877) und
als Hauptwerk "Das Antlitz der Erde" (1883-88, Bd. 1-2), in welchem
er namentlich für die Lehre von der Gebirgsbildung neue Bahnen
eröffnete. Sussanin, Iwan, ein Bauer aus Kostroma, soll 1613 dem
Zaren Michail Romanow das Leben gerettet haben, als die Polen
demselben nachstellten, verlor aber dabei das Leben; seine
Nachkommen erhielten allerlei Vorrechte (s. Belopaschzen). Er ist
der Held von Glinkas Oper "Das Leben für den Zaren".
Kostomarow wies die Unzuverlässigkeit der historischen
Tradition in betreff Sussanins nach. Süßbohne, s. v. w. Apios tuberosa. Süßerde, s. v. w. Berylliumoxyd, s.
Beryllium. Süßer See, s. Salziger See. Sussex (spr. ssöss-) engl. Grafschaft zwischen den
Grafschaften Kent, Surrey und Hampshire, mit 3777 qkm (68,6 QM.)
Areal und (1881) 490,505 Einw. Die Kreidehügel der Southdowns
mit dem 269 m hohen Butser Hill durchziehen die Grafschaft von W.
nach O. und endigen, allmählich der Küste
nähertretend, im steilen Beachy Head. Nördlich von diesem
Weideland liegt der Bezirk der Wealds und Forest Hills, früher
mit ausgedehnten Waldungen bedeckt. Der Strich längs der
Küste ist meist eben und ungemein fruchtbar. Die wichtigsten
Flüsse sind: Arun, Adur-Ouse und Rother. Viehzucht und
Ackerbau sind Haupt- 444 Sussex - Süßwasserformationen. erwerbszweige. Von der Oberfläche bestehen 35,5 Proz. aus
Ackerland, 37,3 aus Wiesen u. 16 Proz. aus Wald; 1888 zählte
man 24,789 Ackerpferde, 105,470 Rinder, 476,986 Schafe und 42,501
Schweine. Die Industrie ist ohne Bedeutung. Die Eisengewinnung hat
seit 1809 aufgehört. Hauptstadt ist Lewes. - S. war der
Landungsplatz der meisten Völker, welche England heimsuchten.
Julius Cäsar landete bei Pevensey, der Angelsachse Ella unfern
Chichester; letzterer gründete 477 das Reich Suth - sex
("Südsachsen"), welches 688 an Wessex fiel; Wilhelm der
Eroberer erkämpfte hier den Sieg von Hastings (1066). Sussex (spr. ssöss-) Augustus Frederick, Herzog von,
sechster Sohn Georgs III. von England, geb. 27. Jan. 1773,
studierte zu Göttingen, hielt sich dann vier Jahre in Rom auf
und heiratete daselbst im April 1793 Augusta Murray, die Tochter
des katholischen Grafen von Dunmore in Schottland. Wiewohl er dabei
seinen Familienrechten entsagt hatte, erklärte doch Georg III.
auf Grund eines Hausgesetzes der englischen Dynastie diese ohne
seine Erlaubnis geschlossene Ehe für ungültig. Nachdem
sich der Prinz 1801 von seiner Gemahlin, welche ihm zwei Kinder,
die den Namen Este (s. d.) erhielten, geboren, getrennt hatte,
wurde er 1801 zum Peer von England mit dem Titel eines Herzogs von
S., Grafen von Inverneß und Baron von Arklow ernannt. Im
Parlament hielt er sich meist zur Oppositionspartei und wirkte im
liberalen Sinn für die Emanzipation der Katholiken, die
Abschaffung des Sklavenhandels, die Parlamentsreform etc. Obgleich
auf den Genuß seiner Apanage beschränkt, sammelte er
doch eine besonders an Ausgaben und Übersetzungen der Bibel
sowie an Handschriften sehr reichhaltige Bibliothek, welche Th.
Jos. Pettigrew (Lond. 1827, 2 Bde.) beschrieben hat. Auch war er
eine Zeitlang Präsident der königlichen Gesellschaft der
Wissenschaften. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin heiratete er
1831 gleichfalls ohne königliche Genehmigung Lady Cecily
Underwood, Tochter des irischen Grafen von Arran, Witwe von Sir
George Buggin, die 1840 zur Herzogin von Inverneß erhoben
wurde. Er starb 21. April 1843 im Kensingtonpalast. Süßgras, s. Glyceria. Süßgräser, s. v. w. Gramineen, s.
Gräser. Süßholz, Pflanzengattung, s. v. w.
Glycyrrhiza; indisches oder amerikanisches S., s. Abrus; wildes S.,
s. v. w. Astragalus glycyphyllus oder Polypodium vulgare. Süßholzpasta, s. Lederzucker. Süßholzsaft, s. Lakritzen. Süßklee, s. v. w. Esparsette, s.
Onobrychis. Sußmann-Hellborn, Louis, Bildhauer, geb. 20.
März 1828 zu Berlin, war daselbst fünf Jahre lang
Schüler von Wredow, studierte von 1852 bis 1856 in Rom, machte
dann längere Reisen und ließ sich 1857 in Berlin nieder,
wo er unter anderm von 1882 bis 1887 als artistischer Leiter der
königlichen Porzellanmanufaktur fungierte. Auf einen schon in
Rom entstandenen trunkenen Faun (1856, Nationalgalerie in Berlin)
folgten andre Genre- und mythologische Gestalten, z. B. eine
haarflechtende Italienerin, ein Amor in Waffen, eine verlassene
Psyche und ein Knabe als Kandelaberträger. Später wandte
er sich auch der monumentalen Porträtstatue zu und schuf das
Marmorstandbild eines jugendlichen Friedrich d. Gr. (1862) für
das Rathaus in Breslau und einen schon bejahrten Friedrich d. Gr.
(1869) sowie Friedrich Wilhelm III. für das Rathaus in Berlin,
eine 1878 enthüllte Bronzestatue Friedrichs d. Gr. für
die Stadt Brieg und die sitzenden Statuen von Hans Holbein und
Peter Vischer für das Kunstgewerbemuseum in Berlin, zu dessen
Begründern er gehört. Unter seinen Genrefiguren der
spätern Zeit sind noch ein Fischer mit der Laute, der
Volksgesang und Dornröschen (in der Berliner Nationalgalerie)
hervorzuheben. Süßmayer, Franz Xaver, Komponist, geb. 1766 zu
Steyr, erhielt seine Ausbildung als Zögling der
Benediktinerabtei zu Kremsmünster sowie später in Wien
durch Mozart und Salieri, wurde 1792 zweiter Kapellmeister am
dortigen Hoftheater und starb als solcher 7. Sept. 1803 mit
Hinterlassung zahlreicher, zu seiner Zeit geschätzter Vokal-
und Instrumentalwerke. Mit Mozart intim befreundet, erhielt er kurz
vor dessen Tod von ihm den Auftrag, einige Arien zur Oper "Titus"
zu vollenden; auch gab er nach Mozarts Tode dem berühmten
"Requiem" desselben den vollständigen Abschluß, indem er
einzelnes in der Instrumentation, was Mozart nur angedeutet hatte,
ausführte und die erste Fuge: "Kyrie", auf die Worte: "cum
sanctis tuis in aeternum" wiederholte und zum Schlußchor des
Werkes machte. Süßmilch, Name für eine Abart des
Pharospiels, welches sich vom eigentlichen Pharo dadurch
unterscheidet, daß keiner der Spieler ein eignes "Buch"
bekommt, dagegen ein Buch offen auf den Tisch gebreitet wird, von
dessen 13 Blättern jeder Spieler eins beliebig besetzt. Süß Oppenheimer, Joseph, berüchtigter
württemberg. Finanzminister, ein Jude, geb. 1692 zu
Heidelberg, widmete sich dem Handelsstand und trat durch
verschiedene Geldgeschäfte mit dem Herzog Karl Alexander von
Württemberg in Verbindung, der ihm erst die Direktion des
Münzwesens übertrug und ihn endlich bis zum Geheimen
Finanzrat und Kabinettsminister erhob. Als solcher besetzte S. alle
Stellen mit seinen Kreaturen, ließ 11 Mill. Gulden falsches
Geld prägen, errichtete ein Salz-, Wein- und Tabaksmonopol,
verkaufte um große Summen Privilegien, zog eine große
Menge Juden ins Land und drückte das Volk mit Abgaben aller
Art. Durch dies alles zog er den allgemeinen Haß auf sich,
und nach dem Tode des Herzogs (12. März 1737) wurde er
verhaftet, vor ein Gericht gestellt und als Staatsverbrecher in
seinem Staatsgewand 4. Febr. 1738 in einem besondern Käfig
aufgehängt. Hauff machte sein Leben zum Gegenstand einer
Novelle ("Jud Süß"). Vgl. Zimmer, Joseph S. (Stuttg.
1873). Süßwasser, das reine Quellwasser und die aus
diesem sich bildenden Bäche, Flüsse, Teiche, Seen etc.,
im Gegensatz zu dem salzigen Wasser der Meere, einzelner Salzseen
und der Solquellen. Charakteristisch ist nicht sowohl das
gänzliche Fehlen als der sehr geringe Gehalt (z. B. im
Rheinwasser 0,14 Teile Chlornatrium in 10,000 Teilen Wasser) an
Salzen, besonders Chlornatrium. Süßwasserformationen, in der Geologie
Ablagerungen, die aus ihren organischen Resten schließen
lassen, daß sie aus Süßwasser sich niederschlugen.
Die Reste der Bewohner von süßem Wasser müssen in
solchen Ablagerungen entschieden vorherrschen und sichere Anzeichen
an sich tragen, daß sie keinem weitern Transport unterlegen
sind, da Süßwasserformen jedenfalls häufiger in die
See als umgekehrt Seebewohner in süßes Wasser
eingeschwemmt werden. Reine S. sind für jüngere
Formationen charakteristisch und reichen vermutlich nicht über
die Wealdenzeit zurück, werden aber von einigen Geologen
selbst noch in der Steinkohlenformation angenommen, in- 445 Süßwasserkalk - Sutsos. dem die Anthrakosien als Süßwasserformen gedeutet
werden, während die Gegner echte
Süßwasserkonchylien erst aus dem braunen Jura gelten
lassen. Süßwasserkalk, s. Kalktuff. Süßwassermolasse, s.
Tertiärformation. Süßwasserpolyp, s. Hydra. Süßwasserquarz, s. Quarzit. Süßwurzel, indianische, s. Cyperus. Susten, Hochgebirgspaß im östlichen
Flügel der Berner Alpen (2262 m), zwischen Titlis und
Sustenhorn (s. Dammastock), verbindet das bernerische Gadmenthal
(Gadmen 1202 m) mit dem Urner Mayenthal (Wasen 847 m). Sustentation (lat.), Unterhalt, Versorgung; daher
Sustentationskosten, der Aufwand, welchen die Verpflegung einer auf
öffentliche Kosten zu versorgenden Person verursacht. S.
heißt auch die Apanage (s. d.) einer Prinzessin. Susu, Negerstamm in Westafrika, zwischen dem Rio
Nuñez und Scarcias, und im Innern. Die S. sind Verwandte der
Mandingo, ihre Sprache ist die allgemeine Handelssprache in den
Faktoreien der Europäer. Suszipieren (lat.), unter-, auf sich nehmen; Suszeption,
An-, Übernahme, besonders der geistlichen Weihen; suszeptibel,
empfänglich; reizbar. Sutherland (spr. ssötherländ, "Südland",
mit Bezug auf Norwegen), eine der nördlichen Grafschaften
Schottlands, vom Atlantischen Ozean und der Nordsee bespült,
5451 qkm (99 QM.) groß mit (1881) 23,370 Einw., ist mit
Ausnahme eines kleinen Gebiets an der Ostküste durchaus rauh
und gebirgig und erreicht unweit der Westküste im Ben Hope
926, im Ben More Assynt 1000 m, während das Innere ein von
tief eingeschnittenen Thälern durchzogenes Tafelland mit
vereinzelten Bergen (Ben Klibreck 964 m) bildet. Die bedeutendsten
Flüsse sind: Oykill (mit dem Shin), Brora und Ullie an der
Ostküste, Halladale, Strathie und Naver an der Nordküste;
keiner derselben ist schiffbar, alle aber sind lachsreich. Von den
zahlreichen Landseen sind Loch Shin, Loch Naver und Loch Laoghall
(Loyal) die größten. Das Klima ist rauh und nebelig, der
Boden nur auf kleinen Küstenstrecken zum Ackerbau geeignet;
nur 1,69 Proz. der Oberfläche sind unterdem Pflug, 0,58 Proz.
sind Weide, 1,17 Proz. Wald. Indes läßt der Herzog von
S. seit einer Reihe von Jahren große Strecken Moorlandes
urbar machen. Von größerer Bedeutung sind die Viehzucht
(Rinder, Schafe) und die Fischerei. Das Mineralreich bietet
Halbedelsteine und Steinkohlen (bei Brora an der Ostküste).
Die Industrie beschränkt sich auf Verfertigung von
Wollenzeugen. Hauptstadt ist Dornoch. Sutherland (spr. ssötherländ), einer der
ältesten schott. Adelstitel, zuerst verliehen 1228 an William,
Grafen von S., der Sage nach Sohn des durch Macbeth ermordeten
Allan, Than von S. Durch Vermählung kam der Titel 1515 an die
Familie Gordon, deren letzte Erbin sich mit George Granville
Leveson-Gower, Marquis von Stafford, vermählte. Dieser, einer
der größten Grundeigentümer in
Großbritannien, wurde 1833 zum Herzog von S. erhoben und
starb 19. Juli 1833. Gegenwärtiger Chef des Hauses ist sein
Enkel George Granville, dritter Herzog von S., geb. 19. Dez.
1828. Sutinsko, Bad im kroatisch-slawon. Komitat Warasdin (in
Zagorien), mit einer besonders bei Frauenleiden wirksamen
indifferenten Therme von 37,4° C. Sutorina, zur Herzegowina gehöriges Gebiet, das in
Form einer schmalen Zunge zwischen dalmatischem Territorium an die
Bocche di Cattaro reicht. Sûtra, s. Weda. Sutri, Stadt in der ital. Provinz Rom, Kreis Viterbo, das
altetruskische Sutrium, ist Bischofsitz, hat noch aus der
ältesten Zeit erhaltene Thore, ein antikes Amphitheater,
etruskische Gräber und (1881) 2318 Einw. In S. fand 1046 eine
Kirchenversammlung in Heinrichs III. Gegenwart statt. Sutschawa (rumän. Suceava), Kreis in der
nördlichen Moldau, mit der Hauptstadt Foltitscheni. Sutschou, eine große Stadt in der chines. Provinz
Kiangsu, am Kaiserkanal, auf Inseln erbaut und von Kanälen
durchschnitten, berühmt wegen der Schönheit und
Intelligenz seiner Bewohner. Es ist der Sitz des chinesischen
Buchhandels, namentlich in Bezug auf die massenhafte Verbreitung
mittelguter Ausgaben klassischer und sonst vielgelesener Schriften.
Auch standen von alters her gewisse Industrien dort in großer
Blüte, wie die Anfertigung roter Lacksachen. Die
Taipingrebellion hat jedoch den Wohlstand der Stadt bedeutend
verringert, und das neue S. läßt sich mit dem alten
nicht vergleichen. Auch eine katholische und eine evangelische
Mission befinden sich daselbst. Sutsos, Alexandros und Panagiotis, zwei hervorragende
neugriech. Dichter, Neffen von Alexandros S., Fürsten der
Walachei, geb. 1803 und 1806 zu Konstantinopel, wurden auf dem
Gymnasium in Chios gebildet, setzten ihre Studien in Frankreich und
Italien fort und lebten seit 1820 in Paris im Umgang mit Korais und
andern hervorragenden Männern. Erfüllt von lebhafter
Liebe zu ihrem Vaterland, aber unklar in ihren politischen
Anschauungen, traten beide, besonders Alexandros, als erbitterte
Gegner des Präsidenten Kapo d'Istrias und später des
Königs Otto auf. Alexandros gab die Stellung eines Professors
an der Universität Athen und eines Historiographen des
Königreichs, die ihm nacheinander übertragen worden, auf,
um sich als Misanthrop ganz von der Öffentlichkeit
zurückzuziehen und als Verbannter im eignen Vaterland 1863 im
Krankenhaus zu Smyrna zu sterben. Panagiotis folgte ihm 1868 zu
Athen im Tod nach. Des letztern ältestes und bestes Gedicht
ist "Der Wanderer" ("Hodoiporos"), ein lyrisches Drama in fünf
Akten, voll von Sentimentalität und unnatürlichen
Situationen, aber von großen Schönheiten der Sprache und
des Versbaues. Ein mythisch-historischer Roman, "Leandros" (Nauplia
1834), schildert das Unterliegen höherer, besonders
politischer, Interessen in dem Kampf mit individueller
Leidenschaft. Reich an lyrischen Schönheiten ist die
Tragödie "Messias" (Athen 1839); weniger bedeutend sind drei
andre Dramen: "Vlachavas", "Karaiskakis" und "Der Unbekannte" (das.
1842). Auf der Höhe seines Talents steht er in seinen Oden
(Hydra 1826; wiederholt als "Odes d'un jeune Grec", Par. 1828).
Außerdem erschienen: erotische Lieder und politische Gedichte
als Anhang zum "Wanderer" ; ein weiterer Band Gedichte unter dem
Titel: "Kithara" (Athen 1835, 1851); eine Fabelsammlung (das. 1865)
sowie eine (unvollständige) Gesamtausgabe der Dichtungen (das.
1851, neue Ausg. 1883). Seine puristischen Grundsätze in Bezug
auf sprachliche Darstellung hat er in der Schrift "Nea schole"
(Athen 1853) und in der Zeitschrift "Helios" entwickelt. Weniger
ideal angelegt, aber bedeutend geistvoller als Panagiotis, begann
Alexandros seine poetische Laufbahn 1824 mit satirischen Gedichten
gegen die damalige Zerfahrenheit der griechischen Zustände,
schrieb 1829 in Paris seine "Histoire de la révolution
grecque" (deutsch, Berl. 1830) und war nach seiner Rückkehr
nach Griechenland un- 446 Sutti - Suworow. erschöpflich in den bittersten Angriffen gegen Kapo
d'Istrias, die in dem "Panorama tes Hellados" (Nauplia 1833, 2
Bde.) gesammelt sind. Seine weitern politischen Gedichte (1845)
geben namentlich seinem Haß gegen die Bayern Ausdruck. Auch
seine andern Werke verleugnen den satirischen Grundzug nicht, so
besonders die Komödie "Der Verschwender" ("Asotos", 1830), mit
starkem Anschluß an Molière; der politische Roman "Der
Verbannte" ("Exoristos", Athen 1835; deutsch, Berl. 1837) und vor
allen die nach Byrons "Childe Harold" gearbeitete Dichtung "Der
Umherschweifende" ("Periplanomenos", 4 Gesänge, Athen
1839-52). Vgl. über Alexandros S. Queux de Saint-Hilaire im
"Annuaire pour l'encouragement des études grecques" (Par.
1874). Sutti (Satti), in Indien Bezeichnung einer Witwe, die
sich mit der Leiche ihres Gatten verbrennen läßt. Der
Gebrauch ist den ältesten heiligen Schriften der Inder fremd,
obwohl die Brahmanen, als die englische Regierung 1830 diesen
Gebrauch verbot, denselben durch Fälschung einer Stelle des
Rigweda zu verteidigen suchten. Die Witwenverbrennung kommt nur
noch selten in Vasallenstaaten vor. Vgl. H. Wilson in
"Miscellaneous essays etc." (Lond. 1862); I. Bushby, Über die
Witwenverbrennung (das. 1855); M. Müller, Essays (Bd. 2, S. 30
ff.). Sutton in Ashfield (spr. ssött'n in äschfild),
Stadt in Nottinghamshire (England), 4 km südwestlich von
Mansfield (s. d. 1), mit Strumpfwirkerei, Kohlengruben und (1881)
8523 Einw. Sutura (lat.), Naht, Knochennaht. Suum cuique (lat.), "jedem das Seine", Devise des
preuß. Schwarzen Adlerordens. Süvern, Johann Wilhelm, Philolog und
einflußreicher preuß. Schulmann, geb. 1775 zu Lemgo,
Schüler F. A. Wolfs und Fichtes, dann Mitglied des Gedikeschen
Seminars für Gelehrtenschulen und Lehrer am Köllnischen
Gymnasium zu Berlin, 1800-1803 Rektor des Gymnasiums zu Thorn,
1804-1807 in gleicher Eigenschaft zu Elbing, dann Professor der
Philologie in Königsberg, wo er namentlich mit Herbart in
Verkehr stand. 1809 trat S. als Referent in die Unterrichtssektion
des preußischen Ministeriums ein und gehörte seit 1817
dem neugebildeten Kultusministerium als Geheimer Staatsrat und
Mitdirektor an. Er starb 2. Okt. 1829 in Berlin. An der
einheitlichen Organisation des preußischen Schulwesens,
namentlich des höhern, nach dem Frieden von Tilsit und nach
den Freiheitskriegen hat S. wesentlichen Anteil. Er ist der
Verfasser des Reglements für die wissenschaftliche
Lehramtsprüfung von 1810, der Reifeprüfungsordnung von
1812 sowie des Normallehrplans für die preußischen
Gymnasien von 1816, den er bereits 1811 ausgearbeitet hatte. Unter
seinem Vorsitz entstand durch Kommissionsberatungen das
Unterrichtsgesetz von 1817, das jedoch wie der Normallehrplan
Entwurf blieb. Auch lieferte er Ausgaben und Übersetzungen von
Äschylos, Sophokles, Aristophanes und geschätzte
Abhandlungen über die dramatische Kunst der Griechen, z. B.
über Aristophanes. Süvernsche Masse, s. Abwässer, S. 71. Suwalki (Ssuwalki), russisch-poln. Gouvernement, grenzt
im W. an Preußen, im N. an das Gouvernement Kowno, im O. an
die Gouvernements Wilna und Grodno, im Süden an Lomsha und
umfaßt 12,551 qkm (228 QM.). Das Land ist eben und wird im O.
und N. von dem Niemen als Grenzfluß umflossen, neben welchem
die zum Flußsystem der Weichsel gehörenden Bobr, Netta,
Stawiska, Jastrzebianka zu nennen sind. Die Zahl der Seen ist 480.
Das Klima ist gemäßigt, aber infolge der nördlichen
Lage rauher als in den andern polnischen Gouvernements. Die
mittlere Temperatur ist +6,8° C. Die Bevölkerung betrug
1885: 624,579 Seelen (49 pro QKilometer) und bekennt sich
vorherrschend zur römisch-katholischen Konfession (71 Proz.).
Der Rest entfällt auf Juden, Lutheraner und Reformierte,
Griechisch-Orthodoxe, Altgläubige und Mohammedaner. Die
Altgläubigen (Starowierzen), an Zahl 5000, haben sich vor
mehreren hundert Jahren im südlichen Teil des Gouvernements
niedergelassen, bewohnen fünf Dörfer und genießen
vollständige Freiheit in Bezug auf die Ausübung ihres
Kultus. Die Zahl der Eheschließungen war 1885: 3569, der
Gebornen 20,094, der Gestorbenen 15,558. Der Ackerbau, welcher vier
Fünfteln der Bewohner den Unterhalt gewährt, steht auf
einer niedrigen Entwicklungsstufe. Obst- und Gemüsegärten
sind gänzlich vernachlässigt. Der Betrieb von
Branntweinbrennereien bildet eine bedeutende Aushilfe der
Landwirtschaft, namentlich der größern Güter.
Erheblich ist die Pferdezucht (fünf Privatgestüte). Die
Zucht der wilden Waldbienen liefert schönen, weißen
Honig. Die Forsten bedecken den vierten Teil des Areals und
gehören zum größern Teil der Regierung, welche sie
rationell verwalten läßt, während die
Privatwälder völlig verwahrlost sind. Die Industrie ist
unbedeutend, der Wert ihrer Produktion beziffert sich auf 1 1/3
Mill. Rubel. Ebenso unbedeutend ist der Handel, der in den
Händen der jüdischen Bevölkerung ist.
Haupthandelspunkte sind: Suwalki, Augustowo, Aleksota. Für die
Volksbildung sind (1885) 203 Lehranstalten thätig (darunter 3
Mittelschulen und 2 Fachschulen [ein geistliches und ein
Lehrerseminar]) mit 13,316 Schülern. Die Zahl der Kreise ist
sieben: Augustowo, Kalwary, Mariampol, Seyny, Suwalki, Wladislawow,
Wolkowyschky. S. Karte "Polen und Westrußland". - Die
gleichnamige Hauptstadt, unweit des Wigrischen Sees, zur Zeit der
ersten Teilung Polens angelegt, ist schön und
regelmäßig erbaut, hat ein Knaben- und ein
Mädchengymnasium, lebhaften Grenzverkehr mit Preußen und
(1886) 19,367 Einw. Suwanee (spr. ssuwáni), Fluß in Nordamerika,
entspringt im Staat Georgia in dem Okeesinokeesumpf und mündet
nach einem Laufe von 320 km im Staat Florida in den Golf von
Mexiko. An seinen Ufern mehrere geschätzte
Schwefelquellen. Suworow, Alexander Wasiljewitsch, Graf von S.-Rimnikskij,
Fürst Italijskij, berühmter russ. Feldherr, geb. 24. Nov.
1729 zu Moskau, begann im Siebenjährigen Krieg seine
kriegerische Laufbahn, ward 1762 zum Obersten des Astrachanschen
Grenadierregiments ernannt, befehligte beim Ausbruch der polnischen
Insurrektion 1768 den Sturm auf Krakau, drang siegreich bis Lublin
vor und kehrte nach der ersten Teilung Polens als Generalmajor nach
Petersburg zurück. Im Türkenkrieg siegte S. 1774 bei
Turtukai und bei Hirsowa und focht mit Auszeichnung unter Komenskij
bei Kosludschi. Hierauf war er im Kampf gegen Pugatschew
thätig. Sodann kämpfte er in der Krim. Mit der
Beförderung zum Generalleutnant erhielt er 1780 zugleich den
Befehl, gegen die aufständischen Völker am Kaukasus zu
marschieren, und unterwarf dort die Lesghier nach blutigen
Kämpfen, wofür er zum General der Infanterie und
Gouverneur jener Provinzen ernannt wurde. Am 1. Okt. 1787 siegte er
bei Kinburn und 1788 mit den Österreichern unter dem Prinzen
von Sachsen-Koburg bei Fokschani sowie 1789 am Rimnik über die
Türken, wofür er den Beinamen Rim- 447 Suworowinseln - Svendsen. nikskij erhielt und zum deutschen und russischen Reichsgrafen
erhoben wurde. Am 22. Dez. 1790 erstürmte er die Festung
Ismail, deren Einwohner er niedermetzeln ließ. Den polnischen
Aufstand von 1794 beendigte er rasch durch die Erstürmung von
Praga und die Besetzung von Warschau, wofür er zum
Generalfeldmarschall befördert ward. Hierauf zog er sich auf
sein Landgut Kantschanski im Gouvernement Nowgorod zurück, bis
ihm 1799 Kaiser Paul den Oberbefehl über die Truppen
übertrug, welche mit den Österreichern vereint in Italien
gegen die Franzosen fechten sollten. Er schlug die letztern 27.
April bei Cassano, 17., 18. und 19. Juli an der Trebbia und 15.
Aug. bei Novi, eroberte Alessandria und warf binnen 5 Monaten den
Feind aus ganz Oberitalien. Hierauf zog er nach der Schweiz, um
sich mit Korssakow zu vereinigen. Sein Zug über den St.
Gotthard war mit unbeschreiblichen Anstrengungen verknüpft und
kostete ihm den dritten Teil seines Heers, den größten
Teil der Pferde, alle Lasttiere nebst Geschütz und
Gepäck. Als er endlich das vordere Rheinthal betrat, fand er
die Verbündeten inzwischen von Massena bei Zürich, von
Soult an der Linth, von Molitor bei Mollis geschlagen. Er trat
daher den Rückmarsch durch Graubünden nach Italien und
von da, inzwischen zum Generalissimus aller russischen Armeen
ernannt, im Januar 1800 nach Rußland an. Noch vor seiner
Rückkehr aber fiel er infolge angeblicher Nichtbeachtung
kleinlicher kaiserlicher Dienstbefehle in Ungnade. Krank kam er 2.
Mai 1800 in Petersburg an und starb daselbst 18. Mai. Alexander I.
ließ ihm 1801 auf dem Marsfeld zu Petersburg eine kolossale
Statue setzen. Vgl. Anthing, Kriegsgeschichte des Grafen S. (Gotha
1796-99, 3 Bde.); v. Smitt, Suworows Leben und Heerzüge (Wilna
1833-34); Derselbe, S. und Polens Untergang (Leipz. 1858, 2 Bde.).
Neuere Biographien Suworows lieferten Polewoi (deutsch, Mit. 1853)
und Rybkin (russ., Mosk. 1874). Suworows "Korrespondenz über
die russisch-österreichische Kampagne im Jahr 1799" wurde von
v. Fuchs herausgegeben (deutsch, Glog. 1835, 2 Bde.). - Suworows
Sohn Arkadij Alexiewitsch, geb. 1783, that sich im Feldzug von 1807
hervor, ward Generalleutnant, befehligte eine Division der
Donauarmee unter Kutusow und ertrank 1811 im Rimnik, wo sein Vater
den Sieg über die Türken erfochten hatte. Dessen Sohn
Alexander Arkadjewitsch S.-Rimnikskij, Fürst Italijskij, geb.
1. Juli 1804, russ. Diplomat und General, diente im Kaukasus und in
Polen, wurde mehrmals zu diplomatischen Missionen an deutsche
Höfe verwandt, ward 1848 Generalgouverneur der
Ostseeprovinzen, die er vortrefflich verwaltete, 1861
Generalmilitärgouverneur von Petersburg, dann, als im Mai 1866
dies Amt in Wegfall kam, Generalinspektor der Infanterie. Er starb
12. Febr. 1882 in Petersburg. Suworowinseln, kleine, nur 5 km große Gruppe auf
einem eine Lagune einschließenden, mit Wasser bedeckten Riff,
zur polynesischen Gruppe der Manihikiinseln gehörig, unter
13° 20' südl. Br. und 163° 30' östl. L. v. Gr.
Die nahe aneinander liegenden Eilande sind mit Gebüsch
bedeckt, haben einige Kokospalmen, aber kein Trinkwasser. Ein
tiefer Kanal führt in das Innere der seichten Lagune. Die
Gruppe wurde Anfang 1889 von England in Besitz genommen. Suzeränität (franz.), Oberhoheit (s. d.). Svarez (Suarez, eigentlich Schwartz), Karl Gottlieb
(nicht von spanischer Abkunft), der Schöpfer des
preußischen Landrechts, geb. 27. Febr. 1746 zu Schweidnitz,
studierte 1762-65 in Frankfurt a. O. trat hierauf als Auskultator
bei der Oberamtsregierung zu Breslau in den praktischen
Justizdienst, ward 1771 Rat daselbst und wirkte bei Neugestaltung
der Verhältnisse Schlesiens unter dem Provinzialminister v.
Carmer wesentlich mit zur Begründung des landschaftlichen
Kreditsystems, zur Reorganisation der höhern Schulen wie zur
Anbahnung einer Prozeßreform, welch letztere indessen, durch
den Großkanzler v. Fürst bekämpft, ins Stocken
geriet. Als Carmer an Fürsts Stelle berufen wurde, folgte ihm
S. 1780 als vortragender Rat nach Berlin, um dessen legislatorische
Pläne auszuführen. Auf Grund des Prozeßentwurfs von
1775 bearbeitete er das 1781 publizierte erste Buch des "Corpus
juris Fridericianum" (von der Prozeßordnung), woraus
später die "Allgemeine Gerichtsordnung für die
preußischen Staaten" (Berl. 1794-95, 3 Tle.), ebenfalls sein
Werk, hervorging. Auch in der Gesetzkommission für das
allgemeine Gesetzbuch fiel ihm die Hauptarbeit zu. Er schuf den
"Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuchs" (Berl. 1784-88, 6 Abtlgn.),
ebenso die Schlußredaktion des am 20. März 1791 zur
Publikation gelangten Gesetzbuchs selbst. Nachdem dasselbe infolge
von Gegenströmungen 18. April 1792 auf unbestimmte Zeit wieder
suspendiert war, besorgte S. die durch Kabinettsorder vom 17. Nov.
1793 angeordnete Revision, welche in dem "Allgemeinen Landrecht
für die königlich preußischen Staaten", publiziert
5. Febr. 1794, mit Gesetzeskraft vom 1. Juni, ihren endlichen
Abschluß fand. 1787 zum Geheimen Oberjustizrat befördert
und noch in demselben Jahr zum Obertribunalsrat ernannt, starb S.
14. Mai 1798 in Berlin. Vgl. Stölzel, K. G. S.
(Berl.1885). Svealand (Svearike), historische Bezeichnung für das
mittlere Schweden mit der Hauptstadt Stockholm. Svegliato (ital., spr. sweljato), aufgeweckt, munter. Svendborg, dän. Amt, den südöstlichen Teil
der Insel Fünen nebst den Inseln Taasinge, Langeland, Aeroe
und vielen andern umfassend, 1643 qkm (29,8 QM.) mit (1880) 117,577
Einw. - Die gleichnamige Hauptstadt, in schöner Lage am
Svendborgsund, Endpunkt der Eisenbahnlinie Odense-S., hat 2 Kirchen
und (1880) 7184 Einw. Der Hafen ist etwa 4,5 m tief. Schiffahrt und
Schiffbau sind von großer Bedeutung. Die Handelsflotte
zählte 1886: 286 Schiffe von 26,907 Registertonnen. 1886
liefen 4744 Schiffe mit einer Warenmenge von 51,399 Registertonnen
ein und aus. S. ist Sitz eines deutschen Konsulats. Svendsen, Johann Severin, norweg. Komponist, geb. 30.
Sept. 1840 zu Christiania, erhielt von seinem Vater den ersten
Unterricht im Violinspiel und ging 1862 als Mitglied einer
ambulanten Musikgesellschaft nach Hamburg, setzte nach
Auflösung derselben, mit einem königlichen Stipendium
versehen, seine Studien in Leipzig fort und widmete sich hier, da
er infolge einer Fingerkrankheit das Violinspiel aufgeben
mußte, ausschließlich der Komposition. 1867 machte er
eine Reise nach Island, lebte dann 1868-1869 in Paris, hierauf
wieder in Leipzig und begab sich 1872 in seine Heimat, von wo aus
er im Herbst 1877, abermals mit einem königlichen Stipendium
ausgerüstet, zu weitern Kunststudien nach Italien ging.
Über London und Paris, wo er wieder anderthalb Jahre
verweilte, nach Christiania zurückgekehrt, dirigierte er hier
wieder die schon früher von ihm geleiteten
Musikvereinskonzerte, bis er 1883 einem Ruf als Hofkapellmeister
nach Kopenhagen folgte. Von seinen Kompositionen sind
hervorzuheben: ein Konzert für Violine, eins für
Violoncello, ferner zwei Quar- 448 Sverdrup - Swan's-down. tette, ein Quintett und ein Oktett für Streichinstrumente,
eine Einleitung zu Björnsons Tragödie "Sigurd Slembe",
zwei Symphonien, von denen besonders die zweite (in B dur)
günstige Aufnahme fand, "Hochzeitsfest" für Orchester,
Ouvertüre zu "Romeo und Julie" u. a. Sverdrup, Johan, norweg. Politiker, geb. 1816 auf dem
Schloß Jarlsberg, wo sein Vater die Güter des Grafen
Wedel-Jarlsberg verwaltete, studierte die Rechte, machte 1841 sein
Examen und ließ sich in Laurvik als Anwalt nieder. 1851 wurde
er in das Storthing gewählt, dem er seitdem ununterbrochen
angehörte. Radikalen Anschauungen huldigend, gewann er
für dieselben mehr und mehr Anhänger und bildete sich
durch unermüdliche Thätigkeit eine Partei, welche
besonders in der Landbevölkerung vorherrschte (Bauernpartei)
und allmählich die Majorität im Storthing erlangte. An
ihrer Spitze begann er, zum Präsidenten des Storthings
gewählt, den Kamps gegen das Königtum, das er zu einer
bloßen Ehrenstellung herabdrücken wollte, mit dem Streit
über die Zulassung der Minister zum Storthing, aus dem sich
dann der weitere über das königliche Veto entwickelte, in
welchem S. 1883 den Sieg davontrug, indem das Ministerium
verurteilt wurde. S. wurde 1884 an die Spitze des Ministeriums
gestellt, befriedigte aber durch seine Thätigkeit den
radikalen Teil seiner Anhänger nicht, welche sich von ihm
lossagten, und sah sich aus Rücksicht aus die Konservativen,
von deren Stimmen er abhängig war, zu einer
gemäßigten Politik veranlaßt. Sverige (schwed.), Schweden. Sverker, König von Schweden, Enkel Svens des
Opferers, stritt nach dem Erlöschen des Hauses König
Stenkils (1129) mit Magnus um den Besitz der Krone und kam endlich
in den alleinigen Besitz derselben. Nach seiner Ermordung (1155)
versuchten seine Nachkommen vergeblich, sich dauernd auf dem Thron
zu behaupten. Mit Johann Sverkerson erlosch 1222 sein
Geschlecht. Svetla, Karoline, böhm. Schriftstellerin (eigentlich
Frau Professor Muzak), geb. 24. Febr. 1830 zu Prag, gilt als die
hervorragendste Romanschriftstellerin. Unter ihren zahlreichen
Erzählungen sind die besten: "Vesnicky roman" ("Dorfroman")
und "Kriz a potoka" ("Das Kreuz am Bach"). Eine Gesamtausgabe ihrer
zahlreichen Romane erscheint in der "Narodni bibliotheka". S.
schrieb außerdem viele Aufsätze über Erziehung und
Litteratur; ihre "Memoiren" erfreuen sich der allgemeinen
Aufmerksamkeit. Einige ihrer Werke wurden ins Deutsche,
Französische, Polnische und Russische übersetzt. Sw., bei botan. Namen Abkürzung für O. Swartz,
geb. 1760, gest. 1818 als Professor in Stockholm; Kryptogamen,
westindische, schwedische Flora. Swaga, s. Borax. Swains., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung
für William Swainson, geb. 1789 zu Liverpool, gest. 1855 auf
Neuseeland (Zoolog). Swammerdam, Jan, Naturforscher, geb. 12. Febr. 1637 zu
Amsterdam, studierte seit 1661 in Leiden Medizin, ging auf einige
Jahre nach Saumur und Paris, kehrte 1665 nach Amsterdam, 1666 nach
Leiden zurück, erwarb dort 1667 die medizinische
Doktorwürde und lebte dann in Amsterdam ausschließlich
seinen schon bisher mit großem Eifer betriebenen
planmäßigen anatomischen Studien. Körperlich
leidend und von einer pietistisch-schwärmerischen
Gemütsstimmung ergriffen, vertiefte er sich später in die
Schriften der chiliastischen Schwärmerin Bourignon, ging 1675
zu ihr nach Schleswig und geleitete sie nach Kopenhagen, kehrte
dann krank nach Amsterdam zurück und starb daselbst 17. Febr.
1680. S. war als Erforscher der kleinern Tierformen von
epochemachender Bedeutung; er erfand auch die Methode, die
Blutgefäße durch Ausspritzung mit Wachs haltbar und der
Untersuchung zugänglich zu machen. In seiner "Allgemeene
verhandeling van bloedeloose diertjens" (Utr. 1669; lat., Leid.
1685) legte er die Grundlage für die erste
naturgemäße Klassifikation der Insekten, und seine
anatomischen Arbeiten über die Insekten, veröffentlicht
in der "Biblia naturae" (hrsg. von Boerhaave, das. 1737-38, 2 Bde.;
deutsch, Leipz. 1752), sind die bedeutendste Erscheinung auf diesem
Felde der Zootomie bis in die neuere Zeit geblieben. Auch
beschäftigte er sich mit der Metamorphose der Insekten und
suchte die Gleichartigkeit der Zeugungsweise bei Tieren aller
Klassen nachzuweisen, indem er die Rolle des Samens feststellte. Er
schrieb noch "Miraculum naturae, seu uteri muliebris fabrica"
(Leid. 1672). Swampies, Indianer, s. Kri. Swamps (engl.), Moräste, Sümpfe in Nordamerika,
speziell die am Albemarlesund. Swamy, Sir Mutu Coomara, gelehrter Ceylonese, geb. 1836
zu Kolombo auf Ceylon, studierte englisches Recht und erlangte als
der erste Nichtchrist in England die Würde eines Barristers
(Anwalts), wurde dann in seiner Heimat Mitglied des Legislative
Council und heiratete eine englische Dame. Seine verdienstlichen
Arbeiten zur Quellenkunde des südlichen Buddhismus: "History
of the tooth relic of Buddha" und "Sutta Nipata, the dialogues and
discourses of Gotama Buddha" (Pâlitexte, mit engl.
Übersetzung, Lond. 1874), trugen ihm die Erhebung in den
englischen Adelstand ein. Er starb 4. Mai 1879 in Kolombo. Swaneten, zum kartwelischen Stamm gehöriges Volk in
Transkaukasien, das, 12,000 Köpfe stark, die obern Thäler
des Ingur und der Tskenis im Gouvernement Kutais bewohnt. Aus den
Ebenen Mingreliens vertrieben, haben sie sich in eine fast
unzugängliche Gebirgswelt zurückgezogen, wo sie in
Verwilderung und nach dem Gesetz der Blutrache sich beständig
befehdend ein elendes Dasein führen. Not trieb bei ihnen zur
Sitte des Mädchenmordes; Christen sind sie nur dem Namen nach,
ebenso ist ihre Abhängigkeit von Rußland (seit 1853) nur
nominell. Swanevelt, Herman, holländ. Maler, geboren um 1600
zu Woerden bei Utrecht, begab sich 1623 nach Paris, von da nach
Rom, wo er bis um 1637 lebte, und ließ sich dann, nach kurzem
Aufenthalt in der Heimat, 1652 in Paris nieder, wo er 1653 Mitglied
der Akademie wurde und 1655 starb. Er hat italienische Landschaften
in der Art des Claude Lorrain gemalt, die man zumeist in den
Galerien von Rom und Florenz, aber auch in denen von Paris,
Frankfurt a. M., München und des Haag findet. Hervorragender
sind seine landschaftlichen Radierungen, deren er 116 hinterlassen
hat. Swanhild, nach nord. Sage Sigurds Tochter von Gudrun,
wurde am Hof ihres Stiefvaters, des Königs Jonakur (den Gudrun
geheiratet, nachdem sie vergeblich den Tod in den Wellen gesucht),
erzogen und sollte König Jormunrekr (d. h. Ermanarich, den
Ostgotenkönig) heiraten. Weiteres s. Jormunrekr. Swan River, s. Schwanenfluß. Swan's-down (engl., spr. swónns-daun,
"Schwanendaunen"), eine Art feinen Wollenzeugs, das mit Seide und
Baumwolle gemischt ist. 449 Swansea - Swedenborg. Swansea (spr. sswónssih), Stadt in Glamorganshire
(Wales), an der Mündung des Tawe in die Swanseabai des
Bristolkanals, mit (1881) 65,597 Einw. S. ist eine wenig anziehende
Stadt, und die den Schlöten seiner zahlreichen
Kupferschmelzhütten entsteigenden Dämpfe verhindern den
Pflanzenwuchs in der ganzen Gegend. Es verdankt seine Blüte
den reichen Kohlenlagern, die es in den Stand setzen, die ihm aus
Cornwall und allen Teilen der Welt zugeschickten Kupfer- und
Zinkerze zu verschmelzen. Außerdem hat es Töpfereien und
Porzellanwerke, Blechfabriken und Schiffbau. Sein Handel ist
bedeutend und wird gefördert durch die im Ästuar des Tawe
angelegten großartigen Docks. Es gehörten zum Hafen
1888: 166 Seeschiffe von 58,727 Ton. Gehalt und 45 Fischerboote.
Die Einfuhr vom Ausland belief sich auf 1,593,752 Pfd. Sterl., die
Ausfuhr dorthin (meist Steinkohlen) auf 2,868,612 Pfd. Sterl. An
öffentlichen Anstalten verdienen Erwähnung die Royal
Institution (mit Museum und Bibliothek), ein Lehrerseminar, eine
Lateinschule, eine Kunstschule und ein Taubstummeninstitut. S. ist
Sitz eines deutschen Konsuls. Dicht dabei liegt Landore mit den
ehemals Siemensschen Stahlwerken. Swanskin (engl., spr. sswonn-, "Schwanfell"), eine Art
Fanell. Swantewit (Swentowit), eine slaw. Gottheit,
ursprünglich wohl lichter Sonnen- (und Tages-) Gott
gegenüber Tschernebog (s. d.). Besonders berühmt war sein
Tempel zu Arkona auf Rügen, den König Waldemar I. 1168
zerstörte. S. wurde vierköpfig (nach den vier
Weltgegenden blickend) dargestellt, mit Bogen und Füllhorn
(was beides auf den Regenbogen nach verschiedener Auffassung
desselben als Bogen oder Horn geht). Beim Erntefest wurde das Horn
mit Met gefüllt; aus dem Rest, welcher vom vorigen Jahr in
demselben übriggeblieben, schloß man auf gute oder
schlechte Ernte. Man hielt ihm auch heiige Pferde (zum Zweck der
Weissagung). Swat (serb.), Hochzeitsgast. Swat, kleiner Gebirgsstaat nordwestlich von Peschawar, an
der Grenze von Britisch-Indien, mit 100,000 Einw., Afghanen vom
Jusufzaistamm, die sich im 16. Jahrh. hier niederließen und
die ältern arischen Bewohner verdrängten, in einem der
äußern Thäler, die vom Hindukusch nach dem
Kabulfluß sich herabziehen, hat warmes Klima, dichte
Waldungen und trägt Reis, Olivenbäume etc. Europäern
ist das Bereisen des Thals nur in Verkleidung mit Lebensgefahr
möglich. Hauptort ist Allahdand. Alexander d. Gr. durchzog den
untern Teil des Thals. Zu einem gewissen Ruf gelangte S. durch
seinen Akhund (d. h. Lehrer) Namens Abd ul Ghafar, der in Indien,
Zentralasien, Arabien, ja bis Konstantinopel im Ruf eines Weisen
von übernatürlicher Begabung stand, von Privaten als
Schiedsrichter, von mohammedanischen Fürsten um Beirat in
politischen Fragen angegangen wurde und noch 1877 einen Gesandten
des Sultans der Türkei erhielt. Der Akhund verkehrte nicht mit
Europäern, drang auch in Afghanistan auf Abschließung
und bezeigte insbesondere England wie Rußland
gleichmäßig Mißtrauen. 1846 hatte er unter den
Afghanen, die damals vorübergehend Peschawars sich
bemächtigt hatten, den Glaubenskrieg gepredigt; seitdem aber
erkannte der Akhund rückhaltlos die Überlegenheit der
Europäer an und riet im russisch-türkischen Krieg 1877
sowohl seinen Landsleuten als dem Sultan der Türkei davon ab,
die Fahne des Propheten zu entfalten. Dieser einflußreiche
religiöse Führer der Moslems Zentralasiens starb Ende
1877. Swatau (Schateu), dem europäischen Handel seit 1869
geöffnete Handelsstadt in der chines. Provinz Kuangtung, an
der Mündung des Han in die Fukienstraße, Sitz eines
deutschen Konsuls, einer katholischen und evangelischen Mission,
mit etwa 30,000 Einw. Swatopluk (Zwentibold), Herzog von Mähren, kam zur
Herrschaft über dieses Land, nachdem er seinen Oheim Rastislaw
gefangen genommen und dem ostfränkischen König Ludwig dem
Deutschen ausgeausiefert hatte, und sicherte sich 871 durch einen
verräterischen Überfall des bayrischen Heers, welches
vernichtet wurde, seine Unabhängigkeit. Er breitete nun sein
Reich nach allen Seiten hin aus. Den Plan seines Oheims Rastislaw,
mit Hilfe des Methodius ein von Deutschland unabhängiges
slowenisches Kirchenwesen in Mähren zu begründen, gab er
später preis, indem er nach Methodius' Tod sich wieder der
bayrischen Kirche zuwandte. Er starb 894, und nach seinem Tod ging
sein Reich zu Grunde. Sweaborg, Festung im finn. Gouvernement Nyland, am
Finnischen Meerbusen, 5 km südlich von Helsingförs,
dessen Hafen sie deckt, seit 1749 von dem schwedischen
Feldmarschall Grafen A. Ehrenswärd erbaut, liegt auf sieben
Felseninseln, hat ein Zeughaus, bombenfeste Magazine, 2
Schiffsdocks, Werften, ein Monument des Grafen Ehrenswärd etc.
und ohne die Garnison ca. 1000 Einw. - Am 7. April 1808 ging die
Festung durch verräterische Kapitulation des schwedischen
Kommandanten, Admirals Cronstedt, an die Russen über.
Während des Krimkriegs wurde S. von der
englisch-französischen Flotte 8.-11. Aug. 1855 bombardiert und
niedergebrannt. Sweater (engl., spr. sswetter, "Schwitzer"), in England
Bezeichnung der Vermittler, welche Arbeiten von größern
Unternehmern übernehmen und dieselben unmittelbar an Arbeiter
gegen Lohn vergeben, um aus deren Schweiß (daher
Sweating-System) einen Gewinn herauszuschlagen. Der Ausdruck wird
besonders von Schneidern gebraucht, welche selbständig
für große Magazine arbeiten. Swedenborg (eigentlich Swedberg), Emanuel von, schwed.
Gelehrter und Theosoph, geb. 29. Jan. 1688 zu Stockholm, Sohn
Jesper Swedbergs, Bischofs von Westgotland, studierte zu Upsala
Philologie und Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften,
daneben auch Theologie, bereiste 1710-14 England, Holland,
Frankreich und Deutschland und ward 1716 Assessor des
Bergwerkskollegiums zu Stockholm, in welcher Stellung er sich durch
mechanische Erfindungen hervorthat. Zur Belagerung von
Frederikshall schaffte er 1718 sieben Schiffe mittels Rollen
fünf Stunden weit über Berg und Thal. Dies sowie seine
Schriften über Algebra, Wert der Münzen, Planetenlauf,
Ebbe und Flut etc. hatten zur Folge, daß die Königin
Ulrike ihn 1719 unter dem Namen S. adelte. In den folgenden Jahren
bereiste er die schwedischen, sächsischen sowie später
auch die böhmischen und österreichischen Bergwerke. Seine
"Opera philosophica et mineralogica" (1734, 3 Bde. mit 155
Kupferstichen) gaben auf der Grundlage ausgedehnter Studien
über Gegenstände der Naturwissenschaft und der
angewandten Mathematik ein System der Natur, dessen Mittelpunkt die
Idee eines notendigen mechanischen und organischen Zusammenhangs
aller Dinge ist. Nach neuen Reisen (1736-1740) durch Deutschland,
Holland, Frankreich, Italien und England wendete er sein
Natursystem in den Schriften: "Oeconomia regni animalis" (Lond.
1740-41), "Regnum animale" (Bd. 1 u. 2, Haag 1744; Bd. 3, Lond.
1745) und "De cultu et amore Meyers Konv.-Lexikon, 4. Aufl., XV. Bd. 29 450 Sweepstake - Swieten Dei<< (das. 1740, 2 Bde.) auch auf die belebte
Schöpfung, namentlich den Menschen, an. Aber schon das
letztgenannte Werk war nicht mehr streng wissenschaftlich gehalten,
wie sich denn S. von jetzt an ausschließlich theosophischen
Studien hingab, um sich für seinen, wie er behauptete, von
Gott selbst ihm eingegebenen Beruf vorzubereiten, der in nichts
Geringerm bestand als in der Gründung der Neuen Kirche, wie
sie in der Offenbarung St. Johannis verheißen ist. S. glaubte
diese Mission zu erfüllen, indem er das Wort Gottes in der
(nach seinem Sinn) wahren Bedeutung auslegte, ein
vollständiges System einer neuen Religionslehre aufstellte und
die Natur des Geisterreichs und dessen Zusammenhang mit der
Menschenwelt in seltsamen Visionen enthüllte, von denen
mehrere die Aufmerksamkeit Kants erregten und denselben
veranlaßten, S. in seinen "Träumen eines Geistersehers"
(1766) für einen "Schwärmer" zu erklären (vgl. Rob.
Zimmermann, Kant und der Spiritismus, Wien 1879). Die
hauptsächlichsten Werke, welche diese Lehre behandelten,
waren: "Arcana coelestia" (Lond. 1749-56, 8 Bde.; hrsg. von Tafel,
Tübing. 1833-42, 13 Bde.; deutsch, das. 1842-70, 16 Bde.); "De
coelo et inferno" (Lond. 1758; deutsch von Tafel, 3. Aufl.,
Tübing. 1873); "De nova Hierosolyma et ejus doctrina" (Lond.
1758; deutsch von Tafel, Tübing. 1860); "Apocalypsis
explicata" (Lond. 1761; deutsch von Tafel, Tübing. 1824-31, 4
Bde.) und "Vera christiana religio" (Lond. 1771; hrsg. von Tafel,
Stuttg. 1857; deutsch von demselben, Tübing. 1855-58, 3 Bde.).
Um seinen religiösen Bestrebungen ungestört leben zu
können, hatte er schon 1747 seine amtliche Stellung
aufgegeben, bezog jedoch eine königliche Pension. Während
einer Reise, welche er 1771 im Interesse seiner Lehre unternommen
hatte, erkrankte er in London und starb daselbst 29. März
1772. Die Zahl seiner Anhänger (Swedenborgianer) nahm langsam
zu; sie verbreiteten sich, wenn auch nur sporadisch, über
Schweden, Polen, England und Deutschland; am meisten faßte
die "neue Kirche" oder das "neue Jerusalem" (New Jerusalem church)
in England festen Fuß, wo es jetzt 50 Gemeinden geben mag,
sowie in der neuern Zeit auch in Nordamerika. Vgl. Richer, La
nouvelle Jerusalem (Par. 1832-35, 8 Bde.); Tafel, Sammlung von
Urkunden über Swedenborgs Leben und Charakter (Tübing.
1839-42, 3 Bdchn.) ; Derselbe, Abriß von Swedenborgs Leben
(das. 1845); die Biographien von Schaarschmidt (Elberf. 1862),
Matter (Par. 1863) und White (2. Aufl., Lond. 1874), die anonyme
Schrift "E. Swedenborgs Leben und Lehre" (Frankf. 1880); Potts, S.
Concordance (Lond. 1889, Bd. 1). Sweepstake (engl., spr. sswihp-stehk), Einsatzrennen,
dessen Preis nur aus den Einlagen und Reugeldern der Teilnehmer
(mindestens drei) besteht. Sweersinsel, s. Wellesleyinseln. Sweet, bei botan. Namen für R. Sweet,
Handelsgärtner in London, gest. 1839. Geraniaceen, Cistineen.
Flora australasica. Swell (engl.), s. Dandy. Swenigorod, Kreisstadt im russ. Gouvernement Moskau, an
der Moßkwa, mit (1885) 2288 Einw. Swenigorodka, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kiew, am
Fluß Tikitsch, hat 3 griechisch-russische und eine kath.
Kirche und (1885) 11,562 Einw. Swenziany, Kreisstadt im russ. Gouvernement Wilna, eine
der ältesten Ortschaften Litauens, hat eine
griechisch-russische, eine kath. Kirche und (1885) 8517 Einw.
(meist Juden). Swert, Jules de, Violoncellist und Komponist, geb. 16.
Aug. 1843 zu Löwen in Belgien, erhielt von früher
Kindheit an gründlichen Unterricht von seinem Vater, der
Kapellmeister an der Kathedrale zu Löwen war, und machte schon
im 10. Jahr Kunstreisen durch Belgien und Holland, wo er Servais'
Aufmerksamkeit erregte und, nachdem er ins Brüsseler
Konservatorium eingetreten war, von diesem ausgebildet wurde. 1858
mit dem ersten Preis gekrönt, begab er sich zunächst nach
Paris, von da nach Schweden, Dänemark und Deutschland, wo er
überall mit glänzendem Erfolg konzertierte, und wurde
1865 in Düsseldorf, später in Weimar, bald darauf aber
als Konzertmeister am Hoftheater und zugleich als Lehrer an der
Hochschule zu Berlin angestellt. Diese Stellung verließ er
Anfang der 70er Jahre, um sich ausschließlich der Komposition
zu widmen, und verlegte seinen Wohnsitz nach Wiesbaden. Ende 1888
wurde er zum Professor am königl. Konservatorium zu Gent,
zugleich zum Direktor der Musikakademie und Kapellmeister der
Kursaal-Symphonie-Konzerte zu Ostende ernannt. Seine bisher in die
Öffentlichkeit gedrungenen Werke bestehen in zahlreichen
beachtenswerten Arbeiten für sein Instrument (darunter drei
Konzerte, eine Violoncelloschule. "Gradus ad parnassum"), einer
Symphonie ("Nordseefahrt") und den Opern: "Die Albigenser" (1880,
Wiesbaden) und "Graf Hammerstein" (Mainz, 1884). Swerts, Jan, belg. Maler, geb. 1825 zu Antwerpen,
Schüler N. de Keysers daselbst, machte sich um die monumentale
Kunst Belgiens dadurch verdient, daß er die Regierung zu
einer Ausstellung von Kartons deutscher Meister in Brüssel und
Antwerpen (1859) veranlaßte. Mit Godefried Guffens hat er
eine Reihe von Wandbildern religiösen und historischen Inhalts
geschaffen, welche sich an die Richtung der neudeutschen Klassiker
anschließen (näheres s. bei Guffens). Seit 1874 Direktor
der Kunstakademie zu Prag, starb er 11. Aug. 1879 in Marienbad. Sweynheym, Konrad, mit Arnold Pannartz (s. d.) erster
Buchdrucker zu Subiaco bei Rom 1464. Swiaschsk, Kreisstadt im russ. Gouvernement Kasan, an der
Mündung der Swiaga in die Wolga, hat einige alte Kirchen und
Klöster und (1885) 2883 Einw. Swiedack, Karl, unter dem Pseudonym Karl Elmar bekannter
österreich. Volksdramatiker, geb. 23. Mai 1815 zu Wien, war
erst Kaufmann, dann eine Zeitlang Artillerist und versuchte sich
endlich als Schauspieler wie auch als Theaterdichter. Sein erstes
Stück: "Die Wette um ein Herz" (1841), hatte einen
ungewöhnlichen Erfolg. Es folgten dann: "Der Goldteufel", in
welchem namentlich der Schauspieler Kunst glänzte, "Dichter
und Bauer" und "Unter der Erde", welch letzteres Stück sich
auf dem Repertoire erhalten hat. In allen bewährte S. ein
glückliches Nachstreben auf der Bahn Raimunds, ebenso nach
1848 in den Dramen: "Des Teufels Brautfahrt" und "Paperl" sowie in
den realistisch angelegten Volksstücken: "Unterthänig und
unabhängig" und "Liebe zum Volk". Dem Meister Ferdinand
Raimund brachte S. seine besondere Huldigung dar in dem
gleichnamigen Charakterbild, das sehr gefiel; auch "Das
Mädchen von der Spule" und andre Volksstücke
bewährten noch seine dichterische Kraft. Als dann das
französische Gesangs- und Ausstattungsstück zur
Herrschaft kam, zog sich S. von der Bühne zurück und
wandte sich der humoristisch-satirischen Journalistik zu. Er starb
2. Aug. 1888 in Wien. Swieten, Gerard van, Arzt, geb. 7. Mai 1700 zu Leiden,
studierte daselbst und in Löwen, ward Professor der Medizin in
Leiden, 1745 Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, Vorsteher der k.
k. Bibliothek, 451 Swietenia - Swift. Präsident der medizinischen Fakultät zu Wien, Direktor
des Medizinalwesens in der Monarchie und Bücherzensor. Er
starb 18. Juni 1772 in Schönbrunn. Er schrieb: "Commentarii in
Boerhaavii aphorismos de cognoscendis et curandis morbis" (Leid.
1741-42, 5 Bde.; neue Ausg., Tübing. 1790, 8 Bde.). Vgl. Beer,
Friedrich II. und van S. (Leipz. 1873); Fournier, Gerh. van S. als
Zensor (Wien 1877); W. Müller, Gerh. van S. (das. 1883). -
Sein Sohn Gottfried van S., geb. 1734 zu Leiden, gestorben als
Direktor der kaiserlichen Hofbibliothek zu Wien 29. März 1803,
war ein vertrauter Freund Haydns und Mozarts und bearbeitete
für erstern die Texte zur "Schöpfung" und den
"Jahreszeiten". Swietenia L. (Mahagonibaum), Gattung aus der Familie der
Meliaceen, mit der einzigen Art S. Mahagoni L. (gemeiner
Mahagonibaum), einem 25-30 m hohen Baum mit weit ausgebreitetem,
dicht belaubtem Wipfel, drei- bis fünfpaarig gefiederten
Blättern, eirund-lanzettlichen, zugespitzten, lederigen
Blättchen, kleinen, weißlichgelben Blüten in
reichen axillären Rispen und braunen, faustgroßen
Samenkapseln. Dieser in Westindien und auf der Landenge von Panama
auf felsigem Boden wachsende Baum liefert das wegen seiner
Polierfähigkeit, Härte und Dauer als Furnierholz sehr
geschätzte Mahagoniholz. Im Handel unterscheidet man dasselbe
teils nach dem Vaterland, teils nach dem Ansehen. Am
geschätztesten ist das aus Jamaica, welche Insel aber infolge
des schonungslosen Fällens der Bäume jetzt nur noch
geringe Quantitäten liefert; das meiste, aber auch
geringwertigste, weil schrammige, grobfaserige Holz kommt von den
Küsten der Hondurasbai. Härter und schöner
gefärbt ist das Mahagoniholz von Haiti, Cuba und den
Bahamainseln (das Inselholz geht im Handel als spanisches
Mahagoni). Es ist schön braun, dunkelt stark an der Luft,
spaltet sehr schwer, spez. Gew. 0,56-0,88, schwindet sehr wenig,
nimmt schöne Politur an und verträgt auch gut
Temperaturwechsel. Da das Mahagoniholz nicht von Würmern
angegriffen wird und im Wasser von ungewöhnlicher Dauer ist,
so ist es auch zum Schiffbau sehr geeignet; außerdem dient es
zu Lagern für Maschinenbestandteile. Es ist seit dem Ende des
16. Jahrh. in Europa bekannt, wohin es von Trinidad gebracht wurde;
aber erst ein Jahrhundert später wurde es für unsern
Weltteil Handelsgegenstand. Während die Spanier es schon im
16. Jahrh. zum Schiffbau verwendeten, datiert seine Benutzung als
Möbelholz erst von 1724. Die bitter adstringierende Rinde
(Amarantrinde) wird in Jamaica gegen Wechselfieber und
Durchfälle angewendet und dient auch zur Verfälschung der
Chinarinde. Nach Einschnitten liefert der Baum ein Gummi, das als
Acajougummi in den Handel kommt. Afrikanisches Mahagoniholz
(Madeiramahagoni), s. v. w. Kailcedraholz; weißes
Mahagoniholz, das Holz von Anacardium; neuholläindisches
Mahagoni, das rote, veilchenartig riechende Holz von einigen
Eucalyptus-Arten. Swift, Jonathan, polit. Satiriker der Engländer,
geb. 30. Nov. 1667 zu Dublin, zeigte bereits als Knabe jene
Misanthropie und stolze Selbstgenügsamkeit, welche S. als Mann
charakterisieren und ihn zu einer der originellsten, aber auch
abstoßendsten litterarischen Erscheinungen gemacht haben.
Drei Jahre seiner Kindheit brachte er in England zu, kam dann auf
die Schule zu Kilkenny, studierte seit 1682 im Trinity College zu
Dublin und ward 1688 Sekretär Sir William Temples zu Norr Park
in Surrey. Als Temple 1699 starb, gab S. dessen politische
Schriften heraus und ging dann als Kaplan des Earl Berkeley,
Vizekönigs von Irland, dorthin zurück. Seine Pfarrstelle
zu Laracor brachte ihm 400 Pfd. Sterl. jährlich ein. Bis 1710
lebte er daselbst, machte aber alljährlich Besuche in England
und zugleich die Bekanntschaft der leitenden Staatsmänner der
Whigpartei, welche damals das Ministerium in Händen hatten. Zu
gunsten der Whigminister veröffentlichte er 1701 das Pamphlet
"A discourse of the contests and dissensions between the nobles and
commons of Athens and Rome". 1710 unterhandelte S. im Auftrag des
Erzbischofs King, Primas von Irland, über die Abschaffung der
seitens der Iren an die englische Regierung zu zahlenden Zehnten,
und seine Bemühungen waren so erfolgreich, daß er bei
seiner Rückkehr nach Irland mit Glockengeläute empfangen
wurde. Indes sehnte er sich nach England zurück, um dem Herde
der hohen Politik näher zu sein, und da er bei den Whigs nicht
reüssiert hatte, machte er sich kein Gewissen daraus, nunmehr
zu den Tories überzugehen und seine frühern
Parteigenossen mit noch heftigerer Satire zu befehden als zuvor die
Tories. Das Ziel seines Ehrgeizes war ein englischer Bischofsitz;
die Minister waren auch nicht abgeneigt, ihm einen solchen zu
verschaffen, allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos, und S.
wurde zu seiner höchsten Enttäuschung nur mit dem Dekanat
von St. Patrick in Dublin bedacht. Während seines nun
folgenden Aufenthalts in Irland (1714-26) wußte er von neuem
den höchsten Grad der Popularität zu erlangen, indem er
in heftigen Pamphleten, besonders in den "Drapier's letters"
("Tuchhändlerbriefe", 1723), gegen die englischen Minister die
Lage des unglücklichen Landes darlegte, was ihm mannigfache
Verfolgungen seitens der Regierung zuzog. Zu seinem Groll über
die Vernichtung seiner ehrgeizigen Hoffnungen kam um jene Zeit der
tragische Ausgang einer Doppelliebe. S. hatte längst ein
inniges Verhältnis mit Esther Johnson (Stella genannt), die er
in Sir Temples Haus hatte kennen lernen, faßte dann eine
zweite Neigung zu einer andern jungen Dame in London, Esther van
Homrigh (Vanessa), der er aber sein Verhältnis zu Stella nicht
zu gestehen wagte. Nach der Entdeckung starb Vanessa aus Gram
(1723) und einige Jahre später (1728) auch Stella, mit der er
sich kurz vorher noch heimlich hatte trauen lassen (vgl. sein
"Journal to Stella". deutsch, Berl. 1866). Allmählich
schwanden seine Geisteskräfte; er starb 19. Okt. 1745 in
Dublin und wurde in der Kathedrale von St. Patrick begraben. Als
Schriftsteller wurde S. berühmt durch die zuerst anonym
herausgegebenen Schritten: "Battle of the books" (1697) und "The
tale of a tub" (1704; deutsch von Boxberger, Stuttg. 1884).
Letzteres ist ein beißendes Pasquill gegen Papismus,
Luthertum und Calvinismus; in den Abenteuern der drei Helden Peter,
Jack und Martin werden die Streitigkeiten jener drei Kirchen
veranschaulicht. Die "Bücherschlacht" ist der Form nach eine
Art Parodie der Homerischen Schlachten und behandelt eine Frage,
die damals das ganze litterarische Europa beschäftigte,
nämlich die Überlegenheit der Alten (Griechen und
Römer) über die Modernen. S. entschied sich für die
erstern und entfaltete dabei, wie im "Märchen von der Tonne",
einen Sarkasmus, der ihn zum gefürchtetsten Pamphletisten
seiner Zeit machte. Seit 1724 war S. mit der Abfassung seines
berühmtesten Werkes: "Travels of Lemuel Gulliver",
beschäftigt, das 1726 erschien und allgemein die höchste
Bewunderung er- 452 Swilajinatz - Swir. regte, auch in fast alle zivilisierten Sprachen übersetzt
wurde. Es enthält in einfacher und natürlicher Sprache
und unter der Miene der größten Ernsthaftigkeit eine
ergötzliche Satire auf menschliche Thorheit und Schwäche
im allgemeinen, mit zahlreichen Schlaglichtern auf die politischen,
religiösen und sozialen Zustände des damaligen England,
ist aber auch nicht frei von manchem Verletzenden, wozu namentlich
die von Swifts Menschenhaß eingegebene Schilderung der Yahoo
gehört. Von Schriften sind noch anzuführen: die im Verein
mit Pope herausgegebenen "Miscellanies" (1727, 3 Bde.) und die
posthume "History of the four last years of Queen Anne". Seine
Werke wurden herausgegeben von Hawkesworth (Lond. 1755, 14
Quartbände, Oktavausgabe in 24 Bänden), Sheridan (das.
1784, 17 Bde.), Walter Scott (mit Biographie, das. 1814, 19 Bde.;
neue Ausg. 1883, 10 Bde.), Roscoe (das. 1853, 2 Bde.), Purves (das.
1868). Sein Briefwechsel erschien in 3 Bänden (Lond. 1766) und
in Auswahl von Lane Pool (das. 1885). Eine Übersetzung der
humoristischen Werke lieferte Kottenkamp (Stuttg. 1844, 3 Bde.).
Aussprüche von S. sammelte Regis ("Swiftbüchlein",
biographisch-chronologisch geordnet, Berl. 1847). Vgl. auch R. M.
Meyer, I. S. und G. Lichtenberg (Berl. 1886). Sein Leben
beschrieben S. Johnson, Sheridan (Dubl. 1787), Forster
(unvollendet; Bd. 1, bis 1711 reichend, Lond. 1875), H. Craik (das.
1882); kürzer L. Stephen (das. 1882). Swilajinatz, Flecken im serb. Kreis Tschupria, an der
Resawa, Sitz des Bezirkshauptmanns, mit Kirche, Untergymnasium und
(1884) 4563 Einw. Hier stand die römische Station Idimus. Swinburne (spr. sswinnbörn), Algernon Charles, engl.
Dichter, geb. 5. April 1837 zu Henley an der Themse (Oxfordshire)
aus einer ursprünglich dänischen Familie, erhielt seine
Bildung in Eton und Oxford und schloß sich schon auf der
Hochschule einer Gruppe junger Männer an, die den Zweck
verfolgte, die englische Kunst umzugestalten. Ohne seine
Universitätsstudien zu beenden, begab er sich dann auf Reisen
und brachte einige Zeit in Florenz bei dem greisen Dichter W.
Savage Landor zu, welchem er seitdem die größte
Bewunderung erwies. Ähnliche Bewunderung hat er immer für
Victor Hngo und für Mazzini ausgesprochen. Er trat zuerst 1860
mit den Dramen: "The queen mother" und "Rosamond" auf, die aber
kaum Beachtung fanden. Dagegen erregte er bald darauf durch seine
von glühender Sinnlichkeit und politischem und religiösem
Radikalismus erfüllten, aber vom höchsten Wohllaut
getragenen Dichtungen ("Poems and ballads", 1866) einen Sturm
ebensowohl ästhetischer Bewunderung wie sittlicher
Entrüstung, welch letztere sich so entschieden aussprach,
daß S. sich in einer besondern Schrift: "Notes on poems and
reviews" (1866), verteidigte, sein Buch aber dem fernern Vertrieb
durch den Buchhandel entzog. Gegenwärtig zählt ihn die
Kritik, die ihn zuerst niederzuschlagen versuchte, zu den
hervorragendsten Erscheinungen der Litteratur Englands. Seine
Dramen, deren Stoff bald dem Altertum, bald der neuern Geschichte
entlehnt und deren Form teils den Griechen, teils Shakespeare
nachgeahmt ist, sind ihres hohen Schwunges, ihrer kraftvollen
Schilderung und ihrer reichen poetischen Einbildungskraft
ungeachtet teils durch antike Fremdartigkeit, teils durch
übermäßige Länge zur Aufführung
ungeeignet. Es sind: die Tragödie "Atalanta in Calydon" (1864;
deutsch von A. Graf Wickenburg, Wien 1878), die Trilogie
"Chastelard" (1865; deutsch von Horn, Brem. 1873), "Bothwell"
(1874, 3. Aufl. 1882), "Erechtheus" (1876) und "Mary Stuart"
(1881), "Marino Faliero" (1885) und "Locrine", Tragödie
(1887). Außerdem hat S. auf dichterischem Gebiet
veröffentlicht: "A song of Italy", ein Mazzini gewidmeter
dithyrambischer Hymnus in republikanischem Sinn" (1867); "Siena, a
poem" (1868); "Ode on the proclamation of the French republic"
(Victor Hugo gewidmet, 1870); die vortrefflichen "Songs before
sunrise" (1871), die zu seinen reifsten Schöpfungen
gehören, und "Songs of two nations" (1875); die "Songs of the
springtides" (1875), welche seine "Birthday ode" an Victor Hugo
enthalten; zwei neue Folgen von "Poems and ballads" (1878 u. 1889),
das epische Gedicht "Tristram of Lyoness" (1882), eine Sammlung
lyrisch-didaktischer Gedichte: "A century of roundels (1883), und
"A midsummer holiday" (1884). In den "Notes of an English
republican on the Muscovite crusade" (1876) trat er Gladstone und
seinem russenfreundlichen Anhang mit Wucht entgegen. Ebenso
bewährte er sich als scharfer Kritiker in einer Reihe von
Schriften, wie: "William Blake" (1868), "Under the microscope",
eine Verteidigung gegen die Anklage der Begründung einer
"fleischlichen Schule der Poesie" (1872), "George Chapman" (1875),
"A note on Charlotte Bronte" (1877), "A study of Shakespeare"
(1879), "Studies in song" (1881), "Study of Victor Hugo" (1886),
"Miscellanies" (1886) u. a. Eine Sammlung seiner kleinern
Prosaschriften erschien unter dem Titel: "Essays and studies"
(1875, 3. Aufl. 1888). S. schreibt auch französische Verse und
hat den altfranzösischen Dichter Villon durch
Übersetzungen in England eingeführt. Vgl. "Bibliography
of A. C. S." (Lond. 1887). Swindon (spr. sswinnd'n), Stadt in Wiltshire (England),
hat eine Kornbörse, einen Park, großartige
Werkstätten der Westbahn und (1881) 22,374 Einw. Swinemünde, Stadt im preuß. Regierungsbezirk
Stettin, auf der Insel Usedom, an der Mündung der Swine und an
der Linie Ducherow-S. der Preußischen Staatsbahn, hat eine
evangelische und eine altluther. Kirche, eine altkatholische
Kapelle, ein israelitisches Bethaus, einen Hafen (Vorhafen von
Stettin), welcher an der Seeseite durch einige Forts befestigt ist,
einen Leuchtturm, elektrische Straßenbeleuchtung, ein
Amtsgericht, ein Hauptzollamt, ein Lotsenkommando, ein Seebad
(1887: 3941 Badegäste), lebhafte Schiffahrt, Fischerei und
(1885) mit der Garnison (ein Füsilierbat. Nr. 34 und ein Bat.
Fußartillerie Nr. 2) 8626 meist evang. Einwohner. Im Hafen
von S. liefen 1886 beladen ein: 557 Schiffe von 270,114 Ton., aus:
240 Schiffe von 71,462 T. S. besaß 1887: 26 Schiffe von 4245
T. Der Ort wurde 1748 von Friedrich d. Gr. an Stelle des Dorfs
Westswine angelegt und erhielt 1765 Stadtrechte. In der Nähe
der Ziroberg mit Aussichtsturm. Swinton (spr. sswinnt'n), Stadt im westlichen Yorkshire
(England), 8 km nordöstlich von Rotherham, hat Glashütten
und Töpfereien und (1881) 7612 Einw. Swinton mit Pendlebury (spr. péndelböri),
Fabrikstadt in Lancashire (England), unfern Manchester, mit
Baumwollmanufaktur, Ziegeleien und (1881) 18,107 Einw. Swir, schiffbarer Fluß im russ. Gouvernement
Olonez, der Abfluß des Onegasees in den Ladogasee, ist 214 km
lang und gehört zu dem großen Wassersystem, welches die
Newa mit der Wolga und dem Weißen Meer verbindet, indem er
zunächst das Verbindungsglied zwischen dem Tichwinschen
Kanal- 453 Swischtow - Sydenham. system und dem Marienkanalsystem bildet. Der Swirkanal
führt aus dem S. in den Sjas. Swischtow (Sistov), Kreishauptstadt in Bulgarien, rechts
an der Donau, zwischen Nikopoli und Rustschuk, hat Baumwollweberei,
Gerberei, Schifffahrt, Handel, Weinbau und (1887) 12,482 Einw. Hier
30. Dez. 1790 Friedenskongreß und 4. Aug. 1791
Definitivfriede zwischen Österreich und der Türkei. 1810
durch die Russen zerstört und durch Auswanderung vieler
Bulgaren herabgekommen, gelangte S. erst durch die
Donaudampfschiffahrt zu neuer Blüte. Am 22. Juni 1877 gingen
die Russen von Zimnitza nach S. über die Donau und schlugen
darauf eine Schiffbrücke bei S., über welche ihre Armee
in Bulgarien einrückte. Swjatoi-Noß, niedriges Vorgebirge im ruff.
Gouvernement Archangel, auf der Halbinsel Kola, westlich am Eingang
in das Weiße Meer. Swod Sakonow (russ., "Sammlung von Gesetzen"), russisches
Gesetzbuch, enthaltend das in den Ukasen gegebene Recht; publiziert
1833 und seitdem wiederholt herausgegeben. Syagrius, letzter röm. Statthalter in Gallien, Sohn
des Ägidius, der seit 461 Beherrscher eines Landstrichs im
nordwestlichen Gallien mit der Hauptstadt Soissons gewesen war,
erbte nach des Vaters Tod 476 jenes Gebiet, erweiterte dasselbe und
be-herrschte es, bis er 486 von dem Frankenkönig Chlodwig bei
Soissons besiegt und hingerichtet wurde. Sybaris, berühmte, von Achäern und
Trözenern um 720 v. Chr. gegründete griech. Pflanzstadt
in der Landschaft Chonia (Lukanien), am Tarentinischen Meerbusen,
gelangte durch die Fruchtbarkeit ihres Gebiets und ihren
blühenden Handel bald zu bedeutender Macht und
Größe. Zu ihrem Gebiet gehörte zur Zeit ihrer
Blüte die ganze Westhälfte des spätern Lukanien,
doch ist ihre Geschichte ziemlich unbekannt. Infolge ihres
großen Reichtums ergaben sich die Bewohner (Sybariten) einem
so üppigen und weichlichen Leben, daß das
"Sybaritenleben" sprichwörtlich wurde. Nachdem die Stadt 510
von den Krotoniaten zerstört worden, legten 443 die Reste der
vertriebenen Sybariten, durch neue Kolonisten aus Griechenland
(darunter Herodot und der Redner Lysias) verstärkt, weiter
landeinwärts von der zerstörten Stadt eine neue an, die
sie nach einer nahen Quelle Thurii nannten. Hannibal ließ
dieselbe 204 plündern; 194 wurde sie römische Kolonie.
Die Zeit ihres Untergangs ist nicht bekannt. Im Winter 1887/88 hat
die italienische Regierung mit der Ausgrabung der Ruinen von S.
begonnen. Sybel, Heinrich von, deutscher Geschichtschreiber, geb.
2. Dez. 1817 zu Düsseldorf, studierte in Berlin, namentlich
von Ranke angeregt, Geschichte, habilitierte sich 1841 als
Privatdozent der Geschichte zu Bonn, ward 1841 Professor daselbst
und 1846 in Marburg. Er war 1848-49 Mitglied der hessischen
Ständeversammlung und 1850 des Erfurter Staatenhauses, ward
1856 Professor in München, 1857 Mitglied der dortigen Akademie
und 1858 Sekretär der Historischen Kommission. Seit 1861
Professor in Bonn, war er 1862-64 Mitglied des preußischen
Landtags, in welchem er namentlich die polnische Politik Bismarcks
tadelte, ward 1867 nationalliberales Mitglied des konstituierenden
Reichstags des Norddeutschen Bundes, 1874 wieder Mitglied des
Abgeordnetenhauses, in welchem er auf Grund seiner Erfahrungen am
Rhein besonders die Ultramontanen bekämpfte, 1875 Direktor der
Staatsarchive in Berlin, 1876 Mitglied der dortigen Akademie und
1878 Geheimer Oberregierungsrat. Sein Abgeordnetenmandat legte er
1880 nieder. Er veranlaßte die "Publikationen aus den
preußischen Staatsarchiven", die Herausgabe der "Politischen
Korrespondenz Friedrichs d. Gr.", die Gründung der
preußischen historischen Station und ward Mitglied der
Direktion der "Monumenta". Er schrieb: die durch kritische
Schärfe und geistvolle Darstellung ausgezeichnete "Geschichte
des ersten Kreuzzugs" (Düsseld. 1841, 2. Aufl. 1881); "Die
Entstehung des deutschen Königtums" (Frankf. 1844, 2. Aufl.
1881), über welche er mit Waitz in eine lange litterarische
Fehde geriet; "Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795"
(Marb. 1853-58, 3 Bde.; 4. Aufl., Düsseld. 1877), welche auf
Grund eingehender Studien die französische Revolution
namentlich im Zusammenhang mit der damaligen europäischen
Politik beleuchtet, S. aber wieder in einen heftigen Streit mit
Hüffer, Herrmann und Vivenot verwickelte, da S. die
preußische Politik, besonders den Baseler Frieden,
verteidigte, dagegen die österreichische Politik seit 1792
scharf verurteilte. Es folgten: die "Geschichte der Revolutionszeit
von 1795 bis 1800" (Düsseldorf 1872-74, 2 Bde.; 2. Aufl.
1878-79); "Die deutsche Nation und das Kaiserreich" (das. 1862).
Seine "Kleinen historischen Schriften" (Münch. 1863-81, 3
Bde.) enthalten auch seine vorzüglichen Vorträge. 1856
gründete er die noch unter seiner Leitung stehende
"Historische Zeitschrift". S. ist ein ebenso gründlicher,
methodischer Forscher wie glänzender, wirkungsvoller
Darsteller. Syceesilber (Sissisilber), hochfeines (0,960) Silber in
schuhähnlichen Barren (daher shoes), dient in China als
Tausch- und Zahlungsmittel für den größern Verkehr.
Das große Sissi wiegt 50, das kleine 7,10 oder 19 Taels. Sydenham (spr. ssíddenhäm), eine der
südlichen Vorstädte Londons, an der Grenze der
Grafschaften Kent und Surrey, berühmt durch den 1853-54 von
Sir Joseph Paxton errichteten Glaspalast (Crystal Palace), bei
dessen Bau die Materialien (ausschließlich Glas und Eisen)
des 1851 im Hyde Park erbauten Ausstellungsgebäudes Verwendung
fanden. Nachdem das nördliche Querschiff 30. Dez. 1866 durch
eine Feuersbrunst zerstört worden, hat der Bau eine
Gesamtlänge von 324 m. Das Mittelschiff ist 22 m breit und 32
m hoch, das mittlere Querschiff 118 m lang, 36,5 m breit und 51,2 m
hoch. Vier Galerien laufen um dasselbe herum. Am westlichen Ende
steht das Händel-Orchester mit Raum für 4000
Künstler und einer Orgel mit 4598 Pfeifen. Ein Konzertsaal und
Theater schließen sich an dasselbe an. Im nördlichen
Teil des Palastes findet man Nachbildungen verschiedener Baustile,
meist in verjüngtem Maßstab, als: einen ägyptischen
Tempel, griechische und römische Wohnhäuser, einige
Räumlichkeiten der Alhambra und Höfe im byzantinischen,
gotischen und italienischen Stil. Das ehemalige "tropische
Departement" ist leider ein Raub der Flammen geworden. Südlich
vom Händel-Orchester liegen vier sogen. Industrial courts,
für den Verkauf von Glas, Kurzwaren, Kunstgegenständen
etc., und die Nachbildung eines pompejanischen Hauses. Im
südlichen Querschiff befinden sich ein von reizenden
Blumenbeeten umgebener Springbrunnen, eine Sammlung ethnologischer
Modelle, Abgüsse einiger der berühmtesten Bildhauerwerke
der Welt etc. Die geräumigen Galerien bieten Raum für
eine Gemäldeausstellung, Lesezimmer, Verkaufsbuden etc. Im
Unterstock endlich liegt ein Aquarium. Großartig sind auch
die Gartenanlagen und die Wasserkünste, welche alle
ähnlichen Werke weit 454 Sydenham - Sydow. übertreffen; der bedeutendste Wasserstrahl erreicht eine
Höhe von 75 m. Der Kristallpalast, dessen Baukosten sich auf 1
1/2 Mill. Pfd. Sterl. beliefen, ist Eigentum einer
Privatgesellschaft und wird jährlich von über 2 Mill.
Menschen besucht. Sydenham (spr. ssídenhäm), Thomas, Arzt, geb.
1624 zu Windford-Eagle in Dorsetshire, studierte seit 1642 zu
Oxford und London, erwarb dann in Oxford das Bakkalaureat,
promovierte in Cambridge und ließ sich als Arzt in London
nieder. Er gilt Paracelsus gegenüber, welcher immer nur
umzustürzen bestrebt war, als der "positive" Reformator der
praktischen Medizin. Die Bedeutung der Thatsachen und direkten
Beobachtungen stellte er obenan; die Krankheiten faßte er auf
als Prozesse, die Symptome derselben als etwas rein
Äußerliches, das nach der Konstitution wechseln kann; er
suchte namentlich die verschiedenen Krankheitsformen bestimmt
abzugrenzen, zunächst um für die Anwendung spezifischer
Heilmittel sichere Anhaltspunkte zu gewinnen. Hierbei geriet er
jedoch in eine rein ontologische Auffassung hinein, die ihn sogar
dahin bringt, die Krankheiten nach einem botanischen Schema zu
klassifizieren. S. huldigte im allgemeinen einer energischen
Therapie, in welcher China und Opium und namentlich der
Aderlaß eine hervorragende Rolle spielten. Er starb 29. Dez.
1689. Gesammelt erschienen seine durchweg in lateinischer Sprache
abgefaßten Schriften als "Opera omnia" London 1685 (zuletzt,
das. 1844; in engl. Übersetzung, das. 1848-50, 2 Bde.;
deutsch, Wien 1786-87, 2 Bde.). Vgl. Jahn, Sydenham (Eisenach
1840); Brown, Locke and S. (Edinb. 1866). Sydney (spr. ssíddni), 1) Hauptstadt der
britisch-austral. Kolonie Neusüdwales, am südlichen Ufer
des Port Jackson und 6 km vom Stillen Ozean, unter 33° 51'
südl. Br. und 151° 11' östl. L. v. Gr. Die Stadt ist
mit Ausnahme des ältesten Teils regelmäßig
angelegt, hat Gas- und Wasserleitung, Dampftrambahnen und besitzt
viele schöne Bauten, wie die Universität, die
anglikanische und die katholische Kathedrale, den Palast des
Gouverneurs, die 13 Bankgebäude, Börse, Generalpostamt,
Rathaus, Museum, Regierungsgebäude, 5 Theater. Von den
öffentlichen Anlagen sind der schöne botanische Garten,
die "Domäne", Hydepark, Prince Alfred-Park u. a. zu nennen,
mit Statuen Sir Richard Bourkes, Cooks und Prinz Alberts. Die Stadt
hatte 1800 erst 200, Ende 1887 aber mit den Vorstädten bereits
348,695 Einw., welche schon lebhafte Industrie treiben. Es bestehen
großartige Leder-, Schuhzeug- und Wollzeugfabriken, 50
Kleiderfabriken, große Dampftischlereien, Wagen- und
Maschinenbauaustalten, Eisengießereien, Brauereien etc. Auf
mehreren mit allen modernen Hilfsmitteln ausgerüsteten Werften
mit Docks werden große Dampfer gebaut. Eine nach dem Innern
führende Eisenbahn verzweigt sich wenige Kilometer von der
Stadt. Der Hafen ist vorzüglich, die größten
Schiffe können an den Kais anlegen; 1887 liefen ein: 1665
Schiffe von 2,109,830 Ton. Zum Hafen von S. gehören 576
Segelschiffe von 63,121 T. und 403 Dampfer von 47,675 T. S. ist
Endstation für die Postdampfer des Norddeutschen Lloyd, der
Messageries maritimes, der großen englischen
Postdampferlinien durch den Suezkanal und über San Francisco
nach Europa und vieler andrer Dampfergesellschaften. Von
Bildungsanstalten besitzt S. außer einer Universität mit
3 theologischen Seminaren mehrere höhere Schulen, eine
Kunstschule mit Bibliothek von 25,000 Bänden und Museum,
öffentliche Bibliothek mit 70,000 Bänden,
Handwerkerinstitut mit 20,000 Bänden. Es erscheinen 6
Zeitungen täglich, 15 wöchentlich, 10 monatlich. Die
Stadt hat zahlreiche Wohlthätigkeitsanstalten und ist Sitz des
Gouverneurs, des Parlaments und der Regierung, eines katholischen
Erzbischofs und eines englischen Bischofs, des obersten
Gerichtshofs, eines deutschen Berufskonsuls (für Australien
und die Südsee) und eines Konsuls, einer Handelskammer u.
Münzstätte. Stadt und Hafen sind durch eine Reihe von
Forts geschützt; außer einem Freiwilligenkorps besitzt
die Stadt kein Militär, ist aber Hauptquartier für die
neun britischen Kriegsschiffe der australischen Station. - Situationsplan von Sydney 2) Hauptort von Cape Breton Island (s. d.). Sydow, 1) Karl Leopold Adolf, protestant. Theolog, geb.
23. Nov. 1800 zu Charlottenburg, einer der treuesten Schüler
Schleiermachers, wurde 1836 zum Hofprediger in Potsdam, 1846 zum
Prediger an der Neuen Kirche in Berlin berufen. Von Friedrich
Wilhelm IV. nach England zur Beobachtung der dortigen kirchlichen
Zustände geschickt, gab er ein von der Königin Viktoria
veranlaßtes Gutachten über die schottische
Kirchentrennung heraus: "Die schottische Kirchenfrage" (Potsd.
1845). Bekannt ist er namentlich durch die infolge eines 12. Jan.
1872 im Unionsverein von ihm gehaltenen Vortrags: "Über die
wunderbare Geburt Jesu" (gedruckt in der Sammlung "Protestantischer
Vorträge", Berl. 1873), gegen ihn eingeleitete
Disziplinaruntersuchung geworden, die 5. Juli 1873 mit einem
"geschärften Verweis" endete (vgl. darüber die von S.
veröffentlichten "Aktenstücke", 2. Aufl., Berl. 1873).
Bald darauf trat er in den Ruhestand und starb 22. Okt. 1882. Sein
Leben beschrieb seine Tochter Marie S. (Berl. 1883). 2) Emil von, hervorragender Geograph, geb. 15. Juli 1812 zu
Freiberg in Sachsen, trat 1830 als Leutnant in die preußische
Armee, ward 1843 als Mitglied der
Militärexaminationskommission nach Berlin berufen, wo er
später auch Vorlesungen an der Kriegsakademie hielt, lebte
1855-60 in Gotha und starb 13. Okt. 1873 in Berlin als Oberst und
Abteilungschef im Nebenetat des Großen Generalstabs. Seine
Aufsätze und kritischen Arbeiten über Kartographie in
"Petermanns Mitteilungen", seine zahlreichen Kartenwerke:
"Wandkarten", "Methodischer Hand- 455 Syene - Sylt. atlas" (4. Aufl., Gotha 1867; neu bearbeitet von H. Wagner, 2.
Aufl. 1889), "Schulatlas in 42 Blättern" (28. Aufl., das.
1876), "Hydrographischer Atlas" u.a., ebenso seine Aussätze in
den "Mitteilungen", "Unsere Zeit" und namentlich in
militärischen Zeitschriften sind zu ihrer Zeit von
großem Wert gewesen. Auch veröffentlichte S.:
"Grundriß der allgemeinen Geographie" (Gotha 1862, 1. Abt.)
und "Übersicht der wichtigsten Karten Europas" (Berl. 1864).
Vgl. "Emil v. S., ein Nachruf" (Berl. 1874). Syene, Stadt, s. Assuân. Syenit, gemengtes kristallinisches Gestein, in seinen
typischen Varietäten aus Orthoklas und Hornblende bestehend.
Mit dem Granit (s. d.) ist der S. vermittelst Übergänge,
welche durch Zurücktreten der Hornblende und Ausnahme von
Quarz und Glimmer hervorgerufen werden, eng verknüpft
(Syenitgranit). Neben Orthoklas tritt mitunter gleichzeitig auch
Oligoklas in das Gemenge, der sich dann von dem Orthoklas
häufig durch leichtere Verwitterbarkeit und dadurch bedingte
Trübung unterscheidet. Von accessorischen Bestandteilen ist
außer Magneteisen, Eisenkies, gediegenem Kupfer und
Kupferverbindungen als besonders charakteristisch Titanit
aufzuführen. S. besitzt gewöhnlich mittelkörnige
Struktur; eine porphyrartige entsteht, wenn einzelne Orthoklase in
großern Individuen entwickelt sind, schieferige durch
lagenweise Verteilung der Hornblende oder auch des Glimmers in den
granitischen Varietäten. Absonderungsformen sind selten, doch
kennt man von einzelnen Lokalitäten kugelige und
säulenförmige, erstere namentlich bei beginnender
Verwitterung hervortretend. Die mittlere chemische Zusammensetzung
schwankt zwischen 50-62 Proz. Kieselsäureanhydrid, 15-20
Thonerde, 6-14 Eisenoxydul, 1-6 Magnesia, 4-9 Kalk, 2-5 Natron und
3-7 Proz. Kali. Das spezifische Gewicht ist 2,7 bis 2,9.
Hinsichtlich der Altersverhältnisse und der Hypothesen
über Bildung des Syenits ist auf das, was über Granit
gesagt worden ist, zu verweisen. Die Verwitterung des Syenits
führt häufig zur Blockbildung, deren Residua, lokal
aufgehäuft, sogen. Felsenmeere darstellen. Eins der
berühmtesten ist dasjenige bei Auerbach an der
Bergstraße (s. Felsberg). Als letztes Produkt der
Verwitterung bildet sich ein ockergelber eisenschüssiger Lehm,
oft mit Splittern von Hornblende oder mit aus derselben
entstandenen Chloritschüppchen gemengt. Dem Vorkommen nach ist
der S. gewöhnlich wiederum mit granitischen Gesteinen eng
verknüpft. Besonders entwickelt ist er in Sachsen (Umgegend
von Dresden und Meißen), Thüringen, im Odenwald, in
Mähren, Norwegen, Irland und Nordamerika. Er dient, wie schon
im alten Ägypten, zu architektonischen Zwecken, Säulen,
Obelisken, Vasen etc. Sein Magneteisengehalt, infolge von
natürlichen durch Anlage von Fanggruben unterstützten
Schlämmungsprozessen lokal aufgehäuft, versieht am
Vitosgebirge in der Türkei eine kleine Eisenindustrie mit Erz.
Verwandte Gesteine, teilweise nur als lokale Varietäten des
Syenits zu betrachten, sind: der Monzonit (nach dem Berg Monzoni in
Südtirol so genannt), aus Orthoklas, Oligoklas u. Augit,
accessorisch auch Hornblende, bestehend ; der Zirkonsyenit
Norwegens und Grönlands, welcher neben Orthoklas und
Hornblende Eläolith (s. Nephelin) und Zirkon führt und
sich im Gegensatz zu dem normalen S. durch seinen Reichtum an
accessorischen Bestandteilen (mehr als 50 zum Teil sehr seltene
Mineralspezies) auszeichnet; der Foyait (vom Berg Foya in
Portugal), aus Orthoklas, Hornblende und Eläolith
zusammengesetzt; der Miascit (von Miask im Ilmengebirge), von
Orthoklas, Glimmer und Eläolith, mitunter auch Sodalith,
gebildet. Syenitgranit (Hornblendegranit), s. Granit und
Syenit. Syke, Kreisstadt im preuß. Regierungsbezirk
Hannover, an der Linie Wanne-Bremen der Preußischen
Staatsbahn, hat eine evang. Kirche, ein Amtsgericht, Schweinehandel
und (1885) 1118 Einw. Sykomore, s. v. w. Maulbeerfeigenbaum, s. Ficus, auch s.
v. w. Platane und gemeiner Bergahorn. Sykophanten (griech.), in Athen diejenigen, welche jemand
wegen verbotener Ausfuhr von Feigen denunzierten; sodann die
Denunzianten, welche ein Gewerbe daraus machten, durch Androhung
von falschen Anklagen, Verleumdungen und Schikanen aller Art die
Begüterten zu brandschatzen. Die strengsten Strafen vermochten
in der Zeit der politischen Entartung das Unwesen nicht
auszurotten. Sykosis, s. Bartfinne. Sylburg, Friedrich, Philolog, geb. 1536 zu Wetter bei
Marburg, lehrte an den Schulen zu Neuhaus bei Worms und zu Lich in
der Wetterau, ward 1582 Korrektor bei dem Buchdrucker Wechel in
Frankfurt a. M., 1591 bei Commelin in Heidelberg und Bibliothekar
der Universität daselbst; starb dort 17. Febr. 1596. Er war
ein eifriger Förderer des Griechischen. Seine Ausgaben des
Pausanias, Aristoteles, Dionysios von Halikarnaß, Clemens von
Alexandria, des "Etymologicum magnum" u. a. sind ausgezeichnet
durch Genauigkeit der kritischen Methode. Auch bearbeitete er des
Clenardus "Institutiones linguae graecae" (Frankf. 1580) und war
Mitarbeiter des H. Stephanus am "Thesaurus linguae graecae". Vgl.
F. G. Jung, Lebensbeschreibung Fr. Sylburgs (Berleburg 1745);
Creuzer, Opuscula selecta, S. 196 ff. Syllabarium (lat.), ABC-Buch. Syllabieren, Buchstaben, richtiger: Laute, zusammen in
Silben aussprechen; syllabisch, silbenweise. Syllabiermethode,
wobei nach Aussprechen der einzelnen Buchstaben die einzelnen
Silben und zuletzt die ganzen Wörter ausgesprochen werden, wie
es z. B. in den Anstalten Pestalozzis geschah. Syllabus (griech.), Verzeichnis; bekannt besonders der
der päpstlichen Encyklika vom 8. Dez. 1864 beigegebene S.,
eine Aufzählung und Verdammung aller mit der streng
römischen Auffassung nicht verträglichen Prinzipien und
Formen des modernen Lebens (s. Pius 9). Syllepsis (griech., "Zusammenfassung"), Zusammenziehung
zweier Silben in eine; auch grammatische Figur, durch welche ein
Prädikat auf zwei oder mehrere Subjekte bezogen wird, die in
Bezug auf Person, Numerus und Genus verschieden sind (s.
Zeugma). Syllogismus (griech.), in der Logik der einfache
Schluß, in welchem die Gültigkeit eines Urteils
(Schlußsatz) durch zwei andre (Vordersätze oder
Prämissen) begründet wird. S. Schluß. Sylochelidon, Raubseeschwalbe, s. Seeschwalbe. Sylphen (griech.), im System des Paracelsus
Elementargeister, deren Wohnort die Luft war, und die zum Dienste
der Menschen bereit waren. Ein solcher war z. B. Oberon (s. d.).
Sylphiden heißen die weiblichen Luftgeister. Sylt (Silt, v. altfries. Silendi, "Seeland"), Insel in
der Nordsee, zum Kreis Tondern der preuß. Provinz
Schleswig-Holstein gehörig, 12-22 km von der schlesischen
Küste entfernt, ist von N. nach Sü- 456 Sylva - Symbiose. den 36 km lang, 1-14 km breit und zählt 3410 Einw. Der
nördliche Teil der Insel heißt List, die südliche
Halbinsel Hörnum. In der Mitte ragt gegen SO. in das
Wattenmeer ("Haff") eine breite Halbinsel hinein, deren
äußerste Spitze Nösse heißt. Sandklittern
oder Dünen erfüllen die südliche Halbinsel, ebenso
die nördliche Hälfte der nördlichen Halbinsel,
während der mittlere Hauptteil, auf der Tertiärformation
aufgebaut (Morsumkliff am Wattenmeer, Rotes Kliff an der Seeseite),
Geest- und Marschland enthält, von denen das letztere sich
durch Absetzung von Schlamm in das Wattenmeer hinein beständig
vergrößert, während auf der Seeseite Stürme
und die Wellen der Nordsee der Insel ebenso stetig Abbruch thun, so
daß die teilweise bis 30 m hohen Sandberge, in
beständiger Wanderung begriffen, immer mehr landeinwärts
rücken. Im Januar 1300 wurde der Flecken Wenningstadt an der
Westküste, 1362 das Dorf Steidum von den Fluten verschlungen.
Die wichtigsten Orte auf S. sind: Keitum (s. d.) mit 853 Einw.,
Tinnum mit Amtsgericht und 162 und Morsum mit 671 Einw. auf der
östlichen, Rantum auf der südlichen Halbinsel mit 260,
Westerland (s. d.) an der See mit Seebad, Krankenisolierhaus und
899 und Norddörfer mit 295 Einw. Ein Leuchtturm befindet sich
auf einem Hügel südlich von Kampen, Leuchtfeuer an
verschiedenen Stellen der Küste. Die Bewohner sind Friesen,
nur in List Dänen; Kirchen-, Unterrichts- und Gerichtssprache
war von jeher deutsch. In der Nähe des Lenchtturms wurden
neuerlich altheidnische Grabstätten von bedeutendem Umfang
aufgefunden. S. ward im Krieg von 1864 durch den dänischen
Kapitän Hammer schwer heimgesucht, von den Preußen aber
13. Juli in Besitz genommen. Seitdem hat die preußische
Regierung größere Summen zum Schutz der Westseite der
Insel gegen die gefahrdrohenden Abspülungen durch das Meer
verwendet. Der Besuch des Seebades ist in steter Zunahme begriffen.
Regelmäßige Dampferverbindungen finden von Hoyer nach
Keitum statt, von wo jetzt aus Munkmarsch eine
Dampfstraßenbahn nach Westerland führt. Ferner hat S.
Dampferverbindung mit Hamburg über Helgoland. Vgl. Hansen, Die
nordfriesische Insel S. (Leipz. 1859); Meyn, Geologische
Beschreibung der Insel S (Berl. 1876); Kunkel, Der Kurort S. und
seine Heilwirkung (Kiel 1878); Hepp, Wegweiser auf S. (3. Aufl.,
Tondern 1885). Sylva (lat.), s. Silva. Sylva, Carmen, Pseudonym der Königin Elisabeth von
Rumänien (s. Elisabeth 10). Sylvanerz, Sylvanit, s. v. w. Schrifterz (s. d.). Sylvester, s. Silvester. Sylvester, James Joseph, Mathematiker, geb. 3. Sept. 1814
zu London, studierte in Cambridge, wurde 1837 Professor der Physik
am University College in London, 1840 Professor der Mathematik an
der Universität von Virginia, 1855 an der Militärakademie
in Woolwich, 1870 an der John Hopkin's University in Baltimore und
1883 Professor der Geometrie in Oxford. Er erfand mehrere
geometrische Instrumente, wie den Plagiographen, den geometrischen
Fächer etc., 1885 veröffentlichte er die "Theorie der
Reciprozienten", durch welche die frühern Hilfsquellen der
modernen Algebra mehr als verdoppelt wurden. S. stellte auch eine
Theorie der Verifikation auf. Sylvesterorden, s. Goldener Sporn. Sylvia, Grasmücke. Sylviidae (Sänger), Familie der Sperlingsvögel
(s. d.); Sylviinae, echte Sänger. Sylvin (Hövellit, Schätzellit), Mineral aus der
Ordnung der einfachen Haloidsalze, kristallisiert tesseral, findet
sich meist in körnigen oder stängeligen Aggregaten, auch
derb und eingesprengt, ist farblos oder gefärbt,
glasglänzend, durchsichtig, Härte 2, spez. Gew. 1,9-2,0,
besteht aus Chlorkalium und findet sich in größter Menge
in linsenförmigen Einlage-rungen von 3-5 cm Dicke und 2-4 m
Länge im salzführenden Thon bei Kaluschin und wird hier
bergmännisch gewonnen. In Staßfurt findet sich S. im
Kieserit, auch kommt er als vulkanisches Sublimat am Vesuv vor. Er
dient zur Darstellung von Kalisalzen. Sylvius, 1) Jacob (Dubois), Anatom, geb. 1478 zu Amiens,
studierte in Paris, hielt dort bis zu seinem Tod 1555 unter
großem Beifall anatomische Vorlesungen und bereicherte die
Anatomie durch wichtige Entdeckungen und Erfindungen. Nach ihm sind
die Sylviussche Grube und die Sylviussche Wasserleitung im Gehirn
(s. d., S. 2) benannt. Seine "Opera medica" erschienen in Genf
1630. 2) Franz, Mediziner, s. Boe. 3) Pseudonym, s. Texier 2). Symbiose (griech.), nach einem von dem Botaniker A. de
Bary eingeführten Kunstausdruck das engere Zusammenleben
mehrerer, gewöhnlich zweier Lebewesen verschiedener Art, die
einander wechselseitig nützen und zusammen besser gedeihen als
jeder der Genossenschafter für sich. Der letztere Umstand
unterscheidet die S. vom Parasitismus, bei welchem der Schmarotzer
(s. d.) einseitig Vorteil zieht und der Wirt einzig Nachteil hat.
Einen Übergang zwischen beiden Verhältnissen macht das
durch I. van Beneden als Mutualismus bezeichnete Verhältnis,
bei welchem z. B. Hautschmarotzer ihrem Wirte durch Verzehren von
Hautabfällen und Absonderungsprodukten Säuberungsdienste
leisten, ein näheres Ineinanderleben und gegenseitiges
Anpassen aber nicht stattgefunden hat. Man kann drei
Hauptfälle der S. unterscheiden: 1) zwischen Pflanzen unter
sich, 2) zwischen Tieren unter sich und 3) zwischen Tier und
Pflanze. Von dem Zusammenleben zweier niederer Pflanzen geben die
aus Pilzen und einzelligen Algen bestehenden Flechten (s. d.) das
lehrreichste und am längsten bekannte Beispiel; die Algen
bereiten dabei im Licht Nahrungsstoffe aus der Luft, während
die davon mitzehrenden Pilzfäden Nahrung aus der Unterlage
ziehen und eine geeignete, Feuchtigkeit zurückhaltende
Hülle bilden. Ein andres derartiges Beispiel bietet die
Mycorhiza (s. d.). Zu der S. zwischen Tieren gehört als das am
längsten bekannte Beispiel das Wohnen des Muschelwächters
(Pinnoteres veterum), einer kleinen Krabbenart, in den Schalen der
Steckmuscheln (Pinna). Die Alten glaubten, der an der
Schalenöffnung liegende Krebs benachrichtige das Muscheltier
durch Kneipen mit den Scheren von nahender Gefahr oder Beute und
erhalte dafür seinen Anteil an der letztern. Sicherer
festgestellt ist der gegenseitige Vorteil bei dem oft geschilderten
"Freundschaftsverhältnis" der Einsiedlerkrebse mit den
Aktinien oder Seerosen, die sich auf den von jenen bewohnten
Schneckenhäusern ansiedeln. Denn die Seerosen sind wegen der
von ihnen ausgeschleuderten Nesselorgane gefürchtete
Meerestiere, die dem namentlich von Sepien verfolgten
Einsiedlerkrebs Schutz gewähren und dafür von ihm an
günstige Beuteplätze geführt werden sowie auch
dreist zulangen, wenn der Krebs ein gutes Beutestück erwischt
hat. Man hat in Aquarien festgestellt, daß Krebse, die man
aus ihren mit Seerosen besetzten Schalen vertrieben, auch die
befreundete 457 Symbiotes - Symbolik. Seerose zur Übersiedelung veranlassen. Dagegen gehört
das Besetzen der Schalen andrer Krebsarten mit Schwammtieren,
Polypen und Algen mehr unter den Gesichtspunkt des Maskierens (s.
d.). Von den Landbewohnern hat besonders das Wohnen vieler Tiere in
Ameisennestern zahlreiche Studien veranlaßt. Manche
Käfer, wie der blinde Keulenkäfer (Claviger), bringen
ihre ganze Lebenszeit im Ameisennest zu und werden von den
Einwohnern sorgsam gepflegt und behütet, andre, wie der
bekannte Rosengoldkäfer, verleben nur ihre Larvenzeit bei den
Ameisen; die Brut gewisser Blattläuse wird im Winter dort
aufgenommen. Wahrscheinlich sind die meisten dieser sehr
mannigfachen Gäste der Ameisen denselben durch ihre
Absonderungen angenehm, wie dies von den Blattläusen, den
"Milchkühen" der Ameisen, bekannt ist, andre mögen die
Abfälle fressen, und noch andre, zu denen sowohl zahlreiche
Insekten als selbst Amphibien und Vögel gehören, sind
wohl nur geduldete Genossen. Von besonderm Interesse ist die S.
zwischen Pflanzen und Tieren, weil dadurch dauernde organische
Veränderungen sowohl in der äußern Gestalt und
Färbung als in der Lebensweise hervorgebracht und neue Arten
gezüchtet wurden. Dabei kann nun entweder die Pflanze oder das
Tier als Quartiergeber auftreten. Schon längst hatte man im
Körper sowohl der Protisten, wie z. B. der Radiolarien , als
in demjenigen wirbelloser Tiere gewisse gelbe, bräunliche oder
grüne Zellen entdeckt, die denselben, da sie meist nahe an der
Oberhaut liegen, ihre gelbliche, bräunliche oder
grünliche Hautfarbe geben, ohne daß man über ihre
eigentliche Bedeutung für das Leben klar wurde. Ihre Rolle
wurde um so unverständlicher, als Häckel Stärkemehl
in ihnen nachwies, und endlich wurde durch die Untersuchungen von
Geza Enz, O. Hertel, Brandt u. a. nachgewiesen, daß es sich
um einzellige Algen handelt, die in die Körper von Protisten,
Süßwasserpolypen, Seeanemonen und Korallen,
Seewürmern, Quallen und andern Tieren eindringen, in dem
durchsichtigen Gewebe derselben Nahrungsstoffe bilden, sich
vermehren und auch isoliert weiterleben. Daher haben diese durch
einzellige Algen gefärbten Wassertiere die Gewohnheit, ihren
Körper zeitweise dem Sonnenschein oder hellem Tageslicht
auszusetzen, und scheiden dann einen Überschuß von
Sauerstoff, wie Pflanzen, aus, obwohl die Tiere sonst Sauerstoff
als Atmungsstoff verbrauchen. Im beständigen Dunkel gehalten,
siechen diese Tiere dahin, weil sie von den in ihrem Körper
lebenden und nunmehr absterbenden Algen sowohl Sauerstoff als auch
zubereitete Nahrung empfingen. Da die Tiere ihrerseits
Kohlensäure und andre Stoffe ausscheiden, von denen die Algen
leben, so ist hier im engsten Bezirk ein Austausch und Kreislauf
der Lebensstoffe hergestellt, wie er sonst erst im weitern Umkreis
zwischen der Gesamtheit der Tiere und Pflanzen stattfindet. Unter
den umgekehrten Fällen, in denen die Pflanzen ihnen
nützlichen Tieren Obdach und Nahrung darbieten, ist die
Gegenseitigkeit und das Ineinanderleben bei Pflanzen und Ameisen am
auffallendsten. In den Tropen bedürfen zahlreiche Pflanzen
einer beständigen Schutzwache von Ameisen gegen die Angriffe
der sogen. Blattschneider- oder Sonnenschirmameisen, welche die
Blätter niedriger Pflanzen und Bäume rauben und in
wenigen Stunden ganze Baumwipfel entlauben. Pflanzen und Bäume
können sich ihrer nur erwehren, indem sie gewissen kleinen,
mit einem Stachel bewaffneten Ameisen, welche die grimmigsten
Feinde der erstern sind, Wohnung und Kost gewähren. Die sogen.
Ochsenhornakazie und andre Akazienarten beherbergen sie in ihren
vergrößerten hohlen Dornen, die Armleuchterbäume
(Cecropia-Arten) in den hohlen Internodien des Stammes, an denen
sich eine besondere Durchbruchsstelle für die Weibchen
ausgebildet hat, noch andre Pflanzen in beulen- oder
blasenförmigen Austreibungen des Stammes, der Äste oder
Blattstiele. In neuerer Zeit sind sehr zahlreiche, gewissen Ameisen
ständige Wohnung bietende Pflanzen bekannt geworden, und man
hat auch angefangen, gewisse Wucherungen und Haarbüschel in
den Nervenwinkeln der Blätter (z. B. unsrer Linden) für
ähnliche, den Milben als Wohnung dienende Gebilde
("Acaro-Domatien") anzusehen. Im weitern Sinn würden hierher
auch alle die zahllosen gegenseitigen Anpassungen der Blüten
an Insektenbesuch und der Insekten an Honig- und Pollenraub
gehören (s. Blütenbestäubung). Vgl. de Bary, Die
Erscheinung der S. (Straßb. 1879); O. Hertwig, Die S. (Jena
1883); Huth, Ameisen als Pflanzenschutz (Berl. 1886); Derselbe,
Myrmekophile und myrmekophobe Pflanzen (das. 1887); Schimper, Die
Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen im tropischen
Amerika (Jena 1888). Symbiotes, s. Milben, S. 606. Symblepharon (griech.), Verwachsung des Augenlides mit
dem Augapfel, entsteht meist durch ausgedehnte Verbrennungen oder
Ätzungen der Bindehaut und muß operativ beseitigt
werden. Symbol (griech., lat. symbolum), Erkennungs- oder
Merkzeichen; daher auch s. v. w. Parole, meist aber gleich Sinnbild
(s. d.) gebraucht. Im heidnischen Kultus war S. ein für den
Geheimdienst gewähltes Sinnbild, besonders eine Formel oder
ein Merkwort, woran sich die in die Mysterien Eingeweihten
erkannten; daher in der christlichen Kirche s. v. w. Sakrament und
insbesondere die sinnlichen Zeichen, welche bei den Sakramenten
gebraucht werden (Wasser, Brot, Wein); endlich auch s. v. w.
Glaubensbekenntnis, als Erkennungszeichen der zu einer
Religionspartei Gehörigen (s. Symbolische Bücher). Symbolik (griech.), Wissenschaft und Lehre von den
Symbolen (Sinnbildern), insbesondere den religiösen. Die S.
lehrt uns, den hinter einem Zeichen oder Sinnbild verborgenen
tiefern Sinn erkennen, welchem etwas Geistiges, Unsichtbares oder
Undarstellbares zu Grunde liegt. Der Ursprung der S. ist auf die
Hieroglyphen- oder Bilderschrift der alten Ägypter
zurückzuführen, von denen sie durch Vermittelung der
Juden auf die ältesten Christen übergegangen ist. Die
Ägypter symbolisierten ihre Götter durch Tiere,
Verbindungen von menschlichen und tierischen Gestalten oder
Gliedern, Hieroglyphen oder durch mystische Zeichen, welche sich
auf ihren Kult bezogen. So ist z. B. die geflügelte
Sonnenscheibe das Symbol des Siegs des Guten über das
Böse, der Sperber das Sinnbild des Horus, die
Uräusschlange das Zeichen der königlichen Würde. Die
ältesten Christen bedienten sich der Sinnbilder, um sich durch
nicht jedermann verständliche Zeichen vor Verfolgungen zu
schützen. Sie entnahmen dieselben sowohl dem Tier- und
Pflanzenreich als dem Alten und Neuen Testament. Das Lamm war z. B.
das Symbol für den Opfertod Christi, das Kreuz und der Gute
Hirt für Christus selbst, der Weinstock das Sinnbild der
christlichen Verheißung und die Palme das Siegeszeichen der
Märtyrer. Die Zahlensymbolik gehörte im Altertum mehr zur
Astrologie; doch gab es auch bei Juden, Heiden und Christen gewisse
heilige Zahlen. Die Sieben war z. B. die heilige Zahl der 458 Symbolik - Symbolische Bücher. Juden (siebenarmiger Leuchter), und die Christen deuteten sie
später auf die sieben letzten Worte am Kreuz, auf die sieben
Sakramente, die sieben Werke der Barmherzigkeit etc. Die Drei war
das Zeichen der heiligen Dreieinigkeit und der drei christlichen
Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung), die Vier das Symbol der vier
weltlichen Tugenden, der vier Elemente etc., die Fünf das
Sinnbild der Wundenmale Christi. Die Tiersymbolik wurde im
Mittelalter sehr umständlich ausgebildet, indem namentlich die
naturwissenschaftlichen Lehrbücher, die sogen. Bestiarien (s.
Bestiaire), gewisse Tiere zu Vertretern besonderer Eigenschaften,
Tugenden und Lastern machten, für welche sie von der bildenden
Kunst als Symbole benutzt wurden. Die vier Evangelisten hatten
schon frühzeitig ihre Symbole (Matthäus einen Engel,
Markus einen Löwen, Lukas einen Ochsen, Johannes einen Adler).
Der Löwe war das Sinnbild der Stärke und des Edelmuts,
der Adler das der königlichen Würde, der Pfau das des
Hochmuts, das Einhorn das der Unschuld, der Hund das der Treue, das
Schwein das der Völlerei etc. Auf mittelalterlichen
Grabsteinen ist der Löwe sehr häufig das Attribut der
Männer, der Hund das der Frauen. Die geläufigsten Tier-
und Pflanzensymbole wurden auch von der Kunst der Renaissance
übernommen und haben sich bis auf die Gegenwart in der Kunst
und im Gebrauch des gewöhnlichen Lebens erhalten. So sind z.
B. Kreuz, Herz und Anker die Symbole von Glaube, Liebe und
Hoffnung. Neben der Tier-, Pflanzen- und Zahlensymbolik gibt es
noch eine Farbensymbolik, die ebenfalls alten Ursprungs ist.
Weiß gilt als Symbol der Unschuld, Grün als das der
Hoffnung, Blau als das der Treue, Rot als das der Liebe etc. Vgl.
Creuzer, S. und Mythologie der alten Völker (3. Aufl., Leipz.
1836-43, 4 Bde.); Bahr, S. des mosaischen Kultus (Heidelb. 1837-39,
2 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1874); Münter, Sinnbilder der alten
Christen (Altona 1825); Piper, Mythologie und S. der christlichen
Kunst (Weim. 1847-51, 2 Bde.); W. Menzel, Christliche S. (Regensb.
1854, 2 Bde.). Im engern Sinn versteht man unter S. oder
symbolischer Theologie diejenige Disziplin, welche sich mit den
kirchlichen Bekenntnisschriften und deren Lehrinhalt unter
beständiger Vergleichung der Lehrbegriffe der verschiedenen
Kirchen und Konfessionen beschäftigt. Je nachdem bei der
Aufstellung und Beleuchtung dieser Gegensätze das rein
historische oder das dogmatisch-polemische Interesse vorwaltet, ist
die S. ein integrierender Teil der Dogmengeschichte, oder sie
fällt mit der Polemik (s. d.) zusammen. Eine S. aller
christlichen Kirchenparteien lieferten: Marheineke (Heidelb.
1810-14, 3 Bde.; 1848), Winer (4. Aufl. von P. Ewald, Leipz. 1882),
Köllner (Hamb. 1837-44, 2 Bde.), Guericke (3. Aufl., Leipz.
1861), Matthes (das. 1854), Hofmann (das. 1857), Plitt (Erlang.
1875), Reiff (Basel 1875), Öhler (Tübing. 1876), Scheele
(Upsala 1877 ff.; deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1886, 3 Bde.), Wendt
("S. der römisch-katholischen Kirche", Gotha 1880 ff.),
Philippi (Gütersl. 1883), Graul ("Die Unterscheidungslehren
der verschiedenen christlichen Bekenntnisse", 11. Aufl., Leipz.
1884) und namentlich der katholische Theolog Möhler (s. d.),
dessen Werk eine große Reihe protestantischer Entgegnungen,
besonders von Nitzsch und Baur, hervorgerufen und das Interesse an
der katholisch-protestantischen Streitsache neu belebt hat,
während die hierher gehörigen Untersuchungen von Matth.
Schneckenburger (s. d.) neue Bahnen für das Verständnis
der innerprotestantischen Lehrgegensätze eröffnet
haben. Symbolische Bücher, Schriften, durch welche eine
Kirche den Glauben, an dessen Bekenntnis ihre Mitglieder sich teils
untereinander erkennen, teils von andern religiösen
Genossenschaften unterscheiden, urkundlich bezeugt. Schon die alte
katholische Kirche legte ihren Taufbekenntnissen den aus der
Mysteriensprache entlehnten Namen Symbol bei, da ja auch die Taufe
als ein Mysterium galt. Die theologischen Streitigkeiten des 4. und
der folgenden Jahrhunderte mußten die Zahl der Symbole noch
erhöhen, und dreien von ihnen, dem sogen. Apostolischen (s.
d.), dem Nicäisch-Konstantinopolitanischen (s. d.) und dem
sogen. Athanasianischen (s. d.), verschafften als sogen.
allgemeinen oder ökumenischen Symbolen die weltliche Macht der
Kaiser und das Ansehen der Konzile absolute Geltung in der Kirche.
Die Reformatoren des 16. Jahrh. haben diese allgemeinsten
Grundlagen der christlich-katholischen Weltanschauung nicht
angetastet; zugleich machte sich jedoch das Bedürfnis geltend,
ein gemeinsames Bekenntnis des evangelischen Glaubens abzulegen und
die Unterscheidungslehren, welche zur Trennung von der
römischen Kirche geführt hatten, klar und bestimmt
hinzustellen. In den auf Luthers Tod folgenden theologischen
Streitigkeiten wurde das Unterschreiben derselben insbesondere
für die Geistlichen obligatorisch, namentlich seit 1580 beim
Erscheinen des Konkordienbuchs von den sich dazu bekennenden
Fürsten und Ständen bestimmt ausgesprochen worden war,
daß bei der darin enthaltenen Lehre allenthalben beharrt
werden sollte. Gleichwohl tauchte schon im 17. Jahrh. der Gedanke
auf, daß die Verpflichtung auf s. B. eine unevangelische
Beschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit sei; das
folgende Jahrhundert regte die Frage an, ob man die Geistlichen auf
sie verpflichten solle, nicht "weil" (quia), sondern "inwiefern"
(quatenus) sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmten, und
mit der letztern Formel behalf sich namentlich der Rationalismus.
In unserm Jahrhundert gewann der Grundsatz, daß sich die
Geistlichen streng an die Lehrformen der symbolischen Bücher
zu halten hätten (Symbolzwang), besonders in Norddeutschland
neue Geltung. Selbst wo, wie in Preußen, die Union herrscht,
will man doch bald in der Augsburgischen Konfession, bald in dem
sogen. Apostolikum eine unantastbare Autorität erkennen, ohne
welche eine die Gemüter der Gemeinden verwirrende
Lehrwillkür einreißen müsse. Die Gegner des
Symbolzwanges machen geltend, daß derselbe den
Protestantismus im Prinzip bedrohe und durch Aufhebung der
Lehrfreiheit (s. d.) den Fortschritt in der Wissenschaft
beeinträchtige; sie wollen daher den protestantischen
Geistlichen nur eine pietätvolle, von pädagogischem Takt
geleitete Berücksichtigung der symbolischen Bücher und
ihres Lehrgehalts zur Pflicht gemacht wissen. Fast bei allen
kirchlichen Streitigkeiten der neuern Zeit stand die Frage des
Symbolzwangs im Vordergrund. Über die symbolischen Bücher
der verschiedenen christlichen Religionsparteien s. die besondern
Artikel: Glaubensbekenntnis, Griechische Kirche,
Römisch-katholische Kirche, Lutherische Kirche, Reformierte
Kirche etc. Vgl. Schleiermacher, Über den eigentlichen Wert
und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (Frankf. 1819);
Johannsen, Die Anfänge des Symbolzwanges unter den deutschen
Protestanten (Leipz. 1847); Scheurl, Sammlung kirchenrechtlicher
Abhandlungen, Abteil. 1 (Erlang. 1872); Winer, Komparative
Darstellung des Lehrbegriffs der verschiedenen christlichen
Kirchenparteien (4. Aufl. von Ewald, Leipz. 1882). 459 Symi - Sympathie. Symi (im Altertum Syme, türk. Sumbeki), kleine
türk. Insel an der Südwestküste Kleinasiens, 79 qkm
(1,43 QM.) groß mit der Stadt S., die angeblich 16,000
ausschließlich christliche Einwohner zählt, welche
berühmte Schwammfischer sind. Symmachie (griech.), Schutz- und Trutzbündnis, von
den griechischen Staaten untereinander geschlossen und zwar meist
so, daß ein mächtigerer (z. B. Athen) die Hegemonie
hatte. Berühmt ist namentlich die S. (Seebund) Athens mit den
Städten und Inseln des Ägeischen Meers 476-404 v.
Chr. Symmachus, 1) von Geburt ein Samaritaner, später
Jude, vielleicht auch Christ, verfaßte eine griechische
Übersetzung des Alten Testaments. 2) Quintus Aurelius, röm. Redner und Epistolograph, um
340-402 n. Chr., bekleidete unter Theodosius d. Gr. wichtige
Staatsämter, wie die Präfektur 384 und das Konsulat 391,
und war ein unerschrockener Vorkämpfer des sinkenden
Heidentums, dem jedoch selbst seine christlichen Gegner wegen der
Reinheit seines Lebens und seiner Gelehrsamkeit die Achtung nicht
versagen konnten. Außer drei unvollständigen Lobreden
auf Valentinian I. und dessen Sohn Gratian aus dem Jahr 369 und
Bruchstücken von fünf Senatsreden besitzen wir von ihm
eine für die Kenntnis der Zeit und Persönlichkeit des
Verfassers nicht unwichtige Briefsammlung in zehn Büchern,
deren letztes wie bei Plinius die amtliche Korrespondenz
(relationes) des S. und seines Sohns mit den Kaisern enthält.
Eine treffliche Gesamtausgabe seiner Schriften besorgte Seeck (in
den "Monumenta Germaniae historica", Bd. 6, Berl. 1883). 3) Cölius, Papst seit 498, aus Sardinien gebürtig,
ließ 502 auf einer Synode zu Rom jede Einmischung von Laien
in die Angelegenheiten der römischen Kirche verpönen und
starb 19. Juli 514. Symmelie (griech.), Verwachsung von Gliedern; angeborne
Mißbildung, die an einfachen und Doppelmißbildungen
angetroffen wird, meist an nicht lebensfähigen. Das
gewöhnlichste Beispiel der S. ist die Sirenenbildung (s.
d.). Symmetrie (griech.), das Ebenmaß oder die
Übereinstimmung bei der Anordnung der Teile eines Ganzen in
Hinsicht auf Maß und Zahl. Die S. zeigt sich besonders darin,
daß sich das Ganze in zwei hinsichtlich der Anordnung des
Einzelnen übereinstimmende Hälften teilen
läßt. S. in diesem Sinn zeigt in der anorganischen Natur
die Kristallform, im Pflanzenreich namentlich die Bildung der
Blüten und Früchte, vorzugsweise aber der Körper der
höhern Tierklassen, bei welchem im normalen Zustand die
gleichen oder ähnlichen Teile an jeder Hälfte dieselbe
Stelle einnehmen. Die Wahrnehmung dieser S. oder
ebenmäßigen Anordnung der gleichartigen Teile wird durch
Hervorhebung eines Mittel- oder Augenpunkts unterstützt und
erleichtert. Doch ist diese strenge S. keineswegs bei allen
Kunstwerken zu beobachten, da sie oft den Eindruck des Steifen,
Unnatürlichen und Gezwungenen hervorbringen würde, wie in
der Stellung und Gruppierung der Figuren in der Malerei und
Plastik, bei Anordnung theatralischer Szenen etc. Am meisten eignet
sie sich für die Architektur, indem das mangelnde symmetrische
Verhältnis der einzelnen Teile eines Bauwerks einen mehr oder
weniger störenden Eindruck hervorbringt. In der Gartenkunst,
wo früher ebenfalls symmetrische Anordnung üblich war,
ist dieser Zwang durch Auskommen der sogen. englischen Anlagen,
welche die Natur nachzuahmen suchen, meist beseitigt worden. Vom
meßbaren Räumlichen ist der Ausdruck S. auch auf
zeitliche Verhältnisse übertragen worden, doch ist hier
der Ausdruck Eurhythmie zutreffender (vgl. Rhythmus). In der
Mathematik ist S. die Übereinstimmung der Teile eines Ganzen
untereinander. Symmetrisch ist z. B. jeder Kreis, jede Ellipse,
jede Parabel und Hyperbel gebildet, auch jedes gleichseitige
Dreieck, Viereck etc. Symmetrische Funktionen mehrerer unbestimmter
Größen, z. B. a, b, c, sind algebraische Ausdrücke,
worin jene Größen alle auf ganz gleiche Art vorkommen,
so daß man sie beliebig miteinander vertauschen kann, ohne
daß dadurch der Wert des Ausdrucks geändert wird: a+b,
ab+ac+bc. Symmikta (griech., "Vermischtes"), Titel für
Sammlungen von allerhand Aufsätzen etc. Sympathetisch (sympathisch, griech.), mitleidend,
mitfühlend, auf Sympathie (s. d.) beruhend, seelenverwandt,
gleichgestimmt. Sympathetische Kuren, Heilungen von Krankheiten, die
nicht durch die Einwirkung von Arznei- oder andern allgemein
bekannten Heilmitteln, sondern durch eine geheimnisvolle Kraft
solcher Körper geschehen, die mit dem Kranken oft gar nicht in
unmittelbare Berührung zu kommen brauchen. Als die hier
wirksame Kraft nahm man eine Sympathie des Menschen- oder
Tierkörpers mit Geistern, Sternen, andern Menschen, Tieren,
Pflanzen, Steinen an, wofür man jedoch die Beweise schuldig
blieb. Man hängt dem Kranken Amulette um, nimmt mit gewissen
Gegenständen Handlungen vor, die auf den entfernten Kranken
einwirken sollen, oder "bespricht" die kranke Stelle durch
Beschwörungen und Gebete. Die Wirksamkeit aller
sympathetischen Mittel ist nicht nur nicht erwiesen, sondern auch
im höchsten Grad unwahrscheinlich; doch ist der Glaube an die
Heilkraft derselben im Volk noch überaus verbreitet. Die
Wirksamkeit sympathetischer Kuren, wenn eine solche überhaupt
vorhanden ist, scheint vornehmlich darauf zu beruhen, daß in
dem Kranken der feste Glaube erweckt werde, daß das Mittel
helfen werde; denn durch diesen wird die Hoffnung auf Genesung und
dadurch die Lebensthätigkeit des Organismus, die
"Naturheilkraft", angeregt, durch welche dann die Krankheit
überwunden wird, wenn dies überhaupt möglich ist. Am
leichtesten wird dies bei Krankheiten geschehen, die im
Nervensystem oder im Seelenleben ihren Sitz haben. S. K. feiern
namentlich auch in solchen Fällen Triumphe, bei welchen oft
eine plötzliche Heilung ohne äußeres Zuthun
erfolgt. So sieht man häufig Warzen in ganz kurzer Zeit
vollständig verschwinden, und wenn gegen dieselben vorher
zufällig eine sympathetische Kur angewandt worden war, so
erscheint dem urteilslosen Beobachter deren Wirksamkeit
erwiesen Sympathetisches Gefühl, s. Mitgefühl. Sympathetische Tinte, s. Tinte. Sympathie (griech., "Mitempfindung"), unwillkürliche
und daher grundlos scheinende Zuneigung zu andern, auch wohl zu
lebendigen oder leblosen Gegenständen, die entweder
physiologische (angeborne S.) oder psychologische (entstandene S.)
Gründe haben und im letztern Fall auf ganz zufälligen und
deshalb den Schein der Grundlosigkeit der S. erzeugenden
Assoziationen beruhen kann (vgl. Antipathie). In der Physiologie
versteht man unter S. (consensus) die Eigenschaft eines Organismus,
vermöge deren durch die gesteigerte oder herabgestimmte
Thätigkeit eines Organs auch die eines andern gesteigert oder
herabgestimmt wird. Diese Erscheinung wird durch das Nervensystem,
das Gefäßsystem oder das Zellgewebe vermittelt, und zwar
wirkt das erstere 460 Sympathikus - Symphoricarpus. besonders durch psychische Vermittelung oder Reflex. Zu den
Erscheinungen der S. rechnet man die Ausbildung der Stimme mit
eintretender Mannbarkeit, die gleichzeitige Steigerung der
Thätigkeit der Leber, Speicheldrüsen, des Pankreas etc.
zur Zeit der Verdauung, das Niesen bei Einwirkung von Licht auf das
Auge etc. Häufiger aber werden die Erscheinungen der S. in
Krankheiten beobachtet. So ruft die Erkrankung des einen Auges eine
"sympathische" Affektion des andern hervor. Vorzugsweise schreibt
man derartige Verbindungen dem Sympathikus zu. Andre Arten der
Übertragung von Krankheiten, welche früher auch wohl
unter den Gesichtspunkt der S. fielen, werden zur Metastase
gerechnet. Vgl. Idiopathie und Sympathetische Kuren. Sympathikus (sympathischer Nerv, Eingeweide- oder
sympathisches Nervensystem), derjenige Teil des Nervensystems,
welcher die unwillkürlichen Thätigkeiten des sogen.
vegetativen Lebens regelt und so im Gegensatz zu dem animalen
Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) steht. Die zu ihm
gehörigen Nerven verzweigen sich hauptsächlich an den
Eingeweiden. Auch bei niedern Tieren findet sich vielfach ein S.
vor, steht aber immer mit dem animalen Nervensystem an irgend einer
Stelle in Zusammenhang. Letzteres ist auch bei den Wirbeltieren der
Fall, doch wird die Verbindung nicht direkt mit dem Gehirn oder
Rückenmark, sondern mit den Rückenmarksnerven getroffen.
Zu beiden Seiten der Wirbelsäule (s. Tafel "Nerven des
Menschen II", Fig. 5) verläuft nämlich je ein Strang, der
sogen. Grenzstrang oder Stamm des S., welcher aus einer Kette von
Ganglien besteht, von Wirbel zu Wirbel durch einen feinen Nerv mit
dem benachbarten Rückenmarksnerv verbunden ist und mit dem
Steißbeinknoten endet. Vom Grenzstrang gehen dann die
peripherischen Nerven des S. aus und vereinigen sich in der
Nähe der größern Eingeweide zu Geflechten, in
welche, wie überhaupt in den Verlauf dieser Nerven, zahlreiche
kleinere Ganglien eingelagert sind. Ein besonders großes
Geflecht dieser Art ist der Plexus solaris, das Sonnengeflecht, das
unmittelbar unter dem Zwerchfell liegt. Die Herznerven des S.
entspringen bei den höhern Wirbeltieren vom Hals. Auch im Kopf
liegen sympathische Ganglien und Geflechte, so z. B. in den
Speichel- und Thränendrüsen. Die Endungen der
sympathischen Nervenfasern in den von ihnen versorgten Organen
(Herz-, Darm-, Harn-, Geschlechtswerkzeuge etc.) sind noch wenig
bekannt. Gewöhnlich treten sie an die glatten Muskelfasern
heran und veranlassen deren vom Willen unabhängige
Zusammenziehungen. Da sie auch die Muskulatur in den Wandungen der
Blutgefäße als sogen. Gefäßnerven (s. d.)
innervieren, so verengern sie durch ihre Thätigkeit deren
Weite und sind daher von großem Einfluß auf den
Blutzufluß , somit auf die Ernährung der Organe. Sympathisch (griech.), s. Sympathetisch. Sympathische Färbung, s. Schutzeinrichtungen. Sympathisieren (franz.), mit jemand gleich empfinden,
gleiche Neigung haben. Sympetalae (griech.-lat.), s. Monopetalen. Symphonie (griech., ital. Sinfonia), ein in Sonatenform
geschriebenes Werk für großes Orchester. Das griechische
Symphonia ("Zusammenklang") ist im Altertum Bezeichnung für
das, was wir jetzt Konsonanz der Intervalle nennen. Als zu Anfang
des 17. Jahrh. in Florenz sich die Oper entwickelte, erhielt die
(sehr kurze) Instrumentaleinleitung den Namen S., welcher
jedenfalls auch schon den Instrumentalstücken der im
Madrigalenstil komponierten Pastorales eigen war. Die S.
entwickelte sich zunächst besonders in der neapolitanischen
Oper. Ihre Vorgeschichte ist durchaus die der Ouvertüre (s.
d.), welche bekanntlich außer in Frankreich auch den Namen S.
weiterführte. Je ausgeführter ihre Form wurde, desto mehr
eignete sie sich zum Vortrag als selbständiges Stück (sie
wurde dann zur Kammermusik gerechnet, da Orchestermusik als deren
Gegensatz noch nicht existierte); um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts begannen die Komponisten (Grétry, Gossec,
Sammartini, Stamitz, Cannabich) besondere Symphonien für
allmählich vergrößertes Orchester zu schreiben und
trennten die drei bis dahin noch lose zusammenhängenden Teile
der Ouvertüre. Haydn vollendete die Form durch
Übertragung der indes durch D. Scarlatti und Ph. E. Bach
entwickelten Form des Sonatensatzes, welcher seinerseits erst kurz
vorher von der Ouvertüre den Gegensatz mehrerer Themen
angenommen hatte; Haydn war es auch, der zwischen den langsamen und
den Schlußsatz das Menuett einschob (ebenfalls im
Anfchluß an die Sonate). Viel höher aber steht noch das
Verdienst Haydns, die Orchesterinstrumente nach ihrer Klangfarbe
individualisiert zu haben; damit hat er erst die S. zu dem gemacht,
was sie heute ist. Was Mozart und besonders Beethoven hinzugebracht
haben, ist hauptsächlich die Verschiedenheit ihrer eignen
Natur: der jovialere Haydn scherzt und neckt in seinen Symphonien,
der sinnige Mozart schwärmt, und der finstere,
leidenschaftliche Beethoven grollt oder reißt mit sich fort.
Zudem hat Beethoven das Orchester erheblich vergrößert
(vgl. Orchester). Eine Neuerung von ihm ist auch die Ersetzung des
Menuetts durch das Scherzo sowie in der neunten S. die
Einführung des Chors und die Umstellung der Sätze Adagio
und Scherzo, die seitdem mehrfach nachgeahmt wurde. Beethoven hat
den Inhalt der S. im ganzen bedeutungsvoller, die tiefsten Tiefen
des Seelenlebens ergreifend gestaltet, die einzelnen Sätze zu
längerer Dauer ausgeführt und dem Finale statt der
rondoartigen mehr eine an Form und Charakter dem ersten Satz
nahekommende Gestalt gegeben. Die Symphoniker seit Beethoven haben
die Form nicht mehr weiter zu entwickeln vermocht;
nichtsdestoweniger würde es ein arger Fehlschluß sein,
wollte man sie als ausgelebt ansehen; die Symphonien von Schumann,
von Brahms und Raff beweisen, daß sie noch zur Füllung
mit immer neuem Inhalt tauglich sein wird. Die symphonischen
Dichtungen der neuesten Zeit (Berlioz, Liszt, Saint-Saëns)
sind nicht eigentliche Fortbildungen der Form der S.; der Gedanke
ist schon dadurch ausgeschlossen, daß sie eine eigentliche
definierbare Form überhaupt nicht haben. Sie gehören zur
Kategorie der sogen. Programmmusik (s. d.), deren wesentlichste
Repräsentanten sie sind. Die Programmmusik ist aber eine
gemischte Kunstform, deren Gestaltungsprinzipien nicht
musikalischer, sondern poetischer Natur sind; in erhöhtem
Maß gilt das natürlich von der S. mit Chören
(Symphoniekantate, franz. Ode-symphonie), zu welcher Gattung
Beethovens neunte S. nur bezüglich ihres letzten Satzes
gehört. Symphonische Richtung, s. Symphonie und
Programmmusik. Symphoricarpus Juss. (Schneebeere), Gattung aus der
Familie der Kaprifoliazeen, Sträucher mit kurzgestielten,
rundlichen oder eiförmigen, ganzrandigen Blättern,
kleinen, weißen oder rötlichen Blüten in kurzen,
achselständigen Trauben oder Ähren und eiförmiger
oder kugeliger, zweisamiger Beere. Sechs 461 Symphosius - Synandrisch. nordamerikanische und mexikanische Arten, von denen S. racemosa
Mich. in Nordamerika, mit weißen, sehr schwammigen Beeren,
als Zierstrauch kultiviert wird. Symphosius (Symposius), röm. Dichter aus dem 4. bis
5. Jahrh. n. Chr., Verfasser einer Sammlung von 100
Rätselgedichten von je drei ziemlich reinen Hexametern (bei
Riese, "Anthologia latina", Bd. 1, Leipz. 1869, und Bährens,
"Poetae latini minores", Bd. 4, das. 1882). Vgl. Paul, De Symposii
aenigmatibus (Berl. 1854). Symphysis (griech.), feste, knorpelige Verbindung
zwischen zwei Knochen, z. B. S. ossium pubis, Schambeinfuge. Symphytum L. (Schwarzwurzel, Beinwurzel, Beinwell),
Gattung aus der Familie der Asperifoliaceen, ausdauernde, meist
borstig behaarte Kräuter mit starken Wurzeln, abwechselnden,
ganzen, manchmal am Stengel weit herablaufenden Blättern,
daher geflügelten Stengeln, in Wickelähren gestellten,
röhrenförmigen Blüten und glatten
Nüßchen. Etwa 16 Arten in Europa, Nordafrika, Westasien.
S. asperrimum Bieb., auf dem Kaukasus, mit stachlig behaarten
Blättern und schönen, erst purpurnen, dann himmelblauen
Blüten, findet sich als Zierpflanze in Gärten und ist als
treffliches Viehfutter empfohlen worden. S. officinale L.
(Schwarzwurz, Wallwurz), mit spindeliger, ästiger, außen
schwarzer Wurzel, aufrechtem, 30-90 cm hohem, ästigem,
steifhaarigem Stengel, runzeligen, rauhhaarigen, lang
herablaufenden Blättern und gelblichweißen und
violettroten Blüten, auf feuchten Wiesen, an Ufern der
Flüsse im größten Teil von Europa, war früher
offizinell. S. asperrimum (kaukasische Comfrey) wird als
perennierende Futterpflanze gebaut; sie liebt einen warmen,
zeitweise feuchten und fruchtbaren Lehmboden, eignet sich aber auch
vorzüglich, vegetationsarme Landstrecken mit minder gutem
Boden allmählich unter beschattende Pflanzendecke zu bringen.
Sie liefert bereits im zweiten Jahr ihrer Anpflanzung vier starke
Schnitte mit einem Gesamtertrag von 7500 kg pro Hektar. Der
Nährwert des Krauts kommt dem des Klees sehr nahe. Dasselbe
eignet sich nicht zur Heubereitung, liefert aber gutes
Sauerfutter. Symplegaden (Insulae Cyaneae), zwei kleine Felsen an der
Mündung des Thrakischen Bosporus in den Pontus Euxinus, die
der Sage zufolge früher fortwährend aneinander
stießen und alle dazwischen hinsegelnden Schiffe
zertrümmerten, bis sie seit der Argonautenfahrt auf des
Orpheus Saitenspiel unbeweglich stehen blieben. Symploke (griech., "Verknüpfung"), Wortfigur, die
Verbindung von Anaphora und Epiphora (s. d.), z. B. bei Fragen,
welche mit demselben Wort beginnen, und auf welche dieselbe Antwort
erfolgt: Was ist der Thoren höchstes Gut? Geld! Was verlockt
selbst den Weisen? Geld! Was schreit die ganze Welt? Geld! Sympodium (Scheinachse), s. Stengel, S. 288. Symposion (griech.), s. v. w. Trinkgelage (s. d.); auch
Titel zweier Dialoge des Platon und Xenophon. Symptom (griech.), Anzeichen, eine Erscheinung, aus deren
Auftreten man schließt, wie etwas steht; insbesondere
Krankheitszeichen, d. h. die Erscheinungsform, unter welcher sich
eine Krankheit äußert. Gelbsucht ist z. B. das S., unter
dem sich mannigfache Krankheiten des Darms oder der Leber
äußern, Fieber ist S. sehr zahlreicher ansteckender
Krankheiten. Aus der Deutung der Symptome ergibt sich die Diagnose.
Symptomatologie, Lehre von den Krankheitssymptomen (s.
Semiotik). Symptomatische Mittel, s. Palliativ. Synagoge (griech.), das Gotteshaus der Israeliten, wie es
sich in und nach dem babylonischen Exil aus Versammlungen zur
Feststellung aller Lebensverhältnisse nach und nach zum
Bethaus ohne Opferkultus entwickelt hat, und dessen zur Zeit Esras
teilweise schon eingeführte Gebetordnung noch heute die
Grundlage des jüdischen Gottesdienstes bildet. In allen
ansehnlichen Städten Judäas waren schon im 1. Jahrh. nach
Esra Räumlichkeiten, wo allsabbatlich und an den Festtagen,
später am zweiten und fünften Tag der Woche, den Markt-
und Gerichtstagen, anfänglich in freier Auswahl, dann nach
festgesetzter Reihenfolge ein Abschnitt aus dem Pentateuch und bald
auch ein Prophetenabschnitt (Haftara) vorgelesen und in
Gemeinschaft gebetet wurde. Auch außerhalb Palästinas,
wo Jerusalem allein 480 Synagogen besessen haben soll, gab es viele
und schöne Synagogen; als größte wird die in
Alexandria erwähnt. Neben dem Bethaus befand sich oft das
Lehrhaus; nicht selten wurde das höhere Studium in jenem
selbst betrieben, was den Namen Judenschule für S.
veranlaßte. Seit dem 5. Jahrh. fanden hinsichtlich der
Anlegung und der Anzahl derselben vielfache beschränkende
Gesetze statt. Die wesentlichsten Bestandteile jeder S. sind: dem
Eingang gegenüber die die Gesetzrollen enthaltende heilige
Lade (Aron Hakodesch), Repräsentant der ehemaligen Bundeslade;
daneben ein Leuchter, dem siebenarmigen Leuchter des Tempels
entsprechend; in der Mitte die Almemor oder Bimah genannte Estrade,
für die Vorlesungen bestimmt, und das ewige Licht. Männer
und Frauen sitzen gesondert. Zur Abhaltung der öffentlichen
Andacht sind mindestens zehn über 13 Jahre alte männliche
Israeliten erforderlich (Minjan). Die Gebete und biblischen
Lektionen verrichtet der Vorbeter; Vorträge an Sabbaten und
Festtagen hält der Rabbiner oder der Prediger. In neuerer Zeit
hat die Orgel in vielen Synagogen Eingang gefunden und ist neben
der hebräischen die Landessprache mehr in Aufnahme gekommen. -
S. in anderm Sinn heißt zuweilen auch die Judenheit, als
Gegensatz zur Christenheit (ecclesia). Die große S.
(kenesseth hagdolah) nennen talmudische und rabbinische Quellen
eine aus 120 Gelehrten bestehende Versammlung, welche unter dem
Präsidium Esras die religiösen Angelegenheiten ordnete;
geschichtlich ist aber darunter nur eine von Esra bis auf Simon den
Gerechten (gestorben um 292 v. Chr.) reichende Thätigkeit der
Schriftgelehrten, die sich auf Redaktion der biblischen
Bücher, Feststellung und Weiterbildung des mündlich
überlieferten Gesetzstoffes der Tradition, auf kulturelle
Einrichtungen und Ähnliches bezog, zu verstehen. Synalöphe (griech., "Verschmelzung"), die
Vereinigung zweier Silben, namentlich in zwei aufeinander folgenden
Wörtern, entweder durch die Krasis (s. d.) oder durch die
Elision (s. d.). Synandrae, Ordnung im natürlichen Pflanzensystem
Brauns unter den Dikotyledonen, Sympetalen, mit
regelmäßigen oder zygomorphen Blüten mit
fünfgliederigen Blattkreisen, meist fünf
Staubgefäßen, welche bald unter sich, bald mit dem
Griffel, bald auch allein mit ihren Antheren verwachsen sind, und
mit unterständigem Fruchtknoten, umfaßt die Familien der
Kukurbitaceen, Kampanulaceen, Lobeliaceen, Goodeniaceen, Stylideen,
Kalycereen und Kompositen. Im System Eichlers bilden diese Familien
mit Ausnahme der Kompositen und Kalycereen die Reihe der
Kampanulinen. Synandrisch (griech.), Bezeichnung für Blüten
mit verwachsenen Staubblättern. 462 Synanthereen - Synesios. Synanthereen, s. Kompositen. Synantherin , s. Inulin. Synaptas, s. Emulsin. Synapte (Synapta), s. Holothurioideen. Synäresis (Synizesis, griech.), in der Grammatik s.
v. w. Kontraktion (s. d.). Synarthrosis (griech.), unbewegliche Knochenverbindung
durch die Naht, die Knorpelfuge (Synchondrosis oder Symphysis) und
die Syndesmosis (feste Vereinigung durch Bänder). Syncelli (griech. Synkelloi), in der griech. Kirche etwa
seit dem 4. Jahrh. Hilfs- oder Hausgeistliche, Vertraute der
Bischöfe. Synchondrose (griech.), s. Knochen, S. 877. Synchronismus (griech., "Gleichzeitigkeit"), in der
Geschichte das Zusammentreffen verschiedener Begebenheiten in einem
und demselben Zeitpunkt. Synchronistische Geschichtserzählung
nennt man daher diejenige, in welcher die in dieselbe Zeit
fallenden Begebenheiten unter verschiedenen Völkern und in
verschiedenen Ländern nebeneinander fortschreitend dargestellt
werden. Zum Studium der Geschichte dienen synchronistische
Tabellen, d. h. Verzeichnisse, in denen in nebeneinander stehenden
Kolumnen die Hauptbegebenheiten der Geschichte verschiedener
Völker angeführt sind. Syndaktylie (Daktylosymphysis, griech.), Verwachsung der
Finger untereinander. Kommt angeboren vor und ist entweder so
vollkommen, daß man nur am Skelett die einzelnen Finger
getrennt erkennen kann, oder mehr oberflächlich, so z. B.
daß eine Art Schwimmhaut die ersten Fingerglieder verbindet.
Erworben wird S. nach Verbrennungen. Die Behandlung besteht in der
operativen Trennung der Finger, oder sie sucht durch Dehnungen und
Bewegungen narbige Verwachsungen beweglicher zu machen. Syndesmologie (griech.), Bänderlehre, Teil der
Anatomie (s. d.). Syndesmose (griech.), s. Knochen, S. 877. Syndikalkammern (franz. Chambres syndicales), in
Frankreich früher die Vorstände verschiedener
privilegierter Genossenschaften sowie von gewerblichen Vereinen und
Verbänden, dann solche zur Förderung eigner und allgemein
gewerblicher Interessen gebildete genossenschaftliche Verbände
selbst. 1791 verboten, bildete sich doch unter stillschweigender
gesetzlicher Anerkennung eine große Anzahl solcher
Verbände, welche 1883 auch formell gesetzlich anerkannt und
geregelt wurden. Insbesondere bildeten sich nach Aufhebung des
Koalitionsverbots (1864) auch viele S. von Arbeitern mit
ähnlichen Einrichtungen und Zwecken wie die englischen und
deutschen Gewerkvereine. Vgl. Lexis, Gewerkvereine und
Unternehmerverbände in Frankreich (Leipz. 1879). Syndikat, s. Syndikus. Syndikatsverbrechen, s. Beugung des Rechts aus
Parteilichkeit. Syndikus (griech.), der von einer Korporation
(Stadtgemeinde, Stiftung, Verein, Aktiengesellschaft) zu Besorgung
ihrer Rechtsgeschäfte aufgestellte Bevollmächtigte. Die
dem S. zu erteilende Vollmacht heißt Syndikat. Letzteres Wort
wird auch gebraucht für ein Konsortium (s. d.), welches sich
bildet, um eine Börsenoperation etc. durchzusühren.
Syndi-katsklage, Klage auf Entschädigung gegen den Richter,
welcher absichtlich oder infolge groben Versehens ein ungerechtes
Urteil fällte. Vgl. Kronsyndikus. Synechie (griech.), krankhafte Verwachsung. Synedrion (griech., neuhebr. sinhedrin und sanhedrin)
oder großes S. hieß die höchste, in der zweiten
Hälfte des jüdischen Staatslebens, nach dem Muster der
großen Synode und des biblischen 70-Ältestenkollegiums
mit Bezug auf das 5. Mos., 17, 9 bezeignete Obergericht, zu
Jerusalem konstituierte, aus 71 Richtern bestehende
Rechtsbehörde in Staats-, Rechte- und Religionssachen, welcher
das aus 23 Richtern zusammengesetzte kleine S. und das
Dreimännergericht untergeordnet waren. Den Vorsitz im S.
führte der vom Richterkollegium zu wählende
Oberpräsident (Nassi) und Gerichtspräsident (Ab-bet-din),
als dessen Stellvertreter die zwei Schreiber galten. Während
unter den Makkabäern das S. weltliche und geistliche
Machtbefugnis hatte, ward ihm unter Herodes die politische, unter
den Römern die richterliche Gewalt entzogen, so daß es
zu einer Art kirchlicher Synode wurde. Synekdoche (griech., "Mitverstehen"), rhetor. Figur,
durch welche etwas Allgemeines durch ein Besonderes, namentlich ein
Abstraktes durch ein Konkretes, die Gattung durch eine Art, das
Ganze durch einen seiner Teile, die Vielheit durch ein Einzelnes
etc. oder auch umgekehrt veranschaulicht wird. Sie sagt z. B. "der
Römer" für die Römer, "Kiel" für Schiff,
"Jugend" für junge Leute, "Eisen" für Schwert etc. Synepheben (griech.), Jugendgenossen. Synergiden, s. Embryosack, S. 598. Synergismus (griech.), die dogmatische Ansicht, wonach
der Mensch zu seiner Bekehrung "mitwirken" müsse. Einst hatte
Augustinus im Gegensatz zum Pelagianismus (s. d.) und
Semipelagianismus (s. d.) alle derartige Mitwirkung verworfen, und
dieser Ansicht folgte Luther, während Melanchthon den Anteil
der menschlichen Willenskraft je länger, desto bestimmter in
die erhaltene Fähigkeit setzte, der göttlichen
Gnadenwirkung zuzustimmen. Dieselbe Vorstellung war in das
Leipziger Interim übergegangen, und mehrere Theologen,
darunter V. Strigel (s. d.), begünstigten sie. Aber erst
seitdem Joh. Pfeffinger (s. d.) in Leipzig ("De libero arbitrio",
1555) sich für dieselbe erklärt hatte, begannen Amsdorf
und Flacius zu Jena 1558 den sogen. synergistischen Streit. Die
Wittenberger nahmen für Pfeffinger Partei, während der
herzogliche Hof im sogen. Konfutationsbuch (1559) eine offizielle
Widerlegung des S. veröffentlichte und die Verteidiger des
letztern, Strigel und Hügel, 1559 gefangen setzen ließ.
Bald aber schlug die Hofgunst um, zumal als 1560 in der Disputation
zu Weimar Flacius die Erbsünde geradezu für die Substanz
des Menschen erklärte. Jetzt wurde Strigel 1562 wieder
eingesetzt, dagegen 40 dem Flacius anhängende Prediger
abgesetzt. Aber unter dem 1567 zur Regierung gelangten Herzog
Johann Wilhelm von Weimar änderte sich die Lage der Dinge
abermals: durch eine allgemeine Kirchenvisitation wurden die
Überreste ebensowohl des Strigelschen S. als des Flacianischen
Manichäismus unterdrückt, und die Konkordienformel (s.
d.) verdammte beides. Synergus, s. Gallwespen. Synesios, neuplaton. Philosoph, geb. 375 n. Chr. zu
Kyrene, studierte in Alexandria als Schüler und Freund der
Hypatia (s. d.) die neuplatonische Philosophie, trat um 408 zur
christlichen Kirche über, ward 410 Bischof zu Ptolemais, starb
aber schon 415. Seine philosophischen Ansichten, die er auch als
Christ beibehielt, legte er in Reden, Briefen, Hymnen und andern
Schriften nieder. Er verrät darin mannigfaltige Kenntnisse,
große Belesenheit und Scharfsinn und gute, gewählte
Diktion. Die beste Gesamtausgabe seiner Werke ist von Petavius 463 Synesis - Synopsis. (Par. 1631, zuletzt 1640); eine kritische Ausgabe der Reden und
Homilien besorgte Krabinger (Landsh. 1850), der Hymnen Flach
(Tübing. 1875). Vgl. Volkmann, S. von Kyrene (Berl. 1869). Synesis (griech.), Sinn, Verstand; vgl. Sensus. Synezeugmenon (griech.), s. v. w. Zeugma. Syngenesia (griech.), 19. Klasse des Linneschen Systems,
Pflanzen enthaltend, deren Antheren miteinander zu einer Röhre
verwachsen sind, der Familie der Kompositen entsprechend. Daher
Syngenesisten, s. v. w. Kompositen. Syngramma Suevicum. Name der von Brenz (s. d.)
verfaßten, von Schnepf (s. d.) und zwölf andern
schwäbischen Geistlichen unterschriebenen Gegenschrift gegen
das Buch des Ökolampadius: "De genuina verborum domini (hoc
est corpus meum) expositione", welches das Wort "Leib" als das
"Zeichen des Leibes" fassen wollte. Synizesis (griech.), s. Synäresis. Synkarp (griech.), in der Botanik ein Gynäceum,
dessen einzelne Karpelle durch Einschlagen ihrer Ränder
völlig geschlossen sind und miteinander verwachsen; der
Fruchtknoten besitzt in diesem Fall so viel Fächer, wie
Karpelle vorhanden sind. Synklinale (griech.), s. Antiklinale. Synkope (griech.), in der Grammatik die Verkürzung
eines Wortes um eine mittlere Silbe (z. B. ewiger statt ewiger
etc.); in der Musik die Zusammenziehung des unbetonten Taktteils
mit dem nachfolgenden betonten zu einer einzigen Note; in der
Medizin s. v. w. plötzliche Entkräftung, Ohnmacht. Synkrasis (griech.), Vermischung. Synkratie (griech., "Mitherrschaft"), im Gegensatz zur
Autokratie diejenige Art der Staatsverfassung, nach welcher das
Volk durch seine Vertreter an der Regierung einen gewissen Anteil
nimmt. Synkretismus (griech.), die ausgleichende Vereinigung
streitender Parteien, Sekten, Systeme etc. durch Abschwächung
der trennenden Gedanken sowie durch Aufstellung von
Lehrsätzen, die jeder nach seiner Meinung deuten kann;
insbesondere seit 1645 die unionistische Theologie des Georg
Calixtus (s. d.), daher die Kontroverse mit ihm als
synkretistischer Streit bekannt ist. Synodalverfassung, s. Presbyterial- und
Synodalverfassung. Synode (griech.), Versammlung in kirchlichen
Angelegenheiten, also s. v. w. Konzilium (s. d.).
Diözesansynode (synodus dioecesalis) heißt eine S.,
welche ein Bischof mit den ihm untergebenen Pfarrern,
Provinzialsynode (synodus provincialis) eine solche, welche ein
Erzbischof mit seinen Bischöfen abhält, Nationalsynode
oder allgemeine S. (synodus universalis oder nationalis) eine
solche, zu der die gesamte Geistlichkeit eines Landes unter Vorsitz
eines päpstlichen Legaten zusammentritt, um wichtige, die
kirchlichen Angelegenheiten betreffende Fragen zu erledigen. In der
protestantischen Kirche sind die Synoden die Organe der kirchlichen
Selbstverwaltung und Vertretungskörper der Kirchengenossen
gegenüber dem landesherrlichen Kirchenregiment. Diesen Synoden
ist ein Mitwirkungsrecht bei der kirchlichen Gesetzgebung und
Verwaltung eingeräumt. Nach der Kirchengemeinde- und
Synodalordnung für die östlichen Provinzen Preußens
vom 10. Sept. 1873 umfaßt der Kreissynodalverband
(Kirchenkreis) regelmäßig eine Diözese,
ausnahmsweise auch mehrere kleinere Diözesen. Die Kreissynode
besteht aus sämtlichen innerhalb des Kirchenkreises ein
Pfarramt definitiv oder vikarisch verwaltenden Geistlichen und der
doppelten Zahl der durch die vereinigten Gemeindeorgane auf drei
Jahre gewählten Mitglieder (Synodalen). Die eine Hälfte
dieser gewählten Synodalen wird aus den dermaligen oder
frühern Kirchenältesten, die andre Hälfte von den an
Seelenzahl stärkern Gemeinden aus den angesehenen, kirchlich
erfahrenen und verdienten Männern des Synodalkreises
gewählt. Die Kreissynoden einer Provinz bilden den Verband der
Provinzialsynoden, deren Mitglieder teils erwählt, teils
landesherrlich ernannt werden. Die Generalsynode aber setzt sich
aus 150 von den Provinzialsynoden, 6 von den
evangelisch-theologischen Fakultäten aus ihrer Mitte
gewählten, 30 vom König ernannten Mitgliedern und den
Generalsuperintendenten zusammen (Generalsynodalordnung vom 20.
Jan. 1876). In der Provinz Hannover bestehen Bezirkssynoden und
eine Landessynode; in Schleswig-Holstein Propsteisynoden und eine
Gesamtsynode; in Baden, Bayern und Württemberg
Diözesansynoden und eine Landessynode, und zwar in Bayern
für das rechtsrheinische und für das linksrheinische
Staatsgebiet je eine Landessynode. In Oldenburg sind Kreissynoden
und eine Landessynode, in Hessen Dekanatssynoden und eine
Landessynode eingerichtet; im Königreich Sachsen, in Anhalt,
Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Meiningen bestehen nur
Landessynoden. Für die Wahrnehmung der laufenden
Geschäfte sind, während die S. nicht versammelt ist, in
der Regel die Synodalvorstände oder Synodalausschüsse
(Synodalräte) berufen (s. Presbyterial- und
Synodalverfassung). Vgl. Kähler, Visitation und S. (Gotha
1886). Synodische Umlaufszeit, die Zeit zwischen zwei
aufeinander folgenden gleichnamigen Konjunktionen eines Planeten
mit der Sonne; synodischer Monat, die Zeit von einer Konjunktion
von Sonne und Mond bis zur nächsten (von einem Neumond bis zum
folgenden). Synonymen (griech.), gleichbedeutende oder sinnverwandte
Wörter. Meist stehen die durch solche Wörter
ausgedrückten Begriffe als Unterarten unter einem höhern,
und man gebraucht sie als gleichbedeutend, indem man hier einzelne
Merkmale nicht beachtet, dort dieselben sich hinzudenkt. Im
Interesse der Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks hat man
aber das Bedürfnis gefühlt, die Bedeutung der S.
festzustellen, wodurch die Wissenschaft der Synonymik entstanden
ist, die vorzüglich auf einer richtigen Kenntnis und feinen
Beobachtung des Sprachgebrauchs beruht. Im Sammeln und
Erläutern der S. ist man erst in neuerer Zeit zu einem
befriedigenden Resultat gelangt. Namentlich sind die S. der
lateinischen Sprache von Dumesnil, Haase, Ernesti, Ramshorn,
Döderlein, Habicht, Lübker, Schmalfeld und Schultz, die
der deutschen Sprache von Aug. Eberhard, Meyer, K. Weigand und Dan.
Sanders behandelt worden. Synonymie (griech.), Sinnverwandtschaft der Wörter;
rhetorische Figur, nach welcher eine Häufung von Synonymen zur
nachdrücklichen Hervorhebung des Gedankens angewendet wird,
wie Cicero von Catilina spricht: "Abiit, excessit, evasit,
erupit". Synopsis (griech.), zusammenfassender Überblick,
übersichtliche Zusammenstellung verschiedener denselben
Gegenstand betreffender Schriften; insbesondere S. der Evangelien,
die Zusammenstellung derjenigen Stellen der drei ersten Evangelien,
worin dasselbe in mehr oder minder gleicher Weise berichtet 464 Synoptisch - Synthetische Sprachen. wird (s. Evangelium, S. 948). Synopsen der letztern Art
lieferten Griesbach, De Wette, Lücke, Planck, Matthäi,
Friedlieb, Anger, Tischendorf, Schulze, Sevin. Vgl. Holsten, Die
synoptischen Evangelien (Heidelb. 1886). Synoptisch (griech.), übersichtlich,
kurzgefaßt. Synoptische Karten, Wetterkarten, welche die gleichzeitig
über einem großen (Gebiet herrschende Witterung
darstellen. Dieselben werden nach den an einen Zentralort
telegraphisch eingesandten Witterungsnachrichten zusammengestellt.
Für Deutschland geschieht das von der deutschen Seewarte (s.
d.) in Hamburg, und zwar werden bei der Zeichnung dieser Karten
diejenigen Depeschen zu Grunde gelegt, welche von einer
größern Anzahl von Orten täglich eintreffen und die
Witterung des Morgens 8 Uhr, von einzelnen Hauptstationen
außerdem auch noch die Nachmittags 2 Uhr angeben. Das Gebiet,
aus welchem die deutsche Seewarte ihre Morgentelegramme
erhält, erstreckt sich nach Westen bis nach der Westküste
von Irland, nach Süden bis Corsica und Süditalien, nach
Osten bis Moskau und nach Norden bis Bodö, nördlich vom
Polarkreis. Ganz besonders wertvoll werden die synoptischen Karten
für das Studium der Witterungsveränderungen und sind
daher für das Aufstellen von Wetterprognosen (s. d.) ganz
unentbehrlich (s. Meteorologie). Synostosis (griech.), Knochenverbindung durch
Knochensubstanz, Knochenverwachsung. Synovia (griech.), Gelenkschmiere, s. Gelenk. Synovialhaut, s. Gelenk. Synovitis, s. Gelenkentzündung. Syntagma (griech.), Sammlung mehrerer Schriften oder
Aufsätze verwandten Inhalts, dann überhaupt eine
Zusammenstellung verschiedener Bemerkungen; im altgriechischen Heer
eine Abteilung von etwa 250 Mann (s. Phalanx); im Neugriechischen
s. v. w. Verfassung. Syntax (griech.), die Lehre von der Verbindung der
Wörter zu Sätzen, also die Satzlehre, bildet neben der
Formenlehre als dem ersten den zweiten Hauptteil der Grammatik.
Obwohl sich über die naturgemäße Ordnung der Worte,
wie sie das innere oder logische Verhältnis der in die Rede
aufgenommenen Vorstellungen verlangt, allgemeine Grundsätze
aufstellen lassen, deren Inbegriff die allgemeine S. bilden
würde, so macht doch der eigentümliche Bau der einzelnen
vorhandenen Sprachen für eine jede derselben eine besondere S.
nötig, die wiederum in zwei Hauptteile, die Rektionslehre und
die Topik oder Lehre von der Wortfolge, zerfällt. Die
Begründung der vergleichenden Sprachwissenschaft hat dann auch
zu einer historischen und vergleichenden Betrachtungsweise der S.
Veranlassung gegeben. Die historische S. geht darauf aus, die
Entwickelung und Umbildung der S. in einer und derselben Sprache zu
verfolgen; die vergleichende S. hat die Geschichte der S. in
mehreren Verwandten Sprachen zum Gegenstand. Vgl. Dräger,
Historische S. der lateinischen Sprache (2. Aufl., Leipz. 1878-81,
2 Bde.); Delbrück und Windisch, Syntaktische Forschungen
(Halle 1871-88, Bd. 1-5); Jolly, Ein Kapitel vergleichender S.
(Münch. 1872). Synthema (griech.), alles, was auf Verabredung beruht;
eine in verabredeten Zeichen bestehendeSchrift; daher
Synthematographie, die Kunst, mit solchen Zeichen in die Ferne zu
korrespondieren. Synthesis (griech., Synthese), Zusammenstellung,
Verknüpfung (im Gegensatz zur Analysis, d. h. Zerlegung,
Trennung), insbesondere die Verbindung von Vorstellungen und
Begriffen untereinander, wie sie in der Auffassung der sinnlichen
Erscheinungen stattfindet, insofern hierbei die Mannigfaltigkeit
der wahrgenommenen Merkmale in eins zusammenfließt. Hiernach
versteht man unter einer synthetischen Erklärung eine solche,
bei welcher sich der Begriff aus dem zusammenfassenden Denken
ergibt, indem seine Merkmale vorher bekannt sind und auch die Art
ihrer Verknüpfung nicht zweifelhaft ist. Ein synthetisches
Urteil ist ein solches, dessen Prädikat nicht mit dem
Subjektsbegriff schon gegeben ist, wie z. B. in dem Urteil: alle
Körper nehmen einen Raum ein, sondern als eine neue Bestimmung
zu jenem hinzutritt, wie in dem Urteil: jeder Veränderung
liegt eine Ursache zu Grunde. Ist dabei das Urteil von der
Erfahrung abhängig, so wird es (mit Kant) S. a posteriori, im
entgegengesetzten Fall S. a priori genannt. Analog ist die
Unterscheidung der synthetisch (progressiv) und analytisch
(regressiv) gebildeten Schlußreihen, insofern man entweder
von gewissen Prämissen aus fortschreitend Folgerungen zieht,
oder rückwärts zu den letzten Gründen zu gelangen
sucht. Ebenso versteht man unter synthetischer Methode diejenige,
bei welcher, von den Prinzipien ausgehend, die Folgerungen
entwickelt, unter analytischer Methode dagegen diejenige. bei
welcher die Prinzipien aus den Thatsachen abgeleitet werden. - S.
heißt auch die Darstellung chemischer Verbindungen aus den
Elementen oder aus einfachern Verbindungen durch Einführung
von Atomen oder Atomgruppen. Die S. besitzt als
Untersuchungsmethode neben der Analyse (s. d.) eine große
Bedeutung für die Chemie und feierte den ersten Triumph 1828,
als Wöhler den Harnstoff aus den Elementen darstellte. Diese
große Entdeckung blieb aber ganz vereinzelt, bis Berthelot
auf die Wichtigkeit der S. für die organische Chemie hinwies.
Seitdem wurden durch S. unter anderm erhalten: Essigsäure,
Ameisensäure, Alkohol, Benzol, Kreatin, Guanidin,
Krotonsäure, Senföl, Cholin, Vanillin, Pikolin, Indigo,
Muskarin, Coniin etc., auch wurden Methoden ausgearbeitet zur S.
ganzer Körpergruppen, wie der Alkohole, Phenole, Aldehyde,
Säuren, Basen etc. Von besonderm Interesse ist die S. solcher
Verbindungen, welche im Organismus durch den Lebensprozeß
gebildet werden, weil die künstliche Darstellung dieser
Substanzen lehrt, daß in den lebenden Organismen dieselben
Gesetze walten wie in der sogen. toten Natur. Auch für die
Praxis haben die Erfolge der S. hohe Bedeutung und dürften
solche in Zukunft noch mehr gewinnen. Alizarin, Vanillin, Indigo
und Senföl werden künstlich dargestellt und spielen
bereits neben dem Krapp, der Vanille, den aus der Indigopflanze und
den Senfsamen gewonnenen Produkten eine Rolle in der Industrie. Man
hat auch schon synthetisch gewonnenen Alkohol auf den
Industrieausstellungen gezeigt, und da man von der
Ameisensäure und Essigsäure leicht zur Stearin- und
Palmitinsäure gelangen kann, da anderseits auch Glycerin durch
S. darzustellen ist und die genannten Säuren mit dem Glycerin
sich leicht zu Fetten vereinigen lassen, so ist die
Möglichkeit der Gewinnung von Fett ohne Pflanzen und Tiere
gegeben. Die moderne Chemie wendet die S. hauptsächlich an, um
über die Konstitution der Verbindungen Aufschluß zu
erhalten. Synthetische Sprachen, seit A. W. Schlegel Bezeichnung
für solche Sprachen, in denen die grammatischen
Verhältnisse, wie z. B. im Latein und Griechischen,
vorherrschend auf dem Weg der Flexion gebildet werden, im Gegensatz
zu den analytischen 465 Syntonine - Syphilis. Sprachen (s. d.), wie Französisch, Italienisch, Deutsch, in
welchen zum gleichen Zweck meistens mit Artikeln,
Hilfszeitwörtern etc. zusammengesetzte Ausdrücke
angewendet werden. Syntonine, s. Proteinkörper. Syphax, König der Massäsylier im westlichen
Numidien, ward im zweiten Punischen Krieg von Scipio 207 v. Chr.
für die Sache Roms gewonnen, aber bald darauf dadurch,
daß Hasdrubal ihm seine dem Masinissa verlobte Tochter
Sophonisbe (s. d.) zur Gattin gab, wieder auf die Seite der
Karthager gezogen. Er führte den Krieg gegen Scipio anfangs
nicht ohne Glück, ward aber 203 erst von Scipio, dann im
eignen Land von Lälius und Masinissa geschlagen und gefangen
genommen. Er starb als Gefangener in Tibur, nachdem er vorher (wie
von Polybius und Tacitus berichtet, aber von Livius bestritten
wird) im Triumph des Scipio aufgeführt worden war. Syphilid, jeder infolge allgemeiner Syphilis auftretende
Hautausschlag. Syphilis (griech., Lustseuche, Venerie,
Franzosenkrankheit, lat. Luës, Morbus gallicus), die
wichtigste der ansteckenden Geschlechtskrankheiten, da sie nicht
allein örtliche, auf die Stelle der Ansteckung
beschränkte Veränderungen herbeiführt, sondern sich
auf dem Weg der Lymph- und Blutbahn dem ganzen Körper mitteilt
und so zu einer Konstitutionskrankheit wird. Der krankmachende
Stoff (virus syphiliticum) ist seinem Wesen nach noch nicht
erforscht; man vermutet, daß es eine Bakterienart sei, hat
auch schon eine Reihe von Syphilisbacillen aufgefunden, welche mit
mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit als Ursache der S. bezeichnet
wurden, allein sichere Ergebnisse sind bisher noch nicht gewonnen.
Am meisten ist es wohl die Ähnlichkeit der syphilitischen
Gewebsveränderungen mit denen, welche durch die
Tuberkelbacillen hervorgebracht werden, welche den Gedanken an eine
ähnliche bacilläre Ursache immer wach erhält, und
vor allem die Analogie mit andern ansteckenden Krankheiten, bei
denen in den letzten Jahren die Bacillen tatsächlich
aufgefunden sind. Die S. würde alsdann in die Gruppe der
Wundinfektionskrankheiten einzureihen sein. Die Übertragung
findet nur von Mensch zu Mensch statt, Tiere leiden nicht an S.,
die Luft überträgt den Ansteckungsstoff nicht. Der
Hergang der Ansteckung wird in der Regel der Fälle so
vermittelt, daß a) ein mit syphilitischem Geschwur (Schanker)
an der Haut oder Schleimhaut behaftetes Individuum etwas von dem
Wundsekret dieses Geschwürs in eine kleine Schrunde der Haut
eines bis dahin nicht syphilitischen Individuums
überträgt, worauf sich an dieser Stelle ein primäres
Schankergeschwür entwickelt. Diese Art der Übertragung
vollzieht sich gewöhnlich beim Beischlaf an den Genitalien,
kann aber auch von syphilitischen Geschwüren der Lippen, der
Finger etc. aus erfolgen; b) durch Überimpfung von Blut und
Lymphe eines an konstitutioneller S. leidenden Menschen in eine
Wunde eines andern; c) durch Übertritt des Gifts vom Blut
einer syphilitischen Mutter auf das in ihrem Uterus sich
entwickelnde Kind. Die Krankheitserscheinungen sind 1) primäre
oder örtliche, an der Stelle der stattgehabten Ansteckung sich
entwickelnde Entzündungen und Geschwürsbildung; 2)
sekundäre, durch Aufnahme des Gifts in den Körper
bedingte Allgemeinerscheinungen. Manche Ärzte unterscheiden
auch wohl als 3) tertiäre S. solche Erkrankungen, welche noch
jahrelang nach der Ansteckung in verschiedenen innern Organen
beobachtet werden; da diese späten Nachschübe meist an
Leber, Nieren, Gehirn vorkommen, so hat man sie auch als
Eingeweide-S. (viscerale S.) bezeichnet. Die primäre S. ist
eine entzündliche Zellenwucherung, welche, an der Impfstelle
langsam wachsend, einen etwa bohnengroßen Knoten
hervorbringt, welcher sich derb anfühlt und als
Gummigeschwulst im Sinn Virchows aufzufassen ist. Die Zellen dieses
Knotens zerfallen fettig, die dünne bedeckende Hautschicht
wird abgestoßen, nach 4-6 Wochen ist aus ihm ein
Geschwür, der harte Schanker, entstanden. Als hartes,
induriertes Geschwür wird es bezeichnet im Gegensatz zu
einfachen, nicht auf S. beruhenden Hautgeschwüren, welche
nicht immer ihrem Namen "weicher Schanker" entsprechen und daher
leicht zu Verwechselungen Anlaß geben; die Frage, welche von
beiden Geschwürsformen vorliegt, wird oft erst durch die
spätern Folgezustände sicher entschieden. Während
bei einfachen Geschwüren der Verlauf meist ein schneller ist,
das Geschwür bei guter Reinhaltung rasch heilt, höchstens
zur Bildung schmerzhafter Schwellungen der Leistendrüsen
führt, so stellt sich beim syphilitischen Geschwür
langsame schmerzlose Schwellung der Nachbardrüsen ein, welche
den Übertritt des Gifts ins Blut anzeigt und nun die
sekundären Erscheinungen einleitet; man nennt diese
geschwollenen Lymphdrüsen indolente Bubonen. In ihrem nun
folgenden sekundären Stadium, in welchem der Körper mit
dem Gift als durchseucht gedacht wird (daher konstitutionelle S.),
treten gewöhnlich etwa zwei Monate nach der Ansteckung sehr
mannigfache Hautausschläge auf, welche in Form von Flecken,
Knötchen, Schuppenwucherung, nässenden Entzündungen
auftreten und als Syphilid en zusammengefaßt werden. Sie
verursachen höchst selten das Gefühl von Brennen und
Jucken und treten in der Kälte deutlicher hervor als in der
Wärme. Die häufigste Form ist ein rotfleckiger Ausschlag
(Roseola syphilitica), welcher in Gestalt von
halblinsengroßen, runden, geröteten Flecken auf der Haut
des Gesichts, am Rumpf und an den Extremitäten auftritt. Nach
längerm Bestehen bekommen die Flecke ein schmutzig braun-rotes
Ansehen und verschwinden endlich mit schwach kleienförmiger
Abschelferung der Oberhaut. Eine andre Ausschlagsform ist der
Lichen syphiliticus, bestehend aus kupferroten, nicht juckenden
Knötchen, die vereinzelt oder in Gruppen auftreten und an den
verschiedensten Körperstellen vorkommen. Die Psoriasis
syphilitica (Schuppenausschlag) besteht in einer reichlichen
kleienartigen Abschelferung der Epidermis, die auf mehr oder
weniger dicht stehenden, geröteten Hautflecken stattfindet.
Die Psoriasis syphilitica hat die Eigentümlichkeit, daß
sie die Kniee und Ellbogen (wo die nicht syphilitische Psoriasis am
häufigsten vorkommt) immer verschont und dagegen sehr gern an
den Handtellern und an der Fußsohle sich zeigt, die
ihrerseits von nicht syphilitischen Schuppenausschlägen fast
ausnahmslos verschont bleiben. Das pustulöse, aus
Eiterbläschen bestehende Syphilid (Ecthyma syphiliticum)
befällt namentlich den behaarten Kopf und das Gesicht. Aus den
beim Kämmen der Haare etc. zerkratzten Pusteln entstehen
zuweilen tiefe Geschwüre mit gerötetem Hof, welche
äußerst hartnäckig sind. Seltener als die genannten
Hautausschläge kommen die blasen- und
bläschenförmigen Syphiliden vor. Die Blasen hinterlassen
nach ihrem Zerplatzen oder Eintrocknen einen Schorf, unter welchem
sich ein Geschwür entwickelt (Schmutzflechte, Rupia
syphilitica). Große Blasen kommen bei neugebornen Kindern als
Zeichen angeborner S. häufig, bei Erwachsenen um so seltener
vor (Pemphi- 466 Syphilom - Syracuse. gus syphiliticus. s. Tafel "Hautkrankheiten", Fig. 3).
Außer diesen Ausschlägen kommen auch in der Haut
wirkliche Gummiknoten vor, namentlich im Gesicht und an der Stirn,
wo sie als Corona Veneris bezeichnet werden. Alle diese
syphilitischen oder gummösen Entzündungsknoten,
gleichviel ob sie in der Haut als derbe rote Knoten oder in den
Schleimhäuten als dicke Wucherungen auftreten, oder ob sie in
der Iris, in Leber, Nieren oder Gehirn, Knochenhaut oder
Knochenmark mehr als flache Geschwülste oder große
Knoten hervorwuchern, sie alle haben eine gleiche Struktur wie der
primäre Schankerknoten, sie bestehen aus weichem Bindegewebe
und können 1) bei geeigneter Behandlung verfetten und so
völlig zurückgebildet werden, oder 2) sie können,
wenn sie oberflächlich liegen, geschwürig zerfallen, und
3) sie bilden sich teilweise zurück, teilweise schrumpfen sie
und hinterlassen derbe, strahlige, weiße oder gefärbte
Narben. Durch diese große Mannigfaltigkeit in der
äußern Erscheinung der S. ist es bedingt, daß
nahezu in jedem Organ Erkrankungen vorkommen, welche durch gewisse
Eigentümlichkeiten als spezifisch syphilitische erkannt
werden. Es gibt an der Regenbogenhaut des Auges eine zu
Verwachsungen führende Entzündung (Iritis syphilitica, s.
Tafel "Augenkrankheiten" , Fig. 5), es gibt im Kehlkopf
gummöse Neubildungen, welche große, strahlige Narben
hinterlassen (s. Tafel "Halskrankheiten", Fig. 3); an den Knochen
kommen sowohl knöcherne Auswüchse (Exostosen) als
Defektbildungen, eine Art von Knochenfraß (Caries sicca) vor,
welche durch bohrende Schmerzen (dolores osteocopi) ausgezeichnet
sind. In der Leber bringt die S. Narben hervor, durch welche das
Organ in unregelmäßige Lappen eingeteilt wird (hepar
lobatum), in der Nase führen syphilitische Geschwüre zur
Bildung stinkender Borken (Ozaena syphilitica) und Einfallen der
Nase; im Gehirn und Rückenmark können Lähmungen
aller Art durch gummöse Knoten entstehen; an der Haut wuchern
warzige Gebilde (Feigwarzen, Kondylome) mit breiter Basis und
höckeriger Oberfläche hervor; in den Lungen kann die S.
eine besondere Art der Schwindsucht bedingen, und endlich kommen im
Herzen Geschwülste, im Darm Geschwüre vor, welche der S.
zuzuschreiben sind. Personen, welche an konstitutioneller S.
leiden, erleben oft viele Jahre hindurch immer neue
Organerkrankungen, so daß sie schließlich an
Erschöpfung, nicht selten unter allgemeiner Amyloidentartung
zu Grunde gehen. Die Behandlung richtet sich zunächst auf die
Behandlung des primären Geschwürs. Dieses heilt bei
gründlicher Reinhaltung, event. unter gleichzeitiger Anwendung
von Quecksilber ohne Schwierigkeit. Die konstitutionelle S. wird
mit richtiger und frühzeitiger Anwendung von Quecksilber in
Form von Einreibung von grauer Quecksilbersalbe oder subkutaner
Einspritzung von Sublimat (Lewin) oder innerlicher Darreichung von
Kalomel (Ricord) oft vollständig geheilt. Bei veralteter S.
sind Jodkalium, der Gebrauch von Schwefelbädern, wie Aachen,
Nenndorf und andern warmen Bädern, von guter Wirkung. Die S.
ist von den Eltern auf die Kinder übertragbar. Frauen, welche
zur Zeit der Konzeption bereits an sekundärer S. leiden oder
auch erst während der Schwangerschaft syphilitisch werden,
bringen fast immer unreife, tote Früchte durch Abortus oder
Frühgeburt zur Welt. In andern Fällen wird das Kind zwar
ausgetragen, stirbt aber bei oder kurz nach der Geburt ab. Nur
selten wird das Kind einer syphilitischen Mutter längere Zeit
am Leben erhalten. In diesem Fall sind entweder schon gleich bei
der Geburt Symptome der S. an dem Kind vorhanden, oder die S. ist
noch latent, und die Symptome derselben treten erst nach Wochen
oder Monaten hervor. Die meisten der Kinder mit angeborner S.,
welche am Leben bleiben, haben die Krankheit von dem zur Zeit der
Zeugung syphilitischen Vater geerbt. Es ist sicher konstatiert,
daß die S. vom Vater auf das Kind übergehen kann, ohne
daß die Mutter syphilitisch infiziert ist oder von dem
kranken Kind, welches sie in ihrem Schoß birgt, infiziert
wird. Auch die von einem syphilitischen Vater herstammende vererbte
S. verrät sich in manchen Fällen gleich bei der Geburt
durch deutliche Zeichen, während in andern erst später
charakteristische Störungen auftreten. Die erstere Gruppe von
Fällen bietet für die Behandlung wenig Aussicht, meistens
gehen die Kinder, namentlich wenn schwere Knochenleiden oder
Pemphigus vorhanden sind, zu Grunde. Dagegen hat die Behandlung der
angebornen, aber anfangs latent gebliebenen S. günstige
Erfolge aufzuweisen. Gewöhnlich gibt man den Kindern kleine
Dosen Kalomel oder läßt Sublimatbäder anwenden.
Dabei muß man die Kräfte des Kindes durch Zufuhr einer
möglichst zweckmäßigen Nahrung (Muttermilch)
aufrecht erhalten. Dem syphilitischen Kind eine Amme zu geben, ist
nicht rätlich, weil letztere der Gefahr der Ansteckung
ausgesetzt ist. Die S. erregte zuerst am Ende des 15. Jahrh. als
Franzosenkrankheit (Morbus gallicus) die Aufmerksamkeit der
Ärzte und richtete bei den damaligen Sitten und der Unkenntnis
über ihre zweckmäßige Behandlung furchtbares
Unglück an. Der Name S. ist zuerst von dem Italiener
Fracastoro (1521; vgl. dessen "S. oder gallische Krankheit",
deutsch, Leipz. 1880) gebraucht worden. Vgl. Ricords Vorlesungen
über S. (übersetzt von Gerhard, Berl. 1848); v.
Bärensprung, Die hereditäre S. (das. 1864); Geigel,
Geschichte, Pathologie und Therapie der S. (Würzb. 1867);
Lewin, Die Behandlung der S. mit subkutaner Sublimatinjektion (das.
1869); Zeißl, Pathologie und Therapie der S. (5. Aufl.,
Stuttg. 1888); Weil, Über den gegenwärtigen Stand der
Lehre von der Vererbung der S. (Leipz. 1878); Rosenbaum, Geschichte
der Lustseuche im Altertum (Halle 1888). Syphilom, Gummigeschwulst, s. Syphilis. Syphon, s. Siphon. Syphonoid (griech.), ein mit dem Pulsometer (s. d.)
verwandter Wasserhebeapparat, welcher sich von diesem durch seine
Heberform, durch das Vorhandensein eines besondern Raums für
Dampfkondensation und dadurch, daß er den Dampf nicht direkt
auf die Wasseroberfläche läßt, sondern einen
dazwischengeschalteten, schlecht wärmeleitenden Schwimmer
wirken läßt, durch welchen ein starker Dampfverlust
verhütet und die Steuerung des Dampfes mittels eines Hahns
bewirkt wird, unterscheidet. Vgl. Uhland, Der praktische
Maschinenkonstrukteur, S. 95 (Leipz. 1878). Syra (bei den Alten und neuerdings wieder offiziell
Syros), 1) eine der Kykladen, fast mitten im Archipel gelegen, 80
qkm (1,45 QM.) groß und bis 431 m hoch, erzeugt Getreide und
Wein und hat (1879) 26,946 Einw., welche vornehmlich vom Handel
leben. Derselbe ist vorwiegend Kommissions- und Speditionshandel
und versorgt fast ausschließlich die sämtlichen Inseln
des Archipels mit ihren Bedürfnissen. Auf S. befindet sich ein
deutsches Konsulat. - 2) (Neu Syra), Stadt, s. Hermupolis. Syracuse (spr. ssirrakjuhs), Stadt im nordamerikan. Staat
New York, am Südende des Onondagasees, hat ein Irrenhaus, ein
Asyl für Blödsinnige, ein Zuchthaus und (1880) 51,792
Einw. In der Nähe un- 467 Syrakus (Provinz und Stadt). gemein ergiebige Solen. S. hat außer seinem Salzhandel
noch Hochöfen, Maschinenbau und Brauerei. Syrakus (Siracusa), Provinz des Königreichs Italien,
umfaßt den südöstlichen Teil der Insel Sizilien,
wird im N. und W. von den Provinzen Catania und Caltanissetta, im
Süden und O. vom Afrikanischen und Ionischen Meer begrenzt und
hat ein Areal von 3697 qkm (nach Strelbitsky 3729 qkm = 67,73 QM.)
mit (1881) 341,526 Einw. Der Boden ist sehr fruchtbar und liefert
Getreide (besonders Weizen, 1887: 586,620 hl), Öl (48,281 hl),
Wein (1,770,942 hl), Südfrüchte in Überfluß,
auch zur Ausfuhr. Von geringerer Bedeutung ist die Viehzucht mit
Ausnahme der Schafzucht (1881: 100,631 Schafe), wichtig dagegen die
Seefischerei. Die Provinz zerfällt in die drei Kreise Modica,
Noto und S. (s. Karte "Sizilien"). Die gleichnamige Hauptstadt
liegt auf der mit dem Festland durch einen Damm verbundenen Insel
Ortygia, am Endpunkt der von Messina kommenden Eisenbahn, ist durch
Wassergräben mit Mauern an der Landseite und durch ein Kastell
an der Südseite der Insel befestigt, hat aber nur einen Umfang
von 4 km (gegen 33 km Umfang des antiken S.). Die Bedeutung der
Stadt liegt in dem großen Hafen, welcher die ganze Bucht
zwischen der Insel Ortygia im N. und dem Vorgebirge Plemmyrion
(Massolivieri) im SO. umfaßt und für die Aufnahme der
größten Flotte geeignet ist. Unter den öffentlichen
Bauten sind hervorzuheben: der Dom Santa Maria del Piliero (in die
gewaltigen Säulen eines dorischen Tempels eingebaut); die
Kirchen San Giovanni (aus dem 12. Jahrh.) und Santa Lucia; der
elegante Palazzo Communale u. a.; ferner von Privatgebäuden:
der gotische Palast Montalto und der Palazzo Lanza. S. hat ein
Lyceum, ein Gymnasium, eine technische Schule, ein Seminar, ein
Museum (mit zahlreichen Antiquitäten, darunter eine Statue der
Venus, ein kolossaler Kopf des Neptun u. a.), eine Bibliothek mit
über 10,000 Bänden, ferner eine Filiale der Nationalbank,
mehrere selbständige Banken, eine Handelskammer,
Wohlthätigkeitsanstalten, Fabrikation von Chemikalien und
Töpferwaren, lebhaften Handel (besonders mit Agrumen, Wein,
Öl, Seesalz etc.) und (1881) 19,389 Einw. Im Hafen liefen
1887: 1215 Schiffe mit 158,084 Ton. ein. S. ist Sitz der
Präfektur, eines Erzbischofs, eines Zivil- und
Korrektionstribunals, eines Assisenhofs etc. sowie mehrerer
Konsulate. Von der Größe der antiken Stadt zeugen nicht
unbedeutende Trümmerreste, so: Überbleibsel von drei noch
sehr altertümlichen dorischen Tempeln, Aquädukte, Reste
der Stadtmauer, ein Altar, die Trümmer der Bergfeste Euryalos,
große Steinbrüche, darunter die Latomia del Paradiso mit
dem "Ohr des Dionysios", einer durch eigentümliche Akustik
ausgezeichneten Grotte, sowie die Latomia dei Cappuccini; das
griechische Theater aus dem 5. Jahrh.; ein römisches
Amphitheater aus der Zeit des Augustus; die Arethusaquelle etc. Aus
altchristlicher Zeit haben sich geräumige Katakomben erhalten.
Schöne Gartenanlagen enthält die Villa Landolina im
antiken Stadtgebiet, wo sich die Grabstätte des Dichters
Platen befindet. Am Kyaneflüßchen, zum Anapo gehend,
gedeiht die Papyrusstaude in besonderer Üppigkeit. [Geschichte.] S. (Syracusä), im Altertum die
größte und reichste Stadt Siziliens, lag anfangs auf der
hart vor der Küste gelegenen, zuerst von Phönikern
besetzten Insel Ortygia, von wo sich die Stadt später
über das Festland ausbreitete. Zur Zeit ihrer
größten Ausdehnung, wo sie über eine Million
Einwohner zählte, bestand sie aus fünf Hauptteilen: der
Insel Ortygia (Nasos) mit der Quelle Arethusa, den Tempeln der
Artemis und Athene, den großen Getreidemagazinen, dem von
Hieron erbauten Palast und der im nördlichen Teil von
Dionysios I. erbauten Akropolis; der 66 m hoch ansteigenden
Halbinsel Achradina, dem Hauptteil und Mittelpunkt der Stadt, mit
der von Säulengängen umgebenen Agora, dem Prytaneion
etc.; Tycha, dem an den nördlichen Teil von Achradina westlich
anstoßenden, volkreichsten Teil der Stadt; Neapolis, auf der
Südwestseite von Achradina, mit dem Haupttheater und Tempeln
der Demeter, Kora etc.; Epipolä, einer die ganze Stadt
beherrschenden Höhe nordwestlich von Neapolis, welche
Dionysios I. mit einer starken Mauer umgeben ließ, durch das
Fort Euryalos krönte und mit in den Bereich der die Stadt
umgebenden Befestigungen zog. Neapolis und Achradina enthielten
große Steinbrüche (Latomien), welche tief in die Erde
gingen und als Gefängnisse benutzt wurden. S. besaß zwei
treffliche, durch tiese Buchten gebildete Häfen, einen
kleinern (Lakkios) im N. von Ortygia und einen größern,
der mit Ketten gesperrt werden konnte, im W. der genannten Insel.
Südlich von S., in der Nähe der Quelle Kyane, lagen das
Olympieion und der Hafenort Daskon. S. war eine dorische
Niederlassung, 734 v. Chr. von den Korinthern auf Ortygia
gegründet und nach der sumpfigen Ebene Syrako, westlich vom
großen Hafen, benannt. Wiewohl der Zeit nach die zweite
griechische auf Sizilien gegründete Kolonie, wurde sie doch
bald durch Betriebsamkeit und Handel dem Rang nach die erste und
gründete selbst neue Niederlassungen auf Sizilien (Akrä,
Kasmenä, Kamarina u. a.). Sie hatte eine aristokratische
Verfassung. Die Gamoren hatten die Regierung in den Händen,
zuerst mit einem König an der Spitze, später ohne einen
solchen. Aus den Gamoren, den Nachkommen der ersten Kolonisten,
wurden die Magistrate und Mitglieder des Hohen Rats gewählt,
welche das Volk in ihren Versammlungen leiteten. 491 wurde die
Aristokratie der Gamoren von der demokratischen Partei
gestürzt, welche aber keine geordnete Verfassung herzustellen
vermochte. So ward es Gelon (s. d.) leicht, die Gamoren nach S.
zurückzuführen und sich dann selbst 485 der Herrschaft zu
bemächtigen. Unter ihm erreichte S. seine höchste
Blüte, seine Flotten beherrschten die umliegenden Meere, und
die meisten Städte Siziliens standen unter seinem
Einfluß. Namentlich sein Sieg über die Karthager am
Himera 480 machte S. zur mächtigsten Stadt Siziliens. Er
verband die Neustadt auf dem Felsplateau Achradina mit Ortygia
durch einen Damm und umgab das Ganze mit einer kolossalen Mauer,
außerhalb welcher noch die Vorstädte Tycha, Neapolis und
Epipolä entstanden. Auf Gelon folgte sein Bruder Hieron I.
(477-467) und auf diesen der dritte Bruder, Thrasybulos, der aber
schon 466 vertrieben ward. An die Stelle der Tyrannis trat jetzt
eine demokratische Verfassung. Zur Sicherstellung der Demokratie
ward eine dem athenischen Ostrakismos ähnliche Maßregel
in dem Petalismos ("Blättergericht", weil mit beschriebenen
Olivenblättern abgestimmt wurde) eingeführt, doch ward
derselbe als die Ochlokratie nur befördernd bald wieder
aufgehoben. Die innern Unruhen benutzend, strebten sich mehrere von
S. abhängige sizilische Städte frei zu machen und suchten
zu diesem Zweck Unterstützung bei den Athenern nach. Diese,
schon längst eifersüchtig auf die mächtige
Handelsstadt, sandten auch 415 eine große Flotte unter Nikias
und Lamachos nach Sizilien (sizilische 468 Syrdarja - Syrien. Expedition der Athener 415-413). Die Athener eroberten 414 die
Vorstädte Epipolä und Tycha und hatten S. schon auf der Landseite eingeschlossen, als nach dem
Tode des Lamachos der Spartaner Gylippos ihre Verschanzungen
durchbrach und sie zwang, sich auf den Angriff zur See zu
beschränken. Unter Führung des Gylippos und des
Hermokrates erbauten die Syrakusier 413 eine Flotte, entrissen den
Athenern ihre befestigte Stellung auf dem Vorgebirge Plemmyrion,
Ortygia gegenüber, und brachten ihnen in einer Seeschlacht
eine Niederlage bei. Durch Demosthenes verstärkt, versuchten
die Athener einen nächtlichen Angriff auf Epipolä, der mißlang,
lieferten den Syrakusiern, um die Ausfahrt aus dem Hafen zu
erzwingen, eine unglückliche Seeschlacht und wurden, 40,000
Mann stark, auf dem Abzug zu Lande am Assinaros vernichtet. 7000
Gefangene wurden in die Latomien auf Achradina geworfen, wo sie
meist verschmachteten, Nikias und Demosthenes hingerichtet. Unter
dem Einfluß des Volksvorstehers Diokles wurde darauf in S. eine neue, völlig demokratische
Verfassung eingeführt, deren erste Bestimmung die Wahl der
Magistrate durch das Los war. Zugleich wurden geschriebene, sehr
strenge Gesetze gegeben. Der gleichwohl überhandnehmenden
Zügellosigkeit zu steuern und sich gegen die Eroberungs- pläne Karthagos zu schützen, übertrug das Volk
dem tapfern Dionysios I. (s. d.) das Oberkommando über die
Armee, bahnte ihm aber dadurch den Weg zur Tyrannis (406). Dionysios drängte nach mehreren Kriegen
die Karthager in den westlichen Teil Siziliens zurück und
befestigte die Herrschaft von S. über die Osthälfte der
Insel und einen Teil Unteritaliens. In S. erbaute er auf der
Nordspitze der Insel Ortygia die Feste Hexapylon und umgab die Stadt mit einer hohen Quadermauer, welche auch die
Vorstädte Tycha und Epipolä umfaßte und 20 km lang
war; die Einwohnerzahl stieg auf eine Million. Im kleinen
Außenhafen legte Dionysios 50, im großen innern 100
Docks für Kriegsschiffe an. Die wohlbefestigte Regierung
übernahm nach ihm 367 sein Sohn Dionysios II., ein Wollüstling, der 357 von Dion vertrieben wurde, aber 346 zurückkehrte. Endlich
nötigte ihn 343 Timoleon, seine Herrschaft niederzulegen.
Letzterer zerstörte die Burg , stellte die demokratische
Verfassung wieder her und zog durch Häuser- und
Äckerverteilung an 60,000 neue Ansiedler in die
entvölkerte Stadt. Die nach seinem Tod entstandenen Unruhen
benutzte Agathokles (s. d.), um sich unter der Verheißung
einer reinen Demokratie zum Tyrannen aufzuwerfen (317). Seine
strenge und gewalttätige Regierung erhielt wenigstens Ruhe im
Innern, wodurch es noch möglich wurde, daß sich S. gegen
die in Sizilien immer weiter fortschreitenden und S. schon
belagernden Karthager halten konnte. Nach Agathokles' Tod (289)
warf sich Mänon, der Mörder jenes, zum Herrscher auf,
ward aber von Hiketas vertrieben, der sich drei Jahre lang
behauptete. Als er gegen die Agrigentiner zu Felde zog, stritten in der Stadt Thynion und Sostratos um die Herrschaft. Zur Stillung dieser Unruhen riefen die
Syrakusier den damals in Italien kriegführenden Pyrrhos (277)
herbei, der S. von den Karthagern befreite und seinen Sohn zum
König von Sizilien einsetzte. Nach seinem Weggang wählten aber (275) die Syrakusier Hieron II. zu ihrem Feldherrn und 269
zum König. Dieser stand den Römern im ersten und zweiten
Punischen Krieg mit Erfolg bei und sicherte sich dadurch seine
Herrschaft im östlichen Teil der Insel. Sein Enkel und
Nachfolger (seit 215) Hieronymus trat dagegen im zweiten Punischen Krieg auf die Seite der Karthager und beschleunigte
dadurch seinen Sturz (214) und den Untergang der
Selbständigkeit von S., das 212 nach tapferer Verteidigung durch Archimedes von Marcellus erobert
wurde. Seitdem ward S. mit dem östlichen Teil Siziliens
römische Provinz. Der alte Glanz der Stadt verschwand für
immer, und die Bevölkerung nahm immer mehr ab. Vergebens
suchte sie Augustus durch eine Kolonie zu heben. Gegen Ende des 5.
Jahrh. n. Chr. ward S. von germanischen Völkerschaften, die
zur See ankamen, besonders von den Vandalen, 884 aber von den
Sarazenen geplündert. Kaiser Heinrich VI. schenkte 1194 die
Stadt den Genuesen, die ihm gegen Tankred beigestanden hatten; doch
befreiten sich die Syrakusier mit Hilfe der Pisaner bald wieder. S.
kam hierauf unter spanische Herrschaft und ward Residenz des
Statthalters. Infolge einer Seeschlacht, die bei S. 1718 zwischen
den Engländern und Spaniern geschlagen wurde, mußten die
letztern die Stadt den Österreichern einräumen, bekamen
aber 1755 die Insel Sizilien wieder. 1100,1542, 1693und 1735 litt
S.bedeutend durch Erdbeben. Vgl. Arnold, Geschichte von S. (Gotha
1816); Privitera, Storia di Siracusa antica e moderna (Neap. 1879, 2 Bde.); Cavallari u. Holm,
Topografia archeologica di Siracusa (Pal. 1884; deutsch bearb. von
Lupus: "Die Stadt S. im Altertum", Straßb. 1887). Syrdarja, Fluß, s. Sir Darja. Syria Dea, Göttin, f. Derketo. Syrien (türk. Suria), ein Land der asiat.
Türkei, an der Ostküste des Mittelländischen Meers,
bezeichnete ursprünglich den gesamten Umfang des assyrischen
Reichs, bis der Name in abgekürzter Form durch die Griechen
auf die Gebiete westlich des Euphrat beschränkt wurde, und
heute versteht man darunter alles Land zwischen dem Euphrat und der
Arabischen Wüste im O. und dem Mittelmeer im W., dem Taurus im
N. und der Grenze Ägyptens im Süden, d. h. das heutige
Wilajet Surija und die südwestliche Hälfte von Haleb
(Aleppo) sowie die selbständigen Bezirke Libanon und Jerusalem (s. Karte "Türkisches
Reich"). Infolge des Parallelismus seiner von N. nach Süden
streichenden Gebirge, welche, wenn auch von tiefen Querspalten
durchschnitten, den Taurus im N. mit den von NW. nach SO. ziehenden
Küstengebirgen des Arabischen Meerbusens verbinden, ist
das Land von ziemlich gleichförmiger
Oberflächenbildung. Ihrer Ausdehnung und mittlern Höhe nach stehen die
syrischen Gebirge zwar hinter den großen ostwestlich
gerichteten Systemen Asiens zurück, bewirken aber dennoch
infolge ihrer nordsüdlichen Aufrichtung eine sehr ungleiche
Verteilung des Regens. Da im Mittelmeerbecken die Westwinde
vorherrschen, so ist nur der Westabfall des Landes reich an Regen;
dagegen sind die östlichen Abdachungen und innern Hochebenen
sehr arm an Niederschlägen, Quellen und Flüssen und
bilden zum größten Teil vegetationsarme Steppen oder
kahle Wüsten. Während von der Küste weit
landeinwärts die Gebirge durchaus der Kalkformation
angehören und nur stellenweise, wie in der Spalte des Jordanthals, vulkanische Gebilde zu Tage kommen, treten
dieselben weiter ostwärts und bis tief in die Wüste
hinein, namentlich in der Südhälfte von S., in Hunderten
von Trachyt- und Basaltkegeln einzeln oder in größern
Gruppen und von der verschiedensten Höhe auf (z. B. Dschebel
Hauran 1782 m). Die größten, als nackte Felsen über die
Waldregion ansteigenden Erhebungen der Kalkgebirge finden sich 469 Syrien (Geschichte). im N.: der Amanos der Alten (Gjaur Dagh), 1850 m hoch, der
Kasios (Dschebel Akraa), 1770 m, der Libanon, 3063 m;
landeinwärts der Hermon (Dschebel el Scheich), 2860 m, und der
Antilibanon, 2670 m. Die südliche Fortsetzung des Libanon und
Antilibanon (vgl. Palästina) steigt nirgends zu mehr als
1000-1200 m Höhe an; ihre meist abgerundeten Gipfel und
Scheitelflächen sind daher bis oben hinauf angebaut, und
dasselbe gilt von den östlich sich anschließenden
Hochflächen (die alten Landschaften Hauran und Baschan,
700-900 m hoch) und um Damaskus (700 m), die zum Teil aus sehr
ergiebigem Thonboden bestehen. Bei dieser Beschaffenheit der
Oberfläche sind die Flußthäler (von dem nur als
Grenzfluß Bedeutung habenden Euphrat abgesehen) zum
größten Teil kurze Querthäler, in denen nur aus den
höhern Küstengebirgen (Amanos, Kasios, Libanon) eine
größere Wassermenge mit starkem Gefälle unmittelbar
dem Meer zufließt. Die wenigen längern Flüsse
verlaufen in nordsüdlichen Längsthälern zwischen den
Parallelketten des Kalkgebirges und zwar in entgegengesetzter
Richtung nach N. und Süden, weil die bedeutendste
Bodenanschwellung gerade in der Mitte Syriens unter 34°
nördl. Br. liegt. Dort steigt das breite Thal zwischen dem
Libanon und Antilibanon (jetzt Bekaa genannt, im Altertum Bukka) zu
fast 1200 m an und entsendet nach N. den größten
syrischen Strom, den Orontes (El Asi), nach Süden den Lita
(Litani), welcher zuletzt scharf nach W. umbiegt und in einem
kurzen Querthal das Meer erreicht, und in einer östlichen
Parallelfalte den Jordan (s. d.). Was das Klima anlangt, so hat S.
eigentlich nur zwei Jahreszeiten, eine mit, die andre ohne Regen.
Von Anfang Mai bis Ende Oktober ist die regenlose Zeit, mit
vorherrschenden Nordwestwinden; gegen Ende Oktober bezeichnen
Gewitter den Beginn der Zeit, wo Südwest- und Südwinde
Regen bringen. Die Temperaturunterschiede sind bedeutend: im Innern
des Landes, in der Wüste und auf den Hochebenen sinkt das
Thermometer häufig unter 0°, und in Damaskus, Jerusalem
(mittlere Jahrestemperatur +17° C.) und Aleppo fällt
öfters Schnee. Die Sommerhitze in Damaskus und sonst im Innern
ist natürlich bedeutender als an der Küste, wird aber
noch sehr von dem Ghor (Thal des Jordan) übertroffen. S. ist
kein unfruchtbares Land und war einst angebauter als heute. Sein
Küstenland gehört der Mittelmeerflora an, die sich durch
immergrüne, schmal- und lederblätterige Sträucher
und rasch verblühende Frühlingskräuter auszeichnet;
das Plateau hat orientalische Steppenvegetation mit vielen
Dornsträuchern und wenig zahlreichen Bäumen (Labiaten,
Disteln, Eichen, Pistazien, Koniferen etc.); das Ghor (s. d.)
gehört der subtropischen Flora an. Die hauptsächlichsten
Ausfuhrartikel sind: Weizen, Süßholz, Rosenblätter,
Aprikosen, Rosinen, Oliven und Öl, Tabak, Galläpfel,
Seide, Kokons (1877 wurden 1,925,000 kg Kokons und 140,000 kg rohe
Seide produziert) und Südfrüchte. Unter den Haustieren
spielen die Schafe (meist Fettschwänze) eine große
Rolle, nächst ihnen die Ziegen. Das Rindvieh ist klein und
wird nur im Libanon geschlachtet. Der indische Büffel kommt im
Jordanthal vor, das Kamel hauptsächlich in der Wüste;
auch Pferde, Esel, Hühner sind häufig. Die viel
vorkommenden Heuschrecken werden von den Beduinen gegessen. Die
Bevölkerung von S. zerfällt der Abstammung nach in
Nachkommen der alten Syrer (Aramäer), Araber, Juden, Griechen,
Türken und Franken, der Religion nach in Mohammedaner,
Christen verschiedener Bekenntnisse und Juden. Die Syrer nahmen zum
Teil den Islam und die arabische Sprache an, zum Teil blieben sie
Christen. Die Araber zerfallen in seßhafte und Nomaden,
letztere äußerlich Mohammedaner, eigentlich aber
Sternanbeter. Türken sind nur in geringer Zahl vorhanden. Von
der gesamten, auf etwa 2 Mill. Seelen (14 auf 1 qkm)
geschätzten Einwohnerschaft des Landes bekennen sich vier
Fünftel zum Islam. Unter den Christen überwiegen die
fanatischen griechisch-orthodoxen (Patriarchate von Jerusalem und
Antiochia); sie sprechen meist arabisch. Armenier und Kopten finden
sich fast nur in Jerusalem; wichtiger sind die Jakobiten,
namentlich im N. verbreitet, ihrem Glauben nach Monophysiten. Die
römisch-katholische Kirche, vertreten durch Lazaristen,
Franziskaner und Jesuiten, besitzt in S. zwei Filialkirchen, die
griechisch-katholische und die syrisch-katholische, mit gewissen
Vorrechten. Zu ihr gehören auch die Maroniten (s. d.) im
Libanon, deren Patriarch von Rom bestätigt wird. Protestanten,
Bekehrte der amerikanischen Mission, gibt es nur ein paar tausend.
Die Juden zerfallen in spanisch-portugiesische Sephardim und
Aschkenazim aus Rußland, Österreich und Deutschland;
außerdem gibt es ca. 50 Familien der Samaritaner in Nabulus.
Von mohammedanischen Sekten sind aufzuführen: die Drusen (s.
d.) im Libanon und Hauran, zum größern Teil von den
alten Syrern, zum Teil von eingewanderten Araberstämmen
abstammend; die Nossairier (s. d.), welche auf dem nach ihnen
genannten Dschebel Nasairijeh ihre Sitze haben; die Ismaeliten (s.
d.), die mit den berüchtigten Assassinen identisch sind, und
die Metâwile, eine Abart der Schiiten, südlich von den
Drusen im Libanon und in Galiläa zwischen Saida und Tyros. [Geschichte.] Die Urbewohner Syriens, sämtlich Semiten,
zerfielen in mehrere Stämme, von denen derjenige der
Aramäer (s. Aramäa) oder der eigentlichen Syrer der
bedeutendste war. Das Land zerfiel damals in einzelne Städte
mit Gebieten unter besondern Oberhäuptern. Schon im
frühsten Altertum werden Damaskus, Hamath, Hems oder Emesa,
Zoba u. a. erwähnt. Ein altes wichtiges Emporium war die
Palmenstadt Tadmor oder Palmyra; nicht minder berühmt als
Mittelpunkt des Sonnenkultus war Baalbek oder Heliopolis. Eine
größere Rolle in der Weltgeschichte als die eigentlichen
Syrer spielten die an der Westküste wohnenden Völker, die
Kanaaniter, Phöniker und Israeliten oder Juden. Die
eigentlichen Syrer vermochten sich oft fremder Unterdrücker
nicht zu erwehren; insbesondere machte David einen großen
Teil ihres Landes zu einer Provinz des jüdischen Reichs. Bei
der Teilung desselben rissen sie sich wieder los, und in Damaskus
entstand ein selbständiges Reich, welchem nach und nach die
Häuptlinge der übrigen Städte tributpflichtig
wurden. Nach mannigfachen Schicksalen ward S. 730 v. Chr. von
Tiglat Pilesar II. zu einer Provinz des assyrischen Reichs gemacht;
die Griechen, welche das Land zuerst als assyrische Provinz kennen
lernten, gaben ihm davon den Namen Syria. Nach dem Fall des
assyrischen Reichs ward S. eine Provinz von Babylonien (um 600),
dann von Persien (538) und von Makedonien (333), bis es endlich
durch die Seleukiden 301 wieder zu einem selbständigen Reich
erhoben ward. Der Gründer dieser Dynastie, Seleukos Nikator
(301-280), dehnte die Grenzen seines Reichs nach O. bis zum Oxus
und Indus aus und machte S. zum Mittelpunkt desselben. Durch
Erneuerung und Gründung vieler griechischer Städte
(Seleukeia am Tigris, Seleukeia am Orontes, Antiocheia u. a.) 470 Syringa - Syrische Sprache und Litteratur. suchte er in seinem Reich, welches 72 Satrapien umfaßte,
den Wohlstand zu heben. Aber seinen Nachfolgern fehlte zum
Zusammenhalten dieses Reichs die nötige Kraft und Energie.
Schon 256 rissen die Parther Iran von S. los und beschränkten
150 das Reich auf das eigentliche S., und auch dieses ward 85
großenteils dem armenischen König Tigranes
unterwürfig, bis es 64 von Pompejus zur römischen Provinz
gemacht wurde. Im 4. Jahrh. n. Chr. trennte Konstantin d. Gr.
Kommagene und Kyrrhestika vom übrigen S. und machte daraus
eine eigne Provinz, Namens Euphratensis; das übrige Land aber
ward später von Theodosius dem jüngern in Syria prima und
Syria secunda eingeteilt. Unter Justinian wurden die wichtigsten
Städte Syriens von den Persern genommen, darunter Antiochia.
Dann brachen 635 die Araber verwüstend ins Land ein, eroberten
es und bekehrten die Einwohner zum größten Teil zum
Islam. Erst unter der Herrschaft der arabischen Kalifen hob sich S.
wieder. Doch ward das Land den Kalifen bald von rebellischen
Statthaltern und diesen wieder durch die turkmenische Miliz
entrissen. Auch durch die Kreuzzüge litt das Land sehr.
Saladin, Sultan von Ägypten, entriß S. 1187 den
Kreuzfahrern wieder, und unter seinen Nachfolgern kam es an die
Mamelucken. Schwer litt es dann durch die Einfälle der
Mongolen unter Dschengis-Chan. 1517 eroberte der Osmanensultan
Selim I. S., und fortan bildete es eine türkische Provinz.
Doch empörten sich die dortigen Paschas häufig gegen die
Pforte. 1833 kam S. unter die Herrschaft Mehemed Alis,
Vizekönigs von Ägypten; durch die Intervention der
europäischen Mächte 1840 aber kehrte es unter die
unmittelbare Herrschaft der Pforte zurück. Der
unaufhörliche Wechsel der Herrscher, verheerende Kriege und
die Barbarei der mohammedanischen Gewalthaber haben Land und Volk
völlig ruiniert, so daß es jetzt wenig mehr als eine
schwach bevölkerte, sterile Einöde voll Ruinen ist. In
neuerer Zeit hat S. namentlich durch die Kämpfe der Drusen (s.
d.) und Maroniten (s. d.) die Aufmerksamkeit Europas wieder auf
sich gezogen; infolge der blutigen Verfolgungen, denen besonders im
Juni 1858 die Maroniten ausgesetzt waren, namentlich der
Christenmetzelei in Damaskus vom Juli 1860 bis Juni 1861, besetzten
französische Truppen das Land. Vgl. Vogüé,
Architecture civile et religieuse du I. au VI. siècle dans
la Syrie centrale (Par. I866-77, 2 Bde.); Derselbe, Inscriptions
sémitiques de la Syrie (das. 1869-77); Burton und Drake,
Unexplored Syria (Lond. 1872); Zwiedineck, S. und seine Bedeutung
für den Welthandel (Wien 1873); Sachau, Reise in S. und
Mesopotamien (Leipz. 1883); Lortet, La Syrie d'aujourd'hui (Reise
1875 bis 1880, Par. 1884); Bädeker, Palästina und S. (2.
Aufl., Leipz. 1880); über die neuere Geschichte: de Salverte,
La Syrie avant 1860 (Par. 1861); Edwards, La Syrie 1840-62,
histoire etc. (das. 1862); Abbé Jobin, La Syrie en 1860 et
1861 (Lille 1862); Jochmus, The Syrian war (Berl. 1883, 2
Bde.). Syringa L. (Flieder, Syringe, Lilak), Gattung aus der
Familie der Oleaceen, Sträucher mit gestielten,
entgegengesetzten, glatten, ganzrandigen, selten fiederig
eingeschnittenen Blättern, wohlriechenden Blüten in
reichen, endständigen Rispen und länglichen, meist
zusammengedrückten, lederigen Kapseln. Sechs Arten in
Osteuropa und dem gemäßigten Asien. S. vulgaris L.
(gemeiner Flieder, türkischer, spanischer Flieder,
fälschlich Holunder, Jelängerjelieber), ein 2-6 m hoher
Strauch mit herzförmig länglichen Blättern, lila und
weißen Blüten und konkaven Blumenkronabschnitten, soll
1566 durch Busbecq von Konstantinopel nach Flandern gekommen sein
und im Orient wild wachsen; wahrscheinlicher aber stammt er aus den
östlichen Karpathen, aus Ungarn und Siebenbürgen;
gegenwärtig wird er in zahlreichen Formen als Zierstrauch
kultiviert. Das ziemlich feste, schön geflammte Holz wird von
Drechslern und Tischlern benutzt. S. persica L. (persischer
Flieder), ein kleinerer Strauch mit kleinern,
elliptisch-lanzettförmigen Blättern, länger
gestielten, fleisch- oder rosenroten, auch weißen Blüten
und ziemlich flachen Blumenkronabschnitten, wächst in
Daghestan, aber ebensowenig wie der vorige in Persien, wird, wie
auch einige andre Arten und Blendlinge (S. chinensis Willd., S.
Rothomagensis Ren., wahrscheinlich aus S. vulgaris und S. persica
entstanden), als Zierstrauch kultiviert. Ebenso S. Josikaea Jacq.
aus Ungarn, mit elliptischen Blättern und
knäuelförmig zusammengedrängten, eine Rispe
bildenden, tief violettblauen Blüten ohne Duft. Syrinx, nach griech. Sage Tochter des arkadischen
Flußgottes Ladon, ward, von Pan verfolgt, in ein Schilfrohr
verwandelt, dem der Wind süß klagende Töne
entlockte. Pan schnitt von dem Schilf Röhrchen, eins immer
kleiner als das andre, und bildete hieraus eine Pfeife, der er den
Namen S. gab. Syringen hießen auch die unterirdischen
Begräbnishöhlen der ägyptischen Könige bei
Theben. Syrische Christen, s. v. w. Nestorianer. Syrische Sprache und Litteratur. Die syrische Sprache ist
die wichtigste Sprache der aramäischen Gruppe der
semitischen Sprachen (s. Semiten) und tritt zuerst in
palmyrenischen Inschriften des 1. Jahrh. n. Chr. auf. Nachdem sie
im 1. Jahrtausend n. Chr. ihre Blütezeit gehabt, ward sie
seitdem durch die stammverwandte arabische Sprache mehr und mehr
verdrängt und ist jetzt, abgesehen von einigen verderbten
Volksmundarten in Kurdistan und Mesopotamien (bearbeitet von
Nöldeke in "Grammatik der neusyrischen Sprache am Urmiasee",
Leipz. 1868; von Prym und Socin: "Der neuaramäische Dialekt
des Tûr-Abdîn", Götting. 1881, 2 Bde.; von Socin:
"Die neuaramäischen Dialekte von Urmia und Mosul",
Tübing. 1882), welche auf sie zurückzuführen sind,
nur noch Schrift- und Gelehrtensprache. Die besten Grammatiken
derselben lieferten P. Ewald (Erlang. 1826), Hoffmann (Halle 1827;
in neuer Bearbeitung von Merk, 1867-70), Uhlemann (2. Aufl., Berl.
1857) und Nöldeke (Leipz. 1880), kürzer Nestle (mit
Litteratur, Chrestomathie und Glossar, 2. Aufl., Berl. 1888);
Wörterbücher Castellus (hrsg. von Michaelis,
Götting. 1788), Bernstein (Berl. 1857 ff., unvollendet); mit
Glossarien versehene Chrestomathien Hahn und Sieffert (Leipz.
1826), Bernstein und Kirsch (Lond. 1867, 2 Bde.), Oberleibner (Wien
1826), Rödiger (2. Aufl., Halle 1868), Wenig (Innsbr. 1866),
Zingerle (Rom 1871-73), Cardahi (das. 1875) und Martin (Par. 1875).
Eine neue vollständige Sammlung des syrischen Wortschatzes mit
Beiträgen der hervorragendsten Kenner des Syrischen gibt R. P.
Smith heraus ("Thesaurus syriacus", bis jetzt 5 Hefte, Oxf.
1868-80). Die Schrift der Syrer, eine jüngere Nebenform der
phönikischen, die etwas Eckiges und Steifes hat (s. die
"Schrifttafel"), hieß in ihrer ältesten Gestalt
Estrangelo; aus ihr ist die kufische Schrist der Araber, die Mutter
des spätern arabischen, persischen und türkischen
Alphabets, entstanden. Aus der jüngern syrischen Schrift sind
(durch Vermittelung der Nestorianer) die Schriftarten der Uiguren,
Mongolen, Kalmücken u. Mandschu 471 Syrjänen - Syrphus hervorgegangen. Von der ältesten syrischen Litteratur ist
nichts bekannt. Die zahlreichen erhaltenen Schriftdenkmäler
rühren meist aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. her und sind
vorwiegend christlich-theologischen Inhalts. Doch fanden damals
auch die Geschichte und Philosophie sowie die Naturwissenschaften
unter den Syrern Pflege, in welchen Fächern diese im 8. und 9.
Jahrh. Lehrer der Araber wurden, wie sie überhaupt als
Vermittler älterer Kulturen einen großen Einfluß
in Vorderasien ausgeübt haben. Der letzte klassische
Schriftsteller der Syrer ist Bar-Hebräus (gest. 1286),
jakobitischer Weihbischof zu Maraga. Das älteste noch
vorhandene Denkmal der christlich-syrischen Litteratur ist eine
Übersetzung des Alten und Neuen Testaments, die sogen.
Peschito (s. d.). Für die Kirchengeschichte sind die meist
schon mehrfach herausgegebenen Werke der syrischen
Kirchenväter von großem Interesse; eine Auswahl
derselben hat Bickell zu übersetzen begonnen (Kempten 1874
ff.). Unter den historischen Werken ist namentlich die Chronik des
Bar-Hebräus zu erwähnen. Die um das Jahr 515 geschriebene
Chronik des Josua Stylites hat der französische Orientalist
Martin herausgegeben in den "Abhandlungen für die Kunde des
Morgenlandes" (Leipz. 1876). Die berühmte indische
Märchensammlung "Pantschatantra" ist schon im 6. Jahrh. auch
ins Syrische übertragen worden, und diese alte Version (hrsg.
mit Übersetzung u. d. T.: " Kalilag und Damnag" von Bickell,
nebst einer Einleitung von Benfey, Leipz. 1876) ist
ursprünglicher als das auf die Gegenwart gekommene indische
Original. Ebenso sind manche gar nicht mehr oder nicht in ihrer
ursprünglichen Gestalt erhaltene Werke des klassischen
Altertums in syrischen Versionen oder arabischen Übertragungen
derselben bewahrt. Den Text eines syrischen historischen Romans:
"Julianos der Abtrünnige", gab Hoffmann heraus (2. Ausg., Kiel
1887). Die Poesie der Syrer ist lediglich kirchlicher und
liturgischer Art und entbehrt alles wahrhaft dichterischen Geistes.
Der älteste Hymnendichter ist der Gnostiker Bardesanes; neben
ihm ist noch Ephräm der Syrer zu nennen. Die reichsten
Sammlungen syrischer Handschriften besitzen Rom, Paris und das
Britische Museum zu London. Vgl. Nestle, Litteratura syriaca
(Bibliographie, Berl. 1888). Syrjänen, ein Volk nordfinn. Stammes, wohnt in den
russischen Gouvernements Wologda und Archangel und ist nahe
verwandt mit den Permiern und Wotjaken. Im Gouvernement Archangel
wohnen die S. nur im Kreis Mesen an der Petschora und dem obern
Lauf des Flusses Mesen; in Wologda bilden sie fast die ganze Masse
der ländlichen Bevölkerung in den Kreisen Ustsyssolsk und
Jarensk; ihre Zahl wird auf 85,500 angegeben. Einst wohnten sie an
der Kama und Wjatka und nennen sich deshalb noch beute Kama
-Männer (Komi-mort, Komi-jas und Komi-woitur). Als Stephan,
Bischof von Perm, zu Ende des 14. Jahrh. mit ungewöhnlicher
Energie unter den finnischen Völkern der permischen Gruppe das
Christentum verbreitete und ihre Götzen verbrannte, wanderten
die S. in die Flußgebiete der Petschora, Wytschegda und des
Mesen aus. Die S. sind bekannt durch Fleiß und Ehrlichkeit,
gehören der griechischen Kirche an, unterscheiden sich in
Kleidung und Sitte wenig von den Russen, wohnen in gut gebauten
Dörfern, beschäftigen sich mit Landwirtschaft, Viehzucht,
Jagd und Fischerei und sind wohlhabender als ihre russischen
Nachbarn. Vom Januar bis in den April begeben sie sich in
Gesellschaften von 10-20 Mann tief hinein in die Urwälder, oft
über 500 km von den Wohnstätten, mit Hilfe eines kleinen
Kompasses (madka) und machen Jagd auf Bären, Wölfe,
Luchse, Füchse, Marder und hauptsächlich auf
Eichhörnchen, von welch letztern sie in guten Jahren bis
900,000 Stück verkaufen. Roggen, Gerste, Talg und Häute
schicken sie nach Archangel, Wild nach Petersburg und Moskau,
Eichhörnchen-, Marder- und Fuchsfelle auf die Jahrmärkte
von Nishnij Nowgorod und Irbit. Die Sprache der S. gehört zu
der finnisch-ugrischen Gruppe des uralaltaischen Sprachstammes und
ist am nächsten mit der permischen verwandt. Vgl.
Castrén, Elementa grammaticae syrjaenae (Helsingf. 1844);
Wiedemann, Grammatik der syrjanischen Sprache (Petersb. 1884);
Derselbe, Syrjänäsch-deutsches Wörterbuch (das.
1880). Syrlin, Jörg, Bildschnitzer, war seit ca. 1450 in
Ulm thätig, wo er eine Anzahl von Chorstühlen,
Singepulten und selbständigen Bildwerken in Holz
ausgeführt hat, unter denen das Chorgestühl im
Münster (1469-74) durch Feinheit der Charakteristik in den
Figuren und durch die naturalistische, von edlem
Schönheitssinn verklärte Detailbehandlung eine erste
Stelle in der deutschen Bildnerei des 15. Jahrh. einnimmt. Er hat
auch den Steinernen Brunnen auf dem Marktplatz zu Ulm geschaffen.
Sein gleichnamiger Sohn ist in Ulm und Blaubeuren ebenfalls als
Bildschnitzer thätig gewesen. Syrmien, ehemals Herzogtum in Slawonien, benannt nach der
römischen Stadt Sirmium (s. d.), umfaßte den
östlichen Teil der von der Drau, Save und Donau umflossenen
sogen. Syrmischen Halbinsel, stand erst unter den ungarischen
Königen, dann unter den Türken, nach deren Vertreibung
1688 Kaiser Leopold I. das italienische Haus Odescalchi damit
belehnte. Später kam S. an das Haus Albani. Das jetzige
kroatisch-slawonische Komitat S. grenzt an die Komitate
Torontál, Bács-Bodrog und Veroviticz sowie an Bosnien
und Serbien, hat ein Areal von 6848,5 qkm (124,4 QM.), ist gebirgig
(Fruska-Gora), fruchtbar (vorzüglicher Weizen und Wein, Mais,
Obst, Kastanien), hat (1881) 296,678 Einw. (meist Serben) u.
lebhafte Pferde-, Vieh-, Bienen- und Seidenraupenzucht.
Komitatssitz ist Vukovar (s. d.). Syrnium, s. Eulen, S. 906. Syrokomla, Wladyslaw (eigentlich Ludwig Kondratowicz),
poln.Dichter, geb. 17. Sept. 1823 zu Jaskowice in Litauen, lebte
bis 1853 als Landwirt in Zalucz am Niemen, später in
Borejkowszczyzna bei Wilna und starb in letzterer Stadt 15. Okt.
1862. S. war kein Dichter von hohem Gedankenflug. aber vom Feuer
echter Begeisterung und tiefem, auf, richtigem Gefühl
erfüllt, zugleich von einer ungewöhnlichen Einfachheit im
Ausdruck. Unter seinen zahlreichen im Volkston gehaltenen
poetischen Erzählungen (Gawedy) sind hervorzuheben: "Urodzony
Jan Deborog", "Janko Cmentarnik", "Noc hetmanska" und "Zgon Acerna"
auf den Tod Klonowicz' (f. d.), dessen trübe Lebensschicksale
ein Spiegelbild der seinigen bildeten. Weniger erfolgreich
versuchte er sich) auf dramatischem Gebiet ("Kaspar Karlinski"
u.a.). S. lieferte auch eine Geschichte der polnischen Litteratur
("Dzieje literatury w Polsce", 2. Ausg., Warsch. 1874, 3 Bde.)
sowie eine treffliche metrische Übersetzung der
polnisch-lateinischen Dichter Janicki, Sarbiewski, Szymonowicz,
Klonowicz u. a. (Wilna 1852, 6 Bde.). Eine Gesamtausgabe seiner
Dichtungen erschien in 10 Bänden (Warsch. 1872). Seine
Biographie schrieb I. I. Kraszewski(Warsch. 1863). Syrphus, Schwebfliege; Syrphidae, Familie aus der Ordnung
der Zweiflügler, s. Schwebfliegen 472 Syrrhaptes - Szajnocha. Syrrhaptes, Steppenhuhn. Syrte, Name zweier Busen des Mittelländischen Meers
an der Küste Nordafrikas. Die Große S. (Dschûnel
Kebrit, auch Golf von Sidra), zwischen der Landschaft Tripolis und
dem Plateau von Barka, bildet den am weitesten nach Süden
einbiegenden Teil des Mittelmeers; die Kleine S. (auch Golf von
Gabes) liegt südlich von der Bai von Tunis zwischen den
Landschaften Tunis und Tripolis. Syrup (Sirob, arab., lat. syrupus), s. Sirup. Syrus, röm. Dichter, s. Publilius Syrus. Sysran (Ssysran), Kreisstadt im russ. Gouvernement
Simbirsk, unweit der Wolga, an der Eisenbahn Morschansk-Orenburg,
hat 7 Kirchen, eine Stadtbank, eine Realschule und (1885) 28,624
Einw., welche Acker- und Gartenbau, Industrie in Leder, Eisen und
Talg und Handel mit Getreide und Salz treiben. S. wurde I683
angelegt. Syssitien (griech.), gemeinschaftliche Männermahle
in den altdorischen Staaten Griechenlands, besonders Sparta, wo sie
auch Pheiditien hießen. Zur Teilnahme an den täglichen
S. waren alle männlichen Bürger Spartas vom 20.
Lebensjahr an verpflichtet und mußten hierzu einen Beitrag in
Naturalien und Geld entrichten. Das Hauptgericht war die
berühmte schwarze Blutsuppe, Schweinefleisch in Blut gekocht
und mit Essig und Salz gewürzt. An jedem Tisch speisten in der
Regel 15 Personen, welche auch im Krieg Zeltgenossen waren. System (griech., das "Zusammengestellte"), jedes nach
einer gewissen regelrechten Ordnung aus Teilen zusammengesetzte
Ganze. In diesem Sinn redet man von einem Nervensystem, insofern
die Verbindung der Nerven deren Zusammenwirken zu den Zwecken des
tierischen Lebens bedingt; von einem Tonsystem oder der Reihenfolge
der Töne nach bestimmten Intervallen; von einem
Planetensystem, das durch die Abhängigkeit der Bewegung der
einzelnen Planeten von einem Zentralkörper, der Sonne, zu
stande kommt; ferner von Eisenbahn-, Verwaltungs-, Ackerbausystemen
etc. Insbesondere aber versteht man unter S. ein geordnetes Ganze
von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die vollendete Form aller
wissenschaftlichen Darstellung, welche dadurch gewonnen wird,
daß alle Begriffe aus einem oder einigen höchsten
Prinzipien hergeleitet und entwickelt werden, wobei sich das
Verfahren nach der Art, wie ein Ganzes wissenschaftlicher
Erkenntnisse überhaupt zu stande kommt, verschiedenartig
modifiziert. Die unterste Form systematischer Darstellung oder der
Systematik ist die Klassifikation, insofern dieselbe lediglich die
Verhältnisse logischer Über- und Unterordnung zu
berücksichtigen hat, wobei der Zusammenhang des Mannigfaltigen
mehr ein äußerlicher ist. Diese Systematik gestaltet
sich nicht allein nach der verschiedenen Natur und Erkenntnisquelle
der einzelnen Wissenschaften verschieden, sondern es machen sich
auch innerhalb des Gebiets einer einzelnen Wissenschaft im Lauf der
Zeit Veränderungen nötig, je nachdem man bei Ableitung
und Begründung des Details bald von diesem, bald von jenem
Standpunkt ausgeht, wodurch nicht nur die Form, sondern auch der
Inhalt der Wissenschaft verschiedene Modifikationen erleiden
muß. Die Darlegung der allgemeinen Formen des systematischen
Verfahrens ist Aufgabe der Logik, während deren nähere
Anwendung auf besondere Gebiete wissenschaftlicher Erkenntnis der
einzelnen Wissenschaft überlassen bleibt. In der
Naturwissenschaft versteht man unter S. die wissenschaftliche
Aneinanderreihung der Naturkörper nach gewissen gemeinsamen
Merkmalen zu Arten, dieser zu Gattungen, dieser weiter zu Familien,
Ordnungen und Klassen. Je nachdem man hierbei von einem einzelnen
Merkmal oder einigen wenigen ausgeht oder die Gesamtheit derselben
berücksichtigt, unterscheidet man künstliche und
natürliche Systeme. Künstliche Systeme hat man namentlich
in der Botanik gehabt, z. B. solche, welche nach der Beschaffenheit
des Stammes alle Pflanzen in Kräuter und Bäume trennten,
oder nach der Beschaffenheit der Fortpflanzungswerkzeuge (wie
Linné) oder nach der Frucht (wie Gärtner) einteilten.
Sie wurden schon am Ende des vorigen Jahrhunderts durch das alle
Merkmale gleichmäßig berücksichtigende und der in
der allgemeinen Tracht (Habitus) sich aussprechenden
natürlichen Verwandtschaft Rechnung tragende natürliche
System (von Jussieu) ersetzt (weiteres s. Pflanzensystem). In der
Zoologie hat man niemals eigentlich künstliche Systeme gehabt,
da sich hier die natürliche Verwandtschaft deutlicher
ausprägt; doch hat auch das zoologische S. im einzelnen
selbstverständlich die größten Veränderungen
erfahren. Der Zug der modernen Forschung geht dahin, die
natürlichen Systeme der Lebewesen zu genealogischen Systemen
umzugestalten (vgl. Darwinismus, S. 567 f.). Über Geologische
Systeme s. Geologische Formation. Systematik (griech.), die Kunst der systematischen
Darlegung (s. System), Anleitung dazu. Systematisch, ein System
bildend, planmäßig. Système de la nature, Titel des berühmten
philosophisch-materialistischen Buches im Geiste der
französischen Encyklopädisten, das pseudonym 1770
erschien, und als dessen Verfasser jetzt der Baron v. Holbach (s.
d.) gilt. Systole (griech.), in der Prosodie im Gegensatz zur
Diastole (s. d.) die Verkürzung einer von Natur langen Silbe
durch die Aussprache, welche regelmäßig in der Senkung
des Versfußes unmittelbar vor der folgenden Hebung eintritt,
z. B. "Obstupui steteruntque comae" (Vergil); in der Physiologie
die Zusammenziehung der Herzmuskulatur (weiteres s. Blutbewegung,
S. 60). Sytschewka (Ssytschewka), Kreisstadt im russ.
Gouvernement Smolensk, an der Wasusa und der Bahnlinie
Wjasma-Rshew, mit (1885) 4984 Einw. Syzygien (griech.), in der Astronomie gemeinsame
Bezeichnung für Konjunktion und Opposition, also für
diejenigen Stellungen eines Planeten zur Sonne, wo beide, von der
Erde aus betrachtet, entweder gleiche oder um 180° verschiedene
Länge haben. Szabadka (spr. ssá-), s. Maria-Theresiopel. Szabolcs (spr. ssáboltsch), ungar. Komitat am
linken Theißufer, grenzt an die Komitate Szatmár und
Bereg im O., Ung und Zemplin im N., Borsod und Szolnok im W. und
Bihar im Süden und umfaßt 4917 qkm (89,3 QM.). Der Boden
bildet eine im O. bewaldete, im W. und NW. aber längs des
Laufs der Theiß mit Sodaseen und Morästen
angefüllte, doch überaus fruchtbare Ebene mit fetten
Weiden. Nur der sogen. Nyir, eine sandige Fläche mit
dünenartigen Erhebungen, ist weniger fruchtbar.
Hauptfluß ist die Theiß mit der Szamos. Die Einwohner
(1881: 214,008), meist Ungarn, betreiben die Rindvieh-, Schaf- und
Schweinezucht im großen. Hauptort des Komitats, welches die
Ungarische Staatsbahn durchschneidet, ist die Stadt
Nyiregyháza. Szajnocha (spr. schai-), Karl, poln. Dichter und
Geschichtschreiber, geb. 1818 zu Komaro bei Sambor in Galizien,
wurde 1835 als Gymnasiast zu Lemberg wegen eines politischen
Gedichts, das man bei ihm 473 Szalay - Szasz fand, mit schwerer Gefängnishaft bestraft, die seine
Gesundheit zerrüttete und ihm den Weg zu höherer Bildung
verschloß, und schlug nun die schriftstellerische Laufbahn
ein, indem er Gedichte, Erzählungen und Dramen aus der Vorzeit
Polens in Lemberger Zeitungen veröffentlichte. Bald wandte er
sich jedoch von diesen poetischen Versuchen ab, einem ernsten und
vertieften Studium der polnischen Geschichte zu und ließ als
nächste Frucht desselben zwei mit verdientem Beifall
aufgenommene Schriften erscheinen: "Boleslaw Chrobry" (Lemb. 1848)
und "Pierwsze odrodzenie Polski" ("Die Wiedergeburt Polens", das.
1849), worin die Zeiten Wladislaw Lokieteks und Kasimirs d. Gr.
treu und anschaulich geschildert werden. Bedeutenderes noch
leistete er in "Jadwiga i Jagiello" (Lemb. 1855, 3 Bde.; 2. Aufl.
1861, 4 Bde.), seinem Hauptwerk, das sein Talent für
historische Malerei im vollsten Glanz erscheinen läßt.
S. war inzwischen (1853) Kustos der Ossolinskischen Bibliothek in
Lemberg geworden, doch mußte er die Stelle schon nach wenigen
Jahren wegen Erblindung wieder aufgeben. Er starb, bis zuletzt
litterarisch thätig, 10. Jan. 1868 in Lemberg. Von seinen
Schriften sind noch hervorzuheben: "Lechicki poczatek Polski" ("Der
lechische Ursprung Polens", Lemb. 1858); die vortrefflichen "Szkice
historyczne" (das. 1854-69, 4 Bde.) und "Dwa lata dziejów
naszych" ("Zwei Jahre polnischer Geschichte"), eine Schilderung der
Kriege Polens mit den Kosaken (das. 1865-69, 2 Bde.). Eine Sammlung
seiner historischen Werke (mit Biographie von Kantecki) erschien
unter dem Titel: "Dziela Karola Szajnochy" (Lemb. 1876-78, 10
Bde.). Szalay (spr. ssállai), Ladislaus von, ungar.
Historiker und Staatsmann, geb. 18. April 1813 zu Ofen, widmete
sich von 1824 bis 1826 in Stuhlweißenburg und Pest
philosophischen und juridischen Studien, begann 1833 die
Advokatenpraxis und ward infolge seiner Schrift "Das Strafverfahren
mit besonderer Rücksicht auf die Strafgerichte" (Pest 1840)
zum Schriftführer der vom Reichstag zur Ausarbeitung eines
Strafkodex niedergesetzten Kommission gewählt. 1843 wurde er
von der Stadt Karpfen als Deputierter zum Reichstag entsendet, wo
er sich der liberalen Opposition anschloß. Er beteiligte sich
seit 1844 teils als Redakteur, teils als Mitarbeiter am "Pesti
Hirlap". Seine Abhandlungen, worin er namentlich für
administrative Zentralisation und Reform des Komitatswesens seine
Stimme erhob, erschienen gesammelt als "Publicistai dolgozatok"
(Pest 1847, 2 Bde.). Sein "Státusférfiak könyve"
(Pest 1847-52) enthält Lebens- und Charakterschilderungen
bedeutender reformatorischer Staatsmänner. Von der ungarischen
Regierung 1848 zu ihrem Gesandten bei der deutschen Zentralgewalt
in Frankfurt ernannt, ging er dann in derselben Eigenschaft nach
London, ward aber hier nicht anerkannt, begab sich darauf in die
Schweiz und kehrte später nach Pest zurück, wo er 1861
zum Reichstagsabgeordneten gewählt wurde. Er starb 17. Juli
1864 in Salzburg. Seine Hauptwerke (in ungarischer Sprache) sind:
"Geschichte Ungarns" (Leipz. 1850-60, 6 Bde.; deutsch von
Wögerer, Pest 1866 bis 1875, 3 Bde.); "Nikolaus
Esterházy von Galantha, Palatinus von Ungarn" (das. 1862-66,
2 Bde.); "König Johann und die Diplomatie" (im "Budapesti
Szemle" 1858-60); "Ungarisch-geschichtliche Denkwürdigkeiten"
(Pest 1858-60, 3 Bde.). Vgl. Flegler, Erinnerungen an L. v. S.
(Leipz. 1866). Szamarodny (spr. ssá-), s. Tokayer. Szamos (spr. ssámosch), Nebenfluß der
Theiß in Ungarn, entspringt im Biharer und Aranyoser Gebirge
in zwei Quellflüssen, die sich bei Deés vereinigen,
fließt dann nordwestlich, nimmt die Kraszna auf und
mündet in der Nordwestecke des Szatmárer Komitats bei
Ocsva-Apathi. Szamos-Ujvár (spr. ssámosch-,
Armenierstadt), Stadt im ungar. Komitat Szolnok-Doboka
(Siebenbürgen), an der Klausenburg-Bistritzer Bahn, Sitz eines
griechisch-kath. Bischofs, mit schöner armenischer Kirche,
altem Schloß, bischöflichem Palais, Franziskanerkloster,
griechisch-katholischer theologischer Akademie, (1881) 5317 meist
armen. Einwohnern, lebhaftem Getreide- und Viehhandel,
Lederindustrie, Landesstrafanstalt und Bezirksgericht. In der
Nähe das Schwefelbad Kérö. Szanthó (spr. ssánto), Markt im ungar.
Komitat Abauj-Torna, am Hegyaljagebirge, mit (1881) 4279 Einw.,
Weinbau und Bezirksgericht. Szapary (spr. ssápp-), 1) Ladislaus, Graf,
öfterreich. General, geb. 22. Nov. 1831 zu Pest, trat 1848 in
die österreichische Kavallerie, ward 1857 Major, 1860
Flügeladjutant des Kaisers, 1862 Kommandant des 1. (jetzt 13.)
freiwilligen Husarenregiments, mit welchem er 1866 in Italien
wichtige Dienste leistete, 1869 Generalmajor und Brigadekommandeur
in Pest, 1874 Feldmarschallleutnant und Kommandeur der 20.
Division, mit der er 1878 in Bosnien einrückte. Nach der
Verstärkung der Okkupationsarmee ward er zum Kommandeur des 3.
Armeekorps ernannt, nahm an der völligen Okkupation
hervorragenden Anteil und erhielt im Oktober das
Militärkommando in Temesvár, dann in Kaschau. Er starb
28. Sept. 1883 in Preßburg. 2) Julius, ungar. Staatsmann, Vetter des vorigen, geb. 1. Nov.
1832, ward 1861 Deputierter für Szolnok und in rascher
Karriere Ministerialrat im Ministerium des Innern und
Staatssekretär im Kommunikationsministerium (August 1870),
welcher Stellung er aber schon im Mai 1871 entsagte, um dann 5.
März 1873 Minister des Innern zu werden. Er bekämpfte da
die Schäden des alten Regimes mit Nachdruck und übernahm
bei der Rekonstruktion des Ministeriums Tisza im Dezember 1878 das
Finanzportefeuille, das er bis zum Februar 1887 innehatte. Szárvady (spr. ssar-). Wilhelmine, s.
Clauß. Szarvas (spr. ssárwasch). Markt im ungar. Komitat
Békés, an der Körös, Station der
Ungarischen Staatsbahn, mit (1881) 22,504 Einw. (Slawen und
Ungarn), evang. Obergymnasium und Bezirksgericht. Szász (spr. ssaß). Karl, ungar.
Schriftsteller, geb. 15. Juni 1829 zu Nagy-Enyed in
Siebenbürgen, studierte daselbst und gewann schon 1847 mit
einer poetischen Erzählung einen Preis. Nach der Revolution,
in deren letzten Kämpfen er als Honvéd mit focht,
studierte er Theologie, wirkte als Gymnasiallehrer in
Nagy-Körös, wurde dann calvinistischer Seelsorger zuerst
in Kézdi-Vásárhely, dann in
Kun-Szent-Miklós, vertrat den Fülöpszallaser
Bezirk auf dem Reichstag von 1865 und trat 1867 als Sektionsrat im
Kultusministerium in den Staatsdienst. Zwei Jahre später wurde
er zum Schulinspektor und 1876 zum Ministerialrat im Ministerium
ernannt. S., der Mitglied der Akademie und der
Kisfaludy-Gesellschaft ist und von beiden wiederholt mit Preisen
ausgezeichnet wurde, hat auf dem Felde der Lyrik und poetischen
Erzählung ("Almos", "Salamon") sowie des Dramas ("Zrinyi",
"Herodes", "Georg Frater"), besonders aber als poetischer
Übersetzer eine reiche Thätigkeit entwickelt und unter
anderm das Nibelungenlied, Dantes "Göttliche Komödie",
zwei Bände Gedichte von Goethe, mehrere Dramen von
Shakespeare, Ten- 474 Szászkabánya - Szécsény. nysons Idylle, Lustspiele von Molière u. a. ins
Ungarische übersetzt. Auch sein Buch "A vilápirodalom
eposzai" ("Die großen Epen der Weltliteratur", Budapest 1882,
2 Bde.) enthält zahlreiche ausgezeichnete
Übersetzungsproben. - Auch seine Brüder, Dominik, geb.
1838, reformierter Bischof von Siebenbürgen, und Béla,
geb. 1840, jetzt Professor der Philosophie in Klausenburg, haben
sich, der erstere auf theologisch-politischem Gebiet, der letztere
als Lyriker, einen litterarischen Namen gemacht. Szászkabánya (spr.
ssáhßkabanja), Markt im ungar. Komitat
Krassó-Szörény, mit (1881) 2812 Einw., Kupfer-
und Schwefelkiesbergbau, Kupferschmelzhütten und
Bezirksgericht. Szatmár (spr. ssátt-), ungar. Komitat am
linken Theißufer, von den Komitaten Bereg, Ugocsa, Marmaros,
Szolnok-Doboka, Szilágy, Bihar und Szabolcs begrenzt,
umfaßt 6491 qkm (117,9 QM.), ist im Süden und O.
gebirgig, im übrigen Teil eben und stellenweise sumpfig. Die
Theiß fließt an der Nordgrenze und nimmt die Szamos,
Kraszna und den Tur auf. S. hat (1881) 293,092 Einw. (meist Ungarn)
und ist in der Ebene sehr fruchtbar. In den gebirgigen Gegenden
blüht Rindvieh-, Schaf-, Schweine- und Bienenzucht. Das
Mineralreich liefert Gold, Silber, Kupfer und Antimon; auch sind
Glashütten und Sägemühlen in Betrieb. Hauptort ist
Nagy-Károly. - Die Stadt S. (seit der 1715 erfolgten
Vereinigung der Städte S. und Németi auch S.-
Németi), königliche Freistadt im Komitat S. und Station
der Ungarischen Nordostbahn, liegt an beiden Ufern der Szamos, ist
Sitz eines römisch-kath. Bischofs und Domkapitels sowie eines
Gerichtshofs und einer Finanzdirektion, hat eine Kathedrale, 2
Klöster, ein katholisches und ein reform. Gymnasium, eine
Lehrer- und eine Lehrerinnenpräparandie, eine theologische
Diözesanlehranstalt, ein Seminar und (1881) 19,708 ungar.
Einwohner, die Gewerbe, Handel und auf dem benachbarten S.-Hegy
(einer städtischen Ansiedlung mit 2000 reform. Einwohnern)
auch Weinbau betreiben. S. hat eine Dampfmühle, ein
königliches Tabaksmagazin und am Domplatz eine Büste des
ungarischen Dichters Kölcsey. Szczawnica (spr. sstschá-), Badeort in der galiz.
Bezirkshauptmannschaft Neumarkt, in den Karpathen, nahe der
ungarischen Grenze, mit mehreren Heilquellen
(alkalisch-muriatischen Säuerlingen, Natron- und
Natronlithion-, jod- und bromhaltigen Quellen), besuchter Trink-
und Badeanstalt (ca. 3000 Kurgäste) und (1880) 2140 Einw. Széchényi (Szécsényi, beides
spr. sséhtschenji), ein ungar. Adelsgeschlecht, das seit dem
Schluß des 16. Jahrh. emporkommt und vom 17. Jahrh. ab
bedeutende Kirchenfürsten und Staatsmänner aufweist: 1) Georg, 1645 Domherr von Gran, 1647 Bischof von
Fünfkirchen, 1649 von Veszprim, 1658-68 von Raab, 1668-85
Erzbischof von Kalocsa, zugleich Administrator des Raaber Bistums,
1685-95 Graner Primas; ein "Wunder der Freigebigkeit" ("prodigium
munificentiae") genannt. 2) Paul, Pauliner Eremit, in welcher Lebensstellung er die
Ordensprofessur der Theologie und Philosophie bekleidete, Prior und
Generaldefinitor des Ordens, 1676 Bischof von Fünfkirchen und
kaiserlicher Rat, Abt von St. Gotthardt und Propst von Raab, 1687
Bischof von Veszprim. 3) Stephan, Graf von, ungar. Staatsmann, geb. 21. Sept. 1792 zu
Wien, Sohn des durch Stiftung des ungarischen Nationalmuseums
bekannten Grafen Franz von S. (gest. 20. Dez. 1820), diente erst
beim Insurrektionsheer gegen die Franzosen, machte dann in der
regulären Armee die wichtigsten Feldzüge des
europäischen Völkerkriegs mit, schied aber 1825 aus dem
Militärdienst, um sich der Förderung des geistigen und
industriellen Interessen seines Vaterlandes zu widmen. Verdienste
erwarb er sich namentlich durch seine Mitwirkung zur Errichtung
einer ungarischen Akademie, der er 60,000 Gulden
Konventionsmünze überwies, durch seine Verwendungen 1832
zur Errichtung eines ungarischen Nationaltheaters und
Konservatoriums der Musik und zur Erbauung einer festen
Donaubrücke zwischen Pest und Ofen sowie 1834 als Kommissar
für die oberste Leitung der Regulierungsarbeiten am Eisernen
Thor und der Regulierung des Theißbettes. Nach dem Ausbruch
der Revolution von 1848 ward er zum Minister der öffentlichen
Arbeiten ernannt, sah sich aber als Aristokrat von der
demokratischen Partei bald in den Hintergrund gedrängt. Der
Schmerz über den Bruch mit Österreich im Oktober 1848
hatte für ihn eine Geisteskrankheit zur Folge, und er ward in
die Irrenanstalt nach Döbling gebracht, wo er auch nach seiner
scheinbaren Genesung blieb. Er erschoß sich 8. April 1860. Im
J. 1880 wurde ihm in Pest ein Denkmal errichtet. Von seinen
Schriften sind noch hervorzuheben: "Hitel" ("Über den Kredit",
deutsch, Pest 1830), "Világ" ("Licht, oder aufhellende
Bruchstücke und Berichtigung einiger Irrtümer und
Vorurteile"; deutsch, das. 1832) und "Stadium", 1. Teil (Leipz.
1833), das drittbedeutendste, den Reformplan enthaltend, die ihm
den Beinamen "Vater der Reform" erwarben; ferner "A kelet
népe" ("Das Volk des Ostens", Pest 1841); "Politai
programmtöredékek" ("Politische Programmfragmente",
das. 1846) und "Hunnia" (18^8), "Blick auf den Rückblick"
(nämlich auf die Druckschrift "Rückblick" von dem
Minister Bach; anonym, Lond. 1860). Vgl. Lónyay, Graf
Stephan S. und seine hinterlassenen Schriften (deutsch von Dux,
Pest 1875) ; A. Zichy, Die Tagebücher des Grafen Stephan S.
(Budapest 1884). - Sein Neffe Graf Emmerich, geb. 15. Febr. 1825,
ist seit Januar 1879 österreichischer Botschafter in Berlin,
ein andrer Neffe, Graf Paul, geb. 1838, war bis 1888 ungarischer
Handelsminister. 4) Béla, Graf, Asienreisender, geb. 3. Febr. 1837 zu
Budapest, studierte in Berlin und Bonn Staatswissenschaft, bereiste
1863 Nordamerika und schrieb daraus "Amerikai utam" ("Meine
amerikanische Reise", Pest 1865), ging 1865 nach Algerien und trat
im Dezember 1877 von Triest aus, begleitet vom Obersten Kreitner
und dem Geologen L. v. Loczy, eine Reise nach Asien an. Indien,
Japan, Java, Borneo und einen großen Teil von China
durchreisend, gelangte er zwar nicht nach Lhassa, der Hauptstadt
Tibets; aber es war ihm doch möglich, unter vielen Gefahren
wertvolle Daten von solchen Gegenden des Weltteils zu sammeln,
über welche bisher kein Europäer nach direkter Anschauung
geschrieben hatte. Auf der Rückreise kam S. durch Jünnan
und so von China nach Hinterindien. S. war zweimal Abgeordneter
für das Ödenburger Komitat und lebt gegenwärtig in
Budapest. Die Schilderung jener Expedition gibt das Werk seines
Reisebegleiters Kreitner: "Im fernen Osten. Reisen des Grafen S.
1877-80" (Wien 1881). In Verbindung mit Kreitner, Lóczy u.
a. gab er 1883 ein wissenschaftliches Werk über seine Relsen
mit Atlas auf eigne Kosten heraus. Szécsény (spr. sséhtschenj), Markt
im ungar. Komitat Neográd, mit Franziskanerkloster, einst
berühmtem festen Schloß, (1881) 3097 Einw. und
Bezirksgericht. 475 Szegedin - Szemere. Szegedin (spr. sségg-), königliche Freistadt
im ungar. Komitat Csongrád, am Zusammenfluß der Maros
und Theiß, Kreuzungspunkt der Österreichisch-Ungarischen
Staats- und der Alföld-Fiumaner Bahn und Dampfschiffstation,
wurde durch die 11. und 12. März 1879 eingetretene furchtbare
Überschwemmung, wobei die Theißfluten den Damm der
Alföldbahn durchbrachen, beinahe ganz vernichtet. Über
5300 Häuser sind teils eingestürzt, teils unbewohnbar
geworden, und erst Mitte August 1879 wurde die Stadt wasserfrei.
Zur Sicherung derselben gegen die fast jährlich wiederkehrende
Hochflut hat man zwei Dammgürtel und einen 9 1/2 m hohen
Ringdamm errichtet und die ganze Stadt, für welche damals 2,9
Mill. Gulden an Liebesgaben eingingen, unter der Leitung des
Regierungskommissars, des jetzigen Grafen Ludwig Tisza,
rekonstruiert. Das heutige S., der Hauptort des Alföld, ist
eine ganz moderne Stadt mit zwei großen, durch mehrere
Radialstraßen verbundenen Ringen, breiten, geraden
Nebengassen, großen Plätzen (darunter der
Széchényiplatz in der Mitte der Stadt) und
zahlreichen Pracht- und Monumentalbauten. Die hervorragendsten
neuen Gebäude sind: das große Rathaus mit imposantem
Turm am Széchényiplatz, das Hotel Tisza
(Redoutengebäude), das Justiz-, Post- und Telegraphen- und das
Finanzpalais, das Theater mit Kiosk und Stephaniepromenade am
Theißufer (an Stelle der frühern Citadelle), das
Gefangenhaus, der Honvéd-Offizierspavillon, die
Honvédkaserne, die Infanteriekaserne mit Offizierspavillon,
die große Mädchenschule, die evangelische u. die reform.
Kirche etc. Über die Theiß führt außer zwei
Eisenbahnbrücken eine monumentale eiserne Bogenbrücke
(nach dem Plan Gustav Eiffels, 405 m lang, samt
Brückenköpfen und Auffahrtrampe 591 m). S. hat (1881)
73,675 ungar. Einwohner, viele Fabriken (für Spiritus, Seife,
Soda, Salami, Zündhölzchen, Tabak, Tuch, Ziegel etc.),
eine Schiffswerfte, lebhaften Handel mit Getreide, Holz, Wolle
etc., bedeutende Viehzucht, Acker-, Tabaks-, Wein-, Gemüse-,
Paprikabau, hervorragende Märkte, einen großen
Schiffsverkehr, eine Staatsoberrealschule, ein kath. Obergymnasium,
eine Lehrerpräparandie und 4 Klöster. S. ist Sitz des
Komitats, eines Honvéd-Distriktskommandos, einer Finanz- u.
Staatsgüterdirektion, eines Gerichtshofs und hat ein
Tabakseinlösungs- und Tabaksmagazin und eine Filiale der
Österreichisch-Ungarischen Bank. - S., schon zu Matthias
Corvinus' Zeiten eine berühmte ungarische Stadt, fiel nach der
Schlacht bei Mohács in Solimans II. Gewalt, welcher sie
stärker befestigen ließ. 1686 wurden die Türken
geschlagen und mußten S. räumen. Hier 3. Aug. 1849
Haynaus Sieg über die aufständischen Ungarn. Szeghalom (spr. ssé-), Markt im ungar. Komitat
Békés, an der Mündung des Berettyókanals
in die Schnelle Körös, mit (1881) 7537 ungar. Einwohnern,
Ackerbau, bedeutender Rindvieh-, Schaf- u. Schweinezucht und
Bezirksgericht. Szegszárd (spr. sségssard), Markt und Sitz
des ungar. Komitats Tolna, am Sárviz, mit Nonnenkloster,
Landes-Seidenbauinspektorat, Gerichtshof und (1881) 11,948 Einw.,
die sich mit Wein-, Obst- und Seidenkultur beschäftigen; der
Szegszárder Rotwein gehört zu den besten Weinen
Ungarns. Szék (spr. ßehk), Stadt im ungar. Komitat
Szolnok-Doboka (Siebenbürgen), mit 4 Kirchen, großem
Stadthaus, (1881) 2759 ungarischen und rumän. Einwohnern,
Salzquellen und Bezirksgericht. S. war ehemals der Hauptort des
Komitats Doboka. Székely (spr. sséhk-), Bartholomäus,
ungar. Maler, geb. 1835 zu Klausenburg, studierte in München
bei Piloty und in Brüssel bei Gallait und machte sich seit
1860 durch Bilder aus der ungarischen Geschichte, von denen die
Auffindung der Leiche Lndwigs II. zu Mohács, Doboczy
tötet seine Gattin (beide im Nationalmuseum zu Pest), die
Schlacht bei Mohács, die Frauen von Erlau verteidigen ihre
Stadt gegen die Türken und die Flucht Emmerich
Tökölys aus der Festung Lika hervorzuheben sind, bekannt.
Er hat auch zahlreiche Illustrationen gezeichnet (zu
Eötvös, Petöfi u. a.). S. ist Professor an der
königlichen Landesmusterzeichenschule zu Pest und hat eine
Schrift über die Grundprinzipien seines Faches (Budap. 1877)
veröffentlicht. Székely-Keresztur (spr. ssék-, auch
Szitas-Keresztur), Markt im ungar. Komitat Udvarhely
(Siebenbürgen), an der Ungarischen Staatsbahnlinie
Schäßburg-Székely-Udvarhely, mit (1881) 2968
ungarischen und rumän. Einwohnern,
Staatslehrerpräparandie, unitar. Gymnasium und Fabrikation von
Sieben. Székely-Udvarhely (spr.
sséhkelj-úddwarhelj), Stadt, Sitz des ungar. Komitats
Udvarhely (Siebenbürgen), am Großen
Küküllö und an der Ungarischen Staatsbahnlinie
Schäßburg-S., mit 2 Kirchen, Burgruine,
Franziskanerkloster und (1881) 5003 ungarischen und rumän.
Einwohnern, die zumeist Tabaksbau, Bienenzucht und verschiedene
Gewerbe betreiben. S. hat ein kath. Gymnasium, ein reform.
Kollegium, eine Staatsoberrealschule und einen Gerichtshof. In der
Nähe das Bad Szejke, mit alkalisch-muriatischer
Schwefelquelle. Székler (spr. ssék-, ungar.
Székely), ungar. Volksstamm, welcher die östlichen und
nordöstlichen Gegenden Siebenbürgens bewohnt und den
Urtypus des Magyarentums am treuesten bewahrt hat. Ihre alte
Freiheit behauptend, galten die S. bis 1848 als adlig, hatten
freies Jagd- und Weiderecht, leisteten keine Frondienste und
unterstanden nur ihren eignen Richtern. Obgleich treffliche
Grenzwächter, sträubten sie sich doch lange gegen den
regulären Militärdienst und wurden erst nach
Unterdrückung eines Aufstandes dazu vermocht, ein
Husarenregiment und zwei Infanterieregimenter zu stellen. Sie waren
1848 und 1849 die tapfersten Verfechter des Magyarentums in
Siebenbürgen, und an ihrer Spitze vornehmlich erfocht Bem
seine Siege. Sodann verloren sie mit ihrer Verfassung auch ihre
Vorrechte und wurden den übrigen Landesbewohnern
gleichgestellt. Das Land der S. war bis 1876 in fünf sogen.
Stühle eingeteilt; jetzt bildet es zumeist die Komitate
Udvarhely, Csik und Háromszék. Vgl. Hunfalvy,
Ethnographie Ungarns (Leipz. 1877); v. Herbich, Das
Széklerland, geologisch beschrieben (Pest 1878). Die
Volkspoesien der S. wurden von Kriza ("Székely
vadrózsák". "Wilde Rosen der S.", 1863)
gesammelt. Széll (spr. ssell), Koloman, ungar.
Finanzminister, geb. 8. Jan. 1842 zu Rátót im
Eisenburger Komitat, studierte in Pest und Wien, ward 1867 zum
Deputierten in den Reichstag gewählt und war aus allen
bisherigen Reichstagen eins der thätigsten Mitglieder sowie
1868-75 Schriftführer des ungarischen Abgeordnetenhauses. 1875
wurde S. Finanzminister und führte große Ersparnisse
ein. Wegen der großen Kosten der bosnischen Okkupation nahm
er Ende 1878 seine Entladung und wurde Präsident der
Ungarischen Kreditbank in Pest. Szemere (spr. ssé-), Bartholomäus, ungar.
Staatsmann und Schriftsteller, geb. 27. Aug. 1812 zu Vatta im
Borsoder Komitat, studierte in Preßburg, praktizierte darauf
im Borsoder Komitat als Advokat, ward 476 Szene - Szilagy. 1842 zum Oberstuhlrichter, 1846 zum Vizegespan in Borsod und von
demselben Komitat als Deputierter in den Reichstag gewählt. Er
erwies sich hier als eins der thätigsten Mitglieder der Partei
des Fortschritts und bearbeitete als Reichstagsschriftführer
eine Reihe der wichtigsten Gesetzentwürfe. Im März 1848
im Ministerium Batthyányi mit dem Portefeuille des Innern
betraut, entschied er sich mit Kossuth für entschlossene
Revolution, übernahm nach dem Rücktritt des Ministeriums
mit jenem die provisorische Leitung der Landesangelegenheiten und
trat auch in den Landesverteidigungsausschuß ein. Im Dezember
1848 als Reichskommissar nach Oberungarn delegiert, bildete er hier
ein Guerillakorps zur Abwehr des eingefallenen Schlikschen Korps.
Nach der Unabhängigkeitserklärung (14. April 1849)
übernahm er das Präsidium des neuen Kabinetts und floh,
nachdem Görgei die Waffen gestreckt, nach Konstantinopel,
machte dann eine Reise nach Griechenland und ließ sich
hierauf in Paris nieder. Hier veröffentlichte er die
vornehmlich gegen Kossuth gerichteten Charakteristiken: "Ludwig
Batthyanyi, A. Görgei und L. Kossuth" (Hamb. 1851). 1865
kehrte er, gebrochen an Leib und Seele, in die Heimat zurück
und starb 18. Jan. 1869 in einer Privatirrenanstalt zu Ofen. Seine
gesammelten Schriften sind 1869 in Pest erschienen. Szene (griech.), der Platz im Schauspielhaus, wo das
Stück gespielt wird, die Bühne; dann auch der Ort und das
Land, wo die Handlung vorgeht; auch s. v. w. Auftritt (f. d.). Ein
Stück in S. setzen, s. v. w. es zur theatralischen
Aufführung vorbereiten, fertig machen. Szenerie, das auf der
S. oder Bühne vermittelst der Dekorationen etc. dargestellte
Bild; allgemeiner s. v. w. Landschaftsbild, Gegend. Szenische Spiele (Ludi scenici), bei den Römern
Spiele, welche auf einer Schaubühne (scena), der Sage nach
seit der Pest von 361 v. Chr., aufgeführt wurden und anfangs
nur in Tanz mit Flötenbegleitung, ohne Beimischung von Gesang
und Mimik, die erst später hinzukam, bestanden; vgl.
Komödie. Szent (ungar., spr. ssent), s. v. w. Sankt. Szeut-Endre (spr. ssent-. Sankt-Andrä), Stadt im
ungar. Komitat Pest, am rechten Donauufer, 15 km nördlich von
Ofen, Sitz des Ofener griechisch-orientalischen Bischofs, mit
vielen Kirchen, (1881) 4229 deutschen, serbischen und ungar.
Einwohnern, Weinbau und Bezirksgericht. S. heißt auch eine
schmale Donauinsel, welche sich von Waitzen bis gegen Budapest
erstreckt und mehrere Dörfer enthält. Szentes (spr. ssénntesch), Stadt im ungar. Komitat
Csongrád, liegt an der Kurcza unfern der Theiß und hat
mehrere Kirchen, (1881) 28,712 Einw., starken Weinbau und ein
Bezirksgericht. Szent-Miklós (spr. ssent-miklösch), Name
mehrerer Orte in Ungarn: 1) Gyergyó-S. (s. d.), Markt im
Komitat Csik. - 2) Kún-S. (s. d.), Markt im Komitat Pest. -
3) Liptó-S. (s. d.), Markt im Komitat Liptau. - 4) Nagy-S.
(s. d.), Markt im Komitat Torontál. - 5) Török-S.,
Markt im Komitat Iasz-Nagy-Kun-Szolnok, an der Ungarischen
Staatsbahn, mit (1881) 16,046 ungar. Einwohnern. Szent-Peter (Sajó-S., spr.
schájö-ssent-), Markt im ungar. Komitat Borsod, am
Sajó und der Ungarischen Staatsbahnlinie
Fülek-Miskolcz, mit schöner reform. Kirche, (1881) 3230
ungar. Einwohnern, vorzüglichem Weinbau und
Bezirksgericht. Szent-Tamas (spr. ssent-támäsch), Markt im
ungar. Komitat Bács-Bodrog, am Franzenskanal, mit (1881)
10,609 meist serb. Einwohnern, Getreidebau und Viehzucht. Szepes-Bela (spr. ssépesch-), eine 1881
entdeckteTropfsteinhöhle von riesigem Umfang im ungar. Komitat
Zips (in der Hohen Tátra, am Berg Kobuly Vrch), zu der man
durch das 8 km lange prachtvolle Tatraseenthal gelangt. Sie ist
Eigentum der Stadt Bela (s. d.), besteht aus mehreren
übereinander liegenden Grotten und zeichnet sich durch die
großartigsten Tropfsteingebilde aus. In der Nähe der
Szepes-Bélaer Tátra-Höhlenhain, klimatischer
Kurort, 763 m ü. M., 10 km von der Bahnstation
Poprád-Felka. Szepes-Olaszi-Váralja (spr. ssépesch-),
Name der Kaschau-Oderberger Bahnstation für die Städte
Wallendorf und Kirchdrauf (s. d.) im ungar. Komitat Zips. In der
Nähe von Kirchdrauf das Bad Baldócz, mit zwei erdigen,
kalkhaltigen Säuerlingen. Szerdahely (spr. ssér-, auch Duna-S.), Markt im
ungar. Komitat Preßburg, Hauptort der Schüttinsel, mit
(1881) 4182 ungar. Einwohnern, lebhaftem Vieh- handel und
Bezirksgericht. Szerencs (spr. ssérentsch), Markt im ungar.
Komitat Zemplin, an der Ungarischen Staatsbahnlinie
Debreczin-Miskolcz, mit altem Schloß und (1881) 2370 ungar.
Einwohnern. In der Umgegend gedeiht vortrefflicher Wein. Szetschuan, chines. Provinz, s. Setschuan. Sziget (spr. ssi-), 1) (Szigetvár) Markt und
ehemals bedeutende Festung Im ungar. Komitat Somogy, am
Almás, Station der Fünfkirchen-Barcser Bahn, mit noch
sichtbaren Mauern und Gräben, mehreren Kirchen,
Franziskanerkloster und (1881) 5014 Einw. S. ist denkwürdig
durch den Heldentod Nikolaus Zrinys (s. d.) 15. Sept. 1566 bei der
Vertei- digung der Festung gegen die Türken unter Soliman. -
2) Stadt, s. Marmaros-Sziget. Szigligeti (spr. ssi-), Eduard (eigentlich Joseph
Szathmary), ungar. Dramatiker, geb. 1814 zu Großwardein,
bildete sich in Pest zum Ingenieur aus, betrat aber 1834 in Ofen
die Bühne und ward dann Sekretär und Regisseur des
Nationaltheaters zu Pest. Von 1834 bis 1872 hat S. gegen hundert
Stücke geschrieben und diese Zahl seitdem noch
beträchtlich über-stiegen. Von seinen Lustspielen und
Tragödien, denen eine gewisse Bühnenwirksamkeit nicht
abzusprechen, wiewohl ihnen jeder tiefere poetische Wert abgeht,
wurden viele von der Akademie mit dem Preis gekrönt.
Besonderes Verdienst erwarb sich S. durch das ungarische
Volksstück (ein von ihm geschaffenes Genre), in welchem er
magyarisches Volksleben schildert und die magyarischen Volkslieder
auf die Bühne bringt. Mehrere seiner hierher gehörigen
Dramen, wie: "Der Deserteur", "Zwei Pistolen", "Der Jude", "Der
Csikós" etc., fanden auch auf deutschen Bühnen Beifall.
Seine Stücke bilden fast ausschließlich das Repertoire
der Provinzialtheater und wandernden Schauspielertruppen Ungarns.
S., der außerdem viele Beiträge zur Geschichte des
magyarischen Schauspielwesens geliefert und eine Dramaturgie ("A
dráma és vál-fajai", Budap. 1874) geschrieben
hat, war Mitglied der ungarischen Akademie und der
Kissaludy-Gesellschaft sowie seit 1873 dramatischer Direktor des
Nationaltheaters. Er starb 20. Jan. 1878. Szikszo (spr. ssíkssö), Markt im ungar.
Komitat Abauj-Torna, an der Miskolcz-Kaschauer Bahnlinie, mit
reform. Kirche in gotischem Stil, (1881) 3586 Einw., Getreide-,
Wein- u. Obstbau u. Bezirksgericht. Szilagy (spr. ssílädj), ungar. Komitat am
linken Theißufer, 1876 aus den Komitaten Kraszna,
Mittelszolnok und einem Teil von Doboka gebildet, grenzt im N. an
das Komitat Szatmár, im O. an Szolnok-Doboka, im Süden
an Klausenburg, im W 477 Szilagy-Somlyo - Szymanowski. an Bihar, umfaßt ein Gebiet von 3671 qkm (66,6 QM.), das
sehr wald- und wildreich ist, und wird vom Kraszna- oder
Bükkgebirge erfüllt und von den Flüssen Kraszna,
Szamos, Berettyo, Szilagy etc. bewässert. S. hat (1881)
171,079 Einw. (Rumänen und Ungarn, meist Griechisch-Unierte),
welche Acker- und Weinbau, Rindvieh- und Schweinezucht treiben.
Sitz des Komitats ist die Stadt Zilah. Szilágy-Somlyó (spr.
ssiladj-schómljó), Stadt im ungar. Komitat
Szilágy, an der Kraszna, mit Schloß, alter Felsenburg,
1434 von Stephan Bathori erbauter Kirche und Minoritenkloster, hat
(1881) 4189 ungarische und rumän. Einwohner, Weinbau, eine
Mineralquelle, ein Untergymnasium und Bezirksgericht. Szilicze (spr. ssilize, auch Lednice genannt),
Eishöhle im ungar. Komitat Gömör, in der Nähe
von Rosenau, mit großartigen Eisbildungen. Szinyák (spr. ssinjak), Badeort im ungar. Komitat
Bereg, nordöstlich von Munkács, mit einer bei Gicht,
Rheuma, Nervosität und Hautleiden heilkräftigen kalten
alkalischen Schwefelquelle. Szinver-Váralja (spr. ssinjer-wáhralja),
Markt im ungar. Komitat Szatmar, mit (1881) 3691 rumänischen
und ungar. Einwohnern, Weinbau und Töpfereien. Szkleno (spr. sskléno), berühmtes altes Bad
im ungar. Komitat Bars, liegt im wildromantischen Teplathal, unweit
von Schemnitz, mit acht gegen Rheumatismus, Gicht, Nerven- und
Hautübel wirksamen gipshaltigen Thermen von 45-53,5° C.
Temperatur. Vgl. Bachschitz, Kurort S. (Budap. 1877). Szlachcic (poln.), s. Schlachtschitz. Szlatina (spr. sslá-, Akna-S.), Ort im ungar.
Komitat Marmaros, 4,6 km von Marmaros-Sziget, mit dem es durch eine
Schmalspurbahn verbunden ist, hat ein großes Salzbergwerk,
das jährlich ca. 350,000 metr. Ztr. produziert. Szlávy (spr. sslawi), Joseph, ungar. Staatsmann,
geb. 23. Nov. 1818 zu Raab, trat, nachdem er seine Studien an der
Schemnitzer Bergakademie absolviert hatte, in den Staatsdienst,
zuletzt bei der ungarischen Hofkammer in Ofen, und ward 1848 von
Kossuth mit der Leitung der Montanangelegenheiten in Oravicza
beauftragt. Hier wurde S. nach der Revolution verhaftet; vom
Temesvarer Kriegsgericht zu fünf Jahren Festungshaft in Eisen
verurteilt, verbrachte er zwei Jahre in Olmütz. Dann in
Freiheit gesetzt, lebte er zurückgezogen abwechselnd in
Preßburg und auf seinem Landgut zu Almosd im Biharer Komitat.
1861 wurde er zum Statthaltereirat, 1865 zum Obergespan des Biharer
Komitats, 1867 zum Staatssekretär im Ministerium des Innern,
1870 nach Abdankung des Grasen Miko zum Handelsminister und 1872
zum Ministerpräsidenten ernannt; doch blieb er in dieser
Stellung nur wenige Monate. 1879 wurde er Präsident des
Abgeordnetenhauses, 1880 Reichsfinanzminister und 1882 ungarischer
Kronhüter und Vizepräsident des Oberhauses. Szliács (spr. ssliatsch, Ribarer Bad),
berühmter und besuchter Badeort im ungar. Komitat Sohl,
südlich von Neusohl, Station des Altsohl-Neusohler
Flügels der Ungarischen Staatsbahn, mit bei Frauenkrankheiten
und Nervenleiden heilsamen, kohlensäurereichen Eisenthermen
(25-32° C.). Vgl. Hasenfeld, Der Kurort S. (3. Aufl., Wien
1878). Szobráncz (spr. sso-), Bad bei Ungvár im
ungar. Komitat Ung, liegt, gegen N. vollständig
geschützt, an der Südseite des Vihorlátgebirges
und hat vier kalte salz- und schwefelhaltige Quellen und
Schlammbäder. Szofer, s. Sopher. Szolnok (spr. ssól-), Stadt, Sitz des ungar.
Komitats Jász-Nagy-Kun-S., Knotenpunkt der
Österreichisch-Ungarischen u. Ungarischen Staatsbahn, an der
Mündung der Zagyva in die Theiß, über die zwei
Brücken führen, mit (1881) 18,247 ungar. Einwohnern, die
Ackerbau, Gewerbe, Fischerei und Handel mit Obst, Bauholz etc.
treiben. S. hat eine königliche Tabaks- u. eine
Maschinenfabrik, ein Franziskanerkloster, ein Obergymnasium, ein
Tabakseinlösungsamt und ein Bezirksgericht. Szolnok-Doboka (spr. ssól-), ungar. Komitat in
Siebenbürgen, grenzt an die Komitate Szilágy,
Szatmár, Marmaros, Bistritz-Naszód und Klausenburg,
umfaßt 5150 qkm (93,5 QM.), ist besonders im nördlichen
Teil gebirgig und waldreich, wird von der Großen und Kleinen
Szamos durchströmt und hat (1881) 193,677 meist rumän.
Einwohner (Griechisch-Katholische), die Ackerbau, Viehzucht und
Bergbau betreiben. Das Land ist namentlich in den Thälern
fruchtbar (im Süden gedeiht auch Wein) sowie reich an Vieh und
Wild, Salz und Eisen. Hauptort ist Dees. Szörény (spr. ssörenj), ehemaliges
Komitat in Ungarn, welches 1876 aus dem östlichen Teil der
1873 aufgelösten Banater Militärgrenze errichtet und 1880
mit dem Komitat Krassó vereinigt wurde (s.
Krassó-Szörény). Amtssitz war Karansebes. Szováta (spr. ssówata), Badeort im ungar.
Komitat Maros-Torda (Siebenbürgen), mit (1881) 1471
ungarischen und rumän. Einwohnern, mehreren Salzseen,
Solbädern und dem höchst merkwürdigen Salzberg, bei
dem das Steinsalz in ganzen Felsen frei zu Tag tritt (s.
Parajd). Szujski (spr. sch-), Joseph, poln. Historiker und
dramatischer Dichter, geb. 1835 zu Tarnow in Galizien, beendete
seine Studien 1858 zu Krakau, zog sich dann auf sein
väterliches Gut Kurdwanow bei Krakau zurück, war 1868-69
Reichsratsabgeordneter und wurde 1869 ordentlicher Profefsor der
polnischen Geschichte an der Krakauer Universität. 1881 zum
Mitglied des österreichischen Herrenhauses ernannt, starb er
schon 7. Febr. 1883. S. gehörte zur konservativ-monarchischen
Partei. Er veröffentlichte zahlreiche historische, durch
lebensvolle Charakteristik ausgezeichnete Schauspiele ("Samuel
Zborowski", "Halszka z Ostroga". "Hieronim Radziejowski",
"Jadwiga", "Jerzy Lubomirski", "Sawanarola", "Michal Korybut", "Jan
III.", "Kopernikus", "Dlugosz i Kallimach" u. a.), ferner eine
vorzügliche "Geschichte Polens" ("Dzieje Polski", Lemb.
1862-65, 4 Bde.), "Rys driejót literatury zwiawa
niechszescianskiego" (Krak. 1867) und metrische Übersetzungen
von Äschylos, Aristophanes etc. In deutscher Sprache schrieb
er: "Die Polen und Ruthenen in Galizien" (Teschen 1882). Seine
gesammelten Werke erscheinen seit 1885 in Krakau. Szymanowska (spr. schü-), Sophie, s.
Lenartowicz. Szymanowski (spr. schü-), Waclaw, poln.
Schriftsteller, geb. 1821 zu Warschau, nach absolvierten Studien
Finanzbeamter, seit 1867 Redakteur des verbreitetsten polnischen
Lokalblattes: "Kurjer warszawski"; starb 21. Dez. 1886. Er schrieb
die Dramen: "Salomon i Sedziwoj", "Dzieje serca"
("Herzensgeschichte"), "Matka" ("Die Mutter"), "Ostatnie chwile
Kopernika" ("Die letzten Augenblicke des Kopernikus"), "Ostatnia
próba" ("Die letzte Probe", 1880) etc.; ferner die
Dichtungen : "Timur Leng" (1872), "Gawedy ("Erzählungen") und
"Satyry" ("Satiren", 1874) etc. 478 T - Tabak. T. T (te) t, lat. T, t, der harte oder tonlose dentale
Verschlußlaut. Die Lautphysiologie zeigt, daß er auf
vier verschiedene Arten gebildet werden kann. Von diesen ist das
sogen. alveolare t besonders in Norddeutschland üblich; der
Verschluß wird hier dadurch hervorgebracht, daß man den
vordern Teil der Zunge an das hintere Zahnfleisch (Alveolen) der
Oberzähne anlegt. Dagegen wird das in Süddeutschland
(besonders im z) vorherrschende dorsale t dadurch hervorgebracht,
daß man den vordern Teil des Zungenrückens (Dorsum) dem
Gaumen nähert, während die Zungenspitze herabhängt.
Außerdem pflegt in der norddeutschen Aussprache ein leiser
Hauch dem t zu folgen. Das Sanskritalphabet hat ein besonderes
Zeichen für das cerebrale t, das dadurch entsteht, daß
man den vordern Zungensaum stark in die Höhe biegt und dem
Gaumen nähert; ganz ebenso wird das gewöhnliche t des
Englischen ausgesprochen. Das hochdeutsche t geht, geschichtlich
betrachtet, vermöge der Lautverschiebung (s. d.) auf ein
älteres d zurück, das in den übrigen germanischen
Sprachen noch geblieben ist; man vergleiche z. B. unser toll mit
englisch dull. plattdeutsch doll. Das altgermanische d geht aber
seinerseits auf ein aspiriertes d zurück, das sich z. B. im
Sanskrit als dh, im Griechischen als th zeigt; so finden wir
für das griechische ther im Gotischen dius, im Englischen
deer, während im Hochdeutschen aus dem d wieder ein t geworden
ist: Tier; gotisch ga-daursan, "wagen", englisch to dare,
heißt im Sanskrit dharsh, im Griechischen tharsein. Das th
ist im Englischen ein gelispelter Laut, der zur Klasse der
Reibelaute gehört, ebenso wie das th der Neugriechen, das c in
gewissen spanischen Wörtern. Früher, in der
althochdeutschen Periode, existierte dieser oder ein ähnlicher
Laut auch in der deutschen Sprache; da derselbe aber längst
verschollen ist und das th jetzt überall wie t ausgesprochen
wird, so ist es wenigstens in deutschen Wörtern ganz
überflüssig geworden und wirkt nur störend. Es sind
daher Schreibungen wie Heimath, Monath mit Recht in Abnahme
gekommen; doch ist, obwohl namentlich J. Grimm und andre deutsche
Altertumsforscher einen Vernichtungskrieg gegen das th
eröffneten, dasselbe so festgewurzelt, daß selbst die
reformatorische neue Orthographie es nicht ganz beseitigt. Sie
behält es (außer in Fremdwörtern, wie Katheder,
Theater, Thee) bei in Silben, die nicht schon sonstwie als lang
kenntlich sind, daher z. B. in Thal, Thor, That, thun; nicht aber
in Teil, Tier, Mut, Turm, der Silbe -tum, z. B. in Altertum, und
den meisten andern Fällen. Der Buchstabe t stammt von dem
griechisch-phönikischen Tau ab. Abkürzungen. Als Zahlzeichen bedeutet im Griechischen
$\tau$' 300, ,$\tau$ 300,000; im Lateinischen T 160, T 160,000. Als
Abkürzung bedeutet T. den römischen Vornamen Titus; im
Handel ist T. = Tara; bei Büchercitaten = Tomus (Band); t =
Tonne. T., bei botanischen Namen für Tonrnefort (s. d.). t. a. = testantibus actis (lat.), wie die Akten bezeugen. T C, in der internationalen Telegraphie =
télégramme comparé (franz.), verglichenes
Telegramm. T. F., in Frankreich früher den Zuchthanssträflingen
auf die Schulter eingebrannte Buchstaben, = travail forcé,
"Zwangsarbeit"; desgleichen: T. P. = travaux à perpétuité.
"lebenslängliche Zwangsarbeit". T. P. L. = twice past the line (engl.), "zweimal die Linie (den
Äquator) passiert", auf den Etiketten mancher Weine. t. s. = tasto solo (s. d.). t. s. V. p. = tournez, s'il vous plaît! (franz.), "wenden
Sie gefälligst (das Blatt) um!" Ta, in der Chemie Zeichen für Tantal. Ta, Gewicht, s. Pikul. Taaffe, Eduard, Graf, österreich. Staatsmann, geb.
24. Febr. 1833 zu Prag aus irischem Geschlecht, Sohn des Ministers
von 1848, sodann Präsidenten des obersten Gerichtshofs, Grafen
Ludwig Patrick T. (geb. 23. Dez. 1791, gest. 21. Dez. 1855), ward
mit dem jetzigen Kaiser erzogen, trat 1857 in den Staatsdienst und
durchlief sehr schnell die Stufen der Beamtenlaufbahn. 1861 noch
Statthaltereisekretär, ward T. Ende 1861 Statthaltereirat und
Vorsitzender der Kreisbehörde in Prag. Im April 1863 wurde er
zum Landeschef im Herzogtum Salzburg, im Januar 1867 zum
Statthalter in Oberösterreich, 7. März d. J. nach
Belcredis Sturz zum Minister der innern Angelegenheiten ernannt. T.
hatte bereits 1865-66 dem Landtag Böhmens als Abgeordneter
angehört und damals zur verfassungstreuen Partei gestanden;
Ende März 1867 wählte ihn der fideikommissarische
Grundbesitz Böhmens zu seinem Vertreter im Landtag, und im
April wurde er Mitglied des Reichsrats. Als es sich im Dezember
1867 darum handelte, für die Länder diesseit der Leitha
ein parlamentarisches Ministerium zu berufen, wurde T. Minister der
Landesverteidigung und öffentlichen Sicherheit sowie
Stellvertreter des Ministerpräsidenten Carlos Auersperg. Als
dieser im Herbst 1869 zurücktrat, war T. bis 15. Jan. 1870
Ministerpräsident. Vom 12. April 1870 bis 7. Febr. 1871 war er
wieder Minister des Innern und wurde darauf zum Statthalter von
Tirol ernannt. Nach dem Rücktritt des Ministeriums Auersperg
wurde T. im Februar 1879 Minister des Innern und 12. Aug.
Ministerpräsident und bezeichnete 5. Dez. die "Versöhnung
der Nationalitäten" als sein Ziel. Nachdem sein Versuch, eine
Mittelpartei zu bilden, gescheitert war, stützte er sich ganz
auf die Ultramontanen, Polen und Tschechen, behauptete sich zwar
trotz mancher Ministerwechsel, mußte aber seinen
Anhängern wichtige Zugeständnisse in der Sprachenfrage,
in materiellen Punkten und in der Volksschulsache machen, wodurch
er die liberalen Deutschen gegen sich erbitterte, ohne doch die
slawischen Ansprüche zu befriedigen. Taasinge (Thorseng), dän. Insel,
südöstlich von Fünen, Amt Svendborg, 69 qkm (1,25
QM.) groß mit (1880) 4529 Einw. und dem Flecken Troense. Tabagie (franz., spr. -schih). Kneipe. Tabago, Insel, s. Tobago. Tabagorohre, s. Bactris und Cocos, S. 194. Tabak (Nicotiana Tourn.), Gattung aus der Familie der
Solanaceen, ein-, seltener mehrjährige, häufig
drüsenhaarige, klebrige Kräuter, bisweilen halbstrauchig,
selten strauch- oder baumartig, mit einfachen, ganzrandigen, selten
buchtigen Blättern, endständigen Blütentrauben oder
Rispen und trockner, zweifächeriger, vom bleibenden Kelch
umgebener Kapsel mit zahlreichen sehr kleinen Samen. Etwa 50, bis
auf wenige australische und polynesische, in Amerika heimische
Arten. Bauerntabak (N. rustica L.), einjährig, 60-120 cm hoch,
drüsig kurz behaart, klebrig, mit mehr oder weniger
verästeltem Stengel, 479 Tabak (Anbau, Handelssorten). eiförmigen, oben sitzenden, unten gestielten, gerippten
Blättern, grünlichgelben Blüten in
endständigen, gedrängten Rispen und fast kugeligen
Kapseln, in Mexiko und Südamerika, wird bei uns seltener
gebaut, im Orient aber ausschließlich und liefert den
türkischen T. und Latakia. Gemeiner, virginischer T. (N.
Tabacum L., s. Tafel "Genußmittelpflanzen"), einjährig,
1-2 m hoch, drüsig kurz behaart, klebrig, mit sitzenden (die
untern halbstengelumfassend, herablaufend), länglich
lanzettförmigen, lang zugespitzten Blättern, in
endständiger, ausgebreiteter Rispe stehenden,
langröhrigen, hellroten Blüten und eiförmigen
Kapseln, in Südamerika, wird in den gemäßigten und
subtropischen Klimaten aller Erdteile kultiviert. Der
großblätterige Marylandtabak (N. macrophylla Metzg.)
unterscheidet sich von letzterer Art durch breitere, stumpfe, am
Grund geöhrte, sitzende oder geflügelt gestielte
Blätter und durch den gedrungenern Blütenstand, ist aber
vielleicht nur eine Varietät derselben. Der T. gedeiht im
allgemeinen noch, wo der Winterweizen im ersten Dritteil des Monats
August reif wird; guter T. fordert aber ein Weinklima, und die
feinsten Sorten werden zwischen 15 und 35° gebaut. Der
Normalboden für den T. ist ein kalkhaltiger oder gemergelter
Lehm der Sandkonstitution, welcher leicht erwärmbar und
humushaltig ist. Auch milder Kalkmergelboden paßt noch
für den T., muß aber recht warm liegen. Dem T. geht
Klee, Luzerne, eine beliebige grün untergebrachte Frucht oder
eine Hackfrucht voran; er folgt zwei und mehrere Jahre auf sich
selbst und gibt sogar im zweiten oder dritten Jahr ein feineres
Produkt als im ersten. Der T. entnimmt seinem Standort bedeutende
Mengen Kali, leidet aber durch Chlorverbindungen. Für
Pfeifengut und Deckblätter wirkt Gründüngung oder
untergebrachter Klee mit Rindermistdüngung im Herbst am
günstigsten, und im Spätherbst gibt man eine tiefe
Furche. Auf sandreichem Boden wirkt eine Auffuhr von Moder
vortrefflich. Kurz vor der Bestellung erhält das Land
gartenartige Bearbeitung. Die jungen Pflanzen erzieht man in
Mistbeeten oder in Kasten mit eingeschlagenen Pfählen
(Kutschen); man säet im März, begießt
fleißig, schützt die Pflanzen durch Strohdecken vor
Frost, lichtet die Saat zur Zeit der Baumblüte, verpflanzt die
kräftigsten Pflänzchen 2,5-5 cm weit mit Erdballen in
Gartenbeete, schützt sie auch hier durch Strohdecken vor
Nachtfrösten und bringt sie Ende Mai oder mit der ersten
Junihälfte mit 6-7 Blättern auf den Acker. Man stellt sie
60 cm weit voneinander in 60 cm weit entfernten Reihen und
läßt nach je zwei Reihen einen Weg. Sobald die Pflanzen
angegangen sind, werden sie behackt, beim zweiten Behacken auch
behäufelt und, wenn sich die Blütenrispe entwickeln will,
geköpft, so daß je nach der Varietät 8-12
Blätter stehen bleiben. Später entfernt man auch die aus
den Blattwinkeln entspringenden Seitentriebe (Geizen). Bei der
ersten Behackung gräbt man zwischen je vier Pflanzen
Löcher und gießt mit Wasser verdünnte und mit Guano
gemengte Jauche hinein. Man kann statt dessen auch im Frühjahr
Mist einbringen, doch gibt die Jauche stets ein feineres Produkt.
Wenn der T. etwa 90 Tage auf dem Acker gestanden hat, sind die
Blätter reif; sie werden matt, gelbfleckig, klebrig und
bekommen einen starken Geruch. In diesem Zustand erntet man den
für Deckblätter bestimmten T., Pfeifengut aber erst, wenn
die Blätter anfangen, ihre Ränder einzurollen. Man
verliert dadurch an Gewicht, aber das Produkt wird feiner. Bei der
Ernte bricht man zuerst die untersten Blätter
(Sandblätter), dann die folgenden (Erdblätter) und
zuletzt als Haupternte die übrigen, welche die besten sind.
Bei gutem Wetter knickt man die Blätter nur ein und löst
sie am folgenden Tage ganz ab. Man trocknet sie in einem luftigen
Raum auf Stangengerüsten, indem man sie auf Ruten anspillt
oder an Bindfaden auffädelt, und läßt sie wochen-
und monatelang hängen. Das Ernteverfahren variiert
übrigens mehrfach, und in Amerika nimmt man die ganzen
Pflanzen vom Feld ab, nachdem man sie einige Tage vorher so weit
angehauen hat, daß sie sich umlegen, und hängt sie mit
den Blättern zum Trocknen auf. Der Ertrag schwankt zwischen
900-2000 kg pro Hektar. Behandelt man den Geiz wie die Haupternte,
so gibt auch jener noch einen Ertrag, freilich von geringer
Qualität. Die geernteten Blätter bindet man in kleine
Bündel, trocknet sie an der Luft und unterwirft sie dann einem
Gärungsprozeß, indem man sie in lange, frei stehende
Haufen von 1,25-1,5 m Breite und Höhe aufschichtet
(Brühhaufensetzen, Aufstocken, Lagern) und nach eingetretener
hinreichender Erwärmung der Haufen umschlägt, so
daß die äußern Schichten nach innen zu liegen
kommen. Diese Arbeit wird so oft wiederholt, bis die Blätter
vollständig eingeschrumpft sind und eine mehr oder weniger
dunkelbraune Farbe angenommen haben. Dann setzt man die Bündel
zu sogen. Trockenbänken auf und lagert sie in
größern Haufen. In der Pfalz, welche viele Blätter
als Zigarrendeckblatt versendet, streicht man diese bei
gehörigem Feuchtigkeitsgrad sorgfältig glatt, schichtet
sie zu kleinen Stößen auf und preßt diese. Die
feinern Sorten werden auch entrippt, indem man die beiden
Blatthälften von der dicken Mittelrippe abzieht. Die Rippen
selbst dienen zu Schnupftabak oder, zwischen Stahlwalzen flach
gepreßt, zu Zigarreneinlagen oder billigem Rauchtabak. Handelssorten. Wirkung des Tabaksgenusses. Die Handelssorten
sind meist nach ihren Produktionsländern benannt; die
wichtigsten sind etwa folgende: 1) Südamerikanischer T. a)
Varinas (Kanaster) aus den Provinzen Varinas, Merida, Margarita
etc. der Republik Venezuela, kommt in 7-8 kg schweren, 4-5 cm
dicken, gesponnenen Rollen in Körben aus gespaltenem Rohr
(canastra, daher der Name) in den Handel; er ist äußerst
mild, mit feinem, weichem, kastanienbraunem Blatt und bildet den
feinsten Rauchtabak. Die besten Rollen bilden den Muffkanaster; b)
Orinokokanaster, sehr stark; c) Ori-nokokanasterblätter; d)
Cumanátabak, dem Varinas gleichstehend; e)
Cumaná-Andouillen oder Karotten; f) brasilischer T. in
Rollen, Zigarren und Zigarretten, gegenwärtig ziemlich beliebt
und stark eingeführt; g) Paraguaytabak, zum Teil sehr stark;
h) Columbiatabak aus Neugranada und den angrenzenden Ländern:
Carmen, Giron-Palmyra, Ambalema, meist Zigarrentabak, dem Varinas
nahestehend; i) mexikanischer T., erst in neuester Zeit in den
großen Markt eingetreten. 2) Westindischer T. a) Cuba oder
Havana, die vorzüglichste aller Sorten, deren ausgesuchteste
und teuerste Blätter Cabanos heißen. Der Havanatabak
wird größtenteils an Ort und Stelle auf Zigarren
verarbeitet; es kommen aber auch Blätter in Bündeln und
Seronen nach Europa, um namentlich als Deckblatt benutzt zu werden,
und fette, schwere Sorten, aus denen man in Spanien den Spaniol
darstellt. Der als Cuba in den Handel kommende T. ist in
verschiedenen Gegenden der Insel gewachsen, kommt zum Teil dem
Havana sehr nahe und dient meist zu Zigarren. Von den verschiedenen
Spezialsorten kommt am häufigsten Yara vor; b) Do- 480 Tabak (chemische Bestandteile, Fabrikation des Rauchtabaks
etc.). mingo, von der gleichnamigen Insel, Tortuga und Samane, dient zu
Zigarren und Rauchtabak; c) Portorico, von der gleichnamigen Insel,
nächst Varinas der beste Rauchtabak, wird an Ort und Stelle
auch viel auf Zigarren verarbeitet. 3) Nordamerikanischer T. a)
Maryland, allgemein beliebter Rauchtabak, fein, gelb, von
angenehmem, süßem Geruch; die beste Sorte ist der
Baytabak. Ähnlich ist der Ohio-tabak. b) Virginia, lebhaft
braun, teils fette, schwere Sorten für feinen Schnupftabak,
teils leichtere Blätter für mittlern Rauchtabak; c)
Kentucky, zu Zigarren, Rauch- und Schnupftabak benutzt; ihm
schließen sich an die Tabake aus Tennessee und Missouri.
Seedleaf wird in Pennsylvanien, Connecticut und Ohio aus Samen von
Cuba erzogen und dient zu Zigarren. Florida gibt ein
vorzügliches, sehr schön geflecktes Deckblatt. 4)
Asiatischer T. a) Manila, sehr gute Ware, meist an Ort und Stelle
zu Zigarren verarbeitet; b) Java, von feinem Aroma, meist zu
Zigarren verarbeitet; chinesische, japanische und indische Tabake
sind bei uns keine Marktartikel. 5) Europäischer T. Frankreich
produziert in 18 Departements T., welcher zu Schnupf- und
ordinären Rauchtabaken benutzt wird. Auch Algerien liefert
große Quantitäten; die Produktion wird aber im Land
selbst verbraucht. Österreich-Ungarn baut T. in Tirol,
Galizien, namentlich aber in Ungarn am linken Ufer der Theiß.
Der ungarische T. hat ein dünnes, weiches, gelbes Blatt und
eignet sich besonders zu Rauch- und Schnupftabak, wird aber zum
Teil auch zu Zigarren benutzt. Vom holländischen T. ist der
Amersfoorter der beste und besonders zur Fabrikation von
Schnupftabak gesucht; das belgische Gewächs steht dem
holländischen nach. In Deutschland ist die
hauptsächlichste Kulturgegend die Pfalz, wo man namentlich
Zigarrentabak baut, der nicht nur an inländische, Bremer und
Hamburger Fabriken abgesetzt, sondern auch nach Amerika exportiert
wird. Ebenso beziehen Frankreich, Holland, die Schweiz etc.
deutschen T. Italien, Spanien, Portugal haben Tabaksmonopol und
kommen für den europäischen Handel nicht in Betracht.
England baut gar keinen T. Der türkische T. verdankt den
klimatischen und Bodenver-hältnissen, der sorgfältigen
Kultur und Behandlung die vorzügliche Beschaffenheit, welche
ihn mit dem Havana rivalisieren läßt. Alle Provinzen
produzieren T., den besten aber Makedonien in den Thälern von
Karasu, Wardar und Krunea. Die hier erzogenen feinen Sorten: Druma,
Pravista, Demirli, Yenidje, Sarishaban, Ginbeck etc. sind in lange,
dünne Fäden geschnitten, schön goldbraun,
aromatisch, kräftig, trocken und schmackhaft zugleich. Die
Tabake der asiatischen Türkei sind schwerer als die
rumelischen und stärker; von den syrischen Sorten ist der
Latakia und Abou Reha aus der Provinz Saida grob geschnitten, braun
bis schwarz, stark fermentiert. Als türkischer T. geht
übrigens auch viel griechisches und russisches Produkt. Tabaksblätter riechen narkotisch, schmecken widerlich und
scharf bitter; sie enthalten 16-27 Proz. anorganische Stoffe,
welche zu 1/4-1/3 aus Kalk, oft bis zu 30 Proz. aus Kali bestehen,
auch reich an Phosphorsäure und Magnesia sind. Der
Stickstoffgehalt beträgt 4,5 Proz. Die Basen find
großenteils an organische Säuren gebunden, und die
leichte Einäscherung der Blätter, also die richtige
Brennbarkeit des Rauchtabaks, ist abhängig von der Gegenwart
organischer Kalisalze. Schlecht brennender T. liefert eine an
Kaliumsulfat und Chlorkalium reiche, aber von Kaliumcarbonat freie
Asche. Von großem Einfluß auf die Brennbarkeit des
Tabaks ist auch der Gehalt an Salpetersäure, welcher in der
Hauptrippe 6 Proz., im übrigen Blatt 2 Proz. betragen kann.
Der wirksame Bestandteil der Tabaksblätter ist das Nikotin (s.
d.), von welchem sie wechselnde Mengen enthalten, ohne daß
der Gehalt in erkennbarem Verhältnis zur Güte des Tabaks
stände. Geringere Tabakssorten pflegen reicher an Nikotin zu
sein; doch ist dessen Menge auch von der Zubereitung abhängig,
welcher der T. unterworfen wird. Guter lufttrockner Pfälzer T.
enthält 1,5-2,6 Proz. Nikotin. Andre Bestandteile des Tabaks
sind: Nikotianin (s. d.), Äpfel-, Zitronensäure, Harz,
Gummi, Eiweiß etc. Trockne und gegorne Blätter enthalten
als Gärungsprodukte Ammoniak, auch Trimethylamin und
Fermentöle. Beim Rauchen würden sich aus der Cellulose,
dem Gummi, Eiweiß etc. unangenehm riechende Substanzen
entwickeln; man entfernt daher die an Cellulose reiche Mittelrippe
und sucht durch den Gärungsprozeß und durch Beizen die
übrigen unwillkommenen Bestandteile der Blätter zu
entfernen. Die bei diesen Operationen sich bildenden
Fermentöle tragen wohl zum Aroma des Tabaks wesentlich bei.
Bei dem Verglimmen der Blätter entstehen Ammoniak,
flüchtige Basen, empyreumatische Stoffe, Blausäure,
Schwefelwasserstoff, flüchtige Säuren, Kohlenoxyd,
Kohlensäure etc. Das Nikotin wird vollständig zersetzt;
wohl aber geht Nikotianin in den Tabaksrauch über, und diesem
sowie den Basen (Pyridin, Picolin, Lutidin, Collidin etc.) und dem
Kohlenoxyd sind die Wirkungen desselben zuzuschreiben. Die je nach
Abstammung, Boden- und klimatischen Verhältnissen und nach der
Behandlung milden oder stärkern, angenehm aromatischen oder
scharfen, rauhen Blätter werden für den Handel
sorgfältig sortiert und entsprechend gemischt. Geringere
Sorten werden oft durch jahrelanges Lagern, wobei sie einer
leichten Gärung unterliegen, verbessert; bisweilen laugt man
sie auch mit Wasser, Kalkwasser, Ammoniak, Aschenlauge oder mit
Salzsäure angesäuertem Wasser aus oder röstet sie,
indem man die ganzen oder zerschnittenen Blätter (oft nach dem
Be-sprengen mit Salzsäure oder Essig) auf mäßig
erhitzten eisernen Platten behandelt und dabei auch wohl mit den
Händen rollt (Kraustabak). Am häusigsten unterwirft man
den T. einer Gärung, zu welchem Zweck man ihn mit
Siruplösung oder Fruchtsäften besprengt, auch wohl Hefe,
Weinstein, Salz etc. zusetzt und in die
Gärungsgefäße einpreßt. Durch Ausbreiten an
der Luft, auch wohl durch Rösten wird der Prozeß
unterbrochen, worauf man die Blätter mit gewürzhaften
Brühen besprengt, welchen man auch Salpeter zusetzt, um die
Brennbarkeit zu erhöhen. Zur Darstellung des Rauchtabaks
werden die so weit vorbereiteten Blätter sortiert, entrippt
oder zwischen Walzen geglättet, mit Saucen, deren Bestandteile
(Sirup, Salze, Gewürze), fast in jeder Fabrik anders gemischt
sind, besprengt oder darin eingetaucht, gefärbt und auf der
Spinnmühle oder Spinnmaschine ähnlich wie ein Seil
gesponnen oder geschnitten und dann getrocknet oder geröstet.
Über die Darstellung der Zigarren s.d. -Schnupftabak bereitet
man hauptsächlich aus Virginiatabak, Amersfoorter und andern
holländischen Sorten und benutzt auch wohl polnischen,
ungarischen und Pfälzer T. Die Blätter werden sortiert,
entrippt, mit Saucen gebeizt und der Gärung unterworfen.
Überhaupt ist hier die Anwendung von Beizen und Saucen von
größter Wichtigkeit, und der Rohstoff wird durch die
Anwendung derselben und durch die Gärung viel eindringlicher
verändert als beim Rauchtabak. Nach der Gärung 481 Tabak (Wirkung des Tabaksgenusses, Produktion und
Verbrauch). werden die Blätter entweder gleich zerschnitten, gestampft,
gemahlen, gesiebt, oder vorher in Karotten geformt. Letztere sind
30cm und darüber lange, nach beiden Enden verjüngte
Rollen von gebeizten Blättern in einer festen Umwickelung von
Bindfaden; man läßt sie längere Zeit lagern und
erzielt dadurch eine eigentümliche Nachgärung, welche
wesentlich zur Verbesserung des Schnupftabaks beiträgt. Um die
kostspielige Arbeit des Karottierens zu ersparen, preßt man
die Blätter auch nur in Kisten zusammen und läßt
sie darin gären. Zum Zerreiben der Karotte dient die
Rapiermaschine, welche ein gröbliches Pulver, Rapé,
liefert. Man benutzt aber auch Stampfen, und die mehlförmigen
Sorten werden nach dem Trocknen auf Tabaksmühlen erzeugt.
Kautabak wird in der Regel aus schwerstem Virginiatabak
dargestellt, den man nach dem Fermentieren und nach dem Behandeln
mit verschiedenen Saucen in fingerdicke Rollen spinnt und
preßt. Die Wirkung der unveränderten Tabaksblätter beruht auf
dem Gehalt an Nikotin; große Dosen töten unter
klonischen Zuckungen, bei enormen Dosen tritt der Tod sehr schnell
ohne Konvulsionen unter allgemeiner hochgradigster
Muskelschwäche und Bewegungslosigkett ein. In den zubereiteten
Tabaksblättern ist der Nikotingehalt oft auf ein Minimum
vermindert, und beim Rauchen kommt das Nikotin nicht oder kaum in
Betracht. Die ersten Versuche des Tabaksrauchens haben in der Regel
Ekel, Übelkeit, Angst, Beklommenheit, kalten Schweiß,
Muskelzittern, Schwindel, Neigung zur Ohnmacht, nicht selten
Erbrechen und Diarrhöe zur Folge. Wer sich an das
Tabaksrauchen gewöhnt hat, empfindet dabei eine angenehme
Erregung, ein Gefühl allgemeiner Behaglichkeit, unter dessen
Einfluß die Funktionen des Verdauungsapparats befördert
werden. Gleichwohl widerstehen Tabaksraucher dem Hunger beffer als
Nichtraucher. Auch scheint mäßiges Rauchen ohne jeden
schädlichen Einfluß zu sein. Anhaltendes starkes Rauchen
stört dagegen die Verdauung, mindert den Appetit, versetzt die
Schleimhaut des Rachens, auch wohl die des Kehlkopfs, in den
Zustand eines chronischen Katarrhs und erzeugt in geschlossenen
Räumen leichte chronische Augenentzündung. Bisweilen
treten aber auch schwere Symptome auf, welche indes fast stets bei
gänzlicher Enthaltsamkeit wieder verschwinden. Das Schnupfen
bringt weniger Allgemeinerscheinungen hervor, nur
beeinträchtigt es meist den Geruchs- und Geschmackssinn und
erzeugt auch chronischen Rachenkatarrh. Dagegen werden, namentlich
aus Nordamerika, heftige Krankheitssymptome als Folge des
Tabakskauens geschildert, vor allen hochgradige
Verdauungsstörungen und vielfach psychische Alterationen,
tiefe geistige Verstimmung und Willensschwäche. In
Tabaksfabriken haben sich keine Störungen bei den Arbeitern
gezeigt, welche als Folge des Tabaks aufzufassen wären. Produktion und Verbranch. Die außereuropäischen Tabaksexporte betrugen in den
Jahren 1883-85 pro Jahr: Kilogr. Kilogr. Vereinigte Staaten 109 193 700 Kolumbien .... 2 250 000 Türkei. .......... 32 000 000 Puerto Rico ... 1 757 900 Brasilien .... .... 23 485 000 China ......... 1 557 900 Niederl.-Ostindien.. 19 878 900 Japan. ........ 1 531 100 Philippinen........ 7 452 800 Paraguay. ..... 1 413 500 Britisch-Ostindien 7 259 300 Peru ........ 400 000 Cuba .............. 5 909 900 Mexiko......... 350 000 San Domingo........ 4 832 600 Venezuela...... 286 000 Algerien........... 4 092 700 --------------- Persien............ 2 600 000 Zusammen: 226 251 300 Meyers Konv -Lexikon, 4. Aufl., Xv. Bd. Berechnet man die Differenz zwischen Produktion und Export
fnr die Vereinigten Staaten mit nur 100 Mill. kg, für
Japan mit 40, für Britisch-Ostindien mit 160, für
Algerien mit 4 Mill. kg, so ergibt dies, ohne Persien zu
berücksichtigen, eine Jahreserzeugung von 530 Mill. kg, welche
aber der Wirklichkeit bei weitem nicht entspricht, da sie den
Lokalverbrauch aller in dieser Berechnung nicht genannten
Länder unberücksichtigt läßt. Die
europäische Tabaksproduktion (Rohtabak) betrug: Kilogr. Österreich-Ungarn . . . 1885 80 752 900 Rußland ...... 1885 51 024 000 Deutsches Reich .... 1884-85 47 193 000 Frankreich ...... 1884 16 262 800 Griechenland ..... 1883 7 680 000 Italien ....... 1884 6 017 900 Belgien ....... 1884 4 713 800 Rumänien ...... Mittelernte 3 000 000 Niederlande ..... 1884 2 976 500 Bulgarien ...... Schätzung 2 320 000 Schweiz ....... 1885 2 000 000 Serbien ....... Schätzung 1 500 000 Bosnien-Herzegowina. . Mittelernte 600 000 Finnland . . . . . . Mittelernte 200 000 ------------------------------- Zusammen: 226 240 900 Hiernach ergibt sich eine Gesamtproduktion von mindestens
756 Mill. kg ohne Berechnung des eignen Konsums des
größten Teils der orientalischen, westindischen,
süd- und mittelamerikanischen und afrikanischen
Völkerschaften. Der Tabaksverbrauch pro Kopf und Jahr in
Kilogrammen beträgt: Vereinigte Staaten 2,3, Niederlande 2,9,
Belgien 2,0, Schweiz 2,2, Österreich - Ungarn 2,1, Deutschland
1,5, Schwe-den 0,8, Großbritannien 0,6, Norwegen 1,15,
Rußland 0,6(?), Frankreich 0,95, Italien 0,6, Dänemark
1,6. In Deutschland wird am meisten T. in der oberrheinischen Ebene
und den unmittelbar daran grenzenden Hügelgegenden gebaut. Auf
dieses Gebiet, welchem die Tabaksländereien der bayrischen
Pfalz, Badens, Hessens und Elsaß-Lothringens angehören,
entfallen 70 Proz. des ganzen deutschen Tabakslandes. Als einzelne
Teile desselben lassen sich wiederum die badische und bayrische
Pfalz mit dem südlichen Teil der hessischen Provinz
Starkenburg als die hauptsächlichste Tabaksgegend Deutschlands
(40,8 Proz.), ferner der Tabaksbezirk des badischen Oberlandes,
(13,3 Proz.) und endlich westlich von diesem jenseit des Rheins das
elsässische Tabaksland (14,4 Proz. des gesamten deutschen
Tabakslandes) unterscheiden. Von den übrigen 30 Proz. kommen
auf das rechtsrheinische Bayern, das noch in der Gegend von
Nürnberg und Hof einen Tabaksbezirk von einigem Umfang hat,
3,1 Proz., auf das Königreich Württemberg 0,9 Proz. und
auf das ganze nördlich von Mainz gelegene Deutschland wenig
mehr als ein Viertel des deutschen Tabakslandes. Hier hat der
Tabaksbau nur in der Ukermark und deren nördlicher und
östlicher Fortsetzung gegen das Haff und die Oder sowie an der
obern Oder in der Gegend von Breslau und in der Weichselniederung
einige Bedeutung ; in allen übrigen Gegenden tritt diese
Kultur nur sporadisch auf. Das ukermärkische Tabaksland, das
bedeutendste in Norddeutschland, umfaßt 12,3 Proz. des
gesamten deutschen Tabakslandes. 1871 brachten 22,673 Hektar
717,907 Ztr. in trocknen Blättern, 1887 wurden auf 21,465 Hektar 817,386 Ztr. geerntet (1904 kg auf 1 Hektar), davon entfallen auf Baden 305,548, Preu- ßen 221,424, Bayern 133,590, Elsaß -Lothringen
100,912, Hessen 28,436, Württemberg 12,128 Ztr. 1888 waren nur
18,130 Hektar mit T. bepflanzt. Die 31 482 Tabakkampfer - Tabakspapier. Einfuhr betrug 1887 von T. 41,915, von Tabaksfabrikaten 1249,
die Ausfuhr 920, resp. 1398 Ton. Geschichtliches. Über das Alter des Tabaksrauchens in China, wo man
Nicotiana chinensis Fisch. benutzt, ist nichts Sicheres bekannt.
Nach Europa gelangte die erste Nachricht vom T. durch Kolumbus,
welcher 1492 die Eingebornen von Guanahani cylinderförmige
Rollen von Tabaksblättern, mit einem Maisblatt umwickelt,
rauchen sah. Fra Romano Pane, den Kolumbus auf Haiti
zurückgelassen hatte, machte 1496 Mitteilungen über die
Tabakspflanze an Petrus Martyr, und durch diesen gelangte dieselbe
1511 nach Europa. Die Eingebornen auf Haiti rauchten den T. als
zusammengerollte Blätter oder zerschnitten aus langen
Röhren. Diese, nach andern die Maisblattrollen, sollen Tabacos
geheißen haben, nach andern soll der Name T. von der Insel
Tobago oder von der Provinz Tabasco in Mittelamerika
herrühren. Eine genaue Beschreibung der Pflanze gab 1525
Gonzalo Hernandez de Oviedo y Valdes, Statthalter von San Domingo.
Später pries der spanische Arzt und Botaniker Nicolas Menardes
in seinem 1571 zu Sevilla erschienenen Buch über Westindien
den T. als Heilpflanze, und nun ward derselbe als Arznei- und
Wunderkraut kultiviert. So auch von Jean Nicot, französischem
Gesandten in Portugal, der 1560 Tabakssamen nach Paris schickte;
ihm zu Ehren benannte Linne die Gattung. Kurze Zeit nachher erhielt
auch Konrad Geßner indirekt von Occo in Augsburg das Kraut
und erkannte es durch Vergleichung mit einer Abbildung, welche ihm
Aretius in Bern nach von letzterm selbst aus Samen gezogenen
Pflanzen entworfen hatte. Geßner machte in Deutschland zuerst
auf den T. und seine medizinischen Eigenschaften aufmerksam. Das
Tabaksschnupfen wurde in Frankreich unter Franz II. üblich, zu
Sevilla in Spanien entstand gleichzeitig eine Schnupftabaksfabrik,
welche den Spansol lieferte. l636 führten spanische Geistliche
das Schnupfen in Rom ein, gegen welches Urban VIII. eine Bulle
erließ, die erst 1724 wieder aufgehoben wurde. 1657 gab
Venedig Fabrikation und Verschleiß des Schnupftabaks in
Pacht. Das Tabaksrauchen wurde durch spanische Matrosen und
englische Kolonisten nach Europa importiert und zwar durch erstere
schon um die Mitte des 16. Jahrh. nach Spanien aus Westindien,
durch letztere 1586 nach England aus Virginia. In Nordamerika
scheint das Rauchen ebenfalls seit uralter Zeit gebräuchlich
gewesen zu sein; bei den Indianern galt es als ein der Sonne und
dem großen Geist gebrachtes Opfer; als Raleigh Virginia
entdeckte, war der Tabaksbau bei den dortigen Eingebornen ganz
allgemein verbreitet. Gegen Ende des 16. Jahrh. war das Rauchen in
Spanien, Portugal, England, Holland, 1605 auch in Konstantinopel,
Ägypten und Indien bekannt, und weltliche und geistliche
Mächte eiferten vergebens gegen die weitere Verbreitung
desselben. 1622 brachten englische und holländische Truppen
das Tabaksrauchen nach dem Rhein und Main, von wo es durch den
Dreißigjährigen Krieg bald in andre Teile Deutschlands
gelangte. Jakob I. von England belegte zuerst den Tabakshandel mit
hohen Steuern. 1616 wurde der erste T. in Holland gebaut, wenig
später in England, 1659 in Wasungen, 1676 in Brandenburg und
1697 in der Pfalz und in Hessen. Schnupfen und Kauen des Tabaks
sind europäische Erfindungen. Da man sich anfangs scheute,
öffentlich zu rauchen, so entstanden in Frankreich,
zunächst in Paris, besondere Lokale, die Tabagies, für
die Freunde des Tabaks, und in Deutschland wurde dieser Name bis
zur Mitte des 19. Iahrh. ganz allgemein für öffentliche
Lokale gebraucht. Bis 1848 war das Rauchen auf den Straßen in
den meisten Ländern Europas verboten. Vgl. Tabakssteuer. Vgl. Tiedemann, Geschichte des Tabaks (Frankf. 1854); Babo, Der
Tabaksbau (3. Aufl., Berl. 1882); Nessler, Der T., seine
Bestandteile etc. (Mannh. 1867); Schmidt, Fabrikation von Schnupf-
und Kautabak (Berl. 1870); Fries, Anleitung zum Anbau, zur
Trocknung und Fermentation des Tabaks (3. Aufl., Stuttg.1870);
Wagner, Handbuch der Tabaks- und Zigarrenfabrikation (5. Aufl.,
Weim. 1888); Becker, Die Fabrikation des Tabaks (2. Aufl., Norden
1883); Lock, Tobacco; growing, curingand manufacturing (Lond.
1886); Fairholt, Tobacco, it's history and associations (das.
1875); Fermond, Monographie du tabac (Par. 1857); Knoblauch,
Deutschlands Tabaksbau und -Ernte (Berl. 1878); "Statistik des
Deutschen Reichs", Bd. 42: "Tabakbau, Tabakfabrikation etc. im
Deutschen Reich" (das. 1880); Meyer, Aus der Havanna (5. Aufl.,
Norden 1884); Jolly, Etudes hygieniques et medicales sur le tabac
(Par. 1865); Derselbe, Le tabac et l'absinthe (das. 1875);
Dornblüth, Die chronische Tabaksvergiftung (Leipz. 1878);
Hare, The physiological and pathological effects of the use of
tobacco (Lond. 1886); Stinde, Das Rauchen (2. Aufl., Berl. 1887);
Keibel, Wie sollen wir rauchen? (das.1887); "Deutsche
Tabakszeitung" (Berl., seit 1868); Bragge, Bibliotheca nicotiana
(Lond. 1880). Tabakkampfer, s. Nikotianin. Tabaksblei, s. Bleiblech. Tabakskollegium, Abendgesellschaft, welche König
Friedrich Wilhelm I. von Preußen fast täglich abends zu
Berlin, Potsdam oder Wusterhausen um sich versammelte, und zu der
die Vertrauten des Königs (Leopold von Dessau, Grumbkow,
Seckendorff), Minister, Stabsoffiziere, Gelehrte (s. Gundling 2)
und durchreisende Standespersonen gezogen wurden. Die Erholung war
dem König um so erwünschter, als er in diesem vertrauten
Kreise sich völlig gehen lassen, seine eigne Meinung frei
aussprechen zu können und die andrer zu vernehmen glaubte.
Alles Zeremoniell war verbannt; niemand durfte aufstehen, wenn der
König hereintrat. Der König betrachtete sich bloß
als Offizier und als unter seinesgleichen. Man rauchte (aus kurzen
thönernen Pfeifen), und die, welche nicht rauchten,
mußten die Pfeifen wenigstens in den Mund nehmen. Dazu ward
Ducksteiner Bier aufgetragen; im Nebenzimmer stand für den
Bedarf kalte Küche. Die Unterhaltung bezog sich auf
Lektüre von Zeitungen, Bemerkungen über Politik und
Kriegsgeschichte und Besprechung von Tagesneuigkeiten; auch wurden
mancherlei Späße, bisweilen sehr derber Art, getrieben,
namentlich mit Gundling. Von Spielen war nur Schach- und Damenspiel
gestattet. Der Einfluß, den in diesen Abendgesellschaften
namentlich die von Österreich bestochenen Vertrauten auf den
König ausübten, der sich arglos ihnen preisgab, machte
dieselben selbst für die preußische Geschichte wichtig.
Eine Schilderung des Tabakskollegiums liefert die Biographie
Gundlings in Öttingers "Narrenalmanach" für l846, eine
dramatische Darstellung Gutzkows "Zopf und Schwert". Tabaksmonopol, s. Tabakssteuer. Tabakspapier, ein mit Zusatz von Tabaksstengeln und
Tabaksrippen hergestelltes Papier, welches als Deckblatt für
Zigarren, auch zu Zigarretten benutzt wird; Bleiblech zum Verpacken
von Schnupftabak. 483 Tabakspfeife - Tabaksteuer. Tabakspfeife, Instrument, womit man Tabak raucht. Bei den
thönernen oder irdenen Pfeifen bilden Rauchröhre und Kopf
(Verbrennungsraum für den Tabak) nur Ein Stück; die
übrigen Pfeifen bestehen aus mehreren Stücken: Spitze
(Mundstück aus Horn, Elfenbein oder Bernstein), Rohr aus Holz, Guttapercha oder
biegsamen Geflechten, Saftsack und Kopf. Die irdenen oder
thönernen Tabakspfeifen werden in besondern Fabriken aus einem
feuerfesten, weißen, eisenfreien, seltener farbigen (gelben
oder roten) Thon (Pfeifenthon) gefertigt (s. Thonwaren). Die in
Ungarn, Serbien, den Ländern der untern Donau
gebräuchlichen Thonpfeifen werden aus roten, gelben und
schwarzen Pfeifenerden in eigentümlichen Formen mit niedrigem,
breitem Kopf gefertigt. Wie für die sogen. holländischen
irdenen Pfeifen Gouda der Hauptsitz der Fabrikation ist, so ist er
für die Donauländer Debreczin. Die Produktion der
Goudaer, Kölner etc. Brennereien wurde ehedem auf 60 Mill.
jährlich veranschlagt, hat aber in neuerer Zeit sehr
abgenommen. Viele Pfeifenköpfe werden auch aus Meerschaum (s.
d.) und Maserholz (Ulmer Köpfe) geschnitten. Am bedeutendsten
ist aber die Fabrik-tion der Pfeifenköpfe von Porzellan, deren
Hauptsitz der Thüringer Wald ist. Vgl. Tschibuk, Nargileh und
Tschimin. Tabakssteuer. Als entbehrliches, aber doch in
großen Mengen von der erwachsenen arbeitsfähigen
Bevölkerung verbrauchtes Genußmittel bildet der Tabak
ein finanziell sehr ergiebiges und geeignetes Mittel der Besteuerung. Letztere kommt vor in der Form der 1) Handelsbesteuerung, am einfachsten durchgeführt in
England, wo schon seit 1652 (ebenso für Irland mit einer Unterbrechung von 1799 bis 1831, dann für Schottland seit 1782) der Tabaksbau verboten ist
und die Steuer durch reine Verzollung in Verbindung mit Lizenzen
erhoben wird. In Portugal, wo 1664 das Monopol eingeführt
worden war, ist heute für die Lizenz zum Tabaksbau eine
Gebühr zu entrichten. Neue Tabaksfabriken dürfen nach
Gesetz vom 27. Jan. 1887 nicht mehr errichtet, bestehende nicht
erweitert werden. Schweden, welches seinen Tabak
größtenteils aus Rußland bezieht, erhebt nur einen
Zoll, dagegen keine innere Abgabe. Die von Händlern und
Fabrikanten erhobenen Lizenzen können überhaupt nur die
Bedeutung von Ergänzungssteuern haben, da sie eine Belastung
nach der Steuerfähigkeit, bez. dem Geschäftsumfang nicht
ermöglichen, daher mäßige Sätze nicht
überschreiten dürfen. In andern Ländern bildet der
Tabakszoll eine Ergänzung der innern Verbrauchssteuer. 2) Die Rohprodukten- od. Pflanzungssteuer (Urproduzentensteuer)
trifft die inländischen Erzeugnisse an Rohtabak entweder in
der Form der Flächen- oder in der der Gewichtssteuer. Die
Flächensteuer wird nach der Größe der mit Tabak
bepflanzten Fläche bemessen, wobei auch noch Abstufungen nach
der Ertragsfähigkeit des Bodens statthaben können. Im übrigen nimmt sie keine Rücksicht auf die insbesondere
von Jahr zu Jahr wechselnde Menge und auf Qualität des
erzeugten Tabaks. Diese Steuer bestand in Preußen seit 1828,
nachdem seit 1819 nach dem Gewicht besteuert worden war, im Zollverein von 1868 bis 1879. Sie wurde 1879 durch die Gewichtssteuer ersetzt,
welche nach dem Gewicht des Tabakserzeugnisses bemessen wird,
während die Flächensteuer für kleine Pflanzungen von
weniger als 4 Ar Flächengehalt als Regel beibehalten wurde. Das zu erwartende Ergebnis wird an Ort und Stelle vor der Ernte amtlich eingeschätzt. Später findet amtliche Nachzählung und Verwiegung statt. In Belgien (1883) wird
die Steuer nach der Pflanzenzahl bemessen, indem nur in weitern
Grenzen das Gewicht (drei Abstufungen nach der Bodengüte) in
Rechnung gezogen wird. Diese Steuer nimmt keine Rücksicht auf die Qualität und beengt durch ihre
Kontrollen den Tabaksbau (Kulturzwang, Pflanzung in Reihen und
gleichen Abständen, Verbot der Mischung mit andern Pflanzen,
Vollendung des Köpfens und Ausgeizens vor Erhebung der Blätterzahl, Vernichtung aller
vor der Ernte stattfindenden Abfälle etc.). Flächen- wie
Gewichtssteuer reizen bei hohen Steuersätzen zur
Verschlechterung des versteuerten Rohtabaks durch Beimengungen,
gestatten nicht eine richtige Bemessung der Ausfuhrvergütung
und bedingen oft lange dauernde Steuervorschüsse. 3) Die Fabrikatsteuer, welche in den Vereinigten Staaten seit
1868, in Rußland seit 1877 besteht, wird nach Gewicht und Form der aus der Fabrik in den Handel
übergehenden Fabrikate (Rauch-, Schnupftabak, Zigarren etc.)
erhoben. Bei derselben lassen sich Stempelmarken (Banderollen)
anwenden, welche der Fabrikant von der Behörde bezieht und an
seinen Waren in der Art anbringt, daß sie bei dem Verbrauch
zerstört werden müssen, was bestimmte Vorschriften
über die Verpackung etc. sowie eine scharfe Kontrolle des
Tabakshandels nötig macht. Die Fabrikatsteuer ermöglicht
eine wenn auch nicht sehr weit gehende Unterscheidung der
Qualitäten sowie eine genauere Bemessung der
Ausfuhrvergütung, dann ist ihre Erhebung dem wirklichen
Verbrauch zeitlich nahegerückt. Dagegen beansprucht sie
lästige und teure, bis zum Tabaksbau sich erstreckende
Kontrollen, begünstigt durch ihre Technik den Großbetrieb und
bringt leicht den Tabaksbauer in Abhängigkeit von letzterm. 4) Die Besteuerung des Tabaks auf dem Weg der Monopolisierung
wurde in Frankreich schon 1674 eingeführt, wo sie mit kurzen
Unterbrechungen (1719-23 und 1723-30) bis 1791 bestand und 1810 durch Napoleon I. wieder ins Leben gerufen wurde. Das
Tabaksmonopol besteht ferner in Österreich-Ungarn und zwar in
einzelnen Landesteilen ob der Enns schon seit 1670, in allen
Ländern diesseit der Leitha seit 1828 und in der gesamten
Monarchie seit 1851, in Spanien seit 1730, in Mexiko seit 1764, in Italien seit 1865 (ursprünglich verpachtet,
seit 1884 von der Regierung in eignen Betrieb genommen), Rumänien seit 1865 in der Türkei seit 1884
(Verpachtung), in Serbien seit 1885 (ebenfalls mit Verpachtung an
eine Gesellschaft). Diese Besteuerungsform kommt nur als volles
Tabaksmonopol vor, d. h. der Staat behält sich das
ausschließliche Recht des Ankaufs heimischen Rohtabaks, der
Einfuhr fremder Tabake und das der inländischen
Tabaksfabrikation vor, um durch Vermittelung von konzessionierten
Verkäufern den Tabak zu Preisen zu verkaufen, welche einen
Überschuß über die Kosten als Steuer ergeben. Die
Einfuhr ausländischer Tabaksfabrikate ist in Frankreich ganz
verboten, in Österreich nur ausnahmsweise gegen Lizenzen
gestattet. Der Tabaksbau wird im Inland nur in bestimmten
Anbaubezirken gegen Staatserlaubnis und unter Kontrolle gestattet,
die Erzeugnisse desselben sind gegen alljährlich von der
Verwaltung festgesetzte Preise an dieselbe abzuliefern. Für
und gegen das Tabaksmonopol lassen sich im wesentlichen die
Gründe vorführen, die überhaupt für und wider
die Monopolisierung geltend gemacht werden. Es gestattet
Kostensparung durch Zentralisierung und Minderung des
Zwischenhandels (Frankreich hat nur ^ 484 Tabaldie - Tabellen. 16 Staatsfabriken mit etwa 18,000 Arbeitern, während in
Deutschland die Verarbeitung der doppelten Menge Rohtabaks sich auf
fast 11,000 selbständige Betriebe mit etwa 110,000
beschäftigten Personen verteilt), es erspart Kosten der
Kontrolle und Erhebung, gewährt Sicherheit gegen
Fälschung, es ermöglicht, den Steuerfuß der
Qualität anzupassen und denselben nach Bedarf zu ändern,
endlich, und darin besteht seine eigentlich praktische Bedeutung,
läßt es die vollständigste Ausbeutung einer
ergiebigen Steuerquelle zu. Dagegen ist die Monopolisierung mit den
Schattenseiten verknüpft, welche dem weniger beweglichen
Staatsbetrieb mit seiner büreaukratischen Beamtenwirtschaft
überhaupt anhaften. Insbesondere befürchtet man in
Deutschland, es möchte die Staatsgewalt allzusehr alle andern
Lebenskreise überwuchern. Ob nun diese Übelstände
oder jene Vorteile des Monopols überwiegen, dies
läßt sich nur von Fall zu Fall beantworten. In
Deutschland steht der Monopolisierung vorzüglich der Umstand
im Weg, daß hier Industrie und Handel in Tabaken sich lebhaft
entwickelt haben und infolgedessen nicht allein die Frage der
Entschädigung große Schwierigkeiten bereitet, sondern
auch die Änderung in der Steuerform erhebliche wirtschaftliche
Umwälzungen bewirken würde. Das auf den Handel mit
Rohtabak beschränkte Monopol, bei welchem der Staat als
alleiniger Aufkäufer den Tabak mit einem Preiszuschlag an
Händler abgibt, ist noch nirgends zur Durchführung
gekommen. Im Deutschen Reich war in 1000 Mk. der Ertrag durchschnittlich jährlich der Tabakssteuer des
Eingangszolls von Tabak der Nettoertrag der Tabaksabgaben im ganzen
auf den Kopf 1871-79 1490 14687 15967 0,37 1881-86 9909 29059 38503 0,84 1886-87 11067 36992 47535 1,02 Die Reineinnahme des Staats aus den Tabaksgefällen war in
Millionen Mark in Frankreich . . 1815: 25,7, 1883: 242,8 Österreich . . 1869: 59,2, 1883: 76,5 Ungarn . . . 1869: 22,2, 1884: 37,4 Italien . . . 1877: 63,7, 1883: 86,8 Großbritannien 1842: 72,4, 1883: 181,3 Verein. Staaten 1883: 208,6, 1884: 138,6 Auf den Kopf entfiel 1883, bez. 1884 eine Reineinnahme in Frankreich . . von 6,95 Mk. Großbritannien 5,10 Spanien . . . 4,32 Österreich . . . 4,16 Verein. Staaten 4,15 Italien . . . 3,30 Ungarn . . . 2,46 Norwegen 1,59 Mk. Schweden 0,91 Deutschland . 0,81 Rußland 0,65 Dänemark 0,55 Belgien . 0,34 Holland 0,05 Vgl. Mayr, Das Deutsche Reich und das Tabakmonopol (Stuttg.
1878); M. Mohl, Denkschrift für eine Reichstabakregie (das.
1878); Felser, Das Tabakmonopol u. die amerikanische Tabaksteuer
(Leipz. 1878); Derselbe, Zur Tabaksteuerfrage (das. 1878); H.
Pierstorff, Entwickelung der Tabaksteuergesetzgebung in Deutschland
seit Anfang dieses Jahrhunderts (in den "Jahrbüchern für
Nationalökonomie" 1879, Heft 2); Mährlen, Die Besteuerung
des Tabaks im Zollverein (Stuttg. 1868); R. Schleiden, Zur Frage
der Besteuerung des Tabaks (Leipz. 1878); Krükl, Das
Tabaksmonopol in Österreich und Frankreich (Wien 1879);
Creizenach, Die französische Tabaksregie (Mainz 1869);
Aufseß, Über die Besteuerung des Tabaks (Leipz. 1878);
Reinhold, Das Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 (das. 1881). Tabaldie, der Affenbrotbaum. Tabanus, Bremse; Tabanina (Bremsen), Familie aus der
Ordnung der Zweiflügler. Tabarieh, Stadt, s. Tiberias. Tabarka, kleine Hafenstadt in Tunis an der
Nordküste, die aber durch ihr an Metallen und Holz reiches
Hinterland wichtig werden muß, wenn die geplante Eisenbahn
vollendet ist. Davor die gleichnamige kleine Insel mit jetzt sehr
heruntergekommener Korallenfischerei. Tabascheer, s. Bambusa. Tabasco, ein Küstenstaat der Republik Mexiko, am
Mexikanischen Meerbusen, 25,241 qkm (458,4 QM.) groß mit
(1882) 104,747 Einw., ist ein vom untern Grijalva und einem Arm des
Usumacinta durchzogenes Flachland, feucht und ungesund, aber
ungemein fruchtbar. Nur an der Südgrenze treten bewaldete
Hügel auf. Hauptprodukte sind: Kakao, Mais, Zuckerrohr,
Kaffee, Piment, Bohnen, Reis, Tabak, Vanille, Sassaparille, die
verschiedensten Nutz- und Farbhölzer. Fabriken gibt es nicht.
Die Hauptstadt San Juan Bautista de T. liegt am Grijalva, 100 km
oberhalb dessen Mündung auf einer Anhöhe in fruchtbarer,
Überschwemmungen ausgesetzter Gegend, hat ein
Regierungsgebäude, ein Colegio Juarez, ein Zollamt und 8000
Einw. An der Mündung des Flusses liegt der Hafen Frontera de
T. mit Leuchtturm und (1880) 2168 Einw. Die Ausfuhr wertete
1883-84: 626,209 Pesos. Tabasmyrte, s. Pimenta. Tabatiere (franz., spr. -tjähr),
Schnupftabaksdose. Tabatieregewehr, das Snider-Gewehr mit
tabaksdosenähnlichem Verschluß, wurde 1870/71 von der
franz. Mobilgarde geführt; s. Handfeuerwaffen, S. 104. Tabatinga, Stadt in der brasil. Provinz Amazonas, dicht
an der Grenze von Peru am Amazonenstrom, 3375 km oberhalb
Pará, hat lebhaften Handel und ist in der neuesten Zeit als
Dampfschiffstation wichtig geworden. Tabellen (lat.), auch Tafeln, in Rubriken geordnete
Zusammenstellungen des Gesamtinhalts irgendeines Wissensgebiets.
Derartige T. finden mannigfache Verwendung im Unterrichtswesen,
wenn auch ihr Wert nach dem heutigen Stande der wissenschaftlichen
Pädagogik nicht mehr so hochgeschätzt wird wie ehedem,
indem sie nur nachträglich zur festern Einprägung
einzelner Hauptpunkte oder zum Nachschlagen bei der Vorbereitung
benutzt werden, aber nicht in den Mittelpunkt des Unterrichts
treten sollen. Dahin gehören unter andern Geschichtstabellen,
Regenten- u. Stammtafeln, tabellarische Übersichten
naturhistorischer Systeme, des spezifischen Gewichts der
wichtigsten Naturkörper, des Atomgewichts der Elemente; auch
Logarithmentafeln, Zins- und Zinseszinstabellen für Arithmetik
und Trigonometrie u. a. Wichtiger noch ist die Rolle, welche das
Tabellenwesen in der Statistik spielt. Die gesetzmäßig
wiederkehrenden Zahlenverhältnisse im Wechsel der
Bevölkerung etc. sind von dieser Wissenschaft in feste T.
gebracht worden, auf welchen sich dann die praktischen
Schlußfolgerungen aufbauen, wie z. B. die Berechnung der
Beiträge für Lebensversicherung, Witwenversorgung etc.
auf den Mortalitätstabellen. Auch die Ergebnisse statistischer
Erhebungen über Alters-, Erwerbsverhältnisse,
Nationalvermögen, Gesundheitsstand werden zumeist in Form der
T. sich darstellen. Erhellt hieraus die weitgreifende Bedeutung der
T. für das moderne Leben, so darf anderseits nicht
verschwiegen werden, daß sie im Organismus der Verwaltung oft
unverhältnis- 485 Taberistan - Täbris. mäßig viel Kraft verzehren, und daß sie, um mit
Sicherheit praktisch verwertet zu werden, ebenso sorgfältig
aufgestellt wie vorsichtig benutzt sein wollen. Taberistan (Tabaristan), Landschaft im nördlichen
Persien, den gebirgigen Südosten der Provinz Masenderan
umfassend, das Land der Tapuri im alten Hyrkanien, hat
schönes, die Viehzucht begünstigendes Weideland, viel
dichten Wald und Wild, zahlreiche kleine Flüsse und ein
angenehmes Klima. Das Mineralreich liefert besonders Schwefel. Die
teils ansässigen, teils nomadisierenden Einwohner bekennen
sich zum Islam. Tabernaculum (lat., Tabernakel), s. v. w.
Sakramentshäuschen. In der lateinischen Bibelübersetzung
heißt T. die Stiftshütte der Israeliten, daher bei
Methodisten s. v. w. Bethaus. Tabernaemontana Arn., Gattung aus der Familie der
Apocynaceen, Sträucher oder Bäume mit
gegenständigen, ganzen Blättern, zu zweien
endständigen, weißen oder gelben, wohlriechenden
Blüten und fleischigen, wenigsamigen Früchten. Viele in
den Tropen weitverbreitete Arten. T. utilis Arn. (Milchbaum von
Demerara, Hya-Hya), ein Baum Guayanas von 9-12 m Höhe, mit
grauer, etwas rauher Rinde, aus welcher bei Verletzungen eine
weiße Milch fließt, die von der des Kuhbaums (s.
Galactodendron) wesentlich verschieden ist, aber, wie diese, als
nahrhaftes, wohlschmeckendes Getränk benutzt werden kann und
frei von aller Schärfe ist. T. dichotoma Roxb. (Evaapfelbaum),
ein immergrüner Baum Ceylons mit wohlriechenden Blüten
und an fadenförmigen Zweigen hängenden, sehr giftigen
Früchten, welche Äpfeln ähneln, aus denen ein
Stück herausgebissen ist. T. coronaria W., mit großen,
weißen, sehr wohlriechenden Blüten, aus Ostindien
stammend, wird als Zierpflanze kultiviert. Taberne (lat., auch Taferne), Wirtshaus, namentlich
Weinschenke; seltener Herberge. Tabes (lat.), Auszehrung, Schwindsucht, besonders
Rückenmarksschwindsucht (s. d.); T. meseraica.
tuberkulöse und käsige Zerstörung des Darms und der
Gekrösdrüsen. Tableau (franz., spr. tabloh), Gemälde; wirkungsvoll
gruppiertes Bild (namentlich im Schauspiel); auch s. v. w.
übersichtlich angeordnete Darstellung. Tableaux vivants ,
lebende Bilder (s. d.). Table de marbre (franz., "Marmortafel"), in Frankreich
ehemals Name des Marschalls-, Admiralitäts- und besonders des
Oberforstgerichts; früher auch Name der Bühne, auf
welcher die Clercs der Bazoche (s. d.) ihre Theatervorstellungen
gaben. Table d'hote (franz., spr. tabl doht), "Wirtstafel" in
einem Gasthaus (Hotel) mit festem Preis für das Gedeck, an
welcher die Gäste gemeinschaftlich teilnehmen, ohne sich die
Speisen auswählen zu können. Tablette (franz.), Täfelchen; Schreibtafel;
Büchergestellchen; Präsentierteller. Tabletterie, kleine
Artikel der Kunsttischlerei, wie Kästchen, kleine
Schränke, Kartenpressen, Damenbretter u. dgl., Gegenstand
einer namentlich in Wien, Nürnberg, Fürth, Berlin,
Dresden, Prag etc. vertretenen Industrie. Tablinum (lat.), der Teil des altrömischen Hauses,
welcher sich zwischen dem Atrium und dem hintern Raum (Peristylium)
befand und meistens dem Herrn zum Geschäftszimmer diente. S.
Tafel "Baukunst VI", Fig. 4. Taboga, Insel im Golf von Panama (Zentralamerika), 30 km
südlich von der Stadt Panama, ist etwa 6 km lang, dicht
bewaldet und hat 1568 Einw., die Perlenfischerei treiben. Taboleira (Platte, Tischplatte), in Brasilien Name der
kaum merklich wellenförmigen, zugleich vorherrschend
dürren Ebenen, welche den Mesas in den Llanos von Venezuela
entsprechen. Tabor, in der türk. Armee das Infanteriebataillon,
im Kriegsetat etwa 830 Köpfe stark; 3 Tabors bilden 1 Regiment
und 8 Kompanien (Bölük) 1 T. Tabor (vom türk. thabur, "Lager"), bei den Tschechen
übliche Bezeichnung für Volksversammlung. Tabor (Atabyrius mons, arab. Dschebel Tûr), Berg in
Palästina, 9 km südwestlich von Nazareth, ein 650 m hoher
stumpfer Kegel, nach der (irrigen) Tradition der Berg der
Verklärung Christi. Am T. schlug Barak den Kanaaniter Sissera
(Richter 4, 6 ff.); Antiochos d. Gr. fand 218 v. Chr. eine Stadt T.
auf dem Gipfel des Bergs; 53 n. Chr. wurde hier von den Römern
unter Gabinius den Juden eine Schlacht geliefert. Später
ließ Josephus den T. befestigen, ebenso 1212 Melek el Adil,
der Bruder Saladins; im April 1799 siegte hier General Kleber
über die englisch-türkische Armee. Heutzutage befinden
sich aus dem Gipfel zwei (nicht alte) Klöster. Tabor, Stadt im südöstlichen Böhmen, auf
steiler, von der Luschnitz umflossener Anhöhe, 460 m ü.
M., am Kreuzungspunkt der Staatsbahnlinien Wien-Prag und
Iglau-Pisek, hat eine Bezirkshauptmannschaft, ein Kreisgericht,
eine Finanzbezirksdirektion, ein Oberrealgymnasium, eine
landwirtschaftliche Lehranstalt, eine Dechanteikirche und ein
Rathaus (mit Museum), beide aus dem 16. Jahrh., mittelalterliche
Stadtmauern mit Türmen, eine neue Synagoge, ein Theater,
hübsche Anlagen, eine Badeanstalt, eine Sparkasse (2 Mill.
Gulden Einlagen), eine ärarische Tabaksfabrik, Bierbrauerei,
Malzfabrik, Gerberei, Kunstmühlen, starken Vieh- und
Getreidehandel und (1880) 7413 Einw. Den Marktplatz schmückt
seit 1877 ein Denkmal Ziskas. Die Stadt steht an der Stelle der
uralten Festung Kotnow, deren malerische Trümmer noch
vorhanden sind, und wurde 1420 von den Hussiten unter Ziska als
verschanztes Lager (Tábor) erbaut. Tabora, großer Markt der arabischen
Sansibarhändler, südlich vom Ukerewesee, unter 5°
südl. Br. und 33° östl. L. v. Gr., die vielbesuchte
Zwischenstation aller Reisenden, welche von Sansibar westwärts
nach Innerafrika gehen. Taboriten, Partei der Hussiten (s. d.), welche sich nach
der Hussitenfeste Tabor (Kotnow) benannte und in politischer wie
religiöser Hinsicht radikale Tendenzen verfolgte, selbst aber
wieder in zahlreiche Sekten zerfiel. Gemeinsame Forderungen
derselben waren die Anerkennung der individuellen Überzeugung
auf Grund der Heiligen Schrift und eine republikanische Verfassung
ohne Unterschied der Stände u. des Eigentums. Ausartungen
waren die Adamiten (s. d.) und Picarden (s. d.). Der niedere Adel,
die Bürgerschaft der Städte und die Masse des Landvolkes
schlossen sich meist den T. an. Ihre Führer waren Nikolaus von
Pistna (Hus) und Ziska, dann die beiden Prokope. Im Kampf gegen die
deutschen Kreuzheere zeigten sie sich tapfer und
unüberwindlich; war die Gefahr vorbei, so wandte sich ihr
Haß gegen die Gemäßigten (Kalixtiner), und sie
verheerten Böhmen und die Nachbarländer durch
Plünderungszüge, bis sie durch die gemäßigte
Partei in der Schlacht bei Böhmisch-Brod 30. Mai 1434
vernichtet wurden. Vgl. Krummel, Utraquisten und T. (in der
"Zeitschrift für historische Theologie" 1871); Preger,
über das Verhältnis der T. zu den Waldesiern (Münch.
1887). Täbris, Stadt, s. Tebriz. 486 Tabu - Tachometer. Tabu (Tapu), nach einem aus der Sprache der
Südseeinsulaner herrührenden Wort s. v. w. unverletzlich.
So gelten bei Naturvölkern die Person des Häuptlings,
Begräbnisplätze, Kultstätten etc. an sich als t.;
aber man wußte auch jede beliebige andre Örtlichkeit,
einen Baum, verlassene Wohnungen, ja ein einzelnes
Besitzstück, vor Annäherung, Berührung oder Wegnahme
zu schützen, indem man sie mit einem einfachen Faden, in den
unter bestimmten Zeremonien einige Knoten mit oder ohne Fetische
eingeknüpft worden waren, umgrenzte oder umband (s.
Knotenknüpfen). Die Rassenangehörigen waren
überzeugt, daß bei Verletzung dieses Fadens alle
Übel, die der Knotenschürzer hineingeknüpft hatte,
unfehlbar auf sie fallen würden, und so ersetzte der
Aberglaube die noch unausgebildete Sicherheitspolizei bei den
verschiedensten Naturvölkern, denn unter verschiedenen Formen
findet oder fand sich das T. in allen Erdteilen. tabula Amalphitana. s. Amalfi. tabula rasa (lat.), eigentlich abgekratzte, leere
Schreibtafel, auf welcher das mit dem Griffel in den
Wachsüberzug derselben Eingegrabene durch Umkehrung des
Griffels wieder vertilgt worden; daher sprichwörtlich T. r.
machen, s. v. w. alles aufzehren, aufarbeiten, vollständig
beseitigen. Tabularium (lat.), öffentliches Archiv. Tabulat (lat.), gedielter Gang in Klöstern etc. Tabulatur (v. lat. tabula, Tafel), eine seit dem Beginn
des vorigen Jahrhunderts veraltete Tonschrift, welche sich der
Liniensysteme und Notenköpfe nicht bediente, sondern die
Töne nur durch Buchstaben oder Zahlen bezeichnete. Da unsre
Notenschrift auf Linien nur eine abgekürzte
Buchstabentonschrift ist (der Baßschlüssel ist ein
unkenntlich gewordenes F, der Altschlüssel ein c, der
Violinschlüssel ein g), so ist es nicht verwunderlich,
daß die Buchstabentonschrift von A-G älter ist als unser
Notensystem; ihr Ursprung reicht mindestens bis ins 10. Jahrh.
zurück, wenn auch bestimmt nicht bis zu Gregor d. Gr., wie man
früher annahm (vgl. Buchstabentonschrift). Speziell für
die Orgel und für das Klavier war diese sogen. deutsche oder
Orgeltabulatur besonders im 15. und 16. Jahrh. in Deutschland
allgemein üblich; für andre Instrumente, besonders die
Laute (s. d.), hatte man in verschiedenen Ländern verschiedene
eigne Buchstaben- oder Zifferntabulaturen, welche sich aber auf die
Griffe bezogen und je nach Stimmung des Instruments verschiedene
Tonbedeutung hatten. Das Gemeinsame aller Tabulaturen ist eine
eigentümliche Bezeichnung der rhythmischen Werte der Töne
durch über die Buchstaben, resp. Zahlen gesetzte Marken,
nämlich: einen Punkt [....] für die Brevis, einen Strich
| für die Semibrevis, eine Fahne [...] (Häkchen) für
die Minima, eine Doppelfahne [...] für die Semiminima, eine
Tripelfahne für die Fusa und eine Quadrupelfahne für die
Semifusa. Dieselben Zeichen über einem Strich, [...], [...]
etc., galten als Pausen. Später (im 17. Jahrh.) entspricht
aber der Strich | unserm Viertel, [...] dem Achtel, d. h. die
moderne Schreibweise in den kurzen Notenwerten ist von den
Tabulaturen her übernommen worden. Da die Tabulaturen schon im
16. Jahrh. statt der Fähnchen bei mehreren einander folgenden
Minimen etc. die gemeinsame Querstrichelung anwandten, welche die
Mensuralnotenschrift erst zu Anfang des 18. Jahrh. bekam, z. B.
[...] und den Taktstrich durchweg gebrauchten, so sehen jene
Tabulaturen unsrer heutigen Notierung in mancher Beziehung
ähnlicher als die Mensuralnotationen, besonders wenn sie, was
auch vorkam, den Melodiepart auf ein Fünfliniensystem mittels
schwarzer Notenköpfe aufzeichneten, mit denen die rhythmischen
Wertzeichen verbunden wurden. Zahlreiche Druckwerke in
Orgeltabulatur sind auf uns gekommen (von Virdung, Agricola, Paix,
Amerbach, Bernh. Schmid, Woltz u. a.). - Über die T. der
Meistersänger s. Meistergesang. Tabulett (lat.), Kasten aus dünnen Brettern, worin
wandernde Krämer (Tabulettkrämer, Reffkrämer) ihre
Waren herumtragen. Tabun (russ.), die in den russischen Steppen und Feldern
weidenden Pferdeherden. Taburett (franz. Tabouret), Polstersessel, niedriger
Stuhl ohne Arm- und Rücklehne. Tacamahaca, s. Calophyllum. Tacchini (spr. tackini), Pietro, Astronom, geb. 21.
März 1838 zu Modena, studierte an verschiedenen
Universitäten Italiens und ward 1859 Direktor der Sternwarte
seiner Vaterstadt. Seit 1863 an der Sternwarte in Palermo
thätig, hauptsächlich mit Beobachtung der Erscheinungen
an der Sonne beschäftigt, gründete er behufs
systematischer spektroskopischer Beobachtung der Sonne mit Secchi
1871 die Italienische Spektroskopische Gesellschaft, in deren
Memoiren er seitdem den größten Teil seiner Arbeiten
veröffentlicht hat. 1874 beobachtete er in Indien den
Venusdurchgang. Gegenwärtig ist T. Direktor des Collegio
Romano zu Rom. Vgl. "Il passaggio di Venere sul Sole dell' 8-9 dec.
1874, osservato a Muddapur" (Pal. 1875). Tace! (lat.), schweige! Tacet (lat., auch ital. tace oder taci, abgekürzt
tac., "schweigt") bedeutet in Chor- oder Orchesterstimmen,
daß das Instrument (die Stimme) während der betreffenden
Nummer nicht mitzuwirken hat. Tachau, Stadt im westlichen Böhmen, an der Mies,
Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, mit
Dechanteikirche, Franziskanerkloster, Schloß des Fürsten
Windischgrätz, einem Kaiser Joseph-Denkmal, einer Fachschule
für Drechslerei, lebhafter Holzindustrie, Knopffabrikation,
Bierbrauerei und (1880) 4177 Einw. In der Nähe mehrere
Glashütten. Vgl. Stocklöw, Geschichte der Stadt T.
(Tachau 1879). Tacheometer (Tachymeter), s. Theodolit. Tachina, Mordfliege; Tachinariae, s. v. w.
Mordfliegen. Tachira, Sektion des Staats Andes der venezuelan.
Bundesrepublik, an der Grenze von Kolumbien, ist meist gebirgig
(bis 3208 m hoch) und 12,545 qkm (227,8 QM.) groß mit (1873)
68,619 Einw. Landbau bildet die Haupterwerbsquelle, Petroleum ist
gefunden worden. Hauptstadt ist San Christóbal. Tachograph (griech., "Schnellschreiber"), ein dem
Hektograph ähnlicher Apparat zur leichten Herstellung vieler
Abzüge einer Schrift oder Zeichnung. Tachometer (griech., Tachymeter,
"Geschwindigkeitsmesser"), mechan. Vorrichtungen zum Messen der
Geschwindigkeit von Maschinen in jedem Augenblick ihrer Bewegung.
Bei allen bisher konstruierten Tachometern wird die
Zentrifugalkraft der sich bewegenden Maschine als treibendes
Element benutzt. Uhlhorn in Grevenbroich bei Düsseldorf hat um
1817 derartige T., namentlich für Baumwollspinnereien, zuerst
konstruiert. Gegen 1844 trat Daniel mit einem T. zum Gebrauch bei
Lokomotiven hervor, bei welchem ein Zentrifugalpendel auf Gewichte
und Federn wirkt und ein Uhrwerk zur Registrierung des Ganges der
Lokomotive mittels Zeichenstifts auf Pappscheiben in 487 Tachopyrion - Tacitus. Bewegung setzt. Vervollkommt wurde dieses T. durch Dato (s.
Stathmograph). Donkin in England hat das Ausfließen von
Quecksilber zum Messen der Geschwindigkeit benutzt. Dieses
Konstruktionsprinzip ist durch Schäfer und Buddenberg in
Magdeburg für die Praxis weiter entwickelt worden.
Hydrotachometer (Hydrometer) sind Instrumente zur Bestimmung der
Geschwindigkeit fließenden Wassers, also s. v. w. Strommesser
(s. Fluß, S. 410). Vgl. Schell, Die Tachymetrie (Wien
1880). Tachopyrion (griech.), s. Feuerzeuge. Tachygraphie (griech.), s. Stenographie. Tachyhydrit (fälschlich Tachhydrit), Mineral aus der
Ordnung der Doppelchloride, kristallisiert rhomboedrisch, ist
wachs- bis honiggelb, durchsichtig bis durchscheinend,
zerfließt sehr schnell an der Luft (daher der Name) und
besteht aus Chlorcalcium, Chlormagnesium und Wasser
CaCl2+2MgCl2+12H2O. Es findet sich in rundlichen Massen im dichten
Anhydrit der Abraumsalze von Staßfurt. Tachylyt, Gestein, s. Basalte, S. 414. Tachymeter, s. v. w. Tachometer; auch ein Distanzmesser
und ein Theodolit besonderer Konstruktion. Tachypetes, Fregattenvogel. Tacitus, Marcus Claudius, röm. Kaiser, geb. 200 n.
Chr., leitete sein Geschlecht vom Historiker T. ab und befahl,
dessen Werke in allen Bibliotheken aufzustellen und zehnmal
jährlich auf Staatskosten abzuschreiben. Er ward nach Kaiser
Aurelians Tod und nach einem sechsmonatlichen Interregnum 25. Sept.
275 gegen seinen Willen vom Senat, dem das Heer die Wahl
freigestellt hatte, zum Kaiser erhoben. Er entsprach durch Milde
und Weisheit vollkommen dem Vertrauen, welches ihn auf den Thron
gehoben hatte, führte auch, als 75jähriger Greis, einen
glücklichen Krieg gegen die Alanen, ward aber schon nach sechs
Monaten (April 276) zu Tyana in Kleinasien von den zügellosen
Soldaten erschlagen. Ihm folgte sein Bruder Florianus T., der nach
drei Monaten dasselbe Schicksal hatte. Tacitus, (Publius?) Cornelius, berühmter röm.
Geschichtschreiber, geboren um 54 n. Chr., war zuerst mit
Auszeichnung als Sachwalter und Redner in Rom thätig, wurde,
wahrscheinlich 79, Quästor, dann, wahrscheinlich 81,
Volkstribun oder Ädil, 88 Prätor, brachte hierauf vier
Jahre, 90-94, vielleicht als Statthalter einer Provinz,
außerhalb der Hauptstadt zu und bekleidete 97 das Konsulat.
In öffentlicher Thätigkeit erscheint er uns zuletzt 100,
wo er mit dem jüngern Plinius, seinem Freund, in einem
bedeutenden Prozeß als Ankläger auftrat. Er starb nach
117. Seine frühste Schrift ist der "Dialogus de oratoribus",
welcher von den Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit seit der
Kaiserzeit handelt, eine geistvolle, leider lückenhaft auf uns
gekommene Schrift, wahrscheinlich um 80 verfaßt, die man T.
wegen mancher sprachlicher und stilistischer Verschiedenheiten von
den spätern Schriften mit Unrecht abgesprochen hat. Hierauf
folgten 98 zwei andre kleinere Schriften. "De vita et moribus
Agricolae" und die sogen. "Germania" (eigentlicher Titel: "De
origine, situ, moribus ac populis Germanorum"), ersteres die
Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters, letzteres die bekannte,
für uns Deutsche ungemein wertvolle, mit
bewunderungswürdigem Sinn für die Eigentümlichkeiten
eines Naturvolkes abgefaßte Schilderung des damaligen
Deutschland. Des T. beide Hauptwerke aber sind die "Historiae" und
die sogen. "Annales" (eigentlicher Titel: "Ab excessu divi
Augusti"), erstere in 14 Büchern die Geschichte seiner Zeit
von 69 bis 96 n. Chr., letztere, welche später als die
Historien verfaßt und zwischen 115 und 117 herausgegeben
sind, in 16 Büchern die Geschichte des Julisch-Claudischen
Hauses von Augustus' Tode (daher der Titel) von 14 bis 69
enthaltend, so daß beide zusammen ursprünglich die
vollständige Kaisergeschichte von Tiberius bis zum Tode
Domitians umfaßten; von beiden sind nur Teile erhalten, von
den Historien die vier ersten Bücher und ein Teil des
fünften, nicht volle zwei Jahre, 69-70, umfassend, von den
Annalen die sechs ersten (mit einer Lücke zwischen dem
fünften und sechsten Buch), Tiberius' Zeit (14-37), und die
sechs letzten (zu Anfang und zu Ende unvollständigen)
Bücher, Claudius' Regierung und Neros Geschichte 47-68. In
beiden Werken herrscht die annalistische Anordnung des Stoffes
durchaus vor. Sie beruhen auf eingehenden und umfänglichen
Quellenstudien und sorgfältiger Kritik, wenn sie auch
hinsichtlich selbständiger Forschung und genauer Kenntnis
aller Verhältnisse, besonders des Militärischen und der
Örtlichkeiten, nicht an einen Thukydides und Polybios
heranreichen. Stets bemüht, das Thatsächliche zu
ermitteln und vornehmlich die innern Gründe der Ereignisse aus
den Verhältnissen und den handelnden Persönlichkeiten zu
erklären, zeigt T. sich als Meister in der Charakterzeichnung
und der psychologischen Analyse. Seinem Versprechen, ohne
Parteilichkeit (sine ira et studio) zu schreiben, getreu, strebt er
durchaus nach einer objektiven Darstellung, und wenn man auch
vielfach seine subjektive Ansicht durchfühlt, so darf ihm doch
nie absichtliche Färbung und Entstellung vorgeworfen werden,
wie es in neuerer Zeit mehrfach, namentlich in Bezug auf die
Schilderung des Tiberius, geschehen ist (so von Sievers, "Studien
zur Geschichte der römischen Kaiser", Berl. 1870; Stahr,
"Tiberius", 2. Aufl., das. 1873, u. in der Übersetzung der
ersten sechs Bücher der "Annalen", das. 1871; Freytag,
"Tiberius und T.", das. 1870). Voll von Bewunderung für die
ehemalige Tugend u. Größe Roms, ist er im Herzen
Republikaner, aber ebenso überzeugt, daß das
gegenwärtige Rom wegen des Sittenverfalls, den er aufs
schmerzlichste empfindet, die Republik nicht ertrage; daher der
entsagungsvolle und schwermütige, hier und da sogar bittere
Ton, der sich, auch ohne durch Worte ausgedrückt zu werden,
überall in seinen Schriften kundgibt. Im Gegensatz zu der
heitern Anmut und Fülle seiner Erstlingsschrift wird sein Stil
im Fortschreiten seiner schriftstellerischen Thätigkeit immer
ernster und pathetischer und zeigt eine sich steigernde Neigung zur
rhetorischen Färbung und Annäherung an den poetischen
Ausdruck; dazu kommt das Streben nach Kürze des Ausdrucks bis
zur epigrammatischen Zuspitzung, das sich am eigentümlichsten
und großartigsten in den "Annalen" zeigt. Die erste, aber
noch unvollständige Ausgabe erschien Venedig 1470. Die erste,
durch Hinzufügung der sechs ersten Bücher der "Annalen"
vervollständigte Gesamtausgabe ist die von Beroaldus (Rom
1515). Unter den spätern sind hervorzuheben die von Bekker
(Leipz. 1831, 2 Bde.), Ritter (Bonn 1834-1836, 2 Bde.; Cambridge
1848, 4 Bde.), Orelli (Zürich 1846-48, 2 Bde.; neubearbeitet,
Berl. 1877 ff.); Textausgaben von Haase (Lpz. 1855), Halm (4.
Aufl., das. 1883) und Nipperdey (Berl. 1871-76, 4 Bde.). Auch gibt
es eine große Anzahl von guten Ausgaben einzelner Schriften
des T., so der Annalen von Nipperdey und Andresen (8. u. 4. Aufl.,
Berl. 1884 u. 1880, 2 Bde.), der Historien von Heräus (4.
Aufl., Leipz. 1885,2Bde.) und Wolff (Berl. 1886 ff.); des
"Dialogus" von Michaelis (Leipz. 1868), von Andresen (das. 1872 und
in 488 Tacna - Tadschurrabai der neuen Auflage der Orellischen Gesamtausgabe, Berl. 1877 ff.)
und von Peter (Jena 1877) ; des "Agricola" von Walch (Berl. 1828),
Wex (Braunschw. 1852), Kritz (3. Aufl., Berl. l874), Urlichs
(Würzb. 1875) und Peter (Jena 1876); der "Germania" von Haupt
(3. Aufl., Berl. 1869), Kritz (3. Aufl., das. 1869),
Schweizer-Sidler (2. Aufl., Halle 1874), Holder (Leipz. 1878),
Baumstark (das. 1875-80, 2 Bde.). Unter den deutschen
Übersetzungen sind die von Gutmann (4. Aufl., Stuttg. 1869, 5
Bde.) und Roth (4. Aufl., Berl. 1888) hervorzuheben. Als
Hilfsmittel für die Einsicht in den Sprachgebrauch des T.
dient das "Lexicon Taciteum" von Bötticher (Berl. 1830); ein
neues, weit vollständigeres ist begonnen von Gerber und Greef
(Leipz. 1877 ff.). Vgl. Hoffmeister, Die Weltanschauung des T.
(Essen 1831); Dräger, Über Syntax und Stil des T. (3.
Aufl., Leipz. 1882); Dubois-Guchan, Tacite et son siècle
(Par. 1862, 2 Bde.); Urlichs, De Taciti vita et honoribus
(Würzb. 1879). Tacna, ehemaliges Departement der südamerikan.
Republik Peru, am Stillen Ozean, vom Rio Zama bis zum Rio Camarones
und im Innern bis jenseit der westlichen Kordilleren reichend,
wurde 1884 an Chile (s. d., S. 1022) abgetreten. Die Küste
steigt steil an. Das Innere besteht aus stufenweise zu den
Kordilleren ansteigenden, meist wüsten Hochebenen. Die wenigen
Flüsse nehmen ihren Lauf durch tiefe Schluchten (Quebradas).
Der Tacorapaß (4170 m, s. d.) verbindet T. mit Bolivia.
Fruchtbare Stellen kommen fast nur im nördlichen Teil des
Departements vor. T. hat ein Areal von 22,500 qkm (408,62 QM.) und
(1885) 29,523 Einw. Die Ausfuhr besteht vorwiegend aus Kupfer,
Zinn, Silber, Gold, Koka, Alpako- und Schafwolle. Hauptstadt ist
San Pedro de T., 560 m ü. M., in hübscher Ebene, am
gleichnamigen Fluß, mit (1876) 7738 Einw. T. ist Sitz eines
deutschen Konsuls. Die Stadt wurde 1605 gegründet, hat ein
Colegio, ein Hospital, ein kleines Theater und eine schöne
Alameda. Eine Eisenbahn verbindet sie mit Arica (s. d.). Tacoary, Fluß, s. Taquary. Tacoma, Berg im nordamerikan. Staat Washington, 4400 m
hoch, ein fast erloschener Vulkan mit Gletschern; hieß
früher Mount Rainier. Tacoma, Stadt im nordamerikan. Staat Washington, am
Pugetsund, Endstation einer Pacificbahn, mit großem
Hotel. Tacorapaß (auch Gualillos), ein fahrbarer Paß
der Kordilleren in 17°50' südl. Br., verbindet Tacna mit
Bolivia und ist 4170 m hoch. Nördlich von ihm erhebt sich der
Tacora Pik oder Chipicani (6017 m), ein ausgebrannter Vulkan mit
einer Solfatare in seinem zusammengestürzten Krater; an
demselben liegt das Dorf Tacora, eine der höchsten
Wohnstätten der Erde (4000 m). Tacnarembo, ein Departement des füdamerikan. Staats
Uruguay, ein Hügelland, 21,022 qkm (381,8 QM.) groß mit
(1885) 27,329 Einw., die fast nur Viehzucht treiben (1,034,000
Rinder, 65,000 Pferde, 476,000 Schafe). Gold ist 1859 im Cunapires
entdeckt worden. Hauptstadt ist San Fructuoso mit 3000 Einw. Tacubaya, Villa, 5 km südwestlich von Mexiko, bei
Chapultepec, mit dem Sommerpalast des Erzbischofs von Mexiko, den
Villen reicher Mexikaner, der Militärakademie (Colegio) und
(1880) 7867 Einw. Tacullies, f. Carrierindianer. Tacunga (Llactacunga), Hauptstadt der Provinz Leon in der
südamerikan. Republik Ecuador, am Fuß des Cotopaxi 2780
m ü. M. gelegen, hat ein Colegio, eine Pulverfabrik und 17,000
Einw. Taeda Koch. Gruppe der Gattung Pinus. s. Kiefer, S.
714. Tadcaster, alte Stadt in Yorkshire (England), am
schiffbaren Wharfe, zwischen Leeds und York, mit (1881) 2965 Einw.
Es ist das römische Calcaria. Dabei das Schlachtfeld von
Towton (1461), wo Eduard von York das Lancastrische Heer
besiegte. Tadel, als Äußerung des ästhetischen oder
sittlichen Mißfallens (wie Lob des Gefallens) durch Rede oder
Handlung, unterscheidet sich von diesem selbst dadurch, daß
er unterdrückt werden kann und unter Umständen soll,
während das Mißfallen (und Gefallen) als
unwillkürliches Geschmacks- oder Gewissensurteil sich nicht
hemmen läßt. Tadema, Maler, s. Alma-Tadema. Taedium vitae (lat.), Lebensüberdruß. Tadjainseln, s. Togianinseln. Tadmor, Stadt, s. Palmyra. Tadolini, 1) Adamo, ital. Bildhauer, geb. 1789 zu
Bologna, bildete sich auf der Kunstschule daselbst, dann in Ferrara
und Rom und erhielt 1811 eine Professur in Bologna. Von seinen
Werken sind zu nennen: Venus und Amor; Ganymed, der den Adler
tränkt; die Bacchantin, für das Museum Borghese, der Raub
Ganymeds; das Grabmal des Kardinals Lante, für die Stadt
Bologna, und eine große Anzahl Büsten. Zu seinen
kirchlichen Hauptwerken gehört die Statue des heil. Franz von
Sales in der Peterskirche zu Rom. Er arbeitete in der Richtung
Canovas. T. starb 23. Febr. 1868 in Rom. 2) Eugenia, ital. Bühnensängerin, Gattin des
Komponisten Giovanni T. (geb. 1793 zu Bologna, gest. 1872
daselbst), geb. 1810 zu Florenz, trat zuerst daselbst, dann in
Venedig und endlich an der Italienischen Oper in Paris auf. Nach
der Scheidung von ihrem Gatten (1834) kehrte sie nach Italien
zurück, wo sie sich auf allen ersten Bühnen bis 1850 der
größten Beliebtheit zu erfreuen hatte, namentlich in den
von Mercadante ("Schwur") und Donizetti ("Lucia", "Don Pasquale",
"Regimentstochter", "Linda") für sie geschriebenen Opern. Auch
in Wien feierte sie die größten Triumphe. Tadorna, s. Enten, S. 671. Tadousac (spr. tadusak), Dorf in der brit.-amerikan.
Provinz Quebec, an der Mündung des Saguenay in den St.
Lorenzstrom, der erste Ort, an welchem die Franzosen in Amerika ein
steinernes Haus bauten, jetzt als Badeort vielbesucht. Tadsch (Tadschmahal), ein Mausoleum, s. Agra. Tadschik (auch Dihkan, "Landleute", und Dihvar,
"Dorfbewohner", od. Parsevan, "Perser", genannt), die
ansässige, Ackerbau treibende Bevölkerung Irans, welche
zur iranischen Völkerfamilie gehört und durchgehends die
persische Sprache spricht. Sie finden sich in Ostiran
(Afghanistan), in Kabul und Herat, in Balch, Chiwa, Bochara sowie
in Badachschan bis gegen die Hochebene Pamir und in Kaschgarien
unter dem angeführten Namen, während sie im westlichen
Iran (Persien) unter dem speziellen Namen der Perser (Farsi)
bekannt sind. Als Handel treibendes Volk trifft man sie auch
vielfach außer Landes, östlich bis nach China und
westlich bis Orenburg und Kasan. Die östlichen T.
unterscheiden sich von den Persern durch manche körperliche
Eigenschaften und bewahren auch verschiedene altertümliche
Sitten und Gebräuche. Vgl. Afghanistan, S. 143, Persien, S.
866, etc. Tadschurrabai, tief eindringende Meeresbucht in
Nordostafrika, an der Danakilküste, westlich von Bab Ta-dse - Taft. 4^9 el Mandeb, deren Einfahrt im N. Ras Bir, im
S. Ras Dschebuti markiert. In derselben liegen die früher
England, jetzt Frankreich gehörigen Muscha-inseln; an der
Nordseite die Ortschaften Obok (s. d.), Tadschurra, Ambado,
Sagallo. Ta-dse, Volk, s. Orotschen. Tael (spr. tehl, chines.
Liang), Gewicht und Rech-nungsgeld, in China a 10 Mace a 10
Candarin a 10 Käsch; in Schanghai 1 T. = 34,246 g fein Silber,
=6,164 Mk., etwa 2,75 Proz. mehr alsderRegierungs-(Haikuan-) T.
für Zölle und Tonnengelder. Im aus-wärtigen Handel
rechnet man 72 T. = 100 mexikan. Dollar; mithin ist 1 T. = 33,^87 g
fein Silber = 6 Mk. 1 Kanton- T. als Gold- und Silbergewicht =
37,573 g; 16 Taels = 1 Kin oder Kätty; als Han-delsgewicht =
37,79.^ g. Tafalla, Bezirksstadt in der span. Provinz Navarra, an
der Eisenbahn Alsasua-Saragossa, mit altem Schloß und (1878)
6040 Einw. Tafelauffa.^, ein zum Schmuck der Tafel dienendes
Schaustück, zumeist aus Edelmetall (Silber und ver- goldetem
Silber), in neuerer Zeit auch aus Bronze. Der T. hat
gewöhnlich die Gestalt einer flachen, von einem hohen
Fuß getragenen Schale, aus welcher ein kelchförmiger
Aufsatz zur Aufnahme von Blumen emporsteigt. Dieser Grundform
^entspricht der be-rühmte T. von Iamnitzer (s. Tafel
"Goldschmiede-kunst", Fig. 3). Doch wurden in der gotischen und
Renaissan^zeit auch Tafelaufsätze in der Gestalt von
phantastischen oder tropischen Tieren (Elefanten, Straußen
etc.), von Schiffen (das "glückhafte Schiff"), Brunnen,
Festungen etc. angefertigt. Die neuere Gold-schmiedekunst hat die
Tafelaufsätze durch Anordnung von Schalen neben- und
übereinander, durch Verbin-dung von Kristall mit Edelmetall
noch reicher gestaltet. Tafelbai, große Bai an der
Südwestküste des Kap- landes, offen und daher trotz
vielfacher Verbefserun- gen nicht sicher. An derselben liegt die
Kapstadt und hinter dieser der Tafelberg (1072 m), welcher oben
eine 2 km breite vollständige Ebene hat. Tafelbauaue, s.
Heliconia. Tafelberg, s. Tafelbai. Tafelbild, ein auf einer
Holztafel gemaltes Bild; dann im Gegensatz zur Wandmalerei jedes
beweg-liche, also auch auf Leinwand gemalte Bild; danach
Tafelmalerei, die Malerei auf Holzplatten. Tafelbouillou, s.
Bouillontafeln. Tafeldru.k, Zeugdruck mit Applikations- (Tafel-)
Farben, s. Zeugdruckerei. Tafelfichte, die höchste Spi.tze des
Isergebirges (s. d.), 1123 m hoch. Tafelgefchäft (auch
Handverkauf genannt), im Bankgeschäft der Verkauf von Effekten
an die Stamm-kunden der Bank. Tafelgüter (Bona mensalia), zum
Unterhalt des landesherrlichen Hofs, besonders in den ehemaligen
geistlichen Staaten, bestimmte Güter. Sie hießen, wenn
in Lehngütern bestehend, Tafellehen. Vgl. Domäne.
Tafella^, s. Schellack. Tafelland, Hochebene größerer
Ausdehnung; be- sonders eine Hochebene, welche sich nur einseitig
an ein Gebirge anschließt und, aus ungefähr
horizonta-len Schichtsystemen zusammengesetzt, gewöhnlich in
mehreren Stufen gegen das Tiefland abfällt. P la-teau
würde in dieser Ausscheidung des engern Be-griffs als Synonym
von T. aufzufaffen sein. Die Plateaus der Kalkalpen, des Karstes,
die von Süd-afrika u. a. sind Beispiele solcher
Tafelländer. Tafelruude, in der Sage der Kreis von Helden, die
zu des britischen Königs Artus Hofhaltung gehör- ten und
von ihm um eine runde Tafel, um die Gleich-heit der an ihr
Sitzenden zu bezeichnen, an seinen Hoffesten versammelt wurden.
Weiteres s. Artus. Tafelfchiefer, s. Thonschiefer. Tafelspat, s. v.
w. Wollastonit. Tafelstein, s. Edelsteine, S. 314. Täfelwerk^
(Täfelung, Intabulation), Beklei- dung der Wände und
Decken in Zimmern und Sä-len mit gefalzten oder genuteten
Brettern, befser mit Rahmhölzern und Füllungen, welche
beim Schwin- den des Holzes keine Spalten zeigen. Hartes, z. B.
Eichenholz, ist, weil es weniger leicht stockt oder fault, weichem,
z. B. Tannen- oder Kiefernholz, vorzu^ie-hen und bei Anwendung des
letztern das T. in einem Abstand von 15-25 mm von der
Wandfläche anzu- bringen. Bei einfachern Gebäuden wird
das T. mit gekehlten Rahmhölzern, bei Prachtbauten mit
Schnitz-werk versehen. Die Firnisse oder Ölanstriche, welche
man demselben zur Verbesserung seines äußern An-sehens
meist in Naturfarbe gibt, tragen zugleich zum Schutz des Holzes
gegen Feuchtigkeit bei. Die Holz- bekleidung ganzer Wände,
welche un Mittelalter nicht selten und oft sehr kunstvoll
ausgeführt war, wovon unter anderm Nürnberg und die^
Feste Koburg treff-liche Beispiele geben, wird in der Gegenwart
meist auf die untern Teile derselben (Brüstungen, Lam- bris)
beschränkt und das T. hierbei mit Fuß- und Deckleiste
versehen. Vgl. Fink, Der Bautischler (Leipz. 1867-69, 2 Bde.).
Tasseh, türk. Gewicht für Seide, = 1,954 kg. Taffia, f.
v. w. Rum. Tafilet (Tafilelt), große Oase in Marokko, im S.
des Atlas, unter 31° nördl. Br. und 3° 30^ westl. L.
v. Gr., die südlichste einer vom Wadi Sis durchzogen nen Reihe
von Oasen, wird von diesem wie von meh-reren andern Wadis
bewässert, welche aber nur im Frühjahr Wasser führen
und dann im südlichsten Teil der Oase dieSebchaDaya elDura
bilden. Berg- züge, darunter der Dschebel Belgrüll im
NW., um- schließen fast ringsum den 1000 qkm messenden Raum,
welcher wegen der mangelhaften Bewässerung nur für
Dattelpalmen geeignet ist; die Datteln von T. sind aber auch als
die vorzüglichsten der Wüste bekannt, nur selten ist der
Anbau von Weizen, Gerste, Klee möglich. Datteln sind der
bedeutendste Aus-fuhrartikel, daneben gegerbte Felle,
Straußfedern, Sklaven und Goldstaub. Fast alle
europäischen Wa-ren werden in den Bazaren verkauft. Die ca.
100,000 Einw., teils Araber, teils Berber, wohnen in 150
Dörfern oder Ksurs, unter welchen Er Rissani, Sitz des
Gouverneurs, das größere, Abuam aber durch Industrie und
Handel viel bedeutenderist. DieBewoh-ner der einzelnen Ksurs leben
in beständigem Kampf miteinander. Nahe bei Abuam die Ruinen
des im Mittelalter berühmten Sedjelmafsa. Vgl. Rohlfs, Reise
durch Marokko (Brem. l 869). Tafna, Küstenfluß in der
alger. Provinz Oran, bekannt durch die Kämpfe zwischen
Franzosen und Kabylen 26. -28. Ian. 1836. An der T. schlossen di^
Franzosen 30. Mai 1837 Frieden mit Abd el Kader. Taft, großes
Dorf in der persischen Provinz Ira.^ Adschmi, südwestlich
unweit Iezd, mit 5000 Einw , einer der Hauptwohnsitze von
Feueranbetern, besitzt einen hübschen Bazar, ein kleines Fort
und viele schöne Gärten und ist berühmt wegen der
Fabrikation einer vorzüglichen Filzsorte. Taft (Taffet),
lein1vandartig gewebter Stoff aus entschälter Seide mit
Organsinkette und Einschlag von Tramseide, meist schwarz, aber von
verschiedener 490 Taftpapier - Taganrog. Dichtigkeit. Hiernach unterscheidet man ganz leichten Futtertaft
(Avignon, Florence), etwas schwerern Kleidertaft, Doppeltaft
(Marcelline) und Gros (mit vielen Beinamen, wie de Naples, de
Tours, d'Orleans etc.), welcher auf der Oberfläche eine Art
regelmäßiger Körnung zeigt oder, wenn starke mit
schwachen Fäden wechseln, gerippt erscheint. Taftpapier, einseitig gefärbtes und mit Glanz
versehenes Papier. Tag (lat. Diës), entweder die Dauer eines
scheinbaren Umlaufs des Fixsternhimmels oder der Sonne um die Erde,
oder im gewöhnlichen Sinn: die Zeit des Verweilens der Sonne
über dem Horizont, im Gegensatz zur Nacht, während
welcher sie sich unter dem Horizont befindet. Bestimmter nennt man
Sterntag die Dauer eines scheinbaren Umlaufs des Fixsternhimmels
oder einer Rotation der Erde um ihre Achse. Die Dauer des Sterntags
ist so gut wie unveränderlich, wenn auch gewisse
Unregelmäßigkeiten der Mondbewegung eine geringe
Veränderung andeuten, während zugleich in der Wirkung der
Flutwelle (wie schon Kant bemerkt hat) und in den durch
allmähliche Erkaltung der Erde, durch Einstürze u. dgl.
in ihrem Innern bedingten Massenumsetzungen Ursachen für eine
Veränderung gegeben sind. Der Sterntag beginnt im Augenblick
der obern Kulmination des Frühlingspunktes. Er wird in 24
gleich lange Stunden zu 60 Minuten zu 60 Sekunden geteilt;
Zeitangaben in diesem Maß nennt man Sternzeit. Obwohl uns nun
die Natur in der Rotation der Erde um ihre Achfe das
gleichförmigste Zeitmaß darbietet, so ist doch der Auf-
und Untergang der Sonne von so überwiegender Wichtigkeit
für das bürgerliche Leben, daß man in diesem nicht
nach Sterntagen, sondern nach Sonnentagen rechnet. Wahrer Sonnentag
ist die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden mittägigen
Kulminationen der Sonne. Da aber dieser Zeitraum infolge der
Ungleichförmigkeit der Bewegung der Sonne am Fixsternhimmel im
Lauf des Jahrs nicht unbeträchtlichen Veränderungen
seiner Dauer unterliegt (vgl. Sonnenzeit), so benutzt man den
jährlichen Mittelwert desselben unter dem Namen mittler T.
(bürgerlicher T.). Derselbe beträgt 24 Stunden 3 Min.
56,6 Sek. Sternzeit und wird ebenfalls in 24 gleiche Stunden zu 60
Minuten zu 60 Sekunden eingeteilt. Die in diesem Maß
ausge-drückte Zeit heißt mittlere Zeit; sie wird von
unsern mechanischen Uhren angegeben und sowohl im bürgerlichen
Leben als auch in der Wissenschaft angewandt. Die christlichen
Völker beginnen den T. mit Mitternacht und zählen
während desselben ziemlich allgemein zweimal 12 Stunden. Die
Astronomen aber fangen den T. erst mit dem Mittag an und
zählen die Stunden bis 24. Es bedeutet also die astronomische
Angabe "Juli 23, 19h 12m" so viel wie "7 Uhr 12 Min. vormittags am
24. Juli" (h=hora, Uhr; m=Minuten). Man bezeichnet den Zeitraum von
24 Stunden auch als künstlichen T., im Gegensatz zum
natürlichen T., worunter man die Zeit des Verweilens der Sonne
über dem Horizont versteht. Am Äquator beträgt der
letztere jahraus jahrein 12 Stunden; an andern Punkten der Erde ist
dies nur im Frühlings- und im Herbstanfang, wenn die Sonne im
Äquator steht, der Fall. Sobald die Sonne sich nördlich
über den Äquator erhebt, werden auf der nördlichen
Hemisphäre der Erde die Tage immer länger, und für
die Orte zwischen Äquator und Polarkreis (66 1/2° Br.)
erreicht der T. seine größte Dauer, wenn die Sonne im
Wendekreis des Krebses steht (Sommersolstitium). Von da nimmt die
Tageslänge wieder ab, erreicht den Wert von 12 Stunden im
Herbstanfang und den kleinsten Wert (24 Stunden weniger des
längsten Tags), wenn die Sonne im Wendekreis des Steinbocks
steht (Wintersolstitium). worauf er wieder wächst. Für
die südliche Erdhalbkugel dagegen tritt der längste T.
ein, wenn die Sonne im Wendekreis des Steinbocks, der
kürzeste, wenn sie im Wendekreis des Krebses steht. Die
Größe t des halben Tagbogens für den längsten
T. in der Breite f erhält man aus der Formel cos t=-tan f.tan
23 1/2; je 15 Bogengrade entsprechen einer Stunde. Es ergeben sich
auf diese Weise folgende Werte: Breite f Tagbogen 2t Längster Tag 0° 180° 0,0' 12 Stunden 0 Minuten 5° 184° 21,0' 12 Stunden 18 Minuten 10° 188° 50,5' 12 Stunden 35 Minuten 15° 193° 21,2' 12 Stunden 53 Minuten 20° 198° 10,3' 13 Stunden 13 Minuten 23 1/2° 201° 42,1' 13 Stunden 27 Minuten 25° 203° 20,8' 13 Stunden 33 Minuten 30° 209° 0,7' 13 Stunden 56 Minuten 35° 2l5° 22,5' 14 Stunden 21 Minuten 40° 222° 42,0' 14 Stunden 51 Minuten 45° 231° 25,7' 15 Stunden 26 Minuten 50° 242° 16,3' 16 Stunden 9 Minuten 55° 256° 34,8' 17 Stunden 6 Minuten 60° 277° 26,7' 18 Stunden 30 Minuten 65° 317° 0,8' 21 Stunden 8 Minuten 66 1/2° 360° 0,0' 24 Stunden 0 Minuten Für den Polarkreis beträgt der längste T. 24
Stunden; für die dem Pol noch näher liegenden Orte aber
geht schon vor der Sommersonnenwende die Sonne nicht mehr unter, es
ist dann immerwährender T., dessen Dauer mit der
Annäherung an den Pol zunimmt und für diesen selbst ein
halbes Iahr beträgt. Dem immerwährenden T. entspricht ein
halbes Jahr später die gleich lange immerwährende Nacht.
Der immerwährende T. währt so lange, als die Poldistanz
(90° weniger der Deklination) der Sonne kleiner ist als die
geographische Breite; seine Dauer ist 1 Monat in 67° 23' Breite 4 Monate in 78° 11' Breite 2 Monate in 69° 51' Breite 5 Monate in 84° 5' Breite 3 Monate in 73° 40' Breite 6 Monate in 90° 0' Breite Bei verschiedenen orientalischen Völkern, auch den
Israeliten, ferner bei Griechen und Römern wurde im Altertum
der natürliche T. und ebenso die Nacht in 12 gleich lange
Stunden geteilt, deren Dauer in den verschiedenen Jahreszeiten
verschieden war (horae temporales bei den Römern, während
die immer gleich langen horae aequinoctiales hießen). Vgl.
Bilfinger, Der bürgerliche T. (Stuttg. 1888). - T. heißt
auch eine im voraus bestimmte Versammlung, z. B. Landtag,
Reichstag, Fürstentag etc. Tag, der bergmännische Ausdruck für
Erdoberfläche, im Gegensatz zu den unterirdischen
Grubenräumen, daher die Ausdrücke "über" und
"unterTage". Tagal, Stadt, s. Tegal. Tagala (Tekela), Berglandschaft im südlichen
Kordofan, vom Sirga durchflossen. Tagálen, Volk, s. Philippinen, S. 1004. Taganai, ein Berg des südlichen Urals, im russ.
Gouvernement Ufa, Kreis Slatoust, 1203 m hoch, berühmt durch
seine Aventurine. Taganrog, Hafenstadt im russ. Gouvernement
Jekaterinoslaw, am nordöstlichen Ufer des Asowschen Meers, auf
einer Landzunge, 30 km westlich von der Mündung des Don, an
der Eisenbahn Charkow-Rostow gelegen, hat 11 Kirchen (darunter 10
griechisch-russische), eine Synagoge, ein griechisches Kloster
(Jerusalemkloster), ein kleines kaiserliches Palais, in welchem
Alexander I. 1825 starb, ein Denkmal des 491 Tagblindheit - Tagewählerei. genannten Kaisers (1831 errichtet), 2 Gymnasien (eins für
Knaben und eins für Mädchen), ein Theater, eine
Börse und (1885) 56,047 Einw. (sehr viele Griechen und Juden,
aber auch Armenier, Italiener und Deutsche). T. ist einer der
wichtigsten Handelsplatze Südrußlands. Die weite Reede
ist flach und durch Sandbänke gefährlich. Die Ausfuhr
betrug 1887: 14 Mill., die Einfuhr 2 Mill. Rubel. Ausfuhrartikel
sind hauptsächlich: Weizen, Butter, Leinsaat und Talg;
Gegenstände der Einfuhr: Früchte, Wein, Öl und
Metallfabrikate. Die Gewerbthätigkeit ist gering. Im Hafen
liefen 1887: 868 Schiffe mit 483,152 Ton. ein, außerdem im
Küstenverkehr 1465 Fahrzeuge mit 282,800 Ton. Die
Militär- und Zivilverwaltung liegt in den Händen eines
Stadtpräfekten. T. war ursprünglich eine Festung, die
1698 von Peter I. angelegt und nach ihrer Schleifung infolge des
Friedens am Pruth (1711) von Katharina II. 1769 wiederhergestellt
ward. Es wurde 22. Mai 1855 von einer englisch-französischen
Flotte bombardiert und teilweise zerstört. Tagblindheit (Nachtsehen, Nyktalopie, Coecitas diurna),
Mangel des Gesichts, der darin besteht, daß die Kranken bei
Tag und besonders gegen Mittag schwachsichtig oder blind sind, mag
sie nun Licht oder Dämmerung umgeben, während sie des
Nachts, vorzüglich gegen Mitternacht, bei Kerzen- oder bei
Mondlicht am besten sehen. Die Krankheit befällt fast immer
beide Augen zu gleicher Zeit. Die wahre T. ist eine rein
periodische Krankheit und hängt nicht von dem Grade des Lichts
ab wie die symptomatische T. Beide beruhen auf einem
Reizungszustand der Retina, in welchem dieselbe helles Licht nicht
verträgt. Als Ursachen der T. werden genannt verschiedene
Krankheiten des Auges und des Körpers überhaupt, ferner
Entwöhnung vom Licht, erbliche Anlage und endemische
Einflüsse. Die Prognose hängt von den Ursachen ab. Die
als reines Lokalleiden der Netzhaut auftretende T. pflegt in 2-3
Monaten zu verschwinden, macht aber bisweilen, selbst zu bestimmten
Jahreszeiten, Rückfälle. Die durch Entwöhnung vom
Licht entstandene T. geht bei falscher Behandlung des Auges leicht
in vollkommene Blindheit über. Außer der Beseitigung der
Ursachen hat die ärztliche Behandlung namentlich darauf zu
sehen, daß der Kranke seine Augen längere Zeit hindurch
vollkommen ruhen lasse und sie erst ganz allmählich dem
Lichtreiz wieder aussetze. In nordischen Ländern ist der
Gebrauch einer Schneebrille als schützendes Mittel zu
empfehlen. Tagbogen, der Teil des Tagkreises, den ein Gestirn im
täglichen Umschwung um die Erde oberhalb des Horizonts
beschreibt, im Gegensatz zu dem unterhalb des Horizonts gelegenen
Teil, dem Nachtbogen. Tagebau, im Gegensatz zum Grubenbau Abbauanlagen
über Tag; vgl. Bergbau, S. 723. Tagebruch, Einsenkung der Erdoberfläche, entstanden
durch Einsturz alter bergmännischer Anlagen. Tagebuch, s. v. w. Journal (s. Buchhaltung, S. 565). Bei
der doppelten Buchführung paßt die Bezeichnung T. nur
dann, wenn die Übertragungen aus den Vorbüchern
täglich erfolgen, wie dies bei der französischen
Buchhaltung geschieht. Über die Tagebücher der Makler s.
Makler, S. 135. Tagegelder, s. Diäten. Tagekranz, s. Hängebank. Tagelied (Tageweise, Wächterlied), eine Gattung des
mittelalterlichen Minnegesangs, welche balladenartig das Scheiden
zweier Liebenden schildert, woran der Turmwächter, den
anbrechenden Tag verkündend, mahnt. Diese Dichtungsform war in
der Provence erfunden, wurde aber in Deutschland schon früh
nachgeahmt und hier, teils mit der Figur des Wächters, teils
ohne dieselbe als bloßes Scheideduett, bald sehr
populär; als größter Meister derselben erscheint
Wolfram von Eschenbach. Später übernahm das Volkslied die
Pflege der Tageweisen, die in der Reformationszeit auch eine
geistliche Umdeutung erfuhren, wodurch die sogen. geistlichen
Wächterlieder entstanden, als deren letztes das noch heute
gesungene Lied "Wachet auf, ruft uns die Stimme" von Ph. Nicolai zu
nennen ist. Vgl. Bartsch, Gesammelte Vorträge und
Aufsätze (Freiburg 1883); Gruyter, Das deutsche T. (Leipz.
1887). Tagelöhner, derjenige, welcher gegen Tagelohn
arbeitet. Vgl. Arbeitslohn, S.759. Tages, nach röm. Mythus der Sohn eines Genius und
Enkel des Jupiter, tauchte bei Tarquinii in Etrurien aus der Furche
eines frisch gepflügten Feldes plötzlich empor und
lehrte, ein Knabe von Ansehen, ein Greis an Weisheit, den Etruskern
die Haruspizien (s. Haruspices), die dann von ihnen in den Libri
tagetici aufgezeichnet wurden. Tagesbefehl, s. v. w. Parolebefehl, s. Parole. Tagesgeschäft, Tageskauf, im Gegensatz zum
Lieferungsgeschäft (s. d.) und zum Lieferungskauf (s. d.)
dasjenige Geschäst, bei welchem die Ware unmittelbar (oder
auch je nach den Börsenusancen mit gewisser Frist) nach
Abschluß des Geschäfts übergeben wird. Tageshelle, s. Diffusion des Lichts. Tagesordnung, bei beratenden und beschließenden
Versammlungen das Verzeichnis und die Reihenfolge der zur Beratung
kommenden Gegenstände, welche für die jeweiligen
Sitzungen im voraus auf- und festzustellen sind; daher heißt
zur T. übergehen s. v. w. auf einen Antrag etc. nicht weiter
eingehen. Geschieht dies unter der Angabe von Gründen, so
spricht man von einer motivierten T., welche als eine mildere Form
der Ablehnung eines Antrags gilt. Tagesregent, in der Astrologie derjenige der sieben
Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, der
auf die erste Stunde eines jeden Wochentags kommt, wenn man die
erste Stunde des Sonnabends dem Saturn, die zweite dem Jupiter
etc., die achte wieder dem Saturn u. s. f. in obiger Weise zuteilt.
Sonach sind Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus
die Regenten der Wochentage, vom Sonnabend angefangen, weshalb
letztere auch die Namen dies Saturni (engl. saturday). d. Solis
(engl. sunday), d. Lunae (Montag, ital. lunedi) , d. Martis (ital.
martedI) , d. Mercurii (ital. mercord1), d. Jovis (ital. gioved1)
und d. Veneris (ital. venerdi) führen. Tagewählerei, in Luthers Bibelübersetzung (5.
Mos. 18, 10) der Glaube an Glücks- oder Unglückstage bei
den Juden, der sich aber fast bei allen Kulturvölkern findet
und bis heute nicht geschwunden ist. Über die T. der Griechen
belehrt uns das Hesiodsche Gedicht "Werke und Tage"; bei den
Römern galten alle auf die Iden folgenden Tage als
unglücklich, und dazu kamen die drei großen
Unglückstage: 7. Mai, 8. Juli und 8. Nov., die den Toten
gewidmet waren. An solchen Unglückstagen, deren Zahl sich
durch die Daten verlorner Entscheidungsschlachten oder sonstiger
nationaler Unglücksfälle vermehrte, durften keine neuen
Unternehmungen, Feldzüge, Bauten, Reisen, Ehen etc. begonnen
werden; für die Eheschließung galt auch der ganze Monat
Mai für unglücklich. Bei den alten Germanen galten die
den Hauptgöttern Wuotan und Donar heiligen Wochentage (Montag
und Donnerstag) für Glückstage, 492 Tagewasser - Tahiti. Dienstag und Freitag für unglücklich, und der Freitag
gilt noch heute unzähligen Menschen als ein Tag, an dem man
nichts beginnen darf. Im Mittelalter dehnte sich die T. bis auf die
im Kalender verzeichneten Tage aus, an denen es gut sei, Haare zu
schneiden, zu purgieren etc. Besonders lebendig ist die T. heute
noch bei den Russen und Finnen, Indern, Chinesen und Japanern. Vgl.
Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche (Stuttg.
1878). Tagewasser, im Bergbau das von der Erdoberfläche in
die Grube gelangende Wasser. Tagewerk, früher ein in manchen Gegenden
Deutschlands gebräuchliches Feldmaß, eigentlich so viel
Land, wie ein Ackersmann in einem Tag bestellen kann, also etwa s.
v. w. Morgen. Tagfahrt, s. v. w. Termin. Tagfalter (Diurna, Rhopalocera), Familie aus der Ordnung
der Schmetterlinge (s. d., S. 556). Taggia (spr. taddscha), Stadt in der ital. Provinz Porto
Maurizio, Kreis San Remo, am Fluß T. und an der Eisenbahn
Genua-Nizza, unweit der ligurischen Küste, an welcher sich ein
kleiner Hafen (Arma di T.) befindet, hat ein Gymnasium, mehrere
Kirchen, Weinbau und (1881) 4046 Einw. Tagil, Fluß im russ. Gouvernement Perm, kommt aus
dem Ural im Kreis Jekaterinenburg, fließt an den
Hüttenorten Werchne-Tagilsk und Nishne-Tagilsk (s. d.)
vorüber und ergießt sich nach einem Laufe von 270 km in
den Fluß Tura. Tagkreis, dem Himmelsäquator paralleler Kreis,
welchen ein Gestirn bei der täglichen scheinbaren Rotation des
Himmelsgewölbes beschreibt. Tagliacozzo (spr. talja-), Stadt in der ital. Provinz
Aquila, Kreis Avezzano, mit hoch gelegenem Schloß und (1881)
3142 Einw. Hier 23. Aug. 1268 Schlacht zwischen Karl von Anjou und
Konradin (s. d.) von Schwaben, in der letzterer besiegt wurde. Vgl.
Köhler, Zur Schlacht von T. (Bresl. 1884). Tagliamento (spr. talja-), Fluß in Venezien,
entspringt in den Friauler Alpen, fließt anfangs
östlich, wendet sich dann südlich, ist von Latisana an
für Barken schiffbar und mündet nach einem Laufe von 170
km ins Adriatische Meer. An der Mündung liegt der kleine Hafen
Porto del T. Der T. gehört zu den gefährlichsten
Flüssen von Friaul und fließt meist in erhöhtem,
aus Gerölle aufgebautem Bett in dünnen Wasserfäden;
bei Hochwasser überschüttet er aber die Fruchtebene mit
Steinen. Bei Codroipo liegt sein Bett 9 m über der Ebene. -
Nach dem T. war unter Napoleon I. ein Departement Italiens mit der
Hauptstadt Treviso benannt. Tägliche Lieferung, im Lieferungsgeschäft (s.
d.) derjenige Kauf, bei welchem der Käufer berechtigt ist, bis
zu einem bestimmten Termin an jedem Tag die Lieferung zu
fordern. Taglioni (spr.taljoni), berühmte Tänzerfamilie,
aus der zuerst Philipp T., geb. 1777 zu Mailand, einen Namen
gewann; er wirkte nacheinander als Ballettmeister beim Theater in
Stockholm, Kassel, Wien, seit 1840 in Warschau, ließ sich
1853 am Comersee nieder und starb daselbst 11. Febr. 1871. Er
verfaßte viele Ballette. Von seinen fünf Kindern, die
sich sämtlich der Tanzkunst widmeten, und von denen die
Töchter in altadlige Geschlechter heirateten, sind Maria und
Paul zu Berühmtheit gelangt. Seine Tochter Maria, geb. 23.
April 1804 zu Stockholm, wirkte seit 1827 an der Großen Oper
in Paris, seit 1832 zu Berlin und zog sich 1847 nach ihrer
Verheiratung mit dem Grafen Gilbert de Voisins nach Italien
zurück. Sie war eine der vollendetsten Tänzerinnen und
ausgezeichnet als Sylphide; starb 23. April 1884 in Marseille. Ihr
Bruder Paul, geb. 12. Jan. 1808 zu Wien, debütierte 1825 in
Stuttgart, wurde 1829 in Berlin engagiert und 1869 zum
Ballettdirektor ernannt. Er verheiratete sich mit der Tänzerin
Amalie Galster, die, seit 1815 am Hoftheater zu Berlin engagiert,
sowohl hier als auf Kunstreisen die Triumphe des Gatten teilte; sie
starb 23. Dez. 1881 in Berlin. Bedeutender als Choreograph denn als
Tänzer hat Paul T. eine große Fruchtbarkeit in der
Schöpfung von Balletten entwickelt, deren bekannteste "Flick
und Flock" und "Fantaska" sind. Er starb 7. Jan. 1884 in Berlin.
Seine Tochter Maria, geb. 1833 zu Berlin, debütierte 1847 in
London mit Glück, war längere Zeit beim königlichen
Ballett zu Berlin, dann am San Carlotheater in Neapel engagiert und
vermählte sich 1866 mit dem Fürsten Joseph
Windischgrätz. Eine jüngere Tochter, Auguste, war eine
Reihe von Jahren als Schauspielerin zu Berlin thätig. Tagsatzung (Tagleistung), in der Schweiz früher
Bezeichnung des Bundestags, welcher zumeist in Baden, später
in Frauenfeld abgehalten wurde. In der T. führte Zürich
als sogen. Vorort den Vorsitz. Mit der Umwandlung des
eidgenössischen Staatenbundes in einen Bundesstaat kam die T.
in Hinwegfall (s. Schweiz, S. 762). Tagschmetterlinge, s. v. w. Tagfalter. Taguan, s. Eichhörnchen, S. 362. Taguanüsse (Elfenbeinnüsse), die Früchte
von Phytelephas macrocarpa; vgl. Elfenbein. Tagulandang (Tagulanda), Insel an der Nordostspitze der
Insel Celebes, 140 qkm groß mit 2000 Einw., steht unter einem
Radscha und gehört zur niederländischen Residentschaft
Menado. Tag- und Nachtgleiche, s. Äquinoktium. Tagwechsel (Präzisewechsel), s. Wechsel. Tahaa (Otaha), eine der noch unabhängigen
Gesellschaftsinseln im südöstlichen Polynesien, zur
Leewardgruppe gehörig, 82 qkm groß, gebirgig, doch
fruchtbar, mit mehreren guten Häfen und (1885) 634 Einw.,
welche durch englische Missionäre zum Christentum bekehrt
wurden. Tahiti (Otaheiti), die unter franz. Protektorat stehende
größte und wichtigste der Gesellschaftsinseln, besteht
aus zwei durch eine schmale Landenge zusammenhängenden
Halbinseln, Taiarapu und Porionuu, und hat einen Flächeninhalt
von 1042 qkm (19 QM.). Die Insel ist von einem Korallenriff
umgeben, welches mehrere Öffnungen zum Einlaufen der Schiffe
sowie mehrere Baien und Buchten mit guten Ankerplätzen hat.
Das Land ist vulkanisch und steigt von der Küste gegen die
Mitte hin im Orohea oder Tobreonu bis 2104 m an. Zahlreiche
Bäche ergießen sich von den Bergen, in ihrem obern Lauf
schöne Kaskaden bildend und in der Regenzeit oft zu
reißenden Flüssen anschwellend. Vom Fuß der Berge
bis zum Strand ist die ganze Insel von einer schmalen Niederung
umgeben, auf welcher die Wohnungen zerstreut liegen. Das Klima ist
sehr gesund ; von einheimischen Produkten sind namentlich
Zuckerrohr (eine der Insel eigne Spezies), Bananen, Pisangs,
Brotfrucht- und Kokosbäume, Yams, Bataten, Arum zu nennen. Die
Bevölkerung wurde zu Cooks Zeiten (wohl zu hoch) auf 120,000
Seelen geschätzt, ist sehr gesunken und betrug 1885 nur 9562,
mit dem benachbarten Morea 11,007 Seelen (davon nur 4673 weiblichen
Geschlechts). Von der Gesamtzahl waren 8577 Eingeborne, 288
Franzosen (davon 132 Mann Garnison), außerdem Engländer,
Amerikaner, Deutsche, eine Anzahl Chinesen und als Arbeiter
eingeführte 493 Tahk - Tahkali. Polynesier andrer Inseln. Das Christentum (meist methodistisches) ist durchweg
angenommen; es bestehen bereits 34 Schulen, 1n welchen 1800 Kinder
unterrichtet werden. Als Zeitung besteht der amtliche "Messager de
T." Unter Kultur sind 3093 Hektar, davon 2328 mit Kokospalmen
bepflanzt, der Rest mit Baumwolle, Zuckerrohr, Kaffee, Vanille,
Mais u. a.; die Orangenbäume, von Cook eingeführt,
wachsen wild und liefern reiche Erträge zur Ausfuhr nach
Amerika. Der Großhandel ist in den Händen englischer,
deutscher und nordamerikanischer Häuser. Eingeführt
werden: Spirituosen, Konserven, Hausgerät, Bauholz, Kleider;
ausgeführt: Baumwolle, Apfelsinen, Perlschalen, Kopra,
Trepang. 1887 betrug die Ausfuhr 1,644,308 Mk.: es liefen 172
Schiffe ein und 156 aus. Die Post beförderte durch fünf
Ämter 176,483 Sendungen. Die Ausgaben des Mutterlandes
für die Kolonie betrugen 805,000, das Kolonialbudget 1,27
Mill. Frank. Die wichtigsten Häfen sind Papeete (s. d.),
Papeuriri und Antimaono auf der Südküste, Papaoa
ostnordöstlich von Papeete. Ein monatlicher, von der
französischen Regierung subventionierter Schiffsverkehr
besteht mit San Francisco. Auch eine Eisenbahn von 33 km Länge
besitzt T. Hauptstadt ist Papeete; im Innern in Fatuahua befindet
sich ein Fort, das die ganze Insel beherrscht. Die Flagge s. Tafel
"Flaggen I". Die Insel T. wurde von Quiros 1606 entdeckt und
Sagittaria genannt; genauere Kunde verdanken wir aber erst dem
Engländer Wallis, welcher die Insel 1767 besuchte und Georgs
III.-Insel nannte. Im April 1768 wurde sie von Bougainville
besucht, der sie wegen der Sinnlosigkeit der Weiber Nouvelle
Cythère (Neukythera) taufte. Cook, der sie 1769 mit Forster
genauer untersuchte, gab dem Archipel den Namen
Gesellschaftsinseln. Seitdem ist der Archipel von Wilson, Turnbull,
Bellinghausen, Duperrey, Kotzebue, Beechey, Dumont d'Urville u. a.
besucht und beschrieben worden. Der gesellschaftliche Zustand
Tahitis wurde besonders durch die 1797 erfolgte Ankunft der
englischen Missionäre umgewandelt. Der König Pomare I.
nahm die Missionäre günstig auf, aber erst sein
Nachfolger Pomare II. trat 1812 zum Christentum über.
Vielweiberei und Kindermord, früher an der Tagesordnung,
hörten auf; 1822 zählte man auf T. schon 66 Kirchen und
Kapellen. Da Pomare II. 1821 einen erst 18 Monate alten Sohn,
Pomare III., hinterließ, nahmen die Missionäre, damit
die Fortschritte der Bildung nicht gefährdet würden,
selbst das Staatsruder in die Hand. 1824 erhielt T. eine Art von
Konstitution. Der junge König starb aber schon 11. Jan. 1827,
worauf seine 16jährige Schwester als Pomare Wahine I. auf den
Thron erhoben ward. Die Wirksamkeit der englischen Missionäre
ward gestört, als, durch einen belgischen Kaufmann,
Moerenhout, der sich 1829 auf T. niederlassen, veranlaßt,
französische katholische Missionäre auf T. Fuß zu
gewinnen suchten. Die Königin ließ die letztern
gewaltsam vertreiben, worauf die französische Regierung den
Kapitän Dupetit-Thouars beauftragte, Genugthuung und zugleich
Entschädigung für die vertriebenen Missionäre zu
verlangen. Die Königin mußte nachgeben und die
Ansiedelung katholischer Priester auf der Insel dulden. Auf
Moerenhouts Veranlassung baten 1841 einige Häuptlinge die
französische Regierung um Übernahme des Protektorats
über die Insel. Am 1. Sept. 1842 erschien Dupetit-Thouars
wieder vor Papiti und erzwang durch Drohungen die Anerkennung von
Frankreichs Protektorat. Als er aber 1843 die Absetzung der
Königin proklamierte, entstanden daraus Verwickelungen mit
England. Das französische Gouvernement mußte nachgeben
und behielt bloß das Protektorat, welches aber
allmählich in völlige Herrschaft verwandelt wurde. Der
Code Napoléon gilt als Gesetzbuch, die Richter werden aus
den französischen Zivil- und Militärbeamten genommen. Die
Königin starb 17. Sept. 1877; ihr Nachfolger war ihr Sohn
Arijane, der als Pomare V. eine Scheinregierung führte, die er
1880 in aller Formen Frankreich abtrat. Vgl. Le Chartier, T. et les
colonies françaises de la Polynésie (Par. 1887). Tahk, Längenmaß, s. Thuok. Tahkali, s. Carrierindianer. 494 Tahoe - Taine. Tahoe (spr. tahu), See an der Grenze der nordameri-kan.
Staaten Kalifornien und Nevada, 906 qkm groß, liegt 1902 m
ü. M. und fließt durch den 150 km langen
Truckeefluß in den Pyramid Lake ab. Tahfil-dar, türk. Steuerbeamter, welcher den
Steuerpachtern beigegeben wird. Taifun, Wirbelsturm, s. Teifun. Taikun, f. Shogun. Taillandier (spr. tajangdjeh), Saint-René
(eigentlich René Gaspard Ernest), franz. Schriftsteller,
geb. 16. Dez. 1817 zu Paris, studierte daselbst und in Heidelberg
die Rechte, daneben Philosophie und schöne Litteratur, ward
1841 Professor der Litteratur zu Straßburg , 1843 zu
Montpellier und erhielt 1863 an Saint-Marc Girardins Stelle den
Lehrstuhlder französischen Poesie an der Sorbonne. 1870-72
fungierte er als Generalsekretär des Erziehungsministers; 1873
wurde er zum Mitglied der Akademie ernannt. Er starb 24. Febr.
1879. T. hat sich mit besonderm Erfolg der Aufgabe gewidmet, seine
Landsleute mit der Geschichte und den litterarischen Arbeiten der
Deutschen bekannt zu machen. Wir nennen von seinen Werken: "Scot
Érigène et la philosophie scholastique" (1843, 2.
Aufl. 1877); "Histoire de la jeune Allemagne" (1849) und
"Études sur la révolution en Allemagne" (1853, 2
Bde.); ferner: "Allemagne et Russie" (1856); "Histoire et
philosophie religieuse" (1860); "Écrivains et poètes
modernes" (1861); "La comtesse d'Albany" (1862); "Maurice de
Saxe"(1865)^ "Tchèques et Magyars" (1869); "Drames et romans
de la vie littéraire" (1870); "Le général
Phil. de Ségur" (1875); "Dix ans de l'histoire d'Allemagne"
(nach der Korrespondenz Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen, 1875);
"Le roi Léopold et la reine Victoria, récits
d'histoire contemporaine" (1878, 2 Bde.); "Études
littéraires: Boursault, etc." (1881). Auch gab er die
Übersetzung des Goethe-Schillerschen Briefwechsels von der
Baronin Carlowitz (1863, 2 Bde.) heraus. Taille (franz., spr. tallje), der Schnitt eines Kleides;
Wuchs, Körpergestalt, insbesondere der Teil zwischen
Hüften und Brust und das entsprechende Stück der
Frauenkleidung, Leibchen; in der Musik s. v. w. Tenor; basse-t.,
der zweite (tiefere) Tenor (auch s. v. w. Bariton). In Frankreich
bedeutete T. ursprünglich eine Steuer, welche der Lehnsherr
von seinen Vasallen erhob; später überhaupt Staatssteuer,
nachdem sie unter Karl VIL zu einer bleibenden geworden war, um die
ersten stehenden Truppen zu erhalten; beim Pharospiel s. v. w.
Abzug, d. h. eine Tour des Spiels und die Karten dazu in der durch
das Mischen bewirkten Reihenfolge. Taille-douce (franz., spr. taj-duhß), s. v. w.
Kupferstich (im Gegensatz zu Eau forte, Radierung); Taille-dure,
Stahlstich. Tailleur (franz., spr. tajör), Schneider. Taillon (franz., spr. tajong), Nachsteuer. Taimyr, nördlichste Halbinsel des asiatischen
Festlandes zwischen der Jenisseimündung und dem Chatangabusen,
nach neuern Bestimmungen der schwedischen Polarexpeditionen
zwischen 81 und 114° östl. L. v. Gr. gelegen. Ihre
nördlichste Spitze ist das Kap Tscheljuskin unter 77° 36'
48'' nördl. Br. und 103° 17' 12'' östl. L. Die
Halbinsel wird vom Taimyrfluß, welcher den großen,
über 100 km breiten Taimyrsee durchfließt und sich in
die Taimyrbucht ergießt, in zwei Halbinseln, eine
größere östliche und eine kleinere westliche,
geteilt und von dem in nordöstlicher Richtung streichenden
Byrrangagebirge durchzogen, dessen östliche Teile
Nordenskjöld auf 600-900 m Höhe schätzt. Die T.
liegt jenseit der Baumgrenze, so daß auf ihr die
verschiedenen Formen der Tundra (s. d.) in besonders
charakteristischer Weise zur Entwickelung gelangen. Durchforscht
wurde die T. zur Zeit der großen nordischen Expedition
(1735-43) von Minin, Sterlegow, Prontschischew, Chariton, Laptew,
Tschekin und Tscheljuskin; im J. 1843 drang v. Middendorff bis zur
Taimyrbai vor, und 1878 ist dieser nördlichste Teil der
Ostfeste von der Expedition der Vega umfahren worden. Tain, 1) (spr. täng) Stadt im franz. Departement
Drôme, Arrondissement Valence, am Rhône und an der
Bahnlinie Lyon-Avignon, mit dem gegenüberliegenden Tournon
durch zwei Hängebrücken verbunden, hat einen
römischen Opferaltar, eine Kaltwasserheilanstalt,
Seidenspinnerei, trefflichen Weinbau (auf dem Eremitagehügel)
und (1881) 2150 Einw. - 2) (spr. tähn) Hafenstadt in der
schott. Grafschaft Roß, am Dornoch Firth, mit Lateinschule
und (1881) 1742 Einw. Taine (spr. tähn), Hippolyte, angesehener franz.
Schriftsteller, Philosoph und Kritiker, geb. 21. April 1828 zu
Vouziers (Ardennen), erhielt seine Bildung am College Bourbon und
an der École normale in Paris, studierte hierauf Philologie,
um sich dem Lehrfach zu widmen, entsagte aber diesem Plan, nachdem
er bereits durch seine beiden Abhandlungen: "De personis
Platonicis" und "Essai sur les fables de Lafontaine" (1853, 11.
Aufl. 1888) sich den Doktortitel erworben hatte, um sich ganz
seinen wissenschaftlichen Forschungen hingeben zu können. Zwei
seiner ersten Schriften, der von der Akademie gekrönte "Essai
sur Tite-Live" (1854, 5. Aufl. 1888) und "Les philosophes francais
du XIX. siècle" (1856, 6. Aufl. 1888), erregten bereits
durch die Unabhängigkeit der darin ausgesprochenen Ansichten
großes Aufsehen; noch mehr war dies der Fall mit seiner
"Histoire de la littérature anglaise" (1864; 5. Aufl. 1886,
5 Bde.; deutsch, Leipz. 1877-78), die von seiten der orthodoxen und
päpstlichen Partei einen wahren Sturm gegen den Verfasser
erregte, weil man darin anti-spiritualistifche Grundsätze
wahrzunehmen glaubte. Die Arbeit erhielt darum trotz ihres
wissenschaftlichen Werts den akademischen Preis nicht. Als
Entschädigung erhielt der Verfasser durch Vermittelung des
Kaisers eine Professur der Geschichte und Kunstgeschichte an der
Ecole des beaux-arts; auch wurde er 1878 an Lomenies Stelle zum
Mitglied der Akademie erwählt. Von seinen sonstigen,
übrigens von Paradoxien nicht immer freizusprechenden
Schriften sind hervorzuheben : "Voyage aux eaux des
Pyrénées" (1855, 11. Aufl. 1887); "Essais de critique
et d'histoire" (1857, 3. Aufl. 1874) und "Nouveaux essais" (1865,
4. Aufl. 1886); "Notes sur Paris, ou Vie et opinions de Fred. -
Thomas Graindorge", satirische Sittenbilder (6. Aufl. 1880); "Le
positivisme anglais", Studien über St. Mill (1864) ; "Voyage
en Italie" (1866, 6. Aufl. 1889); "Philosophie de l'art en Italie"
(1866, 3. Aufl. 1877); "L'ideal dans l'art", Vorträge (1867);
"Philosophie de l'art dans les Pays-Bas" (1868); "Philosophie de
l'art en Grece" (1869); "De l'intelligence" (5. Aufl. 1888, 2
Bde.); "Notes sur l'Angleterre" (8. Aufl. 1886) u. sein Hauptwerk:
"Les origines de la France contemporaine", das in 2 Teile:
"L'ancien regime" (15. Aufl. 1887) und "La Revolution" (1878-84,
Bd. 1-3; 16. Aufl. 1888), zerfallt. In demselben nimmt T. einen
sehr selbständigen und vielleicht etwas paradoxen, aber auf
ein ungeheures tatsächliches Material gestützten
Standpunkt ein, der bei der demokratischen Schule großen
Anstoß er 495 Taiping - Takelung. regt hat; er führt nämlich alle vorgeblichen
Großthaten, Entdeckungen und Neuerungen der Revolution auf
ältere Institutionen und Ideen zurück und bringt sie so
in einen organischen Zusammenhang mit dem alten Königtum, wie
ihn die Jünger Michelets und Louis Blancs nimmermehr zugeben
wollen. Als Kunstschriftsteller ist T. in der Analyse der
Kunstwerke unübertroffen. Taiping, Name der Aufständischen in China 1849 bis
1866 (vgl. China, S. 19). Taitsing, s. Tsing. Taiwan, chines. Traktatshafen auf der Insel Formosa und
Hauptstadt derselben, Sitz eines englischen Konsuls, welcher mit
Vertretung der deutschen Interessen betraut ist, mit katholischer
und evangelischer Mission, zählt einschließlich des
nördlicher gelegenen Takao 235,000 Einw. Da Anping, der Hafen
von T., nur eine offene, schlechte Reede ist, bewegt sich der
Verkehr mit dem Ausland über Takao (s. d.). Tajo (spr. tachho), einer der Hauptflüsse der
Pyrenäischen Halbinsel, entspringt an der Grenze der span.
Provinzen Guadalajara und Teruel, am Westabhang der Muela de San
Juan, fließt in westlicher Hauptrichtung an Aranjuez, Toledo
und Alcantara vorüber und erhält beim Übertritt nach
Portugal, wo er reißend wird und den Namen Tejo annimmt, den
Charakter eines Stroms. Unterhalb Salvaterra teilt er sich in zwei
Arme, den westlichen Tejo novo und den östlichen Mar de Pedro,
welche eine Art Delta, die Lezirias do Tejo, bilden. Alle Arme
münden in die herrliche Bai von Lissabon, welche im W. durch
die breite Entrada do Tejo mit dem Meer in Verbindung steht. Die
regelmäßige Schiffahrt beginnt bei Abrantes, Barken
gehen noch 50 km weiter hinauf; bei Santarem beginnt die
Dampfschiffahrt, und von hier ab befahren ihn auch Seeschiffe. Die
Länge des T. beträgt 912 km, der Quellabstand 675 km, das
Stromgebiet 82,525 qkm (1498,8 QM.). Zuflüsse von rechts sind:
Gallo, Jarama (mit Lozoya, Henares, Tajuna und Manzanares),
Guadarrama, Alberche, Tiétar, Alagon, Ponsul, Zezere; von
links: Guadiela, Almonte, Salor, Zatas uno Canha. Taka, Längenmaß in Sansibar, à 2 Tobe
à 2 Schucka à 2 War (s. d.). Takao (Takeu), chines. Traktatshafen an der
Südwestküste der Insel Formosa, südlich von Taiwan
(s. d.), mit dem es nahezu ein zusammenhängendes Ganze bildet.
In dem Hafen von T. verkehrten 1886: 190 Schiffe von 103,076 Ton.,
darunter 58 deutsche von 19,732 T. Die Einfuhr betrug 1887:
1,228,238, die Ausfuhr 585,789 Haikuan Tael. Takazze (Setit), rechter Nebenfluß des Atbara (s.
d.) in Abessinien. Takel, in der Seemannssprache s. v. w. Flaschenzug. Takelung (Takelage, hierzu Tafel "Takelung"), die gesamte
Vorrichtung zum Anbringen und Handhaben der Segel auf einem Schiff:
die Masten, Raaen, Segel und das Tauwerk mit seinen
zugehörigen Blöcken (Rollen, Kloben). Von den Masten
heißt der vordere der Fock-, der mittlere der Groß- und
der hintere der Besahnmast, und alle Rundhölzer, Spieren,
Segel und Taue, die an einem Mast geführt werden, werden mit
den entsprechenden Beiwörtern gekennzeichnet. Bei den
Takelungen mit zwei Masten fehlt bei der Brigg der Besahnmast, beim
Schoner der Fockmast. Der Mast besteht nur bei kleinen Fahrzeugen
seiner Länge nach aus einem Stück, auf Schiffen
gewöhnlich aus drei Stücken. Von diesen ist das
wichtigste der Untermast (Fig 1 I), welcher, mit seinem Fuß
auf dem Kielschwein (s. Schiff, S. 455) stehend, durch alle Decke
geht und mit 1/2-2/3 seiner Länge über das Oberdeck
emporragt. Der hölzerne Untermast besteht aus dem innern Teil
(Herz), welcher, wenn in der erforderlichen Länge vorhanden,
aus Einem Stück gemacht wird, und den um dieses gruppierten
Schalen, die zum Schutz und zur Verstärkung dienen und durch
viele eiserne Ringe unter sich und mit dem Herzen zu einem Ganzen
verbunden sind. Die Masten stehen nicht senkrecht zur Wasserlinie,
sondern nach hinten geneigt, die vordern weniger, die hintern mehr.
Durch Änderung der Neigung der Masten ist man im stande, die
Lage des Segelschwerpunktes, d. h. des Druckmittelpunktes des
Windes auf die Segel, zu modifizieren und dadurch die
Segeleigenschaften des Schiffs zu verbessern. Unter dem obern Ende
des Untermastes (Topp, II) ist derselbe durch zwei Kniee (III)
verstärkt, auf denen die Längs- und Quersalingen (IV und
V) ruhen. Auf letztern endlich ist der Mars (s. d., VI) verbolzt.
Gestützt wird der Untermast nach vorn durch ein Stag (a) und
nach hinten und den Seiten durch die Wanten (b b), starke Taue,
welche mit einem Auge über den Topp des Mastes gestreift, mit
dem andern Ende am Deck, resp in den Rüsten an der Schiffseite
befestigt werden. Die Wanten werden nebenbei benutzt, um
aufzuentern, d. h. in die T. zu klettern; sie sind dazu mit
Querleinen, den sogen. Webeleinen, ausgewebt. Wanten sind
allerdings, heißen darum aber keineswegs "Strickleitern". Die
nächste und Hauptverlängerung des Mastes ist die
Marsstenge (VII), welche mit ihrem Fuß mittels eines
Schloßholzes (Riegels) auf den Längssalingen steht und
weiter oben durch das Eselshaupt (VIII) an dem Untermast
festgehalten wird; sie hat ebenfalls einen Topp (IX), Stagen (a'
a') und Wanten (b' b'), außerdem Stütztaue nach hinten
(Pardunen, c' c'). An ihrem Topp ist in derselben Weise (nur ein
Mars fehlt) die zweite Verlängerung, die Bramstenge (X), durch
ein Eselshaupt (XI) befestigt und durch Stagen (a'' a'''), Wanten
(b'' b'') und Pardunen (c'' c'') gestützt. Ähnlich wie
ein Mast, besteht auch das vorn am Bug befindliche, schräg
liegende Bugspriet aus dem eigentlichen Bugspriet und seinen
Verlängerungen, dem Klüver- und
Außenklüverbaum, welche durch Bug-, Back- und
Wasserstagen nach den Seiten und unten gestützt werden. Das
bisher erwähnte Tauwerk heißt stehendes Gut zum
Unterschied vom laufenden (s. d. und unten), welches seinen Namen
daher hat, daß es über allerlei Rollen und durch
Blöcke läuft, ehe es zur bequemen Handhabung auf dem
Oberdeck bereit ist. Zum stehenden Gut benutzt man häufig
Drahttauwerk, welches dauerhafter und widerstandsfähiger ist.
An den Befestigungsstellen des stehenden Gutes auf dem Oberdeck und
anderwärts sind stets Vorrichtungen vorhanden, um die Spannung
in dem betreffenden Tau zu regulieren, resp. dasselbe
nachzuspannen. Es sind dies meist sogen. Taljereeps, d. h.
flaschenzugartige Apparate ohne Rollen, in neuerer Zeit auch
Spannschrauben. Gegen Witterungseinflüsse wird das stehende
Gut bekleidet und stark geteert, daher es schon
äußerlich an seiner schwarzen Farbe zu erkennen ist. Das
laufende Gut ist braun, wenn aus europäischem Hanf, oder fast
weiß, wenn aus Manilahanf gefertigt. An dem Untermast, dicht
unter dem Topp, hängt die Unterraa (1). Sie wird, wie jede
andre Raa, nach oben durch Toppnanten (d) an ihren Nocken
gestützt und mit Brassen (e) versehen, welch letztere sie in
einer Horizontalebene drehen (anbrassen) können. An den
Unterraaen sind die Untersegel (A A) befestigt, welche nach unten,
also bis zum Oberdeck, gesetzt (ausge- 495a Takelung der Seeschiffe. I Untermast. II Topp. III Kniee. IV Längssalingen. V Quersalingen. VI Mars. VII Marsstenge. VIII Eselshaupt. IX Topp der Marsstenge. X Bramstenge. XI Eselshaupt der Bramstenge. XII Leesegelspieren. XIII Gaffel. A Untersegel. B Marssegel. C Bramsegel. D Oberbramsegel. E Stagsegel. F Gaffelsegel. G Leesegel. J Jungfern. P Püttinj a Stag. a' Stenge a'' Bramstengestag. a'" Oberbramstengestag. b Wanten, b'b" Stengewanten. c' Pardunen. c"c,"' Bramstenge- } Oberbramstenge- } Parduncn. f ^Pferde^, g Reefleinen. 1 Unterraa. 2 Marsraa. 3 Bramraa 4 Oberbramraa. Fig. 9. Yawl. 496 Takeu - Takowo-Orden. spannt) werden. An der Marsstenge, dicht über dem
Eselshaupt (VIII), befindet sich die Marsraa (2), aber zum
Heißen (Aufziehen) mittels des Marsdrehreeps eingerichtet; an
ihr ist das Marssegel (B B) befestigt, dessen Schoothörner
(untere Zipfel) durch Taue, welche Schooten heißen, nach den
Enden oder Nocken der Unterraa hin ausgeholt werden; es wird
zuletzt die ganze Marsraa geheißt und dadurch das Segel
gespannt. Wie die Marssegel, sind die Bram- und Oberbramsegel (C
und D) an den Bram- und Oberbramraaen (3 und 4) eingerichtet. Die
Taljen, resp. Taue, mit denen die Raaen geheißt werden,
heißen Fallen. Sollen die Segel geborgen (eingezogen) werden,
so werden sie mittels der Geitaue und Gordings
zusammengeschnürt, dann gehen Matrosen auf die Raaen, um, in
den Paarden (Pferden, f) stehend, das Segel aufzurollen und
vollends festzubinden. Mars und Untersegel können auch
verkleinert oder gerefft werden und sind dazu mit Reffleinen (g g)
versehen, welche, im Segel befestigt, von demselben mehrere,
gewöhnlich vier, Streifen (jeder = ein Reff) abteilen. Beim
Reffen läßt man die Raa etwas herunter, dann ziehen
Matrosen, welche auf der Raa verteilt sind, das Segel in die
Höhe und befestigen die Reffleine auf der Raa. Etwas
abweichend sind die Schratsegel eingerichtet. Die Normalstellung
der bisher besprochenen Raasegel ist senkrecht zur
Längsrichtung des Schiffs. die der Schratsegel liegt in
derselben. Sie sind entweder Stagsegel (E E) oder Gaffelsegel (F
F). Erstere sind dreieckig: an der obern Ecke, der Piek oder dem
Fallhorn, ist das Fall (s. oben) befestigt; die untere, der Hals,
sitzt fest an irgend einem Mastteil; die hintere, das Schoothorn,
wird durch die Schoot gespannt. Zu den Stagsegeln gehört der
Klüver. Gaffelsegel s. unten. Bei leichtem und günstigem
Wind wird die Segelfläche durch die Leesegel (G G)
vergrößert, dazu die Raaen durch Leesegelspieren (XII)
verlängert, zwischen denen erstere ausgespannt werden. Man
unterscheidet Unter-, Ober- und Bramleesegel, welche resp. die
Unter-, Mars- und Bramsegel seitlich vergrößern. Auf kleinern Schiffen ist die Schoner- oder Gaffeltakelung
zweckmäßiger als die bisher besprochene Raatakelung,
weil sie leichter zu bedienen ist, und weil mit derselben besser
bei dem Wind (s. Segelmanöver) gesegelt werden kann. Jeder
Mast hat hier nur ein trapezförmiges Hauptsegel, das an einer
Gaffel (XIII) und am Mast selbst befestigt ist und, wie die
Stagsegel, mit einer Schoot gesetzt wird. Über diesem kann ein
zweites, das Gaffeltoppsegel, zwischen den Enden der Gaffel und des
Mastes, der nur eine Stenge hat, angebracht werden (Fig. 7). Am
Bugspriet kommt auch bei dieser T. noch eine Anzahl Stagsegel
hinzu. Neuere und große Schiffe haben nicht selten eiserne
Masten, welche von demselben Durchmesser wie hölzerne, aber
hohl, nur inwendig stark verstrebt, gefertigt werden; zuweilen
bestehen Untermast und Stenge aus einem Stück. Sie sind
dauerhafter und, wo Hölzer von der erforderlichen
Größe schwer zu beschaffen sind, auch billiger; Raaen
stellt man aus demselben Grund zuweilen aus Stahlröhren her.
Auf Kauffahrteischiffen sind doppelte Marsraaen und Patentmarsraaen
vielfach in Gebrauch. Bei letztern kann man schnell, und ohne
daß einer in die T. zu gehen braucht, reffen. Indem
nämlich die Raa gefiehrt (herabgelassen) wird, dreht sie sich,
mittels eines Zahnrades an der mit einer Zahnleiste versehenen
Stenge herunterrollend, und wickelt dabei den obern Teil des
Marssegels um sich selbst auf. Nach den verschiedenen Takelungen
unterscheidet man bei den Seeschiffen: Voll- oder Fregattschiffe
(drei Masten, alle mit Raatakelung, Fig. 2); Barken (drei Masten,
Fock- und Großmast mit Raatakelung, Besahnmast
Gaffeltakelung, Fig. 5); Schonerbarken (nur der Fockmast
Raatakelung, Groß- und Besahnmast Gaffeltakelung, Fig.4);
dreimastige Schoner (alle drei Masten Gaffeltakelung); Briggs (zwei
Masten, beide mit Raaen, Fig. 3); Schonerbriggs (auch Voll- oder
Raaschoner; Fockmast mit Raaen, Großmast mit Gaffeltakelung,
Fig. 6); Schoner (beide Masten mit Gaffeltakelung, Fig. 7).
Einmastige Schiffe mit Raaen gibt es nicht. Die kleinern
(Küsten-) Fahrzeuge unterscheiden sich mehr nach ihrer Bauart,
wie z. B. Kuff, Galjaß, Galjot, und führen dabei eine
der vorerwähnten Takelungen mit geringen Abweichungen. Die
Gesamtsegelfläche wird durch eine Zahl angegeben, deren
Einheit der Flächeninhalt des größten Querschnitts
des Schiffs unterhalb der Wasserlinie ist. Sie beträgt bei den
großen modernen Kreuzern mit Dampfkraft 25-30, bei kleinern
30-40; bei den großen Segelschiffen einer vergangenen Periode
40-50, bei den kleinern 60. Hat man die Gesamtsegelfläche
eines zu erbauenden Schiffs bestimmt, dann muß die T. so
angeordnet werden, daß der Segelschwerpunkt, d. h. der
Angriffspunkt der gesamten zur Wirkung kommenden Windkraft, eine
auf dem Erfahrungsweg bestimmte Lage hat, nämlich etwas vor
dem Schwerpunkt und hinter der Drehachse des Schiffs und in einer
Höhe über der Wasserlinie, welche mit der Stabilität
in Einklang steht. Liegt der Schwerpunkt der Segelfläche zu
weit nach hinten, so wird das Schiff luvgierig, d. h. von der Seite
kommender Wind wird bestrebt sein, den Bug des Schiffs dem Wind
entgegenzudrehen. Liegt der Segelschwerpunkt zu weit nach vorn, so
wird das Schiff leegierig. Etwas luvgierig müssen gute
Seeschiffe sein. Über die T. der Boote s. Boot. Vgl. Sterneck,
T. und Ankerkunde (Wien 1873); Bréart, Manuel de
gréement (4. Aufl., Par. 1875), und die Litteratur bei Art.
Seemannschaft. Takeu, Stadt, s. Takao. Takkaceen, monokotyle, nur 8-10 Arten umfassende, im
tropischen Asien, Neuholland und Polynesien einheimische
Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Liliifloren, die zunächst
mit den Dioskoraceen verwandt ist. Die T. wachsen an feuchten
Stellen des Meeresufers und in den Bergwäldern des tropischen
Asien, Afrika und der Inseln des Ozeans. Takonisches System, eine von amerikanischen Geologen
gebrauchte Bezeichnung sehr alter Gesteinsschichten, in seiner
untern Abteilung mit der Huronischen Formation (s. d.) identisch,
in der obern Abteilung mit den kambrischen Schichten (s. Silurische
Formation) oder dem Untersilur der europäischen Geologen zu
parallelisieren. Takowo, Graf von, Name, den der frühere König
Milan von Serbien nach seiner Abdankung (1889) annahm. Takowo-Orden, serb. Zivil- und
Militärverdienstorden, gestiftet von Milosch Obrenowitsch
III., 1876 von Milan IV. erneuert und 15. (27.) Febr. 1878 mit
Statuten versehen. Der Orden hat fünf Klassen:
Großkreuze, Offiziersgroßkreuze, Kommandeure,
Offiziere, Ritter. Die beiden ersten Klassen haben gleiche, nur
durch die Größe unterschiedene Dekorationen, bestehend
in einem grünen Lorbeerkranz, dessen Zweige in einer rot
emaillierten Krone endigen, darauf liegend ein goldenes
Andreaskreuz, in dessen Mitte die 497 Taksim - Taktik. Chiffer MO steht, von blauem Band umwunden, mit der Devise:
"Für Glauben, Fürst und Vaterland"; dazu einen
achtstrahligen, weiß emaillierten Stern mit dem Takowokrenz
in der Mitte. Die erste Klasse trägt das Kreuz am Band
über die Schulter, die zweite um den Hals, den Stern auf der
Brust; die dritte Klasse trägt nur das Kreuz um den Hals, die
vierte das Kreuz an einem im Dreieck zusammengelegten Band auf der
Brust, die fünfte ein Kreuz ohne Email. Das Band ist rot mit
blauen und weißen Randstreifen. Taksim (arab.), in den orientalischen Städten das
Reservoir der Wasserleitungen; auch s. v. w. musikalischer Vortrag,
Phantasie. Takt (ital. Tempo, franz. Mesure), die nach bestimmten
Verhältnissen abgemessene Bewegung der Töne und
Tonverbindungen in der Zeit. Der T. zerfällt in Taktteile, die
hinsichtlich der Zahl je nach der Taktordnung verschieden sind,
immer aber dazu dienen, die verschiedenen Töne, Tonfiguren
etc. nach der Zeit zu messen. Die nächste Unterabteilung der
Taktteile sind die Taktglieder, wie z. B. im Zweivierteltakt die
Viertelnoten Taktteile, die Achtelnoten Taktglieder sind. Der
Anzahl der Taktteile nach unterscheidet man zunächst eine
zweiteilige und eine dreiteilige (gerade und ungerade) Taktordnung.
Beide sind einfache Taktordnungen. Durch Zusammenziehung von je
zwei Abschnitten der zweiteiligen entsteht die vierteilige, durch
Zusammenziehung von je zwei Abschnitten der dreiteiligen die
sechsteilige Taktordnung. Werden je drei Abschnitte der
dreiteiligen Ordnung zusammengezogen, so entsteht die neunteilige
und durch Zusammenziehung von vier Abschnitten der dreiteiligen die
zwölfteilige Taktordnung. Sämtliche Taktordnungen von der
vierteiligen an heißen zusammengesetzter T. Durch den Accent
erhalten die Taktteile verschiedenen innern Wert. Hiernach
unterscheidet man gute oder schwere Taktteile, welche den Accent
haben (Thesis, Niederschlag), und schlechte oder leichte Taktteile,
welche den Accent nicht haben (Arsis, Aufschlag). Aus der obigen
Entwickelung der Taktordnungen ergibt sich, daß in der
zweiteiligen und dreiteiligen der 1., in der vierteiligen der 1.
und 3. Taktteil, in der sechsteiligen das 1. und 4., in der
neunteiligen das 1., 4. und 7. und in der zwölfteiligen das
1., 4., 7. und 10. Taktglied den Accent haben müssen. Die
Taktnoten zweiteiliger Ordnung sind: der Zweizweiteltakt (kleiner
Allabrevetakt), dessen zwei Taktteile aus halben Noten bestehen und
nur durch 2/2 bezeichnet werden; der Zweivierteltakt (2/4) und der
Zweiachteltakt (2/8). Die dreiteilige Ordnung enthält den
Dreizweitel- (3/2), den Dreiviertel- (3/4) und den Dreiachteltakt
(3/8). Der vierteiligen Taktordnung gehören der
Vierzweiteltakt (großer Allabrevetakt), bezeichnet durch
(2/1), 2,2, der Viervierteltakt (gewöhnlich durch C
bezeichnet) und der Vierachteltakt (4/8) an. In der sechsteiligen
Ordnung sind der Sechsviertel- (6/4), Sechsachtel- (6/8) und der
Sechssechzehnteltakt (6/16) zu nennen. Die neunteilige Ordnung
enthält den Neunachteltakt (9/8), die zwölfteilige den
Zwölfachteltakt (12/8) und den Zwölfsechzehnteltakt
(12/16). Die jedesmalige Taktart wird mit den betreffenden Zeichen
oder Ziffern, Taktzeichen genannt, am Anfang des Tonstücks
bemerkt. Die Taktarten mit einer geraden Anzahl von Taktteilen
nennt man gerade, die mit einer ungeraden Anzahl von Taktteilen
ungerade Taktarten (Tripeltakt). Die durch den T. im Rhythmus
gebildeten Abschnitte scheidet man durch die Taktstriche, welche
das Liniensystem senkrecht durchschneiden. Im psychologischen Sinn
bezeichnet T. das verständige Gefühl des Richtigen und
Schicklichen oder die Fähigkeit, aus bloß
äußerer Aufeinanderfolge rasch das innerlich wirklich
Zusammengehörige zu erraten und passend anzuwenden, eine
Eigenschaft, welche besonders dem Frauengeschlecht eigen ist und
als "scheinbare Einfalt" sich von dieser durch Verständigkeit,
vom wirklichen Verstande dagegen durch die Bewußtlosigkeit
unterscheidet. Taktieren, bei Aufführung eines Musikstücks mit
einem Stab (Taktierstock) den Takt angeben. Die dabei üblichen
Bewegungen sind konventionell feststehend und zwar im wesentlichen
folgende: der erste Taktteil (Taktanfang) wird
regelmäßig durch den Herunterschlag ^ angezeigt, die
übrigen Schläge halten sich mehr unten, und der letzte
geht nach oben ^. Ob der zweite Schlag von rechts nach links oder
von links nach rechts geführt wird, ist einerlei. Die
üblichsten Arten der Taktierung sind der zweiteilige Takt, der
dreiteilige, vierteilige und der sechsteilige Takt (vgl. Takt). Man
schlägt sie in folgender Weise: Ein Crescendo wird gewöhnlich durch weiter ausholende
Schläge anschaulich gemacht, während die Verkleinerung
der Schläge ein Diminuendo andeuten soll; scharfe Accente,
Sforzati etc. verlangt man durch kurze, zuckende Bewegungen,
Veränderungen des Tempos (stringendo, ritardando) durch
Zuhilfenahme der andern Hand, doch fangen hier bereits die
individuellen Eigentümlichkeiten an. Die Dauer einer Fermate
wird durch Stillhalten des Taktstocks in der Höhe angedeutet,
ihr Ende durch eine kurze Hakenbewegung. Vgl. K. Schröder,
Katechismus des Taktierens und Dirigierens (Leipz. 1889). Taktik (griech., Aufstellungslehre, Fechtweise), Lehre
von der Führung und dem Verhalten der Truppen auf dem
Gefechtsfeld. Wenn die Strategie der Kriegführung Richtung und
Ziele gibt, so ist die Anordnung zur Ausführung der
Märsche, die Unterbringung und Sicherung der Truppen
während der Ruhe wie die Durchführung der Gefechte die
Aufgabe der T. Man unterscheidet eine niedere oder Elementartaktik,
welche sich nur mit der Thätigkeit der taktischen Einheiten
(Kompanie, Eskadron und Batterie) beschäftigt, und höhere
T.. welche den Gebrauch der größern Truppenverbände
lehrt. Die Vorschriften (Reglements) für Aufstellung, Bewegung
und Gefecht der Truppenkörper ohne Rücksicht auf
Kriegslage, Terrain und Feind bilden das Gebiet der reinen oder
formellen T., die Anwendung dieser Formen im Terrain und dem Feind
gegenüber das Gebiet der angewandten T. Vgl. v. Boguslawski,
Die Entwickelung der T. von 1793 bis zur Gegenwart (2. u. 3. Aufl.,
Berl. 1873-85, 4 Bde.); v. Brandt, Grundzüge der T. (3. Aufl.,
das. 1859); v. Decker, Die T. der drei Waffen (3. Aufl., das.
1851-54, 2 Bde.); v. Griesheim, Vorlesungen über T. (3. Aufl.,
das. 1872); Meckel, Lehrbuch der T. (2. Aufl., das. 1873 ff.);
Derselbe, Elemente der 498 Taktmesser - Talent. T. (2 Aufl., das. 1883); Pönitz, T. der Infanterie und
Kavallerie (4. Aufl., Adorf 1859, 2 Bde.); Rüstow, Allgemeine
T. (2. Aufl., Zürich 1868); Derselbe, Strategie und T. der
neuesten Zeit (Stuttg. 1872-75, 3 Bde.); v. Lettow, Leitfaden der
T. für die königlichen Kriegsschulen (6. Aufl., Berl.
1884); v. Verdy du Vernois, Studien über Truppenführung
(das. 1873-75, 2 Tle.); Derselbe, Taktische Beispiele (das. 1880) ;
v. Scherff , Von der Kriegführung (das. 1883). Taktmesser (griech Metronom), einschwingendes Pendel mit
verschiebbarem Gewicht und einer Skala, welche angibt, wie viele
Hin- und Hergänge das Pendel in der Minute macht, je nachdem
das Gewicht gestellt ist. Der T. dient zur genauen Bestimmung des
Tempos, in welchem der Komponist sein Werk ausgeführt wissen
will, und ist daher eine höchst bedeutsame Erfindung, da unser
Allegro, Andante etc. doch Angaben von wenig Bestimmtheit sind. Der
jetzt allgemein verbreitete T. ist der Metronom des Mechanikers
Johann Nepomuk Mälzel (geb. 1772 zu Regensburg, gest. 1838 in
Amerika), 1816 patentiert, doch eigentlich nicht Mälzels
Erfindung, sondern die eines Mechanikus Winkel in Amsterdam. Auf
ihn bezieht sich die seitdem übliche Bezeichnung von
Kompositionen, z. B. M. M. ^ = 100 etc. (die Halben von der Dauer
eines Pendelschlags, wenn das Gewicht auf 100 gestellt ist, d. h.
100 in der Minute). Vorausgegangen waren ihm ähnliche, mehr
oder minder unvollkommene Versuche von Loulié, Stöckel
u. a. Taktstrich, s. Takt. Taktvorzeichnuugen, die Bruchzahlen oder Zeichen, welche
am Anfang der Tonstücke, unmittelbar hinter dem Schlüssel
stehen und die Taktart derselben bezeichnen, als ^, ^. 3/4, 6/8
etc. Dieselben sind insofern ungenügend, als sie wohl die Zahl
der Taktteile angeben, aber die eigentlichen Zählzeiten nicht
immer deutlich genug hervorheben, wie z. B. die Vorzeichnung 6/4
nicht erkennen läßt, ob der Takt dreizählig (3/2)
oder zweizählig (2/3) sein soll. Taku, Befestigungen, welche den Eingang zum
Peihofluß in Ch1na verteidigen, an welchem Peking liegt. Vgl.
Tientsin. Talanti (Atalanti), Stadt im griech. Nomos Phthiotis und
Phokis, 6 km von der Meerenge von T., welche das griechische
Festland von der Insel Negroponte (Euböa) scheidet, Sitz eines
Bischofs, mit (1879) 1377 Einw. Talar (lat.), zunächst als Haustracht der kathol.
Geistlichen ein langer, gewöhnlich schwarzer Rock, der weit
und faltenreich vom Hals bis auf die Füße hinabgeht,
woraus sich später der T. als Amtskleid der evangelischen
Geistlichen, der Gerichtspersonen etc. entwickelte. Talar (pers.), eine längliche Halle, Vorhalle, auch
Empfangssalon der Fürsten. Talarien (lat.), die Flügelschuhe des Merkur. Talaro, in Persien, Arabien etc. der
Mariatheresienthaler, = 4,20 Mk. Talassio (Talassus), röm. Hochzeitsgott, dem
Hymenäos der Griechen entsprechend, gehörte zu den
verschollenen Göttern und wurde nur im Refrain ("Talasse") des
bei der Heimführung der Braut gesungenen Hochzeitsliedes
angerufen. Spätere Deutung machte ihn zu einem beim Raub der
Sabinerinnen beteiligten Genossen des Romulus. Tala'ut, Gruppe kleiner ostind. Inseln, zwischen Celebes
und den Philippinen, nordöstlich von den Sangirinseln, in
administrativer Hinsicht zur niederländischen Residentschaft
Menado auf Celebes gehörig. Die Inseln, deren bedeutendste
Tulur (Karkelong), Salibabu und Kabruang heißen, sind
sämtlich fruchtbar, gut bevölkert und angebaut. Talavera de la Réina, Bezirksstadt in der span.
Provinz Toledo, am Tajo, über den eine Steinbrücke mit 25
Bogen führt, und an der Eisenbahn Madrid-Lissabon, hat starke
Töpferei (im 16.-18. Jahrh. Hauptfabrikationsort der nach T.
benannten bemalten Fayencen), Wachszieherei und Bleicherei, eine
große Messe (im August) und (1878) 10,029 Einw. Hier 27. und
28. Juli 1809 Sieg Wellingtons über die Franzosen unter
König Joseph. Talbot, John, s. Shrewsbury. Talca, Provinz der südamerikan. Republik Chile,
liegt zwischen dem Rio Mataquito und dem schiffbaren Rio
Máule, reicht vom Stillen Ozean bis zum Kamm der Kordilleren
u. umfaßt 9527 qkm (173 QM.) mit (1885) 133,472 Einw. Landbau
und Viehzucht sind die Haupterwerbszweige. Gold kommt im
Flußsand vor, die Ausbeute aber ist unbedeutend. Die
Hauptstadt San Augustin de T., am Rio Claro, einem Nebenfluß
des Máule, 83 m ü. M., hat eine schöne Kathedrale,
eine höhere Schule, ein Hospital und (1875) 17,496 Einw., die
lebhaften Handel und Handweberei (Ponchos) betreiben. Eine
Eisenbahn verbindet Talca mit Santiago und Concepcion. Talcahuana, Hafenstadt im südamerikan. Staat Chile,
Provinz Concepcion, 20 km von der Hauptstadt, ist Sitz der
Marinebehörden, hat ein Kriegsarsenal, Schiffwerfte, einen
Molo, an dem die größten Schiffe anlegen können,
und (1875) 2495 Einw. Die Einfuhr in den Hafen von T. betrug 1887:
5,492,628 Pesos, die Ausfuhr 5,504,767 Pesos. Talch, s. Acacia, S. 74. Talcium, s. v. w. Magnesium. Talegalla, Huhn, s. Wallnister. Taleman (schwed.), der Sprecher des Bauernstandes auf den
schwedischen Reichstagen. Talent (griech.), ausgezeichnete geistige oder auch
körperliche Befähigung. In diesem Sinn spricht man von
mathematischem, philosophischem, künstlerischem etc., aber
auch technischem, mechanischem etc. T. Der innere Grund der
Verschiedenartigkeit der einzelnen Talente ist, wie alles, was
unter den allgemeinen Begriff der Anlage (s. d.) fällt, ein
Problem der Psychologie. Der Unterschied des Talents vom Genie ist
aber deshalb schwer festzustellen, weil das T. in seinen
höchsten Entfaltungen sich dem Genie bis auf einen
unmerklichen Abstand nähern kann. Im allgemeinen kann man
sagen, daß dem Genie die schöpferische
Ursprünglichkeit, mit der es sich seine eigne Bahn bricht und
neue Wirkungskreise aufthut, daher unter günstigen
Umständen der Kunst und Wissenschaft ganz neue Gebiete
öffnet, als Eigentum zuzusprechen sei, während sich das
T. an das Gegebene hält, das Vorhandene seinem Zweck
gemäß zu benutzen und umzuformen weiß, aber
weniger aus sich selbst produziert und auch weniger seinen eignen
Weg geht. Vgl. Genie. Talent (griech. tálanton), bei den Griechen die
höchste Einheit für Gewicht und Geld, vorzüglich
Silbergeld, war eingeteilt in 60 Minen à 100 Drachmen
à 6 Obolen. Der Wert des Talents war zu verschiedenen Zeiten
und in verschiedenen Staaten verschieden. Das gewöhnlichste T.
war das von Solon eingeführte kleine attische, welches stets
gemeint ist, wenn T. ohne weitern Zusatz genannt wird. Dasselbe
hielt dem Gewicht nach 26,2 kg, als Geldsumme nach den neuesten
Berechnungen rund 4710 Mk. - Im jetzigen Griechenland ein Gewicht,
= 150 kg 499 Talfourd - Talisman. Talfourd (spr. tälförd), Sir Thomas Noon, engl.
Dichter, geb. 26. Jan. 1795 zu Doxey bei Stafford, widmete sich der
juristischen Laufbahn, vertrat 1834 bis 1843 Reading im Parlament
und machte sich hier durch das Einbringen und die Verteidigung der
Copyright bill bekannt. 1849 wurde er zum Richter am Court of
Common Pleas ernannt und starb 20. März 1854 während
einer Anrede an den großen Gerichtshof zu Stafford.
Berühmt wurde T. durch seine Trauerspiele ("Dramatical works",
neue Ausg. 1852), deren erstes: "Ion", zugleich sein bestes, 1836
zur ersten Aufsührung kam. Außerdem schrieb er eine
Anzahl politischer und belletristischer Werke, darunter: "The life
of Charles Lamb" (neue Ausg. 1850. 2 Bde.) und "Vacation rambles
and thoughts, recollections of three continental tours" (3. Aufl.
1851. Supplement 1854). Talg (Unschlitt, Inselt), das Fett der Rinder, Schafe,
Ziegen, Hirsche, ist farblos, riecht schwach eigentümlich, ist
härter bei Trockenfütterung, im warmen Klima und bei
männlichen Tieren, enthält durchschnittlich 75 Proz.
Stearin und Palmitin und 25 Proz. Olein. Rindertalg schmilzt bei
43,5-45°, ist unlöslich in kaltem, schwer löslich in
siedendem Alkohol; Hammeltalg ist härter, brüchig, fast
geruchlos, schwer löslich in Alkohol, schmilzt bei
46,5-47,5°. Ziegentalg ist dem Rindertalg ähnlich, riecht
aber stärker. über Hirschtalg s. d. Zur Gewinnung des
Talgs erhitzt man das zerschnittene Fett (Talglinsen) unter Zusatz
von einigen Prozenten Wasser unter beständigem Umrühren
im kupfernen Kessel, schöpft das geschmolzene Fett ab und
preßt endlich den Rückstand (Griefen, Grieben) aus.
Vorteilhafter schmelzt man die Linsen mit Dampf unter Zusatz von
etwa 1 Proz. Schwefelsäure in hölzernen, mit Blei
ausgeschlagenen Bottichen, bedeckt, um die übelriechenden
Dämpfe abzuleiten, die Kessel und bringt ein mit der Feuerung
in Verbindung stehendes Ableitungsrohr an, welches zur Verteilung
der Dämpfe mit einem Sieb endigt. Die Ausbeute beträgt
75-92 Proz. und ist im allgemeinen beim Schmelzen mit Dampf
größer als beim trocknen Schmelzen. Zur Reinigung wird
der T. wiederholt mit 5 Proz. Wasser, auch mit Alaun-, Salz- oder
Salpeterlösung umgeschmolzen, in kaltes Wasser gegossen und in
Spänen an der Sonne gebleicht. Auch durch Schmelzen mit etwa 1
Proz. Braunsteinpulver, 2 Proz. Schwefelsäure und 30 Proz.
Wasser, Abgießen, Versetzen mit 1 Proz. Oxalsäure und
abermaliges Abgießen kann T. gebleicht werden. Zum
Härten schmelzt man T. mit 0,5 Proz. Schwefelsäure und
0,5 Proz. Salpetersäure, wäscht aus und erhitzt bis zum
Verdunsten des Wassers, oder man rührt 0,007 Proz. Bleizucker
in das geschmolzene Fett ein. Man kann auch geschmolzenen T. auf
20-25° abkühlen lassen und das flüssig gebliebene
Olein abpressen. Das abgepreßte breiförmige Talgöl
dient zur Darstellung von Kunstbutter. Die größte Menge
T. liefert Rußland, im Süden mehr Hammeltalg
(weißer T.), im Norden hauptsächlich Rindertalg (gelber
T.). Je nach der Reinheit und Konsistenz unterscheidet man auch
Lichtertalg und Seifentalg, welch letzterer namentlich aus Sibirien
kommt. Auch Polen, Holland und Dänemark liefern viel und guten
T., welcher, wie die inländische Produktion, in Deutschland
dem russischen vorgezogen wird. Neuerdings wird auch T. aus
Australien und den La Plata-Staaten zugeführt. Man benutzt T.
als Nahrungsmittel, zu Kerzen, zur Darstellung von
Stearinsäure und Seife, in der Lederbereitung, zu
Schmiermitteln etc. Talg, vegetabilischer, starres Pflanzenfett von
höherm Schmelzpunkt und der Zufammensetzung der echten Fette.
Chinesischer Talg, aus der festen Fettschicht, welche die Samen von
Stillingia sebifera umgibt, in China, Ost- und Westindien durch
Schmelzen und Abpressen gewonnen, ist farblos oder
grünlichweiß, ziemlich hart, schmilzt bei 37-44°,
besteht aus Stearin und Palmitin, reagiert sauer durch einen Gehalt
von Essigsäure und Propionsänre, dient in China und
England zur Darstellung von Kerzen und Seifen. Vateriatalg
(Pineytalg), aus den Samen der ostindischen Vateria indica durch
warmes Pressen gewonnen, ist gelblich, später farblos, riecht
schwach angenehm, schmilzt bei 36,4°, besteht aus festen Fetten
und freien Fettsäuren und enthält 2 Proz. fettes Öl,
dient in England zur Kerzenfabrikation. Virolafett, aus den Samen
von Virola sebifera in Guayana durch Auskochen und Pressen
gewonnen, ist gelblich, innen oft bräunlich mit
punktförmigen Kristallaggregaten, riecht frisch nach
Muskatbutter, wird bald ranzig, schmilzt bei 44°,
vollständig bei 50°, ist nur teilweise verseifbar, dient
zur Kerzen- und Seifenfabrikation. Myricawachs (Myrtle-,
Myrtenwachs), aus den Beeren von Myrica cerifera und M.
carolinensis in Nordamerika, M. caracassana in Neugranada und M.
quercifolia, cordifolia, laciniata am Kap durch Auskochen mit
Wafser gewonnen, ist grünlich, riecht sehr schwach balsamisch,
schmilzt bei 42,5-49°, besteht aus Fetten, wird wie Bienenwachs
und mit diesem gemengt verwendet. Japanisches Wachs, aus den Samen
von Rhus succedanea in China und Japan durch warmes Pressen
gewonnen, ist blaßgelblich, wachsartig, nach längerm
Liegen außen gelb bis bräunlich mit schneeweißem
Anflug, schmilzt bei 52-53°, besteht wesentlich aus Palmitin
und ist von allen vegetabilischen Talgarten die wichtigste. Es
kommt seit 1854 aus Japan und Singapur, zum Teil über China,
in großen Mengen nach Europa und Amerika und wird zur
Kerzenfabrikation und wie Bienenwachs, auch mit diesem gemengt
benutzt. Über die Bassiafette (Schibutter, Galambutter etc.)
s. Bassia. Talgbaum, mehrere festes Pflanzenfett liefernde Pflanzen,
namentlich: Stillingia sebifera, Vateria indica, Myrica
cerifera. Talgdrüsen, s. Hautdrüsen. Talglichte, s. Kerzen, S. 696. Talgsäure, s. v. w. Stearinsäure. Talgstoff, s. v. w. Stearin. Talha, s. Acacia, S. 74. Talhaka, König, s. Tirhaka. Talifu, Stadt in der chines. Provinz Jünnan, deren
Bewohner als Hauptbeschäftigung die Bearbeitung von
Marmorplatten betreiben, welche bei dem Dorf Tiensing gebrochen
werden, und die sich durch ihr wunderbares Farbenspiel auszeichnen.
Es war nach 1857 Hauptstadt der aufständischen muselmanischen
Panthai, bis es Ende 1872 wieder von den Chinesen eingenommen
wurde. Talion [Dehnungsstrich auf dem o] (lat.), Vergeltung
einer Handlung durch eine gleiche; daher Jus talionis, das Recht
der Wiedervergeltung; Poena talionis, die Strafe der Vergeltung,
die in den ältern germanischen Rechten sowie bei den Griechen
und Römern üblich war. Talipes (lat.), der Klumpfuß. Talisman, Bild von Metall oder Stein, welchem die Kraft
innewohnen soll, denen, die es tragen, oder in und an deren
Wohnungen es sich befindet, Schutz gegen Krankheit und Zauberei zu
gewähren sowie überhaupt Glück zu bringen. Diese
magischen Bilder 500 Talismanexpedition - Talleyrand. mit der Metallreligion der alten Akkadier zusammenhängend,
waren besonders im alten Babylon und Ninive im Gebrauch, woselbst
kein Gebäude ohne schützendes Bild (meist
Zwittergestalten von Göttern, Menschen und Tieren) gebaut
wurde. Auch in den arabischen Erzählungen spielt der T. eine
wichtige Rolle. Ähnliche Dinge waren die Skarabäen der
Ägypter, die Abraxasgemmen der Gnostiker (s. Abraxas), die
Alraunen und der Allermannsharnisch des Mittelalters, die
Siegessteine der Wielandsage und die meist nur mit magischen
Zeichen und Sprüchen beschriebenen Amulette (s. d.). Das Wort
T. findet sich in fast allen europäischen Sprachen und wird
aus das arabische tilsam (Zauberbild, Plural tilsamât oder
talâsim) zurückgeführt. Vgl. Lenormant, Die Magie
und Wahrsagekunst der Chaldäer (deutsch, Jena 1878); Fischer
und Wiedemann, Babylonische Talismane (Stuttg. 1881). Talismanexpedition, 1883, s. Maritime wissenschaftliche
Expeditionen, S. 285. Taliter qualiter (lat.), so gut es eben geht. Talith (hebr.), der vom Gesetz (4. Mos. 15, 37 ff.)
gebotene shawlförmige Gebetmantel der Juden. Talje, im Seewesen s. v. w. Flaschenzug; das bei der T.
zur Anwendung kommende Tau heißt deren Läufer; das an
dem einen Block der T. befestigte Ende des Läufers die feste
Part, das andre Ende desselben die lose oder die holende Part. Um
auf die holende Part eine Zugkraft ausüben zu können, ist
es meist erforderlich, deren Richtung durch einen sogen. Leitblock
zu verändern; der Klappläufer ist ein Leitblock, dessen
obere Backe zum Aufklappen eingerichtet ist, so daß der
Taljenläufer direkt auf die Scheibe des Leitblocks gebracht
werden kann. Taljereeps, s. Takelung, S. 495. Talk, Mineral aus der Ordnung der Silikate (Talkgruppe),
kristallisiert wahrscheinlich rhombisch, zeigt nur selten
tafelförmige Kristalle, bildet gewöhnlich schalige,
blätterige, schieferige, auch dichte, weiße,
grünliche oder gelbliche, selten farblose Aggregate. T. ist in
dünnen Lamellen durchsichtig, besitzt Perlmutter- oder
Fettglanz, ist sehr mild und fühlt sich fettig an. Härte
1, spez. Gew. 2,69-2,80. Der chemischen Zusammensetzung nach ist T.
mit Speckstein (s. d.) identisch und entspricht, wie dieser, der
chemischen Formel H2Mg3Si4O12. Oft tritt auch etwas Eisen und
Aluminium in die Zusammensetzung ein. T. ist ein häufiges
Mineral, bildet als Talkschiefer (s. d.) ein einfaches Gestein,
kommt aber auch untergeordnet auf Lagern, Nestern, Gängen, im
Gemenge mit andern Mineralspezies, ferner als Überzug vor.
Hauptfundorte sind: Tirol, Steiermark und die Schweiz. Er dient,
ähnlich wie Speckstein, als Maschinenschmiere, als
Poliermaterial für weiche Gegenstände, in der
Schminkebereitung etc. Talkeisenstein, s. Magneteisenerz. Talken, böhm. Hefengebäck aus Butterteig in
Kloßform, wird mit Pflaumenmus bestrichen, mit zerriebenem
Pfefferkuchen bestreut und mit zerlassener brauner Butter
begossen. Talkerde, s. Magnesia. Talkhydrat, s. Brucit. Talkschiefer, einfaches Gestein, schieferiger Talk von
unreinen weißen, gelblichweißen, grünlichgrauen
und lichtgrünen bis ölgrünen Farben, von fettigem
Glanz und großer Weichheit beim Anfühlen. Er kommt
dünn und dickschieferig, als reines Talkgestein, aber auch mit
Quarz und Feldspat gemengt vor. Er bildet Übergänge,
namentlich zu Chloritschiefer. Als accessorische Bestandteile
enthält er: Glimmer, Chlorit, Magneteisen, Strahlstein,
Cyanit, Staurolith, Turmalin, Granat, Asbest, Magnesit, Bitterspat,
Eisenkies, Gold. Er ist ein Glied der huronischen Formation und
meist dem Glimmerschiefer untergeordnet, in welchem er dann oft mit
Chloritschiefern, Hornblendegesteinen, oft auch in Verbindung mit
Serpentin auftritt. Mit Chlorit oder mit diesem und Asbest innig
gemengt, bildet er ein dichtes Gestein, den Topfstein (s. d.). Im
ganzen von beschränkter Verbreitung, tritt der T. auf in den
Alpen, so im Montblanc- und Monte Rosa-Gebirge, in Graubünden
und Oberitalien, in den Tauern und am Bachergebirge, im Apennin, in
Schweden, sehr ausgedehnt im Ural, in Nordamerika, in Brasilien,
hier die Lagerstätte der Topase, des Euklases, sehr
beschränkt im Fichtelgebirge, als Topfstein in
Graubünden, bei Chiavenna (Lapis comensis). Wegen seiner
Feuerfestigkeit benutzt man T. zu Gestellsteinen. Talkspat, s. Magnesit. Tallahassee, Hauptstadt des nordamerikan. Staats Florida,
mit Staatenhaus und (1880) 2293 Einw. T. wurde erst 1824 angelegt.
Am 7. Jan. 1861 wurde hier die Sezessionsordinance angenommen. Tallart (spr. -lar), Camille, Graf von, Herzog von
Hostun, Marschall von Frankreich, geb. 14. Febr. 1652 in der
Dauphiné, focht zuerst unter dem großen Conde in den
Niederlanden, dann 1674 und 1675 unter Turenne im Elsaß und
1678 als Marechal de Camp am Rhein. 1690 überschritt er, um
den Rheingau zu plündern, den Rhein auf dem Eis. Im spanischen
Erbfolgekrieg kommandierte er 1702 ein Korps am Rhein unter dem
Oberbefehl des Herzogs von Burgund. 1703 erhielt er den
Marschallsstab, eroberte Breisach, belagerte Landau und schlug den
zum Entsatz herbeirückenden Prinzen von Hessen bei Speier.
1704 führte er dem Kurfürsten von Bayern 35,000 Mann
Hilfstruppen zu, um mit ihm gemeinschaftlich in Österreich
einzudringen, fiel aber in der Schlacht bei Höchstädt in
englische Gefangenschaft. Nach seiner Befreiung (1712) erhielt er
den Herzogstitel, 1715 die Pairswürde. Seitdem lebte er den
Wissenschaften und der Staatskunst. In seinem Testament ernannte
ihn Ludwig XIV. zum Mitglied des Regentschaftsrats, allein der
Herzog von Orléans vollzog als Regent diese Bestimmung
nicht. 1724 erwählte die Akademie der Wissenschaften T. zu
ihrem Präsidenten. Von Ludwig XV. 1726 zum Staatsminister
ernannt, starb er 20. März 1728. Talleyrand (spr. tall'rang), altes franz. Geschlecht,
stammt von einem Zweig der Grafen de la Marche, der sich in die
Linien Périgord, welche 1400 erlosch und T. (so benannt nach
einem Gut in Périgord) teilte. Der erste Graf von T. war
Hélier (um 1100). Die drei Linien der Talleyrands stammen ab
von Daniel Marie Anne, Marquis von T., Fürsten von Chalais,
welcher 1745 bei der Belagerung von Tournai blieb und fünf
Söhne hinterließ. Der Stifter der ersten Linie war
Gabriel Marie von T., der von Ludwig XV. den Titel eines Grafen von
Périgord zurückerhielt. Sein Enkel Augustin Marie Elie
Charles, Fürst von T., Herzog von Périgord, geb. 10.
Jan. 1788, diente unter Napoleon I., ward unter den Bourbonen zum
Obersten befördert und starb 11. Juni 1879. Mit seinem Sohn,
dem Fürsten Elie Roger Louis von T., Herzog von
Périgord (geb. 23. Nov. 1809), erlosch die Linie 1883. Der
Stifter der zweiten Linie war Charles Daniel von T., gest. 1788.
Dessen Sohn war der berühmte Diplomat (s. unten). Jetziger
Chef derselben ist Napoléon Louis, Herzog von T.-